Deadpool ist erst der Anfang des pubertären Superheldenkinos

Ich habe mich lange nicht mehr mit 13-Jährigen unterhalten. Also mache ich jetzt das, was man eigentlich nicht machen sollte und was trotzdem alle Journalisten machen. Ich extrapoliere aus meiner eigenen Erfahrung. Als ich 13 war, das war 1996, habe ich unter anderem folgende Dinge getan. Ich hatte eine Band (die nie aufgetreten ist) mit einem einzigen, auf lustig getrimmten Lied, das beschrieb, wie Menschen auf grausame Art zu Tode kommen. Ich spielte einen Rollenspielcharakter namens Thorn, einen Typ im langen Ledermantel mit Sonnenbrille, der Wolverine-ähnliche Krallen besaß (und sehr mysteriös war). Ich behauptete nach dem Umzug in eine neue Stadt, ich hätte an meinem letzten Wohnort eine feste Freundin (was nicht stimmte). Ich las in einem “Coupé”-Heft, dass ich irgendwie bekommen hatte, über die sexuellen Vorlieben versauter Luder (oder so ähnlich).

Ich hatte dann irgendwann mal ein Gespräch mit meinen Eltern, die mich fragten, ob ich das eigentlich wirklich witzig finde mit den ganzen Toden, was ich weinend verneinte. Ich habe irgendwann angefangen, im Rollenspiel Charaktere zu spielen, die eher meiner verkopften Natur entsprachen. Ich hatte eine real existierende Freundin. Ich schäme mich für nichts, was ich mit 13 getan habe, denn ich war erst 13. Tod, Gewalt, Liebe und Sexualität waren merkwürdige Unbekannte, mit denen ich noch nicht wirklich in Berührung gekommen war. Es war mir aber wichtig, nach außen zu zeigen, dass sie mir nichts anhaben konnten. Also tat ich abgebrüht, während ich mich heimlich schrecklich davor fürchtete.

Die zwei Schulen des Superheldenfilms

Der moderne Superheldenfilm hat in der Zeit seit seiner Geburt Ende der 70er Jahre diverse Stadien durchlaufen und ein paar Eckpfeiler eingeschlagen, zwischen denen sich die meisten Filme, die so entstehen, irgendwo einsortieren lassen. Grob vereinfacht nenne ich die beiden Haupt-Schulen des 21. Jahrhunderts mal die Nolan/Goyer-Schule, die andere die Whedon/Singer-Schule. Nicht ganz zufälligerweise korrespondieren die beiden Schulen auch mit den beiden größten amerikanischen Comic-Verlagen DC und Marvel und mit Autorenströmungen, die es dort gab. Zum Beispiel mit Autoren wie Frank Miller oder Chris Claremont. Immer noch vereinfacht sieht die eine Schule Superhelden als verzweifelte Menschen in einer nihilistischen Welt, die sich entscheiden, die Welt irgendwie ein bisschen weniger beschissen zu machen; die andere sieht sie als hoffnungsvolle Menschen in einer Welt voller Graustufen, die sich bemühen, das Richtige zu tun, obwohl sie fehlbar sind. Beiden Schulen gemein ist, dass sie versuchen, das fantastische Superheldentum irgendwie in dem zu verankern, was sie für “Realität” halten. “Realistisch” bedeutet allerdings für die einen “Hart und grausam”, für die anderen “verwirrend und vielschichtig”. Ich finde, beide Schulen haben ihre Berechtigung.

Beide Schlagrichtungen legen diese Maßstäbe unter anderem auch deswegen an ihr Werk an, würde ich behaupten, weil sie beweisen wollen, dass Superhelden durchaus etwas “Erwachsenes” sein können. Die ursprüngliche Zielgruppe von Superheldencomics war seit den 30er Jahren minderjährig, wahrscheinlich noch nicht einmal jugendlich, doch nachdem Comics in den 70ern ihr Massenpublikum verloren und langsam ein Nischenprodukt wurden, wuchsen die Comics mit ihren Lesern mit. Spätestens in den 80ern ging es den oben genannten Autoren aktiv darum, zu beweisen, dass auch Superhelden komplexe Charaktere sind, deren Geschichten etwas über unsere Welt aussagen können. Sie sind nicht bloß etwas für Kinder mit einfachen Moralvorstellungen und sie sind nicht bloß alberner, amüsanter Camp.

Der Stinkefinger im Kino

Doch die Comicbranche ist beileibe nicht nur bevölkert von Menschen, die erwachsene Geschichten erzählen wollen. Insbesondere in den 90ern regierte in Verlagen wie Image Comics auch das große Verlangen, mit den Bildergeschichten einfach nur eine diffuse Vorstellung von “cool” und “extrem” zu bedienen und dem Rest der Branche den Finger zu zeigen. Jetzt, zwanzig Jahre später, wo der Superheldenfilm als zwar nicht unbedingt immer anspruchsvolles, aber doch erwachsenes Genre etabliert ist, kommt diese Attitüde auch ins Kino.

Rob Liefeld, der Schöpfer des Comichelden Deadpool – mit dem Ryan Reynolds diese Woche im Kino startet – beschreibt dessen Genese Anfang der 90er auf “io9” als “Spider-Man with guns and swords”. Sein Partner Fabien Nicieza ergänzt:

“Unfortunately, his brain is my brain, in all its sad, pathetic glory,” Nicieza said. “Most of us have a filter. If I said a tenth of the things I think I’d get my ass kicked every day. Deadpool is that without the filter. He has the biological excuse that he can’t filter himself, so he can say the most inappropriate things, go off on complete tangents, and pull cultural references out of his ass all in one panel.”

Mit anderen Worten: Liefeld und Nicieza koppelten eine Wunschvorstellung im Look (Spider-Man + Waffen) mit einer Wunschvorstellung in der Einstellung (Sagt, was immer ihm in den Kram passt, “herrlich politisch inkorrekt”). Das Ergebnis kam bei den Fans extrem gut an. Deadpool lässt sich nichts gefallen und er kann alles. Er ist mysteriös und respektlos. Er ist ein Söldner, das heißt er hat keine Prinzipien. Wenn ihm etwas im Weg steht, macht er entweder einen gemeinen Witz drüber oder er schießt es zu Klump. Kurzum: Er ist die Wunschvorstellung jedes Teenagers, oder – wie Manfred Riepe es in “epd Film” ausdrückt: eine “Masturbationsfantasie für kleine Nerds, sich ganz groß erleben zu dürfen.

Nicht alle Kritiker gehen mit Deadpool so hart ins Gericht wie Riepe. Aber fast jeder erwähnt, wie sehr der Film auf pubertäre Fantasien zurückgreift. Sam Adams (“Indiewire”) schreibt: “If I were 13 years old, Deadpool would be the coolest thing I’d ever seen, (…) it indulges every vice of “mature” superhero comics while simultaneously sending them up.” Es ist ein gigantisches “Fuck You” an Mama und Papa.

Absolut loco

Doch Deadpool ist nur einer von zwei Superheldenfilmen, die dieses Jahr die pubertäre Vorstellung von Coolness zurück ins Kino schieben wollen (Spawn, eine Image-Comics-Verfilmung, hatte es in 90ern auch schon mal versucht). Der andere ist Suicide Squad von Regisseur und Autor David Ayer. Auch hier besteht der “rebellische” Gedanke hauptsächlich darin, dass die “Helden” gleichzeitig völlige Psychopathen sind. Kriminelle, die widerwillig von der Regierung angeheuert werden um jene zu töten, die noch schlimmer sind als sie selbst. Große Teile des erfolgreichen Trailers zur Musik von “Bohemian Rhapsody” werden darauf verwendet zu etablieren, wie absolut loco diese “Worst Heroes Ever” sind, allen voran Margot Robbie als durchgeknalltes Clownschulmädchen Harley Quinn.

Protagonisten wie Deadpool und die Suicide Squad – der eine übrigens von Marvel, die anderen von DC, die Herkunft spielt also keine Rolle – repräsentieren genau jene Ecke der Nerdkultur, von denen sich manche Nerds heute gerne distanzieren würden. Sie sind fleischgewordene Fantasien von Männern mit “arrested development”, stehengeblieben auf dem Niveau eines 13-Jährigen, die sich immer noch vor der komplexen Welt der Erwachsenen fürchten und dagegen ankämpfen, indem sie Gewalt und Sex endlos fantastisch überhöhen. Diese Männer, und es sind eigentlich immer Männer, sind eindeutig die Zielgruppe von Deadpool, der ein R-Rating (ab 17) in den USA bekommen hat. Und sie stehen nicht nur hinter solchen Comics, sie stehen auch hinter Gamergate und den “Sad Puppies“. Es sind die Protagonisten des Ärzte-Songs “Der Infant“: “Jetzt bin ich endlich groß und die Hölle bricht los.”

Nicht kindlich, sondern ein paar ätzende Jahre älter

Vielen Filmen wird heutzutage teilweise völlig zurecht vorgeworfen, dass sie ihr Publikum entmündigen und ihm eine tief in Nostalgie getauchte Welt zeigen, die vor allem kindliches Erstaunen hervorrufen soll. Doch Deadpool und Suicide Squad sind nicht kindlich, sie sind ein paar ätzende Jahre älter. Und welche Auswüchse diese pubertären Ideen annehmen können, lässt sich vielleicht am ehesten an einem Zeichenwettbewerb festmachen, den DC Comics vor anderthalb Jahren ausschrieb. Fans sollten ein Panel eines kommenden Hefts mit folgender Beschreibung zeichnen:

Harley [Quinn] sitting naked in a bathtub with toasters, blow dryers, blenders, appliances all dangling above the bathtub and she has a cord that will release them all. We are watching the moment before the inevitable death. Her expression is one of “oh well, guess that’s it for me” and she has resigned herself to the moment that is going to happen.

Eine nackte Frau, die Selbstmord begeht. Extrem cool, extravagant und grenzüberschreitend – wenn man 13 ist. Dem Rest der Welt war es dann aber doch etwas zu bescheuert und in letzter Instanz auch gefährlich, gerade für echte Teenager. DC entschuldigte sich pflichtschuldig, aber wohl eher, um die Kritiker zu besänftigen. Es gibt schließlich noch genug Leute da draußen, die es für den ultimativen Ausdruck von Abgefahrenheit halten, sich “damaged” auf die Stirn zu tätowieren.

15 thoughts on “Deadpool ist erst der Anfang des pubertären Superheldenkinos”

      1. Der ganze Text scheint von einer gehörigen Portion Selbsthass gegenüber deiner eigenen Pubertät getrieben worden zu sein. Alles aus deiner Pubertät, für das du dich heute schämst, ist an Deadpool nun böse. So was nennt sich wohl Projektion. Und es ist ja bei weitem nicht so, dass es heutzutage nichts gäbe, für das du dich schämen müsstest; wie zum Beispiel den obigen Text.

        1. Bist du sicher, dass du dich nicht an die eigene Nase fassen solltest, wenn dir keine bessere Art der Auseinandersetzung mit meiner Meinung einfällt, als mich unter Pseudonym zu beschimpfen und mich persönlich anzugreifen? Finde ich auch nicht besonders erwachsen.

          1. Meine Anonymität im Netz ist mir heilig, sorrynotsorry. Ich habe auch nie behauptet erwachsen zu sein und sehe auch kein Problem mit Infantilität. Außerdem habe ich dich nicht beschimpft, sondern deine Meinung und dein Werk angegriffen. Wenn du das nicht von einander trennen kannst, ist das kein Zeichen von eben dieser Reife, auf die du anscheinend so viel wert legst (das war jetzt ein Angriff auf dich, aber keine Beschimpfung).

          2. Was ich nicht verstehe ist, warum du nicht einfach versuchst, eine Gegenmeinung zu äußern oder meine Argumente zu widerlegen. Es sollte doch in der Welt genug Platz für beides sein. Stattdessen bezeichnest du meinen gesamten Text als “Scheiße” und unterstellst mir Selbsthass, obwohl du mich nicht kennst. Wo soll denn das hinführen?

          3. Natürlich gibt es den Platz für beides; für deinen Text und meine Meinung zu diesem. Nur habe ich den Film noch nicht gesehen und beziehe mich daher nur auf die Grundannahmen des Textes. Und die sind halt nun mal hanebüchen. Du beginnst den Text den Text mit dem Eingeständnis, dass du aus deiner eigenen Erfahrung extrapolierst mit dem Zusatz, dass man das als Journalist nicht tun sollte. Und das aus guten Grund, gelten doch die eigenen Erfahrungen nur für einen selbst. Wenn du dann die Peinlichkeiten deiner Pubertät in Deadpool wiedererkennst und Deadpool deshalb schlecht ist, ist das Projektion. Projektion des Selbsthasses (oder eher der Verachtung?) gegenüber dem jüngeren Selbst auf den Film. Dann wird aufgrund einer angeblichen moralischen Überlegenheit des erwachsenen Alex gegenüber dem pubertierenden Alex, der der erwachsenen Version einfach nur noch peinlich ist, sogleich Deadpool mit der gleichen Anklageschrift angeklagt und der gleichen Urteilsbegründung abgeurteilt. Damit ist die Prämisse scheiße und natürlich auch am Ende der ganze Text.

            Und alle inhaltlichen Aussagen zum Film scheinen ja nur nahe zu legen, dass sich die Schaffenden relativ nahe am Ursprungsmaterial orientiert haben. Von daher müsste die Kritik an anderer Stelle angebracht werden und zwar am Comic.

            Da du berechtigter Weise darauf hinweist, dass es ja genug Platz für beides in der Welt geben sollte, ist es schon etwas befremdlich, wenn du dann im Text Deadpool die Daseinsberechtigung impliziert in Abrede stellst. Nur weil Deadpool keiner der beiden von dir akzeptierten Schulen angehört, hat er also keine Berechtigung?

          4. Keine deiner Aussagen hat eine echte Grundlage in meinem Text. Ich spreche Deadpool überhaupt nicht die Daseinsberechtigung ab, wie käme ich dazu. Ich beschreibe lediglich, was ich sehe und zu Anschauungszwecken ziehe ich dafür meine eigene Erfahrung heran. Ich will Diskussion damit fördern, nicht Filme verbieten. Du aber scheinst vor allem daran interessiert zu sein, mich zu diskreditieren. Lass uns das hin und her jetzt mal sein lassen, ich bin ja froh, dass ich dich überhaupt von sechs Wörtern auf drei Absätze hochhandeln konnte.

  1. Ich äußere mal meine Meinung. Keine Ahnung ob es eine Gegenmeinung ist, aber ich mach es trotzdem: Ich mochte Deadpool. Ganz ehrlich. Ich hatte Spaß. Allerdings hatte ich auch so gut wie keine Erwartungen. Und ich sehe eines ganz anders: Alle Superheldenfilme sind infantil und auch pubertär. Sie sind infantil, weil sie der Welt Binaritäten aufdrücken: Gut / Böse. Held / Bösewicht. Superheldenkräfte / keine Superheldenkräfte. Es gibt Comic-Verfilmungen, die machen das nicht (American Splendor z.B.). Das heißt: Es liegt nicht an den Comics, es liegt an vielen Dingen … u.a. an der Idee, die Welt bräuchte einen (oder mehrere) Messias. (Was ist die Mehrzahl von Messias? Messiase???? Gibt es das überhaupt?) Diese Idee, die Welt bräuchte Superhelden oder überhaupt Helden, heißt doch: Der Welt fehlt etwas. Dies ist infantiles Denken. Bzw. pubertäres Denken. Carl Jung nannte das auch Puer Aeturnus. Woher kommt das? Ein Mann in der Pubertät akzeptiert die Einschränkungen der Welt nicht, braucht Freiheiten, geht ungern Bindungen ein. Aus Angst die falsche oder überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Dieser Angst begegnet er mit der Heldenidee. Ein Beschützer. “Happy End kommt schon irgendwann.” Deswegen kommen die Zwänge, denen sich ein pubertärer Mann oft ausgesetzt fühlt, von Außen: Eltern, Schule, erster Job … der Staat, Chemtrails … eben Dinge, hinter denen man eine böse Kraft vermutet. Weil dann das Erklärungsmodell funktioniert. Manchmal kommt noch ein Gott-Komplex dazu – man muss die ganze Welt retten … oder sowas.
    Ich komme mal wieder zu Deadpool zurück: Schön am Film ist … er will niemanden retten. Nur sich. Und es geht ihm, ganz offensiv, um Äußerlichkeiten. Danke. Finde ich sehr, sehr geil.
    Was ich auch super fand: Die Ironie und die direkte Ansprache des Publikums. Im Grunde bedeutet Deadpool damit für mich das Ende der Superheldenfilme. Wie lächerlich der Batman vs. Superman-Trailer im Vorprogramm war. Wie ernst sich dieser pseudo-dunkle Scheiß nimmt. Es ist lachhaft.
    Im Grunde ist mit Deadpool endlich der Punkt für Superheldenfilme erreicht, den jedes Franchise (egal wie weit man es auch fasst) irgendwann erreicht: Bei Freddy Krueger gab es z.B. in Teil … 6? (glaube ich)… das erste Mal den Bruch der 4ten Wand. Ein Film über den Film. Wenn man ehrlich ist: Das ist dann wirklich das selbstreferentielle Ende. Und dies hat Deadpool – sehr witzig – nun geliefert. Vielen Dank. Das war’s. Jedenfalls für mich. ;)

  2. Kann dem Beitrag hier nur voll und ganz zustimmen. Reine Geldverschwendung. Der trashige Film hat es tatsächlich erreicht, meine ohnehin nur sehr geringen Erwartungen zu enttäuschen. Das fängt bei den pseudo-coolen Sprüchen an, welche ich vielleicht mit sechzehn Jahren noch halbwegs angesprochen hätten, geht weiter mit den Gewaltexzessen, bei welchen sich wohl so einige daran aufgeilen – ich leider nicht -, bis hin zu nicht bloss hirn- sondern auch geschmacklosen Sprüchen bzgl. der Gesichtsverbrennungen. Sodann kann ich auf einen selbstverliebten,um (falsche) Selbstironie bemühten Reynolds sowie auf einen Film verzichten, der sich zwanghaft von anderen Superheldenfilmen abzugrenzen versucht, aber letzten Endes nichts anderes als die übliche Superheldengeschichte erzählt.

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