Diese Bilanz kann nur eine sehr persönliche sein, denn die letzte Woche war ganz schön turbulent. Nicht nur, weil ich am Dienstagnachmittag von einer Grippe umgehauen wurde, wie ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe, und drei Tage flach lag, zwei davon mit Fieber. Sondern auch, weil ich wirklich nicht geahnt habe, was passieren würde, nachdem ich am Sonntagabend in meinem WordPress-Dashboard auf “Publish” gedrückt hatte.
Erst konnte ich sehen, wie sich der Beitrag auf Twitter verbreitete, irgendwann oft genug, um bei “Rivva” aufzutauchen. Am nächsten Morgen war ich im “BildBlog” verlinkt und die ersten Kommentare trudelten ein. Dienstag war mein Artikel schon zu “der aktuellen Filmblogdiskussion” mutiert. Als ich dann Mittwoch auch noch eine Mail von Radio Fritz mit einer Interviewanfrage bekam, war ich mir schon nicht mehr ganz sicher, ob das alles wirklich passiert (kann aber auch das Fieber gewesen sein).
Don’t get me wrong
Ich bin also wirklich im positivsten Sinne überwältigt, dass meine vier Thesen ein solches Echo erzeugen konnten. Einerseits ist das natürlich auch ein bisschen befriedigend, denn die Zustimmung, die ich erhalten habe, spricht dafür, dass ich irgendwie tatsächlich nicht nur heiße Luft gepustet, sondern einen wunden Punkt getroffen habe. Andererseits muss ich mich natürlich auch mit der Kritik auseinandersetzen (die sehr zivil und sachlich geblieben ist) – und das bedeutet bei mir fast immer, dass ich instinktiv zurückrudern und relativieren will.
Ein bisschen werde ich das auch diesmal nicht vermeiden können. Ich stehe auch nach aller Diskussion zu jeder meiner vier Thesen, aber natürlich sind sie (ich glaube, ich habe das auch im Artikel öfter betont) auch auf maximale Aufmerksamkeit zugespitzt (einsortieren unter Handwerk, Klappern gehört zum). Ich glaube nicht, dass in diesen vier Punkten die gesamte Sachlage enthalten ist, und ich bin relativ entspannt, was ihre Umsetzung angeht. Trotzdem, ein paar Klarstellungen:
Blogosphäre schaffen heißt nicht Homogenisierung
Ich bin ein Anhänger von Gemeinschaftsgefühl, nicht jeder ist das. Obwohl ich zum Beispiel Patriotismus grundsätzlich eher für gefährlich halte, besonders wenn er gegen andere benutzt wird, bin ich doch immer wieder faziniert davon, dass etwa die völlig unterschiedliche und konträre bis feindselige regionale Identität zweier US-Bürger sich problemlos mit dem amerikanischen Wir-Gefühl vereinen lässt. Eine übergeordnete Identität lässt also durchaus Raum für jede Menge Individualität.
In den Kommentaren schrieben Frédéric Jaeger und Thomas Groh, mein Wünsche röchen nach “Homogenisierung”, als sollten wir alle das gleiche machen, Filme aus der gleichen Warte betrachten. Nichts liegt mir ferner. Jeder soll machen, was er will, das ist das World Wide Web und das ist seine besondere Vielfalt. Ich will keine redaktionellen Leitlinien.
Es wird immer Menschen geben, die Filme eher vom Kopf her, in einem größeren, kulturkritischen Zusammenhang wahrnehmen und interpretieren – genauso, wie es immer Menschen geben wird, die diese Zusammenhänge lieber ignorieren. Genauso wird es immer Schreiber geben, die lieber für ein Publikum schreiben und ihre Texte danach ausrichten – und es wird immer Schreiber geben, die einfach ihre Gedanken so festhalten, wie sie ihnen durch den Kopf schießen.
Sie sollen sich nicht ändern. Was ich erreichen will, ist, dass sie einander wahrnehmen. Und zwar nicht als etwas Abjektes, sondern als Leute vom gleichen Schlag, nämlich “Menschen, die im Internet über Film schreiben”. Sie müssen deswegen ja noch lange nicht alles mögen, was der andere tut, aber sie wüssten voneinander. BANG! Film-Blogosphäre.
“Leitmedium” ist ein dummes Wort
Meinen Artikel haben viele Leute über Twitter gefunden und über andere Filmblogs, die mich verlinkt haben, sehr viele auch über Facebook (ich bin tieftraurig darüber, dass ich die vielen Diskussionen die dort vielleicht abliefen, nicht lesen konnte). Aber mit Abstand die meisten Hits bekam meine Seite in den letzten Tagen aus dem “Bildblog” und dessen Rubrik “6 vor 9”, in der jeden Tag sechs Links zu Medienthemen veröffentlicht werden. Andere kamen auf den Artikel dadurch, dass Wulf Bengsch geschickt die trojanische Frage “Der beste Beitrag oder die beste Kritik, die ich in der vergangenen Woche auf einem Blog gelesen habe, war ________” einbaute, manche mit meinem Artikel antworteten und so Dritte darauf aufmerksam machten. Leitmedien?
“Leitmedium klingt nach Leitkultur” stand in mehreren Kommentaren, und da wurde mir klar, dass man manche Wörter in Deutschland einfach nach wie vor nich benutzen kann. Ich bin froh, dass ich nicht “Meinungsführer” benutzt habe. Auch hier geht es mir nicht darum, alle auf Linie zu bringen, warum auch? Twitter zeigt ja, dass man Leuten “folgen” kann, ohne sich dadurch ihre Ansichten zueigen zu machen. Es geht mir eher darum, dass die natürlichen Knotenpunkte im Netz ihre Funktion nutzen, um den Fäden, die zu ihnen führen, etwas zurückzugeben.
Doch selbst diejenigen, die (so glaube ich) verstanden haben, was ich meinte, waren deswegen nicht meiner Meinung. Thomas Groh schrieb in einem Kommentar:
In meinem “Google Reader” habe ich unter “movie” alles abgespeichert, was mich interessiert, und wenn mich was neues interessiert, kommt das hinzu. Was mich nicht interessiert, bleibt draußen.
Das ist natürlich der gleiche Ansatz, den ich auch verfolge und wahrscheinlich die meisten anderen. Er bedeutet aber, dass die Anzahl der guten Inhalte, die man findet, in direktem Verhältnis zu der Zeit und der Erfahrung steht, die man aufgewendet hat, um sie zu filtern. Meiner Meinung nach ein bisschen unfair. Ich bin da eher bei Ciprian David, der schreibt:
Die existierende Vielfalt der Blicke auf Film, Clustering und die anderen angesprochenen Aspekte können alle aus dieser Orientierungs-Perspektive auch als Hindernisse im Wege der Auswahl von zu lesenden Seiten gesehen werden und das zurecht. Einerseits möchte man möglichst unterschiedliche Ansätze kennenlernen, andererseits ist da draußen zu viel, um alles mitzubekommen – hinzu kommen noch die sich verdoppelnden Inhalten, die lange nicht nur News betreffen.
Genau darum geht es mir: Orientierung. Aggregation. Sinnvolle Anknüpfungspunkte für Außenstehende und innen stehende Interessierte.
Natürlich sind die sechs täglichen Links von “6 vor 9” eine höchst subjektive Auswahl. Dahinter steht sogar exakt eine Person: der schweizer Medienjournalist Ronnie Grob. Aber seit ich nicht mehr die Zeit habe, die gesamte deutsche Medienbloglandschaft zu verfolgen (wie damals, als ich noch hauptberuflich über Medien geschrieben habe), sind sie für mich eine gute tägliche Orientierung über aktuelle Themen und kleine Fundstücke. Dito “The House Next Door”, “Page 2”, “Weekend Reel Reads”, der “Singles Club” des Guardian Music Weekly Podcast.
Durch die Pingbacks zu meinem Beitrag konnte ich feststellen, dass einige Blogs natürlich solche löblichen Linklisten führen. Taschenpost bei “Nerdtalk” zum Beispiel, Der Linkomat beim “Abspannsitzenbleiber” und Verlinkt bei “DVDuell”. Auch Thomas Groh schreibt, er “weise (…) auf andere Beiträge in Print und Blogs hin, vor allem auch in der rechten Spalte unter ‘Reading Room'”.
Doch auch diese Listen muss man erstmal finden. Was ich mir wünsche, ist aber, dass das jemand macht, der 1) sowieso viel gelesen wird und am besten 2) auch noch für seine Arbeit bezahlt wird (hebt die Motivation). Also zum Beispiel ein regelmäßiges Feature bei “Moviepilot”. Die haben schon die Aufmerksamkeit einer großen Community. Jetzt könnten sie sie doch auch in die Blogs zurückgeben. Der Netzwerkeffekt wäre gigantisch. “Critic.de” hielte ich, wie schon im Interviewbeitrag mit Frédéric geschrieben, auch für einen geeigneten Kandidaten. Aber das ist eher persönliche Neigung. Und Geld haben sie dort ja leider auch nicht.
Hat Deutschland keine Filmkultur?
Nachdem es mit dem Interview zwischen uns leider nicht so gut geklappt hat, hat “Filmfreund” Oliver Lysiak sich dafür sehr prägnant in den Kommentaren zu Wort gemeldet und gleich zum Rundumschlag ausgeholt. In Deutschland fehle es an der “Filmkultur”, das Reden über Filme über ein “Gefällt mir (nicht)” hinaus sei eine kleine Nische. Ich weiß nicht, ob ich ihm da zustimmen will. Er macht diese Voraussetzung aber dafür verantwortlich, was ich als “die nervige Trennung zwischen E- und U-Kultur” bezeichnet habe, den mangelnden “Spaß an fließenden Grenzen zwischen Filmjournalismus und Filmfan”.
Meine E- und U-Anmerkung ist vielen sauer aufgestoßen, dabei wollte ich damit niemanden beleidigen. Zumal, wie ich oben geschrieben habe, die Ansätze sowieso immer alle vorhanden bleiben werden. Vielleicht liegt es an mir selbst, der ich so ein merkwürdiger Hybrid bin. Ich bin studierter Filmwissenschaftler, aber ganz schlechter Hermeneutiker. Ich bin Filmjournalist, betrachte das Thema Film aber eigentlich lieber aus der Warte eines Medienbeobachters, und bin deswegen nicht umsonst ein recht miserabler Kritiker (ausgerechnet Fernsehjournalismus – was ich nie gedacht hatte – kommt mir hier entgegen, weil ich den Film für sich sprechen lassen kann, statt dem Leser einen Eindruck davon vermitteln zu müssen). Weil ich also selbst so in der Mitte stehe, vielleicht liegt mir deswegen so viel daran, dass alle Beteiligten ihre eigene “Haltung” zum Thema Film etwas lockerer und dehnbarer begreifen. Film ist eben Industrie, Kunst, Kulturgut, Medium und Konsumgut auf einmal. Das ist ja das Tolle daran.
Mein Lieblingstweet zum Thema übrigens:
Gibt es eine deutsche Film-Blogosphäre? [] Ja [] Nein [] Dir gefällt “Transformers”, mit dir rede ich nicht.
— Sven Kietzke (@CineKie) January 20, 2013
Machen statt klagen
Einer meiner Lieblingsbeiträge stammte von Schöndenker Thomas Lautersweiler. Er forderte Machen statt klagen und zählte direkt mehrere Beispiele auf, bei denen die Blogs schon zusammenarbeiten. Ich bin natürlich voll seiner Meinung, aber wie ich dann auch in seinem Blog kommentierte: “Vielleicht wollte ich nur zuerst das Problem benennen, bevor ich es angehe. Das hilft beim Fokussieren.” Ein geisteswissenschaftliches Studium prägt. Ohne Thesen geht erstmal gar nichts.
Es ist schon eine Menge passiert, zum Beispiel diese Facebookseite, eine tolle Idee, von der ich allerdings noch nicht weiß, wo sie hinführen wird. Und die Diskussion, die das Thema zumindest mal auf die Agenda gebracht hat. Am besten hat mir gefallen, dass viele Leute mir geschrieben haben, sie hätten schon durch Artikel und Diskussion jede Menge Blogs entdeckt, von denen sie noch nichts wussten.
Es wird weitergehen. Ich werde selbst versuchen, so gut es geht dazu beizutragen, mehr deutsche Blogs lesen und verlinken, auch hier im Blog. Ich denke, das machen andere vielleicht auch. Genügend Tools gibt es ja, um die Vernetzung im Kleinen herzustellen (Gastbeiträge etc.). Was ich auch noch gar nicht erwähnt habe ist die tolle Idee des Social Viewing von “Mostly Movies”.
Und ich fände es gut, wenn wir uns auf der Berlinale treffen würden. Also, wer immer da ist, zumindest. Ich versuche einen Termin und einen Ort zu finden, der für möglichst viele Leute machbar ist. Wahrscheinlich am ersten Wochenende. Keep watching this Spot!