Man kann die Wirkung dieses Films einfach nicht unterschätzen. Vor Bowling for Columbine gab es kaum einen so regelmäßigen Massenmarkt für Dokumentarfilme, wie er jetzt gang und gäbe ist. Außerdem, sagen wir es doch mal ganz deutlich, brachte Michael Moores erstes, auch im Mainstream sehr erfolgreiches Werk, den latenten Anti-Amerikanismus der in Deutschland nicht erst (aber verstärkt) seit Bush und dem 11. September 2001 schwelte, auf den Punkt zu bringen. Moore wurde zum Superstar in Deutschland. Sein Gesicht prangte noch und nöcher auf Büchern und in Zeitschriften. “Endlich ein Amerikaner, der auch was gegen die bekloppten Amis hat”. Na, Gott sei Dank.
Auch ich fand Bowling for Columbine damals ziemlich toll und schwer beeindruckend, habe gelacht und geweint – und ich denke, der Film hat seine Kraft durchaus behalten, anders als beispielsweise der Nachfolger Fahrenheit 9/11, dessen Message einfach zu platt war, und anders auch als Sicko, der sich für mich (und vermutlich für viele Miteuropäer) allein dadurch diskreditierte, dass er europäische Gesundheitssysteme als den Himmel auf Erden darstellte.
Bowling For Columbine aber bewegt sich in einem wesentlich kleineren Kosmos und das macht ihn so stark. Er verbindet die sehr bewegend rekonstruierte Tragödie des High School Massakers von Littleton mit dem generellen Sicherheits- und Waffenwahn des amerikanischen Volkes und ich denke er hat recht damit. Klar bedient sich Moore seiner üblichen Überzeichnungen, manchmal auch Einseitigkeiten – beispielsweise wenn er sich nach Kanada begibt, aber dass das Right to Bear Arms (immerhin der zweite Zusatz zur US-Verfassung nach der freien Meinungsäußerung) ein tief in die US-amerikanische Psyche eingegrabenes Problem ist, stellt er treffend dar. Für eins der besten Segmente des Films, eine Zusammenfassung der US-Gewaltgeschichte in einer knappen Minute, zeichnen die South Park-Schöpfer Matt Stone und Trey Parker verantwortlich.
Ein weiterer beeindruckender Film des Jahres, in dem ich mein Filmwissenschafts-Studium aufnahm war The Pianist von Roman Polanski. Im Grunde zeigt er die Geschichte eines Menschen, der während der ganzen Schrecken der Nazizeit unglaublich viel Glück hatte und oft gerade noch so vor dem Schlimmsten entkommen konnte. Während er allerdings diesen vom Glück beschienenen Pfad beschreitet, geschehen um ihn herum, quasi in seinem Augenwinkel die schlimmsten Dinge, die sich ein Mensch vorstellen kann: Furchtbare Tode, brennende Leichen, Vergewaltigungen, Familientragödien. Und gerade weil Polanski die Schreckensherrschaft der Nazis nicht ausstellt, den Zuschauer nicht direkt damit konfrontiert (wie beispielsweise Spielberg einige Jahre zuvor in Saving Private Ryan), wirken sie noch viel schlimmer, viel traumatischer – echter als wenn sie in der ünwirklichen Vision der Leinwand im Mittelpunkt stehen würden.
Disney gelangen meines Erachtens 2002 noch einmal zwei richtig gute Filme, bevor das Animationsdepartment den Bach runterging.Lilo & Stitch war anarcho-witzig, wie es The Emperor’s New Groove gewesen war und Treasure Planet bot, wenn schon keine neuartige Story, doch zumindest ein wunderschönes Design und ein paar tolle Action-Sequenzen. Das steampunkige Piraten-im-Weltall-Konzept würde ich gerne mal irgendwo wiedersehen. Den Animations-Oscar gewann allerdings Hayao Miyazaki mit Chihiros Reise – zu recht: Der Film hat die Zeiten mühelos überdauert und verzaubert heute so wie damals.
Die cleverste Cleverness im Jahr 2002 leistete sich eindeutig das Duo Charlie Kaufmann/Spike Jonze mit Adaptation. Ein Film, der noch immer darauf wartet, ein zweites Mal von mir gesehen zu werden.
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme
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