Die Fall Season von Gimlet Media zeigt, wie schnell sich die Qualitätsspirale bei Podcasts dreht

Mit vier neuen Sendungen und einer neuen Staffel von Startup ist Gimlet Media, Alex Blumbergs Schmiede für hochwertige Podcasts, diesen Herbst enorm durchgestartet. Die große Frage ist: Hält diese American Podcasting Corporation, was sie verspricht? Für jeden, der vorhat über die Feiertage, vielleicht beim Driving Home for Christmas, ein paar Gimlet-Podcasts zu bingen, sind hier ein paar Einschätzungen.

Die geheime Zutat von Gimlet, die die Firma von anderen Podcast-Labels wie Earwolf und Radiotopia unterscheidet, ist die Redaktionsschule, aus der Alex Blumberg stammt. Als langjähriges Mitglied der Redaktionen von This American Life und Planet Money hat er die Latte für hochwertiges Storytelling in Podcast-Form selbst gelegt. In der Startup-Folge “The Secret Formula” vom November 2015, wird der Prozess des Blumbergschen “Editing” genau beschrieben, der hauptsächlich darin besteht, dass ein größeres Team von Leuten eine Sendung immer und immer wieder hört und gnadenlos kritisiert, bis sie funktioniert (ein ähnlicher Prozess, wie er im Filmbereich von Pixar bekannt ist).

Dieser Prozess sorgt dafür, dass Gimlet-Podcasts storytelling-technisch immer gut austariert sind. Aber sind sie deswegen auch interessant? Kann ein Team, das so schnell gewachsen ist, wie Blumberg es selbst in jüngeren Startup-Folgen beschrieben hat, auch zu guten Editors werden? Vor allem, wenn jetzt plötzlich – anders als im Public Radio – ein monetärer Druck dahintersteht?

Undone

Bei Undone scheint mir die Antwort leider “Nein” zu lauten. Die Sendung, deren Claim ist, sie würde große Nachrichtenereignisse der Vergangenheit wieder ausbuddeln und dann erforschen, was mit ihnen passiert ist, ist solide – und nicht mehr. Sie erinnert mich an viele Serien der “Quality TV”-Welle aus dem letzten Jahrzehnt, die eben nicht die Qualität von Mad Men oder Breaking Bad hatten. Undone-Geschichten sind ordentlich erzählt und gut produziert, aber ihrer Ankündigung, “how big stories we thought were over were actually the beginning of something else”, kann sie leider nicht gerecht werden.

Folge 1 erzählt, dass eine berüchtigte “Death of Disco”-Veranstaltung irgendwie irgendwann zur Geburt von House-Musik führte. In Folge 2, in der es um den Anspruch auf indigene Knochenfunde geht, ist es schwierig, zu identifizieren, wo genau der “beginning of something else” liegt. Und in Folge 4, “Operation Match”, geht es schon gar nicht mehr um eine “big story” aus der Vergangenheit, sondern nur noch um die Geschichte des Online-Datings. Eine Folge, die wirkte, wie etwas, was bei Reply All aussortiert wurde. Danach habe ich aufgehört zu hören. Undone scheint mir, als hätte es seine echte Stärke noch nicht gefunden.

Homecoming

Homecoming zeigt, dass Gimlet es ernst meint mit der Hochwertigkeit. Ihr erster fiktionaler Podcast, aka ihr erstes “Radio Drama”, ist von einem Bestseller-Autor, Eli Horowitz, geschrieben und inszeniert und weist einen Cast voller Stars auf: Catherine Keener, Oscar Isaac, David Schwimmer, Amy Sedaris und David Cross haben Parts in der mysteriösen Geschichte um eine Therapie-Einrichtung für traumatisierte Soldaten übernommen, und sie machen einen guten Job. Das Schauspiel ist erste Klasse und auch das Sound-Design ist hervorragend und belohnt genaues Zuhören.

Leider ist die eigentliche Geschichte nach meinem Dafürhalten nicht so spannend, wie sie sein könnte. Ja, es gehen einige merkwürdige Dinge in der “Homecoming Initiative” vor sich, aber die Serie braucht gute vier Folgen, um mal mit einer echten Enthüllung aufzuwarten. Davor hätte ich große Cliffhanger am Ende jeder Episode erwartet, aber stattdessen plätschern gerade die ersten beiden Folgen eher vor sich hin. Auch bin ich nicht sicher, ob es wirklich so ein großer Vorteil ist, dass hier Menschen als Sprecherinnen und Sprecher verpflichtet wurden, deren Stimmen man kennt. Ähnlich wie bei Animationsfilmen führen die bekannten Stimmen häufig dazu, dass man sich die Schauspieler in ihren Rollen vorstellt – was dem Radioformat ein wenig die Gestaltungsfreiheit nimmt. Aber ich gebe noch nicht auf. Vielleicht schafft die Serie noch die Kurve.

Twice Removed

Es ist ein bisschen unfair, über Twice Removed zu schreiben, weil der Podcast bisher erst eine Folge veröffentlicht hat. An dieser – und an einer Startup-Folge, in der die Sendung vorgestellt wurde – lässt sich aber bereits ganz gut ablesen, was uns erwartet. Ein Prominenter wird ins Studio geholt, ihm werden anhand seines Stammbaums die Geschichten entfernter Verwandter erzählt und am Ende wird er “Lass dich überraschen”-mäßig mit einem “Mystery Relative” konfrontiert.

Die erste Folge, mit Sexkolumnist und Podcaster Dan Savage, war gut zu hören, aber besonders der “Mystery Relative” wirkte wie ein überflüssiges Gimmick. Gastgeber A. J. Jacobs und seine Redaktion haben eindeutig versucht, mit Hilfe der Geschichten auch einen dramatischen Bogen – in diesem Fall von Mut zum Widerstand – über die ganze einstündige Sendung zu spannen, aber mir hätte es nicht egaler sein können, dass die vorgestellten Menschen mit Dan Savage verwandt sind. Die Sendung schickt sich an zu beweisen, “dass wir alle eine große Familie sind”, aber welche Relevanz diese Aussage letztendlich hat, erschließt sich mir nicht. (Was auch an meiner persönlichen Haltung zu Verwandtschaft liegen kann.) Auf jeden Fall bekommt Twice Removed noch eine Chance von mir. Mystery Show wurde ja auch erst in Episode 2 richtig gut.

Startup – Season 4

In Startup geht es darum, “what it’s really like to start a business”, und mit ihren erfrischend offenen Einblicken und Conclusios hat die Sendung das vor allem am Beispiel der eigenen Firma und auch an dem Unternehmen Dating Ring in Staffel 2 anschaulich gezeigt. Seitdem jedoch scheint die Sendung ein bisschen aus dem Tritt gekommen zu sein. Staffel 3 war eine lose Zusammenstellung von Gründungsgeschichten, die mal mehr mal weniger spannend waren, weswegen sich Staffel 4 wieder stärker auf eine Geschichte zu besinnen scheint: die neue Firmengründung von Ex-American-Apparel-CEO Dov Charney.

Wie ich bereits in meinem Piq diese Woche angedeutet habe, kann auch diese Folge selten an vergangene Stärken anknüpfen. Vor allem aber geht es quasi gar nicht um die erwähnte Gründung, sondern fast nur um die Aufarbeitung von Charneys Vergangenheit. Dass dabei vereinzelt tolle Business-Krimis herauskommen können, zeigte die letzte Folge “Anger”, die Charneys Psychogramm vollendet und seinen Rausschmiss aus der eigenen Firma schildert. Aber vieles davor wirkte so, als hätten sich auch die Macher der Sendung mehr davon versprochen. Nächste Woche soll die Staffel bereits zu Ende sein. Mal sehen, ob es in der letzten Folge mal wieder tatsächlich um “L. A. Apparel”, Charneys neue Firma, geht. (Ich bin persönlich auch kein großer Fan von Lisa Chows Stimme und Intonation, aber das sollte nichts zur Sache tun)

Crimetown

Unter all den Fall-Season-Podcats sticht einer zum Glück ganz klar heraus: Crimetown, eine Betrachtung der organisierten Kriminalität in Providence, Rhode Island, in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, überzeugt nicht nur in der Moderation seiner Macher Marc Smerling und Zac-Stuart Pontier (The Jinx), sondern auch in Musikauswahl, Sound-Design und der bei “True Crime”-Geschichten immer wichtigen Mischung aus journalistischer Aufklärung und wohligem Grusel. Smerling und Pontier haben eine große Menge an interessanten Quellen – nicht zuletzt Zugang zu Schlüsselfiguren des Mobs der damaligen Zeit, die zuletzt Jahrzehnte im Gefängis saßen – und eine zentrale Frage, die einen als Publikum sehr gut bei der Stange hält:

Wie war das möglich, was zu Beginn von Episode 1 geschildert wird?

MARC SMERLING: Question: Did he kick you? Answer: Yes. Question: Where did he kick you? Answer: On my right chin. Question: Did he try to burn you with a cigarette? Answer: Yes. Question: Did you have a cigarette burn on your face after the incident? Answer: Yes. In my left eye. Question: At some point did the mayor swing a fireplace log at you?

Answer: Yes.

This is a transcript of grand jury testimony from a victim of a brutal assault. An assault committed by the mayor of Providence, Rhode Island. Yeah, that’s right, the mayor. A mayor in his ninth year in office. A mayor named Vincent “Buddy” Cianci.

Die ersten sechs “Chapters” von Crimetown kann man problemlos hintereinanderweghören. Ich empfehle diesen Podcast.

Zusammenfassung

Die Fall Season, der erste große Programmoffensive von Gimlet Media, zeigt leider, dass sehr gute Audiounterhaltung nicht problemlos skalierbar ist. Ein gutes Redaktionskonzept wie das von Alex Blumberg, lässt sich nicht ohne weiteres auf verschiedene Formate übertragen, so dass am Ende automatisch neue Podcasts mit der Qualität von Serial oder Planet Money herauskommen. Die stärksten Gimlet-Podcasts sind immer noch die mit sehr guten, idiosynkratischen “Hosts” wie Starlee Kine (Mystery Show) und Jonathan Goldstein, der von September bis November das wunderbare Heavyweight produzierte (das ich hier mal außen vor gelassen habe, weil seine Reputation ihm hoffentlich ohnehin vorauseilt). Direkt dahinter kommen Sendungen mit sehr gutem Zugang zu komplexen Quellenlagen wie Crimetown und Startup.

Alles andere ist Mittelmaß. Gutes, solide produziertes Mittelmaß, aber weit davon entfernt “Must Hear”-Futter zu sein. Dadurch zeigt sich, wie weit sich die Qualitätspirale im Podcast-Bereich bereits gedreht hat. Wahrscheinlich hätte eine Sendung wie Undone vor wenigen Jahren noch jede Menge Preisung geerntet. Im Dickicht der vielen guten Podcasts, die zurzeit produziert werden, sticht sie aber kaum noch heraus.

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