In “Gefühlte Gemische” erzähle ich, basierend auf einer Idee von Christoph Hochhäusler, von meiner Filmsozialisation und von Filmsichtungen, die mein späteres Leben geprägt haben. Im ersten Teil habe ich mich mit meiner Kindheit befasst. Die Resonanz war so positiv, dass ich mich entschieden habe, eine Fortsetzung zu schreiben.
Mit ungefähr 15 Jahren, ich lebte inzwischen wieder in Deutschland und besuchte ein Gymnasium in Wiesbaden, veränderte sich etwas in meinem Selbstbild. In den Jahren zuvor hatte ich automatisch gefolgert, dass ich – weil ich Computer spannend fand – irgendwann Informatik studieren würde. Doch irgendwann sah auch ich ein, dass ich mit Sprache wesentlich besser umgehen konnte als mit logischen Operatoren. Schließlich hatte ich meine BASIC und Turbo-Pascal-Kenntnisse auch bisher hauptsächlich dafür genutzt, Textadventures und ähnliche narrative Programme zu erschaffen. Als in der elften Klasse die Wahl der Leistungskurse anstand, entschied ich mich sehr bewusst für Deutsch und Englisch. Und wo immer ich konnte, begann ich zu schreiben.
Meine erste veröffentliche Filmkritik erschien in einer kurzlebigen Schülerzeitung. Der besprochene Film hieß Lost in Space, ein wohl fast vergessenes Remake der gleichnamigen Fernsehserie mit William Hurt, Gary Oldman und Matt LeBlanc in den Hauptrollen, und er kam bei mir nicht gut weg. Die Kritik endet mit dem denkwürdigen Satz: “Wer eine effektlastige Space Opera mit mäßiger Story sehen will, für den ist ‘Lost in Space’ das Richtige. Wer anspruchsvolle Science-fiction gewöhnt ist sollte meiner Meinung nach lieber auf ‘Star Wars: Episode 1’ warten.” Wie das dann ausging, ist ja bekannt. Weitere Kritiken veröffentlichte ich auf meiner ersten eigenen Internetseite, lange bevor es Blogs gab.
Ungefähr zur gleichen Zeit veränderte sich auch mein Verhältnis zu Filmen. Meine Freizeit verbrachte ich zwar immer noch hauptsächlich mit Karten- und Rollenspielen wie “Magic: The Gathering”, doch zum Glück verschlang ich auch die dazugehörige Fachliteratur. Die inzwischen eingestellte Zeitschrift InQuest, die ich mit religiöser Anbetung las, hatte eine Liste mit den 100 besten fantastischen Filmen veröffentlicht und ich machte mich immer stärker systematisch, in Bibliotheken und der Fernsehzeitschrift, auf die Suche nach den dort erwähnten Klassikern. Inzwischen hatte ich sogar einen eigenen Fernseher im Zimmer. Ich sah Escape from New York und Jason and the Argonauts, Zardoz und Metropolis, Planet of the Apes, Conan the Barbarian und einiges mehr. Bis heute habe ich noch nicht alle Filme der Liste gesehen, hole aber immer noch nach.
Mein Fernseher hatte etwa eine Bilddiagonale von 30 Zentimetern. Meistens machte mir das nichts aus, doch die erste gespannte Sichtung von 2001: A Space Odyssey endete im Disaster. Als ich völlig entnervt am “Beyond the Infinite”-Punkt angelangt war, griff ich zur Fernbedienung und spulte die gesamte Sequenz vor. Zusätzlich hatte die VHS-Aufnahme aus dem Fernsehen etwas zu früh aufgehört, so dass das finale Bild von “Star Child” fehlte. Ich war, gelinde gesagt, sehr verwirrt. Zum Glück kam der Film im Jahr 2001 noch einmal ins Kino – und dann begriff ich ihn. Inzwischen ist 2001 der Film, bei dem ich mit dem besten Gewissen sagen kann, dass er mein Lieblingsfilm ist.
Parallel zu Zeitschriften und Büchern nahm auch das Internet eine immer dominantere Rolle in meinem Leben ein. Ich baute weitere eigene Webseiten zu Bands und Fantasy-Welten, trat Mailinglisten bei und traf mich mit Gleichgesinnten aus ganz Deutschland. Parallel dazu bekam ich einen Job in unserem örtlichen Kino. Mein großartiger Chef ließ mich nicht nur kostenlos in aktuelle Vorstellungen, er nahm mich sogar mit auf Branchen-Tradeshows, wo ich erstmals Filme sah, die noch gar nicht im Kino liefen.
Die Kombination aus beiden Faktoren habe ich wohl nie wieder so intensiv erlebt wie im Vorfeld von The Fellowship of the Ring. Auf Stefan Servos’ Seite verfolgte ich jeden Nachrichtenschnipsel zur Verfilmung meines damaligen Lieblingsbuchs. Den ersten Teaser-Trailer habe ich sicherlich 20 Mal gesehen. Und dann konnte ich auf einer Tradeshow ganze drei Monate vor Kinostart die 20-minütige Sizzle Reel sehen, die Peter Jackson für Cannes zusammengestellt hatte. Ich war begeistert. Und noch heute sind die Herr-der-Ringe-Filme die einzigen Filme, die ich in regelmäßigen Abständen immer wieder sehen muss.
In der zwölften Klasse, im Jahr 2000, hatte ich die Gelegenheit, an der Uni Mainz einen ausführlichen Informationstag zum Filmwissenschaftsstudium zu besuchen. Marcus Stiglegger, damals noch mit langen Dreadlocks, setzte sich vor einen Raum voller Schüler und bat jeden, einen Film zu nennen, der ihn in jüngerer Zeit beeindruckt hatte. Er ordnete den Film dann historisch und phänomenologisch ein. Die Gruppe besuchte eine Vorlesung zum deutschen Film und Norbert Grob sagte, es gäbe eigentlich keine großen deutschen Autorenfilmer mehr. Ich dachte: “Und was ist mit Tom Tykwer?”. Jemand meldete sich und fragte: “Und was ist mit Tom Tykwer?” Zähneknirschend gab Grob zu, dass Tykwer sich wohl qualifizierte. Ich wusste, dass ich dieses Fach studieren würde.
An The Apartment habe ich im ersten Semester Filmanalyse gelernt. All den Dingen, die ich bisher nur unterbewusst wahrgenommen hatte – Einstellungsgrößen, Kamerawinkel, Schnittfolgen – konnte ich nun plötzlich Namen geben. Billy Wilders bittersüße Komödie, mit ihren klaren Bildern und präzisen Kadrierungen und Charakterzeichnungen, eignete sich perfekt als Anschauungsobjekt. Mein Blick auf Filme änderte sich für immer und ich wusste, dass ich das richtige Fach gewählt hatte. Zuletzt habe ich The Apartment vor zwei Jahren im “Babylon” in Berlin gesehen – ich musste ihn einfach mit der Frau sehen, die ich in zwei Wochen heiraten werde.
Wenn man Filme durch ein Studienfach – und später durch die Wahl des Arbeitsplatzes – zum Beruf macht, bekommen sie einen anderen Platz im Leben. Sie werden manchmal Mittel zum Zweck, manchmal Ware, manchmal Notwendigkeit. Obwohl einen gute Filme noch immer sehr beeindrucken können – das naive Staunen früher, “ungelernter” Filmerfahrungen kehrt leider nicht mehr zurück. Wer weiß, vielleicht ist aber doch noch irgendwann Raum für eine dritte Folge. In diesem Sinne:
Fortsetzung folgt – vielleicht
Schöne Fortsetzung, ich hoffe auf eine weitere Fortsetzung.
Abgesehen davon natürlich herzliche Glückwünsche.
Einer unschuldigen Review aus einer Schülerzeitung entstammt also auch schon die Hoffnung und (vorgezogene) Liebe zu “Star Wars Episode 1” ;)
Interessante Geschichte und meine große Anerkennung, dass du “2001” verstehst – jetzt müsste ich den Film eigentlich noch einmal gucken, um dem gleich zu ziehen.
Und Gratulation, sowie beste Wünsche zum baldigen großen Ereignis!
Der Punkt ist eben, dass man “2001” nicht verstehen muss. Man muss ihn begreifen und erleben. Das ist genug.
Oh, dann habe ich es ja doch schon mal vorher verstanden ;) – Trotzdem gibt es genug Gründe, den Film nochmal zu sehen.