Quotes of Quotes (IV)

Der perfekte spricht-mir-aus-der-Seele-Kommentar inmitten all der Retromania und des Untergangs des Zeitschriften-Abendlandes.

“Dieser andauernde Nostalgie-Scheiss mag ganz lustig sein, aber muss man den wirklich so breit treten? Ich weiß, das ich morgen 36 werde, daran muss mich kein Heft erinnern. Immer ist alles ‘kultig’ und ‘retro’ und auf dem Heft und dem Heftrücken steht in grellem Pink: ‘Eigentlich sind wir doch schon erwachsen!'”
Nilz Bokelberg über die neue “Yps”

Da ich kaum mit “Yps” aufgewachsen bin, habe ich mir das Remake gespart. Aber zu “Donald”, das Nilz ebenfalls zu Recht kritisiert, habe ich damals gelästert geschrieben.

“Wired” ist in Deutschland immer noch tired (und klaut)

Als im vergangenen Jahr eine deutsche “Wired” angekündigt wurde, stand ich innnerlich Kopf. Endlich! Und mit Thomas Knüwer war auch noch ein Chefredakteur am Ruder, mit dem man nicht immer einer Meinung sein muss, der aber zumindest gut provozieren kann und die neue Medienwelt verstanden hat – sagt er zumindest. Das Ergebnis wirkte dafür dann aber erstaunlich zahnlos, wie ich damals in epd medien schrieb.

Über Ausgabe 2 habe ich damals kein Wort verloren (ich fand sie so la la, der Comic war gut, die Titelstory unausgegoren), und jetzt liegt seit ein paar Tagen Ausgabe 3 an den Kiosks, zum zweiten Mal unter der Regie von Alexander von Streit. Ich gebe ehrlich zu, dass ich aus Zeitmangel noch nicht dazu gekommen bin, sie ganz durchzulesen. Nach der Lektüre der vorderen Teile und der Titelstory ist mein Eindruck jedoch: Sie haben es immer noch nicht verstanden.

“Wired” Nummer 3 hat einen Leserbrief von mir abgedruckt, den ich auf dem Redaktionsblog hinterlassen hatte. Dort hatte ich geschrieben:

Ich wünsche mir für die nächste WIRED mehr überraschende Geschichten und Entdeckungen, die ich noch nicht vorher in verschiedenen Blogs gelesen habe. Und einen etwas respektloseren Ton, der die WIRED-Philosophie von Optimismus und Begeisterung für Technik vermittelt.

Die amerikanische “Wired”, die ich seit drei Jahren im Abo lese, ist jeden Monat wieder eine Entdeckung. Redakteur Adam Rogers hat die “Wired”-Methode in einem Podcast sehr gut beschrieben. Jedes Thema, erklärt er, kann durch die “Wired”-Brille betrachtet werden – man muss nur herausfinden, was daran neu und aufregend ist. “Wired” ist mehr als eine Zeitschrift oder eine Website, es ist eine Weltanschauung. Und um diese Weltanschauung Monat für Monat neu mit Leben zu erfüllen, hat “Wired” hohe journalistische Standards (vgl. Factchecking) und eine starke narrative Komponente. “Wired”-Features sind Geschichten. Mir ist klar, dass ich hier zu einem gewissen Grad die PR des Magazins wiederkaue, aber ich empfinde das auch jeden Monat beim Lesen so. “Wired” überrascht mich jeden Monat mit spannenden, erkenntnisreichen Geschichten, über Dinge, von denen ich noch nie etwas gehört habe oder in meinen eigenen Fachgebieten zumindest mit bemerkenswerten Denkansätzen, und das obwohl sie gedruckt ist. Und in allem, was die “Wired”-Leute um ihre Features drumherum stricken, bringen sie mich zumindest zum Lachen.

Das meinte ich mit meinem Leserbrief, denn in der deutschen “Wired” vermisse ich genau das. Die erste Hälfte der dritten Ausgabe hat einige gute Ansätze (mir gefiel die Story über Luke Jerram und die Datensammlung über Schönheits-OPs), aber auch jede Menge WTF-Momente. Warum zum Beispiel steht auf dem Cover nirgendwo, wer dort zu sehen ist? Und warum hat diese Person, ein Musiker der Gruppe Gomma, wie sich später herausstellt, null Bezug zu der Story, die er bebildert? Und warum – und das ist das, was mich am meisten ärgert, ist das Titelthema der “Wired” eine Kopie eines Artikels, den ich vor sieben Monaten im Netz gelesen habe?

Mein Misstrauen fing schon beim Thema an. “Tracking”, dachte ich mir, “das kommt dir doch irgendwie bekannt vor, hast du da nicht letztens was gelesen?” Als ich anfing zu lesen, steigerte sich dieses Misstrauen, und in Absatz vier war es dann um mich geschehen. Ich warf mein Archiv an und fand den Artikel “I’m being Followed” aus dem “Atlantic” wieder, auf den ich im März dieses Jahres – über Rivva oder einen anderen Aggregator – gestoßen war.

Ich rudere etwas zurück. Der “Wired”-Artikel “Unter Beschuss” ist keine Kopie von “I’m being followed”. Der Autor Michael Moorstedt hat sich nur in seinem ersten Drittel, in dem erklärt wird, was Tracking ist, freigiebig bei Alexis C. Madrigal bedient. Etwa, indem er einen ähnlichen Einstieg wählt (Morgens den Rechner hochfahren, und schon werde ich verfolgt), indem er das Add-on Collusion benutzt, um die Tracking Cookies sichtbar zu machen, indem er nach seiner Einleitung einen Hintergrund-Absatz einschiebt, in dem erklärt wird, wie Werbung im Internet funktioniert (das hätte wohl jeder andere Journalist auch gemacht) und indem er danach die Firma Adnetik als Beispiel hernimmt. Ach ja, und er klaut einen Witz von Madrigal. Bei dem heißt es nämlich:

Allow me to introduce the list of companies that tracked my movements on the Internet in one recent 36-hour period of standard web surfing: Acerno. Adara Media. Adblade. Adbrite. ADC Onion. Adchemy. ADiFY. AdMeld. Adtech. Aggregate Knowledge. AlmondNet. Aperture. AppNexus. Atlas. Audience Science.

And that’s just the As.

Zum Vergleich, Moorstedt:

Manche der Ziele sind bekannt, Facebook, natürlich, oder die Google-Tochter doubleclick. Zum größten Teil finden sich jedoch Namen, von denen ich noch nie gehört habe: Acerna. Adblade. AdBrite. Adchemy. AddThis. Adify. Admeld. Adnetik. Adrolays. Adsfac. AdSpirit. Adtech. Audience Science. Und das sind nur die Firmen, deren Namen mit A beginnen.

Geschenkt. Wahrscheinlich hat jeder arbeitende Journalist sich schon einmal von einem fremden Artikel für seinen eigenen inspirieren lassen. Und in der zweiten Hälfte von “Unter Beschuss” besucht Moorstedt dann auch einen deutschen Tracker, bereitet die aktuelle Rechtslage auf und unkt am Ende noch einmal über ein mögliches bevorstehendes Ende des Prozesses (im Gegensatz zu Madrigal, der eher versucht, der ethischen Unangreifbarkeit des Prozesses habhaft zu werden und unter anderm versucht zu entdecken, warum wir dieses Verfolgt-werden “creepy” finden, obwohl uns eigentlich nichts passiert).

Was ich Besorgnis erregend finde ist nicht einmal das Bedienen aus einem anderen, noch immer frei zugänglichen Artikel aus einem großen US-Magazin, und das in Zeiten, in denen jeder Plagiator im deutschsprachigen Internet sofort aufgeknüpft wird. Ich finde es sehr traurig, dass dies in der Titelstory von “Wired” geschieht. Der Zeitschrift, die es sich eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat, das Neue ausfindig zu machen; Geschichten zu erzählen, die zuvor noch niemand erzählt hat; und die dafür anscheinend ihren Autoren auch ordentliche Arbeitsbedingungen bietet. Das stimmt mich sehr nachdenklich.

Klar, “Wired” ist, in erster Linie, eine Marke. Diese Marke kann man natürlich in verschiedenen Ländern unterschiedlich besetzen und vielleicht hat der Verlag Condé Nast für Deutschland etwas anderes geplant als das amerikanische Mutterblatt. Sollte das jedoch nicht so sein und falls die deutsche “Wired” tatsächlich irgendwann so gut sein möchte, wie ihr Vorbild, hat sie noch einen langen Weg vor sich.

Euer technophober Determinismus kotzt mich an (I)

Schlagzeilen. Titelgeschichten. Man kann nicht mit’se, man kann nicht ohne’se. Und immer wenn Hitler grad nicht geht, kann man ja immer gut auf neueren technischen Entwicklungen rumhauen. Schließlich war früher alles besser.

Dabei sind manche alarmistischen Schlagzeilen so leicht zu entschärfen. So wie die des aktuellen “Stern”, der mir gerade an einem Zeitschriftenkiosk auffiel:

Screenshot: stern.de

Durch das simple Hinzufügen eines Halbsatzes nämlich ist jeder unbescholtene Bürger beruhigt. Immer online, aber sprachlos: Wie die digitale Welt unser Familienleben verändert, wenn wir uns wie komplette Deppen benehmen, was wir aber natürlich nicht tun.*

Echt jetzt. Ist doch ganz einfach.

* Wobei, “Stern”-Leser, …. Hm.

Sie haben immerhin die Datenautobahn gebaut

Ein Stimmungsbild der deutschen Filmlandschaft angesichts der Digitalisierung

Ich arbeite derzeit an einem Text-Beitrag für ein noch nicht näher definiertes Projekt zur Digitalisierung des deutschen Kinos, dessen Entwicklung ich hier dokumentiere und auf Feedback hoffe. Dies ist der erste Schritt: ein Kurzpitch.

Es braucht inzwischen weder Wissenschaftler noch Journalisten, um festzustellen, dass die über die Welt hereinbrechende Digitalisierung alles verändert – auch die Filmbranche. Wenn Animationsfilme heutzutage fast nur noch im Computer entstehen, man im Kino immer öfter 3D-Brillen aufsetzen muss, jeder Trailer mit drei Klicks auf YouTube zu sehen ist und das analoge Satellitensignal für den heimischen Flachbildfernseher abgeschaltet wird, dürfte die digitale Film-Revolution auch für den Konsumenten unübersehbar sein. Doch was passiert hinter den Kulissen, bei denen, die in Deutschland tagtäglich mit dem Medium Film zu tun haben? Ist die Digitalisierung auch bei ihnen angekommen? In Filmschulen und Redaktionen, in Produktionsfirmen, Kinos und Filmfestival, bei Filmkünstlern und Filmtechnikern? Wie bemisst sich der Hype gegen die Realität und was verändert die Digitalisierung wirklich? Ich versuche, den strukturellen Veränderungen nachzugehen und Stimmungen einzufangen, nicht zuletzt durch selbst geführte Interviews, die als Fallstudien fungieren und dabei letztendlich diese Frage beantworten: Ist die Digitalisierung im deutschen Film angekommen und wird sie mit offenen Armen empfangen? Oder ist sie ein notwendiges Übel, eine Naturgewalt, der man sich nur anpasst, weil man nicht untergehen will?

Navel Gazing – Part One: Old Media

Image: Katharina Matzkeit

For the first episode of my reflection upon my own media consumption habits, I have decided to focus on everything that can safely be called “old media” now, i.e. everything that existed before the Internet. I have decided to exclude forms of media where exposure is not really a matter of choice, like billboards.

Television
I always feel a twinge of guilt whenever I say this, because I work for a TV station, but my television set has been a device to display DVDs almost exclusively for roundabout six years now. For about two years, I lived completely without any possibility to even receive a TV signal, then I bought a DVB-T receiver which I have used about a dozen times since, mostly to follow live events like elections, international football matches and the Oscars. Live TV, to me, is really the one thing where linear broadcasting can still shine, although I prefer to watch events like the football matches in the company of others, often in public places.

All this doesn’t mean I don’t like the content that’s on, although, of course, my profession predisposes me towards movies (I used to say that all the time I spend watching TV is time I am not spending watching movies). I could probably do without a lot of the daytime content, but who am I to judge. There is still a lot of excellent fictional and non-fictional content around, I just prefer to watch it when I choose. DVD box sets (currently: Mad Men, season 2) and the on-demand platforms of the broadcasters (there is still nothing like Hulu or Netflix in Germany) quench my thirst for TV programming, whenever it comes up.

Radio
I wake every morning by a radio alarm clock tuned, by some sort of personal default, to SWR1, the regional radio station I grew up with in my parents’ house. When I was still living alone, I used to leave the radio running while I got dressed and ready to leave the house and that was about all the radio exposure I got for the day. Now, it’s even less, although we sometimes have the radio on when we’re working in the kitchen. Most of the audio exposure I get these days comes from a number of podcasts I regularly listen to, but more on that in the next episode.

Newspapers
I could never get myself to read a newspaper since high school, when I would still share my parents’ regional one. As a college student, I tried subscriptions to almost every major daily or weekly newspaper in Germany and I immensely enjoyed reading every one of them. But the problem was always the same: I couldn’t get myself to throw the paper away while there were still interesting articles in there. And if I invested the time to actually read everything that interested me, I found that I had no time left for reading books. So rather than pay a bunch of money for something that I don’t actually use to its full extent, I decided to live without it and get my news elsewhere.

The average time spent reading a newspaper in Germany is 40 minutes. It makes me almost physically ill to think of the amount of quality content and the sheer mass of paper wasted every day on stuff that many people won’t even read. Better ways to distribute the content exist now. Newspapers, in the way they exist today, simply must become a thing of the past very soon.

Magazines
The attention I cannot give to newspapers, I can devote to monthly magazines. I have subscriptions to the American edition of Wired and epd film. Last year, I also subcribed to Creative Screenwriting, but they ceased publication after two issues and kept the rest of my money. When my magazines arrive by mail, I usually read them cover to cover. They cater exactly to my interest, with a little bit of serendipity thrown in here and there. I keep back issues for a year before I throw them away. I don’t own a tablet yet, but once I do, I might change my Wired subscription to the tablet edition. I am not at all opposed to professionals distilling a selection of news and stories for me in a finite publication that is released at a fixed point in time, but my value-for-money lamp only lights up when I can safely say that most or all of the information contained in the publication actually interests me.

Books
I still read books. Between 15 and 20 books per year, split almost evenly between nonfiction (mostly in some way related to my profession), literary classics and genre fiction I read for entertainment. I got an e-reader for Christmas which I haven’t used yet because I still had a lot of “real” books lying around that I wanted to finish first, but I reckon I will probably use it for most of my reading very soon. Having moved house three times in the last two years, I have learned to hate books, as much as I love them, for their sheer mass and weight. My prediction is that in two years, I will probably only buy the kind of coffee table books I love so much in physical form.

Music
Until very recently, I really loved CDs. I have about 250 of them (which, I know, isn’t much for a real music lover but a lot more than most of my friends own) and I like to look at every one of them now and again. Seven years ago, however, I ripped my whole CD collection onto an external hard drive for my college year abroad. I never looked back. Now, whenever I buy a CD, I make myself listen to it once before I convert it to mp3, put it on the shelf, and only use it again when there’s no other possibility. I have really started buying digital downloads last year and it has become my medium of choice for obtaing music. I have a few favourite bands whose future releases I will probably still buy in years to come, just to have the complete collection on my shelf. But everything else is now on my MacBook.

Navel Gazing is a multi-part blog series about my personal media consumption habits, meant as a case study and a moment of self-reflection on account of Real Virtuality’s third birthday.

Rezension: Mashup – Das vernünftige Manifest

Bild: Suhrkamp/InselIm Internet hilft es häufig, laut zu schreien. Wer gehört werden will im Wust von Status Updates, Tweets, Blogposts und suchmaschinenoptimierten Artikeln, dem kann es selten schaden, seine Position vielleicht noch ein bisschen mehr zuzuspitzen, sich selbst ein paar Zentimeter mehr in Richtung Boulevard zu schieben. Kein Artikel ohne Bild, keine Überschrift, die nicht nach Skandal riechen könnte, kein Meinungsartikel ohne durchnummerierte Bullet Points.

Mashup: Lob der Kopie von jetzt.de-Redaktionsleiter Dirk von Gehlen passt in diese Aufzählung nicht hinein. Suhrkamp, der Verlag, in dem von Gehlens Buch erschienen ist, gestaltet seine Buchdeckel so minimalistisch wie möglich und scheint mit seinem anspruchsvollen Selbstverständnis keinen Platz mehr zu haben in der hyperventilierenden Echtzeit-Welt des Netzes. Was also macht ein Buch über Medienwandel, ein Plädoyer für ein nachhaltiges Umdenken im Umgang mit geistigen Gütern im digitalen Zeitalter genau dort?

Es wirkt. Die Konzeption und Veröffentlichtung von Mashup in genau diesem Kontext erscheint fast wie ein Infiltrationsversuch. Die Netzgemeinde selbst jubelt sich ohnehin schon oft genug zu, wenn es um die immer neue und doch immer gleiche Beschreibung ihrer Werte und Visionen geht. Überzeugt werden muss nicht die digitale Bohême, sondern die Frank Schirrmachers und die Suhrkamp-Leser dieser Welt. Und genau dort sollte Mashup vorzüglich wirken.

Dirk von Gehlens Argumente für einen entspannteren und freieren Umgang mit kreativ verwendeten Kopien sind nicht neu. Sie sind zusammengetragen – man möchte sagen: zusammenkopiert. Das Lob der Kopie beschreibt in seinem Titel seine eigene Arbeitsweise, die gleichzeitig seit Jahrhunderten die Arbeitsweise der Wissenschaft ist. Von Gehlen zitiert ausführlich aus Goethe-Memoiren, Standardwerken, Gesetzestexten und wissenschaftlichen Kommentaren. Er beschreibt methodisch und unaufgeregt die Entwicklung des Urheberrechts und wählt die in seinen Augen besten Vorschläge zu dessen Anpassung aus. Er führt Experteninterviews, die eigentlich nur weitere Zitate einzelner Denker sind, seinen eigenen Worten aber zusätzliches Gewicht verleihen. Mashup beginnt bewusst mit einem Beispiel aus der archaischen, ganz und gar nicht hypertextuellen Welt des Fußballs. Und es schließt mit Forderungen, die auch einem Vermittlungsausschuss entspringen könnten: moderat, fundiert und vernünftig. Forderungen nach der Anerkennung der kreativen Kopie als Partizipation an Originalen, die nur wir selbst zu solchen gemacht haben.

Der Clou an Mashup ist, dass es sich für eine Reductio ad Absurdum so gar nicht eignet – ganz anders als die Visionen mancher Netzevangelisten von Cluetrain bis Jarvis, die man je nach Weltsicht vortrefflich lieben oder hassen kann. Stattdessen hat von Gehlen hat eine der elementaren Ideen des digitalen Zeitalters auf genau der Ebene zusammengefasst, die sie auch für Skeptiker überzeugend machen sollte. Die Kategorie “junger Heißsporn”, welche die Altvorderen dazu bringen könnte, das Buch mit einem gnädigen Schmunzeln abzutun, bedient er – mit einer “Playlist zum Buch” etwa – nur gerade soweit, dass sie noch sympathisch und nicht umstürzlerisch wirkt.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Infiltrationsversuch gelingt.


Mashup bei Suhrkamp. Titelabbildung von dort.

Nicht in die Fresse. Die erste deutsche “Wired”

Was ist eigentlich aus dem Ausdruck “Mitten in die Fresse” geworden? Die erste deutsche Ausgabe der Zeitschrift “Wired” sei “deutsch ‘in your face'” hat Chefredakteur Thomas Knüwer stattdessen in einem Interview mit “Horizont” gesagt. Ein widersprüchlicheres Bonmot hat man lange nicht mehr gelesen.

Widersprüchlichkeit findet sich auch in der merkwürdig schizophrenen Haltung des Magazins zu sich selbst. Deutsche In-Your-Facigkeit heißt anscheinend, dass sich schon das Editorial von Knüwer, ehemals Redakteur des “Handelsblatt” und seit Jahren kritischer Beobachter der deutschen Medienlandschaft, wie eine einzige große Rechtfertigung dafür liest, warum “Wired” in Deutschland überhaupt erscheinen sollte. “Kann Deutschland das noch, sich für Fortschritt entflammen?” heißt es dort. Die Argumentation setzt sich in Knüwers Leitartikel fort, in dem das angeblich ausschließlich negativ besetzte Wort “Nerd” dem positiveren “Geek” gegenübergestellt und die Häufigkeit des ersteren als Beweis für Deutschlands Innovationsfeindlichkeit herangezogen wird. Eine Haltung, die in den Reaktionen auf das Magazin im Netz von vielen stolzen Nerds bereits abgelehnt wurde.

Klar – es blinken einem aus dem Design des Magazins von jeder Ecke die Farben Schwarz-Rot-Gold entgegen. Johannes Gutenberg wird (von einem Amerikaner, Jeff Jarvis) als “erster deutscher Geek” bezeichnet und viele der porträtierten Geeks sind Deutsche oder arbeiten hier. Doch so recht wollte in mir bei der Lektüre kein Patriotismus aufkeimen. Und das sicher nicht nur, weil die fotografierten Atommeiler in der zentralen Fotostrecke zur Zeit nach der Energiewende alle in der Schweiz stehen.

“Wired” erscheint seit 1993 in den USA und besitzt bereits Ableger in Großbritannien, Japan und Italien. Die Zeitschrift ist geprägt durch einen visionären, hoffnungsvollen und innovativen Blick auf Technik, Innovation und die Welt, in der wir leben. Sie scheint ständig sagen zu wollen: “Schaut her, wir haben jede Menge Probleme aber wir schaffen das schon.” Die Überbringung dieser Botschaft gelingt ihr in einer Zweiteilung des Magazins in kurze, scharfzüngig-humorvolle Fenster auf die verdrahtete Erde und lange, analytische Artikel aus der aktuellen Forschungs- und Kulturlandschaft.

In der deutschen “Wired” hingegen scheint dieser Haltung oft eine Art Sicherheitsnetz vorgeschaltet zu sein, das sich nicht nur in Knüwers Selbstgeißelung sondern auch im eher moderaten Tonfall der Kurzrubriken und der deutlich kürzeren und damit zwangsweise oberflächlicheren Artikel niederschlägt. Thomas Knüwer hat die mögliche Reaktionen darauf im anfangs zitierten Interview sogar vorhergesehen, bleibt aber bei seinem Standpunkt, die amerikanische Machart sei in Deutschland “so nicht brauchbar”.

Am besten sollte man die deutsche “Wired” mit dem Auge von “Wired” selbst betrachten. Das kühne Design loben, die liebevoll gestalteten Infografiken, die starken Meinungskolumnen von Vertretern der deutschen Netzgemeinde und die Spaßrubrik “FAQ”, die tatsächlich Spuren der gewohnten “Wired”-Rotzigkeit besitzt. Vor allem aber anerkennen, dass es Erstausgaben ohne feste Zusage auf Fortsetzung in ihrer Selbstbehauptung immer schwer haben, eben weil ihnen die Aufenthaltsgenehmigung erst noch ausgestellt werden muss. Und man darf, wie es “Wired” tun würde, die Hoffnung nicht aufgeben, dass gute Absichten belohnt werden. Dass die deutsche “Wired” kein Einzelexperiment bleibt, in Serie geht und es sich in Zukunft dann vielleicht auch leisten kann, noch ein bisschen mehr in die Fresse zu schlagen – und ein bisschen weniger schief in your Face zu grinsen.

erschienen in epd medien 37/2011

Medienfundstück “Donald” – Eine Männerzeitschrift mit Comics

(Update: Die Zeit kann einen manchmal auf merkwürdige Weise einholen. Als ich dieses Magazin vor sechs Wochen in den Niederlanden entdeckte, kannte es die deutsche Öffentlichkeit zum großen Teil noch nicht. Ein Freund wies mich nach diesem Blogpost darauf hin, dass eine erste Ausgabe inzwischen in Deutschland erschienen ist. So zeigt sich, was es bedeuten kann, mit dem Bloggen zu lange zu warten. Insofern ist die Frage am Ende dieses Postings nicht hinfällig, sondern zutiefst aktuell geworden.)

Wenn ich im Ausland bin, verbringe ich gerne ein wenig Zeit damit, die örtlichen Zeitschriftenregale durchzuschauen und zu entdecken, welche ungewöhnlichen Zeitschriften andere Länder eventuell zu bieten haben. Und tatsächlich: manchmal ist ein echtes Fundstück dabei, zum Beispiel die Zeitschrift “Donald” aus den Niederlanden.

Hier ein Bild davon, wie skeptisch ich zunächst war, als ich zum ersten Mal dieses “Männermagazin für große Jungs” (Untertitel) in die Hand nahm.

skeptischer Blick

Denn “Donald” ist tatsächlich eine sehr merkwürdige Mischung – ein Spinoff von “Donald Duck”, dem holländischen Äquivalent des deutschen “Micky Maus Magazins”. Es verbindet die üblichen Disney-Comicgeschichten, die ja in Europa einen wesentlich höheren Beliebtheitsgrad haben als in ihrem “Geburtsland” USA, mit den Themen einer zahmen Männerzeitschrift: Frauen (ohne Erotik), Gadgets, Mode, Interviews, Fotostrecken.

Da Comics (“Strips”) in den Benelux-Ländern immer schon auch bei Erwachsenen beliebt waren und “Donald Duck” in den Niederlanden einen Kultstatus sondergleichen besitzt, scheint die Kombination aufzugehen. Das Hochglanzheft erscheint viermal jährlich, jedes Mal mit einem anderen Leitthema, um das sich alle Artikel drehen. Das aktuelle Heft hatte “Holland” zum Thema und untersuchte nationale Identität und niederländische Erfolgsgeschichten – und das ziemlich gründlich und unterhaltsam. Der Schreibstil ist relativ salopp und das Budget des Hefts scheint nicht gigantisch zu sein, aber das Ergebnis macht Spaß – auch wenn es etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass jede Geschichte an irgendeiner Stelle einen kleinen Donald-Dreh bekommt. So führt etwa “Donald” einige Interviews und alle Prominenten werden nach ihrer Donald-Historie gefragt.

Wer die Zielgruppe wirklich ist, ist mir nicht ganz klar geworden. Vorstellen könnte ich mir, dass sowohl “kindgebliebene” Erwachsene mit einem Hang zu Disney (ähem, wie ich) als auch Teenager, denen das reine Comicheft “Donald Duck” nicht mehr cool genug ist, das Blatt kaufen. Vermutlich ist die letztere Gruppe größer, was auch den etwas flapsigen Stil und den Untertitel des Hefts (“für große Jungs”) erklären dürfte. Die Selbstbeschreibung auf der Website, “Donald ist ein Hochglanzmagazin für Männer, randvoll mit Comics, Interviews und Reportagen” spricht hingegen deutlicher die erste Gruppe an.

Heft

In jedem Fall ist die Gesamtqualität des Heftes deutlich höher und eleganter als beispielsweise die des 1998 eingestellten deutschen “große Jungs”-Comicmagazins Limit, das ich damals eine Weile gelesen habe.

Was meinen die Leser dieses Blogposts? Würde ein Konzept wie “Donald” auch in Deutschland funktionieren?

Medienbilder. Werkschau von Jos Collignon in Amsterdam

Ein Bild sagt nicht nur, wie in vielen Sprichwörterlexika verzeichnet, mehr als tausend Worte. Es überschreitet auch Landesgrenzen. Ein Vorteil für Karikaturisten wie den Niederländer Jos Collignon. Seit 1980 spießt er das aktuelle Geschehen zeichnerisch für die holländische Tageszeitung “De Volkskrant” auf, seit 1992 als Hauszeichner. Zuvor hatte er bereits für die Schwesterzeitung “NRC Handelsblad” gearbeitet. Weiterlesen …

erschienen in epd medien 31/2011

Von der Seitenlinie

Am 16. August beginne ich eine neue Arbeitsstelle. Ich werde (fester freier) Redakteur in der Filmredaktion eines Fernsehsenders. Ich bin mit der Stadt vertraut, in der ich arbeiten werde, ich liebe Filme und ich kenne das Team der Redaktion von einer früheren Begegnung – ich freue mich sehr auf diesen Job.

Und doch war das Ganze ursprünglich nicht ganz so geplant.

Im Herbst 2009 arbeitete ich in Frankfurt im Redaktionsteam von epd medien mit einem Vertrag, der zum Ende des Jahres auslief. Ich hatte gerade ein knappes Jahr damit verbracht, fast jeden Tag darüber zu berichten, wie miserabel es um die Printmedien in der Bundesrepublik steht und mir war klar, dass mein nächster Job nur online stattfinden konnte.

Meine Bewerbungen bei diversen Onlineredaktionen, große und kleine, wurden alle abgelehnt. Einmal bekam ich die Begründung geliefert, ich habe zu wenig Online-Erfahrung. Ich habe 1996 meine erste eigene Website online gehabt, blogge seit 2003 und hatte mich zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr intensiv mit Onlinemedien beschäftigt. Zudem war ich bei einer Nachrichtenagentur beschäftigt, einem Medium, dass es gewohnt ist, seine Geschichten mehrmals täglich zu aktualisieren. Die reine Tatsache, dass ich noch nie hauptberuflich für ein primär online erscheinendes Medium gearbeitet hatte, reichte anscheinend aus, um mir mangelnde Online-Erfahrung zu attestieren.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag, der es sich zum Prinzip gemacht hat, Menschen außerhalb ihrer Komfortzone einzustellen, gab mir die Chance, die andere mir verwehren wollten. Seit Anfang 2010 bin ich dort alleine verantwortlich für den Inhalt der kompletten Website. Ich habe eine blühende Facebook-Seite und einen funktionierenden Twitterkanal aufgebaut und im Juni die (relativ konservative) Berichterstattung einer vierzigköpfigen Onlineredaktion geleitet. Natürlich habe ich beim Kirchentag keinen Journalismus gemacht. Aber ich habe mehr Online-Erfahrung gesammelt, als mir wohl jemals in einer deutschen Onlineredaktion zugetraut worden wäre.

Da immer klar war, dass der Kirchentag nur ein Projekt sein würde, hatte ich mir ursprünglich mal überlegt, danach irgendwie an die vorderste Front des Onlinejournalismus in Deutschland zu wechseln. Mittendrin zu sein in diesem Mahlstrom des Medienwechsels, der sich gerade vollzieht; mit anderen gemeinsam Geschichte zu schreiben, während die Neuen Medien endlich ihre volle Reife erlangen.

Das werde ich jetzt nicht tun und ich bin eigentlich froh darüber. So spannend ich all das finde, was derzeit in der Medienlandschaft passiert, so nervenaufreibend finde ich es doch, die immer gleichen Debatten zwischen verstockten Apologeten und arroganten Avantgardisten lesen und hören zu müssen. Ständig zu sehen, wie große Medienhäuser ebenso große Töne spucken und selbst das Gegenteil ihrer Reden umsetzen. Zu beobachten, wie Journalisten immer schlechter bezahlt werden, während gleichzeitig von ihnen verlangt wird, immer mehr Inhalte zu generieren, bei deren Anblick das Wort “Qualitätsjournalismus” regelmäßig in hohl widerhallendes Gelächter ausbricht.

Filme haben nach wie vor eine, um den aktuellen Bildersturm von Jeff Jarvis aufzugreifen, recht orthodoxe Form. Und auch ihre Präsentation im Fernsehen folgt dieser Form, was sollte sie auch sonst tun. Dass ich mich auch im Filmbereich für Technologien wie Stereoskopie interessiere, die die althergebrachten Formen “stören”, ist sicherlich kein Zufall. Aber wenigstens muss ich nicht mehr mittendrin stecken, wenn wieder mal jemand schreibt oder sagt, das Internet wäre oder mache dumm, Google sei der Teufel oder mein Video sei nicht viral genug.

Ich beschäftige mich lieber mit etwas, was ich liebe: mit Filmen. Übrigens auch weiterhin an dieser Stelle. Währenddessen beobachte ich den Medienwechsel von der Seitenlinie und lasse sich die Ewiggestrigen und die Ewigmorgigen auf dem Spielfeld die Köpfe einschlagen. So bleibt mein eigener Kopf heil – und vielleicht kann ich dann eines Tages zurück aufs Spielfeld kommen, ein paar Wunden versorgen, und mir von den erschöpften Mannschaften, die beide verloren haben, zeigen lassen, wo ich helfen kann, den kaputten Rasen zu flicken (Nebenbei werden sie mir wahrscheinlich beibringen, Metaphern nicht überzustrapazieren).

Auf die Zukunft!