Rückentbündelung. Watchever und die alten Kathodenstrahlröhren

Frank Underwood starrt einem in Berlin gefühlt von jedem zweiten Werbeplakat entgegen. Unter markigen Sprüchen über politisches Kalkül empfiehlt die Hauptfigur der Serie House of Cards dem Betrachtenden zusätzlich ein Abo beim Weltmarktführer für das Streamen von Videoinhalten, Netflix. Auf der anderen Hälfte der Plakate wirbt Netflix’ größter Konkurrent, der deutsche Marktführer Amazon Video, mit einem dramatischen Motiv für die Serie Hand of God, in der Ron Perlman beim Anblick eines Tauben-Mobiles in blutige Tränen ausbricht (das verspricht zumindest das Poster).

Verdächtig abwesend in diesem Krieg der Video-on-Demand-Anbieter ist Watchever, die deutsche Tochter des französischen Konzerns Vivendi, deren Werbekampagne mit Til Schweiger man noch vor einiger Zeit kaum entkommen konnte. Dabei hat das Portal erst Anfang Oktober mit viel Getöse einen Relaunch hingelegt, um dem dramatischen Absturz von Nutzern seit dem deutschen Netflix-Start entgegenzuwirken.

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Die neue Optimismuslobby und ihre Probleme

© 20th Century Fox

(Kann grobe, unspezifische Spoiler für The Martian und Tomorrowland enthalten)

Mark Watney hat es geschafft. Er hat sich (und Kartoffeln) mit seinen Botanik-Skills aus dem Dreck gezogen und so lange alleine auf dem Mars überlebt, dass er gerettet werden konnte. Heute ist er Ausbilder und er erklärt seinen jungen Zöglingen seine Philosophie:

At some point, everything’s gonna go south on you and you’re going to say, this is it. This is how I end. Now you can either accept that, or you can get to work. That’s all it is. You just begin. You do the math. You solve one problem and you solve the next one, and then the next. And If you solve enough problems, you get to come home.

Die Schlussworte aus Ridley Scotts Film The Martian stehen stellvertretend für einen amerikanischen Traum, der auch im Weltraum zu gelten scheint. Wir Menschen können unser eigenes Glück schmieden, wenn wir nur hart genug daran arbeiten und unsere Probleme eines nach dem anderen lösen. Aufgeben ist keine Option, das gilt auf dem Arbeitsmarkt genau wie auf dem Mars. Die Worte sind aber auch Teil einer neuen Stoßrichtung in der Science-Fiction, zu der The Martian (der Film genau wie Andy Weirs gleichnamiger Roman) zumindest am Rande gehört. Ziel ist es, Wissenschafts- und Ideenmenschen wieder mehr in den Fokus zu rücken, und den Zukunftsgeschichten wieder einen optimistischeren Drall zu geben.

Ganz explizit, wahrscheinlich sogar zu explizit, machte das im Frühjahr Brad Birds zweiter Realfilm Tomorrowland (“deutscher” Titel: A World Beyond). Ein idealistisches junges Mädchen namens Casey, deren Vater mal Raketen gebaut hat, wird von einer jungen Androidin in die Parallelwelt Tomorrowland geführt – eine Art Paradies für Erfinder, in der alles so aussieht, wie die Zukunftsvisionen der New Yorker Weltausstellung von 1964. Doch Tomorrowland hat seinen Glanz verloren, stattdessen warten dort alle darauf, dass die Welt untergeht, wie es ihnen eine gigantische Tachyonen-Kristallkugel vorhersagt. Casey stellt fest, dass die Vorhersagen einen Self-Fulfilling-Prophecy-Effekt haben – sie sind nur deswegen so negativ, weil unsere Phantasie so negativ geworden ist. Nach viel hin und her kann sie die Maschine zerstören und der Hoffnung eine neue Chance geben. (Diese Plotzusammenfassung wird der konfusen Erzählweise und damit der riesengroßen Schwäche des Films nicht gerecht, aber darum soll es hier ja auch nicht gehen.)

Innovation Starvation

Doch Tomorrowland schlägt nur in eine Kerbe, die bereits vorher existierte. Neal Stephenson beschwerte sich in seinem Essay “Innovation Starvation” darüber, dass der technische Optimismus aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, in dem ein besseres Leben durch Erfindungen und große menschliche Leistungen möglich schien, einer Stimmung gewichen ist, in der sich niemand mehr traut, groß zu träumen.

Most people who work in corporations or academia have witnessed something like the following: A number of engineers are sitting together in a room, bouncing ideas off each other. Out of the discussion emerges a new concept that seems promising. Then some laptop-wielding person in the corner, having performed a quick Google search, announces that this “new” idea is, in fact, an old one—or at least vaguely similar—and has already been tried. Either it failed, or it succeeded. If it failed, then no manager who wants to keep his or her job will approve spending money trying to revive it. If it succeeded, then it’s patented and entry to the market is presumed to be unattainable, since the first people who thought of it will have “first-mover advantage” and will have created “barriers to entry.” The number of seemingly promising ideas that have been crushed in this way must number in the millions.

Stephensons These: Es fehlt den Erfinderinnen und Erfindern an Inspiration, weil auch die Science Fiction sich nur noch in apokalyptischen und post-apokalyptischen Szenarien suhlt. (Meine Gedanken zu diesem Zeitgeist) Gute Science Fiction böte “Hieroglyphen”, “fully thought-out picture[s] of an alternate reality in which some sort of compelling innovation has taken place”. Ein neues Tomorrowland, quasi. Den Gedanken fand die Arizona State University so gut, dass sie daraus mit Stephenson gemeinsam das Project Hieroglyph aus der Taufe hob – eine Plattform für den Austausch zwischen fiktionalen Denkerinnen und Denkern und Menschen, die Ideen in der echten Welt umsetzen. Erstes Teilprojekt: Eine Kurzgeschichtensammlung voller “Visions of a better future”.

Irgendwie bewundernswert, dieser Wille, sich mitten in einer Zeit, in der wir vielleicht mehr denn je das Gefühl haben, alles ginge den Bach runter, und in der sogar Deutschlands führender Techno-Optimist Sascha Lobo seine Zuversicht verloren hat, gegen den Trend zu stellen. Self-Fulfilling-Prophecies und Erlernte Hilflosigkeit sind natürlich sehr reale Phänomene und eine positive Grundhaltung kann manchmal schon viel bewirken.

© Disney

Hurra Zukunft!

Die Frage ist, ob sich die Advokaten dieses Science-Fiction-Optimismus für ihre gute Sache immer unbedingt die richtigen Beispiele rausgepickt haben. Tasha Robinson hat bei “The Dissolve” mit wenigen Beispielen gezeigt, dass die fünfziger und sechziger Jahre, zumal im Kino, mitnichten eine dauerhafte Hurra-Zukunft-Stimmung verbreiteten, sondern eher schon mit der Glorifizierung der Vergangenheit begannen. Rachel E. Gross weist auf “Slate” darauf hin, dass Wissenschaft in der echten Welt nicht so heurekahaft funktioniert wie in The Martian. Und Damien Walter kritisiert Project Hieroglyph (das ich, full disclosure, nicht gelesen habe) für seine Hymnen auf kapitalistische (männliche!) Unternehmer und die Unterschlagung von deren Rolle in der überhaupt nicht utopischen Ausbeutung ihrer Mitmenschen: “These optimistic futures may well be better for those occupying the top floors of our unequal society, but they offer less hope for those stuck in the lower levels.”

Brad Bird wurden bereits ähnliche Vorwürfe gemacht, nicht erst seit Tomorrowland (die ganze Debatte findet man mit einer Google-Suche). Seine Visionen seien objektivistisch und betonten die Außerordentlichkeit Einzelner, die auf irgendeine Weise “besser” sind als die Masse, aber von dieser klein gehalten werden. Tatsächlich ist das titelgebende Land, das ja außerhalb der Fiktion ein Themenbereich im kalifornischen Disneyland ist, im Film von Menschen gegründet worden, die sich selbst “Plus Ultras” nennen, was doch sehr elitär und mit dem Gedanken an Aldous Huxley auch ein bisschen eugenisch klingt. Die jüngere Wissenschaft neigt ja eher dazu, zu glauben, dass Kooperation wertvoller ist als das einsame Brüten und Entscheiden von “Great Men”.

The Cyberpunk Moment

Viel wichtiger als diese Gegenargumente finde ich aber, dass Bird, Scott, und leider auch Stephenson allesamt am Ziel vorbeischießen. Sie sind selbst zu alten weißen Männern geworden, die sich (wie viele von uns irgendwann) eine naivere Zeit zurückwünschen. Ihre Plädoyers für Optimismus und Pioniergeist sind fast schon eher rückwärts als vorwärts gewandt und gehen im Ansatz vielleicht sogar von einem falschen Begriff von Science Fiction aus. Henry Jenkins hat vor kurzem einen hervorragenden Essay über den “Cyberpunkt-Moment” in den 80ern geschrieben, in dem er aufregend darlegt, wie verkehrt es sei, von der Science Fiction immer eine Vorhersage der Zukunft zu erwarten. Science Fiction, meint Jenkins, schafft Bezugssysteme für die Gegenwart, aus denen man eine Zukunft ableiten kann. Zum Geburtsmoment des Cyberpunk in den Achtzigern schreibt er: “The technological changes which were hitting American society were so transformative that we needed our best writers and thinkers to help us make sense of what was happening right then and now.”

Was Cyberpunk “punk” gemacht hätte, meint Jenkins, war sein Wille, das Genre aufzubrechen und neu zusammenzusetzen (unbedingt den ganzen Artikel lesen, den ich hier auf zwei kleine Aspekte reduziere). Insofern scheint es nur logisch, dass die beste Science Fiction, die heute entsteht, nicht die Great-Men-Ideen der Vergangenheit neu aufwärmt, sondern sich den Veränderungen in unserer Welt auf andere Weise entgegenstellt, zum Beispiel indem sie Diversität neuen Ausdruck verleiht. Ann Leckies Roman Ancillary Justice (um nur ein Beispiel zu nennen, das ich selbst gelesen habe) spielt gekonnt mit Vorstellungen von Gender und singulärer Identität – und die neue Autorengeneration ist so international und vielfältig, wie man sich das nur wünschen kann. Die wichtigsten Impulse für die Zukunft kommen eben nicht immer aus der Richtung, aus der man sie erwartet.

Brad Birds A World Beyond ist vor einem Monat im Heimkino erschienen. The Martian läuft vielleicht noch in einem Kino in eurer Nähe.

Mal wieder Blogger Relations, heute zu Back to the Future

Auch wenn ich in diesem Blog keine Werbung schalte und auch normalerweise sonst keine kommerziellen Interessen außer der Bewerbung meiner Person verfolge, lasse ich mich gelegentlich zu Sponsored Posts hinreißen, wenn Geld und Bedingungen stimmen. Von irgendwas muss man ja auch Hostinggebühren und Kinobesuche finanzieren. Insofern reagiere ich nicht sofort negativ, wenn mal wieder eine Mail in meinem Postfach landet, in der eine Agentur oder ein Unternehmen mit mir zusammenarbeiten möchte.

Kolleginnen und Kollegen haben schon viel über die Fehler und Lächerlichkeiten geschrieben, die sie in diesem Zusammenhang regelmäßig erleben (einfach mal “Blogger Relations” googeln), aber ich möchte ein Beispiel, mit dem ich in den vergangenen Tagen zu tun hatte, dennoch kurz hier dokumentieren, weil es so merkwürdig spezifisch ist, teilweise gut gedacht war aber trotzdem letztlich vollständig scheiterte.

Gestern bekam ich eine Mail von der Repräsentantin eines Internetportals, das mit Autos zu tun hat, mit folgendem Text:

Hallo Alexander,
Mein Name ist ___________ und ich bin gerade auf RealVirtuality.info gestoßen und musste dich sofort anschreiben.
Wie du als Film-Fan wahrscheinlich weißt, ist morgen das große Jubiläum von „Zurück in die Zukunft“ und da darf ein Beitrag auf deiner Seite nicht fehlen.

Wir haben den Kultfilmen und dem diesjährigen Jubiläum eine Seite gewidmet. (…) Die Seite beinhaltet Fun Facts und Hintergründe rund um die Kultfilme, über die visionären Erfindungen und natürlich den einzigartigen DeLorean (…).

Hättest du denn Lust selbst einen Artikel (…) zu verfassen und unsere Seite mit deiner Community zu teilen? [usw.]

Die Seite, die ich hier nicht verlinken werde, ist einfach gehalten, aber nicht dumm. Sie enthält genau das, was in der Beschreibung steht, natürlich unter einem großen Banner des besagten Internetportals, das mit Autos zu tun hat.

Ich habe direkt geantwortet und nach Rahmenbedingungen und Bezahlung für den gewünschten Link gefragt, denn um den geht es im Kern – und dadurch um eine Verbesserung des Google-Rankings der betroffenen Seite. Für mein Blog habe ich für ähnliche Links in der Vergangenheit schon dreistellige Beträge ausgehandelt, je nach Eigenaufwand. Blogs mit mehr Lesern können natürlich entsprechend mehr verlangen.

Kurz darauf kam die Antwort, mit folgenden Sätzen im Kern:

Also wir wollen nicht in als Werbung gekennzeichneten Artikeln vorkommen.

Für die Bereitstellung unserer Inhalte haben wir aber kein Budget zur Verfügung, da wir Das Thema ja in unserer Redaktion und Grafik ausgearbeitet haben.
Sozusagen dient unsere Seite als weiterführende Infos für die Leser.

Damit war klar, dass aus der Kooperation für mich nichts werden konnte. Warum sollte ich eine Seite verlinken, die ich nicht einmal besonders gut finde, um einem Autoportal zu helfen, dass mir dafür nichts zahlt? Mir war klar, dass am 21. Oktober andere Seiten die gleichen Informationen schöner aufbereiten würden (und so kam es dann ja auch – man konnte sich ja heute vor Future-Content gar nicht retten).

Zudem war ich längst von Filmbloggerkollegen angeschrieben worden, die die exakt gleiche Mail bekommen hatten. Ja, liebe Marketingmenschen, wir sprechen miteinander. Auch dort war die Autorin “gerade auf ______ gestoßen und musste dich sofort anschreiben”. Ich schrieb ihr eine Mail, in der ich ihr freundlich sagte, dass ohne eine Gegenleistung für mich leider keine Kooperation in Frage kommt und dass meine Mitblogger_innen und ich “ein bisschen an der Authentizität deines Enthusiasmus gezweifelt” hätten. Die Antwort lautete, immer noch freundlich übrigens und nicht beleidigt (was schon mal gut ist), “Glaub mir ich würde gerne jedem eine individuelle Email schreiben, aber leider lässt sich das zeitlich nicht immer einrichten.”

Der Mailwechsel ist einfach so typisch. Deswegen hier noch einmal drei einfache, gut gemeinte Tipps aus meiner Warte. Dass noch mehr geht, ist klar. Wie gesagt: Blogger Relations googeln.

1. Werbemails sind okay

Ich bekomme sie ständig. Wenn ihr einen coolen Inhalt geschaffen habt, dürft ihr mich gerne darauf hinweisen. Wenn er wirklich gut und kreativ ist (siehe 2.) auch mal unaufgefordert. Aber dann tut nicht so, als würdet ihr mich individuell eben mal so aus der Hüfte anschreiben. Schreibt mir eine Pressemitteilung wie alle anderen auch. Ich habe Verständnis dafür, dass ihr nicht jedem eine individuelle Mail schreiben könnt, aber dann tut nicht so als ob!

2. Macht nicht das, was alle machen

Kudos dafür, überhaupt einen eigenen Inhalt anzubieten, aber die zu verlinkende Seite war einfach nicht gut genug. Ich hätte heute auf drei Dutzende Seiten verlinken können, die alle schöner und interessanter waren, allen voran Goranas BTTF-Orgie mit ganz vielen Bloggern in der “Ergothek”. Ihr seid ein Auto-Ankaufsportal. Warum macht ihr nicht ein witziges Gespräch mit eurem Geschäftsführer, in dem er erzählt, wie viel er für einen zeitreisenden DeLorean bezahlen würde? Warum macht ihr nicht eine Fake-Anzeige für einen zeitreisenden DeLorean? Warum spielt ihr nicht eure individuellen Stärken aus? Dann hättet ihr zumindest irgendwo in einer Liste “Originellste Trittbrettfahrer des Marty McFly-Welcome Day” landen können, zusammen mit all den anderen, die heute auf den Zug bzw. das Hoverboard aufgesprungen sind.

3. Für mich MUSS etwas dabei herauskommen

Wenn euer Inhalt nicht so geil ist, dass ich aus eigenem Antrieb darauf verlinken will, bietet mir etwas. Es muss nicht immer Geld sein. Gutscheine oder eine prominente Verlinkung meines Blogs tun es auch. Und damit meine ich nicht: In einer Linkliste irgendwo im Sitemap-Friedhof zwischen dutzenden anderen “Partnern” auftauchen. Ich meine, zum Beispiel, als “Blog der Woche” auf der Startseite verlinkt sein. Es gibt so viele Möglichkeiten, nehmt nicht die naheliegendste. Nie!

Allen einen schönen Zukunftstag. P.S.: Ich habe auch einen Beitrag für Gorana geschrieben.

“Arschbombe” außer Kontext: Wenn Blogs zu Büchern werden

Ich habe “Sehr gerne Mama, du Arschbombe” von Patricia “Das Nuf” Cammarata gelesen. Ich mochte es und habe ihm auf Goodreads vier Sterne gegeben. Ich hab beim Lesen gelacht, gekichert, geschmunzelt und manchmal sogar nachgedacht. Ich würde “Arschbombe” weiterempfehlen und werde es vermutlich in Zukunft noch öfter verschenken, wenn in meinem Freundeskreis Nachwuchs ansteht.

Ich fand es trotzdem nicht perfekt und ich glaube, dieses Empfinden kommt vor allem daher, dass ich auch seit ein paar Jahren schon Patricias Blog und ihren Twitter-Account verfolge. (Ich habe Patricia auch schon dreimal persönlich getroffen, aber das ist hier gar nicht so wichtig.) “Arschbombe” ist eine Zusammenstellung der besten Geschichten aus Patricias Blog, in dem es vor allem um das Leben mit Kindern geht. Diese zerfallen grob in zwei Kategorien. Manche sind wirklich beinahe direkte Wiedergaben von Erlebtem, pointiert aufgeschrieben, zum Beispiel “U8” über einen Besuch beim Kinderarzt. Andere, zum Beispiel die Geschichte vom vom Furby (die nicht im Buch ist), nehmen ein Erlebnis nur als Ausgangssituation, um es dann zu übertreiben und eine Art Kishonsche Satire draus zu machen.

Keine Chronologie, keine Übergänge

Im Blog, klar, tauchen diese Geschichten in chronologischer Reihenfolge auf, zwischen anderen Posts zu Themen, die Patricia interessieren, zum Beispiel geschlechtergetrennte Produkte, Ausflugsziele für Kinder und Bloggen. Im Buch sind sie grob nach Kategorien sortiert wie “Familienalltag”, “Peinlichkeiten” oder “Andere Eltern”. Es gibt keine Chronologie, keine Übergänge, eine Geschichte folgt einfach nach der anderen. Im ersten Moment gibt es das dritte Kind noch gar nicht, im nächsten ist es im Kindergarten. Aber noch viel merkwürdiger: Auch Patricia, die Ich-Erzählerin und sozusagen die halbfiktionale Hauptfigur des Buchs, ändert sich von Geschichte zu Geschichte. Manchmal ist sie mit Situationen überfordert, mit denen sie beim nächsten Mal schon klarkommt.

Mich hat das verwirrt und ich halte es für einen der größten Fehler bei “Büchern mit Texten aus dem Internet”, die anscheinend recht erfolgreich sind, die Texte ohne Bearbeitung aus ihrem Kontext zu entfernen. Dirk von Gehlen interessiert sich gerade auch sehr für das Thema und natürlich ist es wegen Blendle gerade in aller Medienmenschen-Munde. Die “Arschbombe” hat mir gezeigt warum. Im Buch fehlen die Hyperlinks, es fehlen die anderen Aspekte von Patricias Persönlichkeit, die man im Blog in der Regel mitkonsumiert. Es fehlt das Gesamtbild, das die einzelnen Texte besser wirken lässt.

Geschichten aus 1001 Arschbombe

Damit will ich nicht sagen, dass man aus Blogtexten keine sehr guten Bücher machen kann. Aber ich glaube, gerade in diesem Fall hätte ein bisschen zusätzliche Arbeit sich gelohnt. Die lustigen Episoden hätten nach meinem Dafürhalten eingebettet werden sollen in eine Rahmen-Erzählung, einfach aus der Ich-Perspektive eines Sachbuchs, in der man die Autorin bzw. ihre Erzähler-Persona Stück für Stück besser kennenlernt, während sie immer wieder ins Geschichtenerzählen abschweift. So hätte man dem Buch eine Spannungslinie verpassen können, eine Dramaturgie, die auch dem Durchlesen von vorne nach hinten einen Mehrwert verpasst, unabhängig von den einzelnen Geschichten. Beispiele für diese Art Bücher gibt es genug, von “1001 Nacht” über “Gullivers Reisen” bis “What would Google do”. Klar, ist natürlich auch Arbeit, aber es lohnt sich.

Ich habe Patricia jedenfalls gebeten, im nächsten Buch mehr und unterschiedlichere Seiten von sich selbst zu verarbeiten, unabhängig von lustigen Mini-Episoden. Ich will diesen Teil ihres Blogs einfach nicht missen, wenn ich ihr Buch lese. Mal gucken, ob das klappt.

Essentialismus ist die falsche Waffe gegen YouTube

Erinnert sich noch jemand an Fappygate? Ein völlig bescheuerter und unnötig eskalierter Netzstreit von vor einem Jahr, in dem Sascha Pallenberg und Yasmina Banaszczuk auf Twitter aneinander gerieten und der darin endete, dass Yasmina sich vollständig aus Twitter zurückzog?

Weil der ausufernde, ätzende Sexismus am Ende das wahre Problem war, kann sich wahrscheinlich kaum noch jemand erinnern, worüber die beiden gestritten hatten. Banaszczuk hatte vermutet, dass sich Andreas Rickmann in einem Blogpost an einer ihrer Thesen bedient hatte, ohne sie zu erwähnen. Die These: Bei YouTube passiert Personality-Zeugs, das wir als erste Netzgeneration gar nicht wirklich mitbekommen und das wir nicht ernst genug nehmen.

LeFloid ist ihr Sascha Lobo

Das war vor einem Jahr. Seitdem ist viel passiert. Eine größere Gruppe YouTuber hat sich von ihrem Management losgesagt. Der YouTuber LeFloid hat die Kanzlerin interviewt und bekommt eine eigene Fernsehsendung. YouTube fährt derzeit eine riesige Werbekampagne in Deutschland, in der zwei Gesichter im Vordergrund stehen und nicht das Medium. Kurz: Was Rickmann und Banaszczuk vor einem Jahr noch beklagt haben, dürfte im kollektiven Gedächtnis angekommen sein. YouTuber sind die neuen Blogger. LeFloid ist ihr Sascha Lobo.

Lucas Barwenczik hat auf kino-zeit.de gerade darüber geschrieben, wie YouTuber Filmkritik machen. So, wie sie alles andere auch machen. Sie setzen sich vor eine Kamera und reden drauflos. Und weil Filmkritik für die meisten Menschen nicht gerade Kulturpraxis ist, wie Lucas kurz zuvor in einem anderen Artikel beschrieben hat, besteht diese Kritik vor allem aus der heiligen Dreifaltigkeit Inhaltsangabe, Bewertung, Konsumempfehlung.

Lucas kritisiert, dass die Kritiker auf YouTube ihr Medium nicht besser nutzen. Da haben sie schon Video zur Verfügung, könnten den Film zeigen, statt ihn wie wir Textknechte nur zu beschreiben, und sie machen es nicht. Stattdessen filmen sie sich beim Labern, ergeben zusammen ein “visuelles Vuvuzela-Konzert” – Flachheit, wo Tiefe möglich wäre. (Ich spare den Punkt, dass es in Deutschland keine Fair use-Gesetzgebung gibt und daher das Arbeiten mit Ausschnitten, zum Beispiel für Essay-Kritiken, immer mit deutlich mehr Abmahn-Risiko verbunden ist als anderswo, hier mal bewusst aus.)

Ich kann doch auch nichts damit anfangen

Es ist nicht so, dass ich Lucas’ Sorgen nicht nachvollziehen könnte. Nicht nur, was die Qualität der Filmkritik angeht, obwohl er dort ja nur in einen Chor einstimmt, dem ich als Wiederholer des Mantras “Wenn ihr gute Filmkritik wollt, macht sie selber, aber erhebt keinen Anspruch darauf, dass euch jemand dafür bezahlt” nur bedingt zuhören möchte. Aber ich kann mit YouTube-Vlogging auch überhaupt nichts anfangen.

Und zwar ebenfalls, weil ich es für eine schrecklich inneffiziente Nutzung eines visuellen Mediums halte, sich selbst beim Reden zu filmen. Einen Blogpost kann ich auf dem Handy lesen, während ich im Bus sitze. Einen Podcast kann ich hören, während ich zur Bushaltestelle laufe. Aber um ein YouTube-Video zu sehen, brauche ich sowohl eine Internetverbindung als auch ungeteilte Aufmerksamkeit. Und wenn der Informationsgehalt dann der gleiche wie bei einem Audio- oder Textformat ist, frage auch ich mich: Lesen geht schneller, Hören erlaubt Multitasking. Wann und warum soll ich das gucken?

Beautiful Faces statt Beautiful Minds

Mal ganz abgesehen davon, dass ich alter Sack natürlich keinen Bezug zu den Personen habe, die da reden. Aber in mir glüht auch noch dieser Funke des Blogzeitalters, der mir sagt: Ja ja, damals, als Blogs noch die Revolution waren, da standen noch die Texte im Vordergrund und eben nicht die Persönlichkeiten. Ich lese Blogtexte von Leuten, zu denen ich auch keinen vorherigen Bezug habe oder die hinter einem Pseudonym verschwinden, und ich finde sie trotzdem interessant, weil mich die Argumentation oder der Schreibstil überzeugt. Auf YouTube muss man jetzt plötzlich doch wieder irgendwie attraktiv sein. Statt “beautiful minds” sind jetzt doch wieder oberflächliche “beautiful faces” ein Kriterium.

Doch zum Glück hat das Altesacktum auch Vorteile. Zum Beispiel, dass es einen hoffentlich vor bestimmten Fallstricken bewahrt, über die man zuvor schon mal gestolpert ist. Und es sind diese Fallstricke, die in meinem Denken über YouTube plötzlich in meiner Erinnerung wieder laute Signaltöne abgeben und mich bitten, sie zu beachten.

Kids these Days

Da wäre einmal das “Kids these days”-Phänomen. Jede Generation beschwert sich über diejenige, die ihr nachfolgt. Jede ist der Meinung, dass sie alles selbst besser konnte und dass das, was nachkommt eine verwässerte/pervertierte Version dessen ist, wofür sie noch kämpfen musste/das hart Erarbeitete wieder zunichte macht/die Dinge, die bei uns ja noch einen Sinn hatten, jetzt ins Absurde weiterentwickelt. Manchmal reichen schon zehn Jahre Altersunterschied, um sich so zu fühlen – wie ich immer wieder feststelle, wenn ich Menschen Anfang 20 gegenüberstehe (Als Jahrgang 1983 gehöre ich zu denen, die als letzte in Deutschland noch einen Magister-Abschluss machen konnten, zum Beispiel).

Aber eben weil es ausnahmslos jeder Generation so geht, ist es Quatsch zu denken, dass es genau dieses Mal anders ist (obwohl es immer wieder auch gute Argumente genau dafür gibt). Wer bin ich, dass ich heutigen Jugendlichen vorwerfen darf, dass sie ihr ureigenstens Medium nicht so nutzen, wie ich das gerne hätte? Was unterscheidet mich von den Leuten, die zehn, zwanzig Jahre älter sind als ich und behaupten, Filmkritik in Blogs wäre keine echte Filmkritik? Leuten, die ich gerne zum Ice Bucket Challenge zwangsnachverpflichten würde.

Der zweite Fallstrick ist die Gefahr des Essentialismus. Ich habe eine Magisterarbeit darüber geschrieben, dass manche Filme, die im Computer erschaffene und bearbeitete Bilder nutzen, irgendwie interessanter sind als andere, weil sie die Möglichkeiten der Technologie stärker ausnutzen. Ich persönlich finde diese Filme auch heute noch interessanter, weil ich mich an den Beziehungen zwischen Kunst, Welt und Technik totfaszinieren könnte, aber ich würde nie wieder behaupten, dass sie anderen Filmen überlegen sind. Wenn man einmal damit anfängt, zu glauben, dass man weiß, welche essenziellem Eigenschaften ein Medium, eine Technik, ein Mensch, eine Nation hat, ist man ganz schnell am Rand von sehr tiefen normativen Abgründen, manche von ihnen durchaus gefährlich.

Eigenschaften, die wir gar nicht sehen

Könnte es nicht zum Beispiel sein, dass die Abgefilmter-Rant-Filmkritiken auf YouTube eine Eigenschaft aufweisen, die andere Medien nicht haben? Nämlich dass ich demjeningen, der mir da etwas erzählt, dabei in die Augen sehen kann? “Authentisch” ist das schlimme Wort, das jeder benutzt, wenn er über diese neue Generation von Nischenstars spricht oder schreibt, aber es muss irgendwas dran sein.

In einer wahnsinnig tollen Kritik eines Helene-Fischer-Konzertes tauchte mir mal dieser Gedanke auf, dass die Art von neuartiger Authentizität dazu führt, dass wir als Kulturkritiker diese Gebilde nicht mehr dekonstruieren können. Sie sind so echt und so roh, dass sie sich eigentlich jeder Kritik entziehen. Jede Kritik der Inszenierung wäre eine unfaire Ad-Hominem-Kritik. Und vielleicht ist genau das, was uns so unruhig macht, was uns sagen lässt “Was tun die da eigentlich und warum finden wir keine Maßstäbe dafür?” genau jenes, was ihre Fans mögen. Wir sind nicht diese Fans. Das müssen wir aber auch nicht sein.

Bild via Wikimedia Commons

Es wird Zeit, diese ätzende Presse-Junket-Kultur zu beenden. Aber wie?

Die Schauspielerin Cara Delevigne hat ein Interview gegeben, in dem sie sich nicht mehr zurückhalten konnte. Die Tatsache, dass die Moderatoren und die Moderatorin einer stets-fröhlichen Morgenshow aus Sacramento sie nicht nur fragten, ob sie denn auch das Buch gelesen habe, auf dem der Film Paper Towns (deutsch: Margos Spuren) basiert, sondern auch, ob sie sich schlecht konzentrieren kann, weil sie so viel arbeitet, muss ihr am Ende des Promotion-Zyklusses für den Film einfach den Rest gegeben haben. Sie antwortet mit einer sarkastischen Anti-Antwort auf jede der Fragen ihrer Gegenüber, bevor sie dann gelangweilt die Antworten gibt, die sie immer gibt. “A few months ago, you seemed to be more excited about the film”, kommentieren Delevignes Gegenüber diese Haltung, bevor sie sie mit “We’ll let you go and take a nap” nach zweieinhalb unangenehmen Minuten hinauskomplimentiert wird. “Man, she was in a mood”, lautet die Bilanz, als das Liveschalten-Bild endet.

Vor zwei Jahren hatte ich meine erste und bisher einzige Begegnung mit der Art und Weise, wie heutzutage Filme vermarktet werden. Für “Close up” durfte ich Charlotte Roche interviewen, die dabei half, die Verfilmung ihres Romans “Feuchtgebiete” zu promoten. In einer Hotelsuite in Berlin wartete ich eine Weile auf dem Gang, während sich um mich herum aufgeregte junge Frauen mit Bussi begrüßten, und wurde dann schließlich in einen abgedunkelten Raum geführt, in dem bereits sämtliche Technik aufgebaut war. Ich hatte das große Glück, nicht nur das erste Interview der gesamten Pressetour zu führen, sondern mit Charlotte Roche auch noch eine “Gastkritik” zu machen, in der sie über einen persönlichen Lieblingsfilm (Harold and Maude) sprechen konnte.

Feuchte Küsse von Charlotte

Anschließend habe ich ihr natürlich trotzdem noch ein paar Standardfragen zu Feuchtgebiete gestellt, aber sie war freundlich, frisch und charmant und signierte mir meine Ausgabe ihres Romans mit ein paar “Feuchten Küssen“. Für mich war das Ganze eine tolle Erfahrung, aber ich wusste: Wenn ich jetzt gehe, muss sie den Rest des Tages in diesem Raum noch ein Interview nach dem anderen geben. Die meisten wahrscheinlich kaum länger als zehn Minuten, in denen sie immer und immer wieder die gleichen Fragen gestellt bekommt.

Das Modell ist heute absoluter Standard geworden. Verschiedene Akteure haben bereits vonseiten der Interviewten beschrieben, wie bescheuert sich der Prozess anfühlt und wie sehr man nach ein paar Tagen Pressetour beginnt, in einer Parallelwelt zu leben. Zum Nachlesen ist vielleicht die Perspektive von C. Robert Cargill am interessantesten, dem Drehbuchautor von Sinister, der zuvor selbst Filmjournalist bei “Ain’t it Cool News” war. Zum Hören hat zuletzt Ian McKellen im Nerdist-Podcast hörbar geseufzt. Man wird eine Woche lang von Hotel zu Hotel gekarrt und gibt hunderte Interviews – manche davon one-on-one, andere im “Roundtable”-Format mit mehreren Journalisten gleichzeitig; wenige mit Leuten, die sich wirklich für Film interessieren (die sind für die PR-Agentur auch am unwichtigsten), dafür umso mehr mit Klatschreporter_innen und Allround-Dilletanten wie den Morning Show-Moderator_innen aus dem Delevigne-Interview. Die wenigsten Fragen sind durchdacht, viele drehen sich um das eigene Privatleben. Man ist ein menschliches Konsumgut. Mittel zum Zweck des Filmverkaufs.

My Miracle Is My Wife

John Green, der Autor des Buchs “Paper Towns”, ist Cara Delevigne auf “Medium” zur Seite gesprungen. Ihr männlicher Schauspielerkollege Nat Wolff werde nie nicht so oft gefragt, ob er das Buch gelesen habe, meint Green, nur wann. Auch er beschreibt, wie behämmert man sich irgendwann vorkommt. Dass man nur noch seinen Text herunterleiert und irgendwann schon gar nicht mehr weiß, ob das, was man gerade sagt, eigentlich noch die Wahrheit ist. Er beschreibt auch, dass er irgendwann aufgegeben hat, auf dumme Fragen differenzierte Antworten zu geben.

Like, there’s a line in the beginning of the novel: “Everyone gets a miracle.” The male narrator of the story believes his miracle is Margo Roth Spiegelman, the character Cara plays in the movie. Later in the book, the boy realizes that Margo is not a miracle, that she is just a person, and that his imagining her as a miracle has been terribly hurtful to them both. But still, I was asked over a hundred times, “Who’s your miracle?” At first, I tried to fight it, tried to argue that we must see people as people, that we must learn to imagine them complexly instead of idealizing them, that the romantic male gaze is limiting and destructive to women. That’s the whole point of the story to me.

But eventually, I just started to say, “My miracle is my wife.” (And then Nat would deadpan, “My miracle is also John’s wife. She’s great.”) In the end, rather than fight, I stuck to the script.

Pressejunkets sind entmenschlichend

Kein Wunder also, dass es immer mal wieder Vorfälle gibt, in denen die völlig kaputten Filmleute im besten Fall die Routine dekonstruieren und im schlimmsten Fall genervt abwinken, wie Cara Delevigne bei “Good Day Sacramento”. Wie Mila Kunis in der Promo zu Oz – The Great and Powerful. Wie Samuel L. Jackson, als der Interviewer ihn mit dem Namen eines anderen schwarzen Schauspielers anspricht. Wie Bruce Willis oder Harrison Ford in beinahe jedem Interview. Kein Wunder auch, dass es einige Filmemacherinnen und Schauspieler gibt, die sich vertraglich zusichern lassen, dass sie keine Interviews geben müssen. Dass sich Chris Pratt im Vorfeld für die Dinge entschuldigt, die er eventuell sagen könnte und die dann im Internet rauf und runter laufen werden.

Pressejunkets sind eine entmenschlichende Praxis und sie gehören abgeschafft. Für jeden Film wird ohnehin ein Pressekit angefertigt, in dem die Antworten auf die Standardfragen abgedruckt und auf Video aufgezeichnet sind. Sollen all die Medien, die bei den Junkets Schlange stehen, einfach die nutzen? Man möchte meinen, das Ergebnis ist das gleiche. Bei schriftlichen Interviews passiert das eh längst. (Mal ganz abgesehen davon, dass die Junkets schweineteuer und Teil des ganzen Problems sind, dass die gleiche Summe für die Vermarktung eines Films ausgegeben wird wie für seine Produktion.)

Ihr könnt euch ruhig mal anstrengen

Es gibt zwei Arten, wie in der Regel auf diese Argumentation reagiert wird. Die erste kann man auch am Ende des Cara-Delevigne-Videos hören. “You make $5 Million for six weeks worth of work, you can pretend to talk to ‘Good Day Sacramento’ with some oomph”, sagt der Sonnyboy-Moderator ganz links. Das ist in etwa die Reaktion, die ich auch bekam, als ich hier im Blog mal ein Video geteilt habe, in dem sich Zac Efron für einen deutschen YouTuber zum Affen machen musste. Diese Menschen verdienen viel Geld. Die Promotion ist Teil des Jobs. Hört mal auf, sie zu bemitleiden.

Ehrlich gesagt ist das nicht weit entfernt von der berüchtigten “Fahrstuhl”-Metapher, die “Bild” mal für den Medienzirkus geprägt hat. Wir helfen euch, euer Produkt zu promoten, dafür müsst ihr auch ein bisschen Erniedrigung über euch ergehen lassen. Aber diese Argumentation ist Schwachsinn. Ich würde behaupten es sind nur sehr wenige Schauspieler, die das, was sie tun, wegen der Berühmtheit und dem Geld gewählt haben. Natürlich gehört Eitelkeit und Glamour immer dazu, aber im Endeffekt höre ich immer wieder, dass die meisten von ihnen nur ihren Beruf ausüben wollen. Filmpromotion ist eben eigentlich nicht Teil dieses Berufs (auch wenn sie Teil des Vertrags sein mag) und Schauspielerinnen und sonstige Filmemacher helfen damit auch in den wenigsten Fällen sich selbst, sondern meistens vor allem ihrem Studio.

Was hinter dieser Gegenargumentation steckt ist nichts anderes als Neid. Wir wollen, dass diese Menschen, die für scheinbar so wenig Arbeit so viel bekommen – nicht nur das Geld, sondern auch den Ruhm und den Glamour – wenigstens auch ein bisschen leiden müssen. Unser Leben macht schließlich auch nicht immer nur Spaß. Es mag naiv wirken, aber ich möchte mich diesem Gedankengang nicht anschließen. Lasst Filmemacher Filme machen. Den Medienzirkus haben wir aufgebaut, nicht sie.

Diese Interviews sind Scripted Reality

Die zweite Gegenargumentation ist die wichtigere. Pressejunkets sind heutzutage oft die einzige Möglichkeit, eine Persönlichkeit aus der Filmbranche überhaupt zu interviewen. Gebietet nicht die Pressefreiheit, dass wir diese Praxis aufrecht erhalten, damit wenigstens ein paar Journalistinnen die Möglichkeit bekommen, auch mal gute Fragen zu stellen? In meiner Filterbubble erlebe ich immer wieder, wie sehr Kolleginnen und Kollegen sich darauf freuen, zehn Minuten mit einer Person zu verbringen, deren Arbeit sie bewundern. Und Paul Wolinski, der allerdings Musiker ist und kein Filmmensch, hat mir gesagt, dass Interviews ihm helfen, seine eigene Arbeit zu reflektieren. Ist es das nicht wert?

Leider entspricht diese Vorstellung auch nur in sehr seltenen Fällen der Wahrheit. “I don’t get the feeling that the journalists asking the same questions over and over particularly savor the experience, either”, schreibt John Green in seiner Verteidigung. Sie wissen, dass sie auch nur Teil einer Marketing-Maschine sind, genau wie im Gerangel um die Pressevorführungen. Auch für Journalisten gibt es genau genommen ein Skript, von dem sie nicht abweichen dürfen. Wer denkt, er könne die zehn Minuten nutzen, um Fragen zu stellen, die nicht mit der Promotion des Films zu tun haben, wird im ersten Schritt von der anwesenden PR-Person ermahnt. Im zweiten bricht der Star dann das Interview ab, wie vor kurzem Robert Downey Jr bei Channel 4. Die sogenannten Interviews sind eigentlich gar keine. Sie sind Scripted Reality.

Geben und Nehmen

Krishnan Guru-Murthy, der Moderator, der das Interview mit Downey führte, hat für den “Guardian” eine ähnliche Reflektion geschrieben wie ich gerade. Sein Fazit:

Maybe, like a bad relationship, this just isn’t working. We want different things out of it. I want something serious and illuminating, they just want publicity. Maybe we and the movie stars should just go our separate ways, and find people more suited to our needs. But I think that would be a shame. There’s an easy marriage to be worked out here with a bit of give and take. And some intelligent casting by the PR companies. If a movie star has no interest in engaging, maybe don’t offer them up to the news. Find one of the cast who does.

Guru-Murthy plädiert dafür, den Zirkus weiterlaufen zu lassen, als Tanz, in dem beide Seiten zusammenarbeiten, um ein Ergebnis zu erzielen, das für alle zufriedenstellend ist. Und wer nicht will, der muss nicht. Es gibt Momente, in denen ich – als jemand, der sowohl im Journalismus als auch in der PR (wenn auch in einem völlig anderen Feld) gearbeitet hat – das auch denke. Es wäre sicher die einfachste Lösung. Für die schwierige Lösung müssten sich sowohl Interviewte als auch Interviewer gegen das gesamte Konstrukt wehren, sie müssten sich sowohl der Filmbranche als auch der Medienbranche als Ganzes in den Weg stellen. Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, dass so etwas jemals passiert.

Aber vielleicht tragen Interviews wie das von Cara Delevigne ja dazu bei, dass dank der Transparenz des Internets Stück für Stück eine Art “awareness” für diesen Irrsinn aufgebaut wird, auch außerhalb der beteiligten Zirkel. Vielleicht wird es immer mehr Filmemacherinnen geben, die sich dem Promotion-Zirkus einfach verweigern (und stattdessen nur noch “richtige” Interviews geben) oder den ein oder anderen Journalisten, der auf sein Honorar und die Begegnung mit einem Star verzichtet, um sich nicht zu einem Zahnrad in der Marketingmaschine verbiegen zu lassen. Mir ist bewusst, dass das im Großen und Ganzen absolut nichts ändern wird und es außerdem in der Unterhaltungsbranche immer genug Eitelkeit auf beiden Seiten geben wird, um die Maschine auf ewig am Leben zu erhalten, aber Fatalismus hat noch nie jemanden weitergebracht. Stattdessen glaube ich mal John Green. Everyone gets a miracle.

Wir sind drin! – Virtual Reality durch Oculus Rift & Co.

Katharina ist gerade frisch aus dem Ei geschlüpft. Als sie sich in ihrem Nest umsieht, erblickt sie eine urtümliche Lichtung, umringt von Bäumen, Felsen und großen Farnen. Eine Libelle kommt herangeflogen. Katharina folgt ihr mit dem Blick und zuckt zusammen, als das Insekt einmal direkt gegen ihren Kopf fliegt. Plötzlich ein Grollen in der Ferne. Ein riesiger Tyrannosaurus erscheint auf der Lichtung, nähert sich dem Nest und brüllt ihr ins Gesicht. Jemand ruft Katharina zu: »Du musst den Kopf drehen!« Sie blickt nach links und rechts, doch der Dino hört nicht auf zu brüllen. Dann spürt sie die Finger an ihrem Kopf, die ihr behutsam den richtigen Neigungswinkel weisen. Jetzt plötzlich neigt der Tyrannosaurus ebenfalls den Schädel. Die Dino-Mama hat ihr Kind erkannt und macht sich aus dem Staub. Film zu Ende. Katharina kann das Headset abnehmen und befindet sich wieder in Stuttgart.

Virtual Reality. Spätestens seit den frühen 1990er Jahren und dem Film Der Rasenmähermann sind die beiden Wörter und die Abkürzung VR im populären Bewusstsein sowohl mit der ultimativ-immersiven Computerwelt als auch mit einer gigantischen Enttäuschung verknüpft. Denn die digitale Simulation erreichte eben nie die Mühelosigkeit, die in zahlreichen Science-Fiction-Szenarien versprochen wurde, von David Cronenbergs eXistenZ bis zum Holodeck in “Star Trek: The Next Generation”. Stattdessen blieb lange alles frustrierend klobig – sowohl die unhandlichen Brillen, die man für VR-Erlebnisse aufziehen muss, als auch die Grafik der virtuellen Räume, die es zu entdecken gab.

Dass in diesem Jahr Fachkonferenzen wie die FMX in Stuttgart, auf der auch die Firma Crytek ihr Werk Return to Dinosaur Island ausstellt und Menschen die richtigen Kopfbewegungen weist, ganze Sektionen dem Thema Virtual Reality widmen, dass seit gut zwei Jahren wieder ernsthaft darüber diskutiert wird, ob wir kurz davor stehen, die nächste Stufe der Entertainment-Evolution zu erklimmen, ist zwei weiteren Worten zu verdanken, ohne die der Boom vermutlich nie noch einmal so losgebrochen wäre: Oculus Rift.

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Leiden für die Kunst (III)

I want to make a heartfelt apology for whatever it is I end up accidentally saying during the forthcoming ‪#‎JurassicWorld‬ press tour. I hope you understand it was never my intention to offend anyone and I am truly sorry. I swear. I’m the nicest guy in the world. And I fully regret what I (accidentally will have) said in (the upcoming foreign and domestic) interview(s).
I am not in the business of making excuses. I am just dumb. Plain and simple. I try. I REALLY try! When I do (potentially) commit the offensive act for which I am now (pre) apologizing you must understand I (will likely have been) tired and exhausted when I (potentially) said that thing I (will have had) said that (will have had) crossed the line. Those rooms can get stuffy and the hardworking crews putting these junkets together need some entertainment! (Likely) that is who I was trying to crack up when I (will have had) made that tasteless and unprofessional comment. Trust me. I know you can’t say that anymore. In fact in my opinion it was never right to say the thing I definitely don’t want to but probably will have said. To those I (will have) offended please understand how truly sorry I already am. I am fully aware that the subject matter of my imminent forthcoming mistake, a blunder (possibly to be) dubbed “JurassicGate” is (most likely) in no way a laughing matter. To those I (will likely have had) offended rest assured I will do everything in my power to make sure this doesn’t happen (again).
– Chris Pratt on Facebook

(In der Reihe “Leiden für die Kunst” sammle ich amüsante und anstrengende Episoden aus der Filmpromotion. Hinweise gerne an mich)

Bessere Kommunikation beginnt mit besseren Schildern

Das Netz ist voll mit Seiten, in denen voller Häme über die kleinen Fehler der Schilderwelt gespottet wird. Falsch gesetzte Apostrophen an Kiosk’s. Der falsche Gebrauch von Gänsefüßchen zur “Betonung” von Begriffen. Es ist ziemlich einfach, sich auf diese Weise überlegen zu fühlen. Meiner Meinung nach stürzt man sich damit aber auf die Spatzen der Schilderkultur, während die wahren Raubvögel, die uns wertvolle Lebenszeit rauben, davon kommen.

Das obige Schild habe ich vor einigen Monaten am Frankfurter Flughafen fotografiert. Ich war in Eile, deswegen ist das Foto unscharf, aber es ist das perfekte Beispiel dafür, was man alles auf einem Schild falsch machen kann. Es fängt bei der Benutzung von Fachausdrücken (“Lining”, “Bodenhülsen”) an, geht bei der Erfindung von Wörtern weiter (“Treppenbauwerk”, tatsächlich haben wohl die Architekten das Wort erfunden) und endet bei der Formulierung des Satzes in dieser merkwürdigen Verbform, die keiner auf Anhieb benennen kann. Unter meinen gut studierten Freunden, die ich auf Facebook um Rat gefragt habe, reichten die Vorschläge von Infinitiv-Imperativ über Prädikatives Gerundivum bis zu “erweiterter Infinitiv im Präsens Passiv”. Letzteres ist wahrscheinlich am korrektesten, ersteres dafür am passendsten.

Mein Punkt ist: Der erste Satz lautet “Wir bitten um Beachtung”, aber was zur Hölle soll ich hier eigentlich beachten? Die Verbform vermeidet es, mich direkt anzusprechen, und die Begriffe sind so merkwürdig, dass ich eine Weile brauche, um überhaupt zu verstehen worum es geht. Wahrscheinlich richtet sich das Schild gar nicht an mich, sondern an Arbeitskräfte am Flughafen, die gefälligst die Pfosten da lassen sollen, wo sie sind, aber das ist auch nicht daraus ersichtlich. Kurz: Es ist ein richtig schlechtes Schild.

Ein Fall von Nerdview

Der Linguist Geoffrey K. Pullum hat für die Praxis, Hinweise aus Sicht der Fachleute zu schreiben, statt sie so zu verfassen, dass sie den Menschen am anderen Ende der Kommunikation tatsächlich etwas nutzen, den Begriff Nerdview geprägt, den er zwar selbst nicht ideal findet, den ich aber trotzdem verwenden werden. Nerdview war lange Zeit Usus bei vielen Dingen, von Bedienungsanleitungen bis zu Webformularen. Wann immer man es mit staatlicher Bürokratie zu tun hat, ist es nach meiner Erfahrung immer noch normal. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, meine Steuererklärungsformulare auszufüllen ohne ein Programm, das mir erklärt, was die einzelnen Felder bedeuten. Und Nerdview kann subtile Formen annehmen, wie Pullum erklärt. Aber immer führt es zu Missverständnissen.

Doch Nerdview ist nur ein Teil der Erklärung für schlechte Schilder. Genauso wichtig ist nach meiner küchenpsychologischen Meinung die Angst der Menschen davor, von anderen für dumm gehalten zu werden, wenn sie einfach genau sagen, worum es geht. Schilder sind etwas Offizielles mit großem O und daraus entsteht der Trugschluss, dass sie besser sind, je mehr große Wörter benutzt werden und je umständlicher und indirekter sie formuliert sind. Wo kämen wir hin, wenn wir Menschen direkt ansprechen und zugeben würden, dass wir der Absender einer Bitte oder Anweisung sind?

Stattdessen entstehen solche Schilder, wie im Hausflur meines Hauses.

“Die Wartung ist jährlich durchführen zu lassen” – ich kann nicht einmal sagen, ob das grammatikalisch hundert Prozent Sinn ergibt. Und ich weiß nicht, warum meine Vermieterin nicht einfach schreibt “Bitte lassen Sie Ihre Thermen einmal im Jahr warten” oder “Sie müssen Ihre Thermen einmal im Jahr warten lassen”.

Ein letztes Beispiel noch, an dem George Orwell wahrscheinlich seine helle Freude gehabt hätte. Die Post hatte nicht umsonst lange den dazugehörigen Ruf.

Die Nutzererfahrung

Aus meinen Ausführungen spricht die Überzeugung, die man ja nicht teilen muss, dass Sprache Bewusstsein prägt. Also: Wie wir etwas sagen, beeinflusst mindestens langfristig auch, wie wir zu einem Thema denken. Was einer der Gründe ist, warum ich zum Beispiel für das so unbeliebte und oft verlachte Gender Mainstreaming bin. Dieses Fass will ich hier aber heute gar nicht aufmachen.

Vielmehr ist es so, dass man ja heute zum Glück auch durch Daten nachweisen kann, dass manche Formulierungen bei Hinweisen oder Ge- und Verboten einfach besser funktionieren als andere. Ein Schild wie das am Rückgabeschlitz der Post für falsch eingelegte Sendungen im eigenen Postfach würde ein Experte für “User Experience” (UX), wie ihn heute jede App und Webseite konsultiert, schlicht nicht akzeptieren. Und vermutlich hätte er auch die Zahlen dazu.

Welche Unterschiede Formulierungen machen können, hat der Podcast Radiolab vor einiger Zeit in seiner Folge “The Trust Engineers” deutlich gemacht. Leute, die bei Facebook für Wordings (schlimmer neudeutscher Ausdruck, ich weiß) zuständig sind, teilen darin ihre Erkenntnisse über die Art und Weise, wie man jemand bitten kann, ein ungeliebtes Foto zu entfernen, auf dem man selbst zu sehen ist. “Hey Robert, I don’t like this photo, take it down” führt zu sieben Prozent mehr tatsächlicher Fotoentfernung als eine Ansprache ohne Name. Und “Hey Robert, I don’t like this photo, please take it down” funktioniert noch einmal vier Prozent besser. Wer eine halbe Stunde Zeit hat, sollte den Podcast hören, er fängt mit Wordings an und endet an einem deutlich düstereren Ort.

Auch der Sender fühlt sich besser

In meinem Brotjob habe ich im vergangenen Jahr auch viel an Formulierungen in Webformularen und E-Mails gearbeitet. Und auch wenn ich keine A/B-Testdaten habe, kann ich dennoch sagen, dass eine freundliche, persönliche aber direkte Formulierung sich auch vonseiten des Senders besser anfühlt. Im Zweifelsfall sorgt man damit mindestens dafür, dass mehr Personen verstehen, worum es überhaupt geht.

Wir sollten uns das merken für die Schilder, die wir aufhängen. Weg von indirekten Formulierungen, weg von Nerdspeak und weg vom Verstecken hinter wichtig klingenden Wörtern, die den wahren Zweck eines Schildes nur verschleiern. Ich glaube fest daran, dass bessere Schilder einen ersten Schritt in Richtung besserer Kommunikation allgemein bedeuten können.

Und übrigens muss man kein gelernter UXer, Texter oder sonstwie täglich mit Wörtern umgehender Mensch sein, um verständliche, klare Schilder zu gestalten. Dieses Schild zum Beispiel, was ich am Wochenende in unserer Straße fotografiert habe, fand ich fast perfekt. Man hätte noch spezifizieren können, welcher Hundekot genau gemeint ist, nämlich der hier hinterlassene (und das Bild entspricht weder dem Text noch ist es lizensiert) – aber da hätte auch stehen können “Wir bitten um Beachtung! Die Exkremente vierbeiniger User dieses Straßenbauwerks sind zu entfernen und nicht liegenzulassen.” Es geht voran.

Game of Thrones x Deutsche Zeitschriften (II)

Ich hab es einmal getan, es war klar, dass es wieder passieren müsste. Vor allem dank der unermüdlichen Kreativität meines Freundes Marc Exner gibt es pünktlich zum Start der neuen Staffel eine neue Runde Game of Thrones Zeitschriften-Mashups. “Braavos” stammt von mir. Alle anderen sind von Marc. [Ergänzung: 16.4., “Stark” stammt von Michael]