Ich bin der festen Meinung, dass sich das Berufsbild von Journalisten durch den Medienstrukturwandel stark verändern wird. Ich sehe das nicht negativ, auch nicht unbedingt euphorisch, aber ich glaube, dass es passieren wird. Seit Wochen suche ich nach einem geeigneten Vergleich. Nachdem ich heute Björn Sievers’ Artikel bei Carta gelesen habe, kam mir endlich eine Idee. Ich weiß nicht, ob sie hundertprozentig funktioniert und bin für Verbesserungsvorschläge natürlich zu haben.
Ich glaube, dass die Zukunft des Journalismus so aussehen könnte wie die der Musikindustrie – zum Teil ist sie das auch bereits (und immer schon gewesen). Die Produktpalette – und die Art und Weise, wie diese Produkte an den Nutzer kommen – wird sich sehr breit auffächern, noch breiter als bisher. Obwohl es Majors geben wird, wird es auch eine unüberschaubare Anzahl unabhängiger, kleiner Anbieter geben, deren Vertriebswege aber natürlich eingeschränkt sind.
Wie in der Musik auch, gibt es im Journalismus drei Kernprodukte: Den einzelnen guten Artikel (die Single), die Sammlung mehrerer guter Artikel aus einem Haus, auch Zeitung oder Zeitschrift genannt (das Album) und die Mischung mehrerer guter, zurzeit gerade populärer Artikel aus verschiedenen Häusern durch Aggregatoren (den Sampler). Aber während das Album früher die Haupt-“Währung” war*, gibt es wieder eine Entwicklung hin zur Single, zum einzelnen Song, der ein bestimmtes Publikum interessiert und der wahrgenommen wird.
Mein Vergleich schließt auch mit ein, dass viele Journalisten – ebenso wie viele Musiker – nicht mehr unbedingt von ihrer Arbeit leben werden können und andere Dinge machen müssen, um sich über Wasser zu halten. Das entspricht ja auch der Tatsache, dass die meisten Blogger nicht vom Bloggen leben, sondern es als Hobby in ihrer Freizeit betreiben.
Wichtig ist die Rolle der Aggregatoren, der Sampler. Sehr viele Menschen gehen durch die Welt ohne jemals das Album eines Künstlers zu kaufen, sie kennen nur die Songs aus dem Radio (einzelne Artikel, die ihnen jemand über Social Media empfiehlt) und die aktuelle Bravo Hits oder Kuschelrock (Aggregatoren, die das “Beste” sammeln und mundgerecht präsentieren). Es reicht ihnen. Mit dem Medienkonsum ist es doch ähnlich. Bei einer Tageszeitung würde ich sofort auch auf den Sportteil verzichten, den lese ich eh nie.
Und genauso wie in der Musik, könnte es in Zukunft auch in den Medien wesentlich mehr One-Hit-Wonder geben. Medien, die einmal einen Coup landen, dann viele Klicks bekommen und danach wieder an Bedeutung verlieren. De facto ist das ja jetzt bereits der Fall. Und nur die, die über einen langen Zeitraum hinweg mit Songs UND mit Alben die Massen begeistern können, werden wirklich erfolgreich. Allerdings wird die Eintrittsschwelle niedriger. Theoretisch könnte ich morgen ein neues Medium gründen und damit in einem Jahr erfolgreich sein, wenn ich entdeckt werde und gut bin.
Hm. Vielleicht hinkt der Vergleich doch ein bisschen zu sehr, er sei als Work in Progress betrachtet. Vielleicht ist Ökosystem doch die bessere Metapher.
Wichtig sind mir folgende Punkte:
1. Der Trend geht hin zum einzelnen wichtigen Artikel statt zur Artikelsammlung.
2. Die Bedeutung von Aggregatoren ist nicht zu unterschätzen. Sie sammeln und sortieren für die zurecht faulen Endverbraucher.
3. Eigentlich ist das immer schon so gewesen – Journalisten haben in Redaktionen Nachrichtenagenturen und die Berichterstattung der Konkurrenz ausgewertet, um daraus ein Aggregat zu schaffen. Aber diese Aufgabe verschiebt sich um eine Ebene.
4. Das könnte mehr freie Journalisten und mehr Hobby-Journalisten bedeuten.
Wer aufmerksam liest, dem ist sicherlich aufgefallen, dass ich bisher Geld noch nicht erwähnt habe. Der Grund dafür ist einfach: Ich weiß nicht, wo Geld in dem Ganzen auftauchen soll. Ich wäre bereit für gute Einzelartikel (Einzelpreis) und gute Aggregate (Abopreis) zu zahlen. Allerdings nicht die enormen Summen, die immer genannt werden. Maximal 5 Cent pro Artikel, maximal zehn Euro für ein Abo – ungefähr die Hälfte des Preises eine Zeitungsabos, denn ich muss ja kein Papier und keine Logistik mehr mitbezahlen.
* mir ist durchaus bewusst, dass Singles die Ursprungs-Währung der Musikindustrie waren, bevor Alben Ende der Sechziger an Bedeutung gewannen.