Sperrfristen-Spiele, Presse-Privilegien und Marketing-Machenschaften (Update)

© Disney

(Update, 31. Juli, 16:20 Uhr: Per Anruf wurde ich gerade informiert, dass die Sperrfrist für Guardians of the Galaxy auf morgen mittag (1.8. – Startdatum in den USA) verkürzt wurde. Kein Kommentar.)

(Update, 26. Juli, 10:26 Uhr: Ich habe Marvel anscheinend so sehr genervt, dass sie mir gerade doch eine Twitter-Direktnachricht geschrieben haben, in der sie mir mitteilten, dass kurze Eindrücke okay, aber lange Besprechungen nicht erwünscht sind. Das war mir natürlich vorher klar – ich frage mich nur, warum man das nicht einfach öffentlich sagt. Damit nicht gewiefte Journalisten versuchen, wieder Schlupflöcher im System zu finden? Egal. Ich möchte damit nur einmal loswerden, dass ich Guardians of the Galaxy absolut famos fand und mich sicherlich noch viel daran abarbeiten werde. Bei all dem Ärger, der aus diesem Artikel spricht: Ich mag Marvel und Disney doch, sonst würde ich mir nicht so viele Gedanken um sie machen.)


Ich habe heute Abend Marvels neuesten Streich Guardians of the Galaxy gesehen. Zeitgleich mit den Besuchern der Europa-Premiere in London und mit hunderten anderen Menschen in Deutschland. Der Grund: Eine spezielle Preview, veranstaltet von ProSieben und anderen Gewinnspielanbietern, um im Vorfeld eine positive Grundstimmung für den Film zu erzeugen. Wer den Film gesehen hat und ihn gut fand, so die Logik, wird davon seinen Freunden erzählen. Und die werden davon ihren Freunden erzählen, und so weiter. Und dann gehen alle gleich am Eröffnungswochenende ins Kino, weil sie sich so auf den Film freuen. In Deutschland ist dies das Wochenende vom 28. August, also in fünf Wochen.

Allerdings, wenn meine Freunde und Bekannten im Internet zu Hause sind – auf Twitter, Facebook oder als Leser dieses Blogs – darf ich ihnen nicht davon erzählen, wie ich den Film fand. Das darf ich erst ab 15. August, weil “auf den Besprechungen zum Film eine Sperrfrist bis einschließlich 15. August 2014 liegt. Dies gilt für alle Medien (Print, Online, TV, Radio) inkl. Blogs, Sozialer Netzwerke und Webseiten”. Ein Zitat aus der Presse-Einladung zum Film. Klar: Wenn ich jetzt schon aufschreibe, wie ich den Film fand, besteht die Gefahr, dass das hoffentlich positive Summen, das den Film umgibt, zu früh verpufft. Nach dem Sommerurlaub Ende August haben dann schon wieder alle vergessen, was Menschen vor einem Monat über Guardians gesagt haben; und die ganze Mühe, die in das Anfachen des Feuers gesteckt wurde, war umsonst.

In über 40 Ländern

Die Denke dahinter ist verständlich. Nur: Am 15. August werden die Presse und die Gäste der Preview nicht die einzigen sein, die den Film gesehen haben. Bis dahin ist der Film in über 40 Ländern gestartet. Viel wichtiger: In seinem Hauptmarkt USA startet der Film am 1. August, zwei Wochen vorher. Das Internet – dieses globale Medium, das man überall lesen kann – wird voll sein mit Besprechungen. Würde ich meinen Sommerurlaub zufällig in den USA machen und den Film dort regulär im Kino sehen, dürfte ich ihn dann auch nicht besprechen? Was ist, wenn ich nicht in den USA war, aber behaupte, dort gewesen zu sein und ihn dort noch einmal gesehen zu haben? Was ist, wenn ein Freund von mir, der in den USA lebt, den Film dort im Kino sieht und mir anschließend davon erzählt – dürfte ich ihm beipflichten oder widersprechen? Dürfte ich einen Artikel verfassen, der Kritiken aus den USA aggregiert und am Ende schreiben: “Nur aufgrund der hier angegebenen Kritiken und natürlich keinesfalls aufgrund der Tatsache, dass ich den Film schon gesehen habe, denke ich, dass er gut/schlecht ist”?

Genug der Absurditäten.

Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass Filmjournalisten eine privilegierte Beziehung zu Filmen haben. Verleiher stellen uns vorab Zugang zu ihren Filmen zur Verfügung, obwohl sie das in den meisten Fällen – sind wir mal ganz ehrlich – nicht müssten. Gerade die großen Hollywood-Blockbuster brauchen Kritiken so sehr wie eine Katze einen Motorroller. Daher kann es auch ein Til Schweiger sich erlauben, einen Film wie Schutzengel Journalisten erst gar nicht vorab zu zeigen. Die Leute gehen eh rein. Das Ganze ist, wie so oft im Wechselspiel von PR und Journalismus, ein Tanz. Kritiker bekommen alle Filme vorab zu sehen, damit sie alle Filme gleich behandeln. Denn bei kleineren Filmen können gute Kritiken durchaus mal zum Erfolg verhelfen, also wägt man als Verleiher (oder vom Verleiher beauftragte PR-Firma) ab, dass man sich seine Filmkritiker lieber insgesamt warm hält. So läuft das halt im Geschäftsleben.

Merkwürdiger Hilferuf

Dass ich selber Filmjournalismus gerne lese und der Meinung bin, dass Filmkritik durchaus einen Beitrag zur kulturellen Debatte liefert, ändert nichts daran, dass ich finde, Filmkritiker nehmen sich selbst ein bisschen wichtig. Das Flugblatt für aktivistische Filmkritik des VDFK (dem ich immer noch nicht beigetreten bin, obwohl ich einige Male kurz davor war) habe ich nicht unterschrieben, weil es mir wie ein merkwürdiger Hilferuf von jemandem vorkam, der gerne mehr Bedeutung hätte, als er hat. Da wird angeklagt, dass sich viele Filmkritiker der Marketing-Maschine der Verleiher nicht widersetzen und sich mit einer “5 Sterne, unbedingt reingehen”-Kritik zufrieden geben, wenn sie doch Relevantes, “Aktivistisches” schreiben könnten, was kulturelle Bedeutung schafft. Als könnte das in einem freien Markt nicht jeder für sich entscheiden.

Schreibt halt selbst gute Sachen! kann und will ich da immer nur ausrufen. Und beschwert euch nicht über ein System, das euch zurückgelassen hat, weil ihr euch lieber im Geschwurbel versteckt, statt Relevanz zu schaffen. Und wenn ihr eure Sachen für gut haltet und niemand sie drucken oder bezahlen will, dann findet selbst einen Ort dafür. Qualität setzt sich durch. Das Anspruchsdenken, das manchmal aus Institutionen wie dem VDFK trieft, zum Beispiel wenn er fordert, selbst wählen zu können, in welcher Sprachfassung die Pressevorführungen stattfinden oder wie im Schutzengel-Fall behauptet, es wäre Behinderung der Presse, wenn Schweiger keine kostenlosen Vorab-Vorstellungen veanstaltet, ist typisch für den deutschen Kulturbetrieb. Ich beobachte es immer wieder. Gesellschaftliche Relevanz wird nicht erarbeitet. Sie wird einfach postuliert. Aus Tradition oder aus einem Selbstverständnis voller Hybris.

Das Spiel mitspielen – oder nicht

Ich liebe Journalismus, ich sehe mich selbst immer noch als Journalist, obwohl ich das meiste Geld mit PR (allerdings nicht Film PR) verdiene. Und dennoch bricht mich die Selbstgefälligkeit, mit der viele Journalisten die Welt beschreiten immer wieder an. Nicht nur beim “Spiegel”. Man muss sein Rebellentum dann aber meiner Ansicht nicht dadurch demonstrieren, indem man auch von Filmen einen Kritikerspiegel veröffentlicht, die noch nicht ihre Welturaufführung erlebt haben. Als wollte man sich damit dafür rächen, dass man sonst oft am kürzeren Hebel sitzt. Welchen Pyrrhussieg man damit feiern kann, sei dahingestellt. (Ja, Dennis, ich möchte nicht nur in der Echokammer drüber schreiben, sondern auch drüber reden. Ich versuche, zum nächsten Stammtisch zu kommen.)

Aber obwohl ich jetzt drei Absätze lang auf meinen Kollegen herumgedroschen habe, bin ich trotzdem der Meinung, dass die Guardians of the Galaxy-Sperrfrist eine Travestie ist. Sperrfristen haben als freiwillige Vereinbarung im Journalismus den Zweck, etwas als Arbeitserleichterung für alle rechtzeitig zu kommunizieren, aber es nicht zu veröffentlichen, bevor die Betroffenen Bescheid wissen, zum Beispiel bei Preisverleihungen. Hier aber ist die Meinung der Journaille den Verleihern anscheinend noch wichtig genug, um sie vor ihren Karren zu spannen. Aber gleichzeitig wird die eigene Marktmacht durch das absurd späte Datum ausgetestet. (Als Sanktion droht natürlich der Ausschluss von späteren Pressevorführungen.) Und ähnlich wie bei der Scorsese-Vorführung auf der Berlinale wäre das tatsächlich ein Punkt, wo man sich voll rechtschaffenden Zorns weigern kann, das Spiel mitzuspielen.

Wenn ein Film in der Welt ist, nicht nur in internen Pressevorführungen und Premieren für geladene Gäste, sondern in öffentlichen Vorführungen, sollte man darüber berichten können. Im Fall von Guardians wäre das also der 1. August. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich das alberne Spiel diesmal mitspielen werde, oder nicht.

Epilog

Nach der Preview wollte Marvel dann plötzlich doch auf Twitter hören, wie die Leute den Film fanden. Auf meine Frage, ob nicht eigentlich Sperrfrist gelte, wurde nicht reagiert konfus reagiert. Kritiker wie Torsten Dewi haben daraufhin das Embargo “gebrochen”. Ich bin kein bisschen schlauer.

Nachtrag (25.7., 0:25 Uhr): In den USA hat Marvel dann doch erste Kritiken zugelassen. In einer früheren Version des Artikels hatte ich Torsten Dewis Vornamen fälschlicherweise “Thorsten” geschrieben.

Edit, 26.7.: Ein Hinweis noch im Zuge der vollständigen Offenlegung: Ich habe es nicht geschafft, Karten in einem Gewinnspiel zu ergattern, stattdessen habe ich bei der sehr freundlichen Presseagentur angerufen, die den Film betreut, und diese hat mir zwei Karten organisiert. Daher weiß ich auch überhaupt nur von der Sperrfrist, auf die ich im Zuge des Austauschs mit der Agentur nachdrücklich hingewiesen wurde. Auf dem Screening selbst wurde nichts dazu gesagt.

9 thoughts on “Sperrfristen-Spiele, Presse-Privilegien und Marketing-Machenschaften (Update)”

  1. Wie schon bei Twitter erwähnt, ich finde das völlig lächerlich. Berichterstattungen zu einem Film leben von unterschiedlichen Meinungen. Ich möchte als Zuschauer auch nicht einfach nur irgendeinem positiven Hype hinterherrennen, sondern vertraue auch auf seriöse Kritiken. Wirklich objektiv ist keiner, weil wir uns beim Schreiben immer von unserem Geschmack leiten lassen, trotzdem glaube ich, dass jemand, der dies beruflich tut, einen genaueren Blick auf den Film werfen kann. Wenn ich meine “Kritiken” nehme, beispielsweise, die sind vollkommen geleitet von Emotionen, entsprechend stimme ich mal für mal gegen den Hype, bin aber nie wirklich objektiv. Wenn dann jemand sagt “Oh du findest den Film scheiße, dann guck ich den nicht” weise ich daher auch immer darauf hin, dass es mein ganz persönlicher Geschmack ist, der sich im Laufe von vielen JAhren entwickelt hat und meine Meinung im Grunde überhaupt kein ANhaltspunkt sein dürfte. Denn in erster Linie bin ich auch nur Zuschauer, Privatmensch, der sich im Kino unterhalten lassen will. Daher finde ich diese privaten Tweets/Blogs/FB-Einträge, wie ich sie auch selbst pflege, zwar unterhaltsam und erstmal befriedigen sie meine Neugier auf einen Film. Aber ich möchte auch “richtige” Kritiken lesen, und das nicht erst, wenn alle anderen schon auf der Euphorie-Welle schwimmen, sondern zeitgleich.
    Und die Studios/Verleiher tun sich da keinen Gefallen, wenn sie das unterbinden glaube ich.

  2. Ein kleiner Teil fehlt da meiner Ansicht noch. Das betrifft zwar jetzt dich trotz der Äußerungen nicht, weil es dir um die Maschinerie dahinter geht, aber ich habe in jüngerer Zeit öfter Kommentare gelesen, die im Wortlaut mehr dem entsprachen, daß der jenige ja den Film gesehen habe, aber darüber ein Schweigegelübte habe ablegen müssen. Vielleicht meinen diese Personen das genauso kritisch, es wirkt dann aber, als wolle man sich als Teil eines erlesenen Kreises aufspielen, dem eine vorherige Vorstellung vergönnt war und der nun nicht einmal Zeugnis reden kann von seinem Erlebnis, was ihn nochmals auf eine höhere Stufe stellt.

    Ich weiß nicht, ob auch hierbei etwas Kalkül enthalten ist, also ein Anschüren des Mitteilungsbedürfnisses bei gleichzeitiger Besserstellung als kleine Bauchpinselung für eine merkwürdig mutierte Viralkampagne. Letztlich ist ja alles Werbung und auch dein Artikel trägt dazu bei. Da können wir dann auch gleich noch verkünden, daß Marvel vorhin den Newsletter rausgeschickt hat, 2017 komme bereits das Guardians Sequel in die Kinos. Das sind die Extratücken der Informationsgesellschaft und ich habe schon mehrfach z.B. politisch entrüsteten Kommentaren virtuell auf die Finger gehauen, weil sie in ihrem Affekt nämlich gleich noch den Link zur bösen Propaganda mitgeliefert haben und damit “dem Feind” quasi direkt in die Hände spielten.

    All dies sind Dinge, die mich zum Aussteiger machen und mein Interesse in dieser verquirlten Informationsmasse einfach insgesamt schwinden lassen – so spannend es auch sein kann. Dies bedeutet nicht immer den wörtlichen Rückzug aus dem Internet, aber man nimmt dann Informationen einfach gar nicht mehr wahr, so wie man früher die Werbebanner einfach gar nicht mehr gesehen hat, bevor es die angenehmeren Ad-Blocker gab. Irgendwie ist es dann vielleicht auch schade, weil einem dadurch bestimmt ein paar Dinge durch die Lappen gehen. Aber es ist soviel freier, einfach sein eigenes Ding zu machen, sich neben diesen großen Strom zu setzen und zu lächeln, wenn ab und zu ein Fisch heraushüpft.

  3. Marvel/Disney hat ein Einsehen und deutsche Filmkritiken nun doch schon vor dem 15. August freigegeben. Meine Kritik ist seit wenigen Minuten endlich wieder online zu lesen.
    http://www.pc-magazin.de/news/guardians-of-the-galaxy-film-kritik-review-kino-release-trailer-2458439.html

    Danke für Deinen Blogbeitrag zum Thema. Es war gut zu lesen, dass ich nicht der einzige Filmjournalist mit dem “Problem” war. Das Unverständnis bleibt natürlich, hier schien seitens des Verleihs tatsächlich eine Hand nicht zu wissen, was die andere macht. (Oder die Verantwortlichen das Internet nicht zu verstehen. Oder beides.)

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