Ich lerne (hoffentlich) jeden Tag neue Dinge. Die meisten werden irgendwo abgespeichert, häufig unter “Wissen” oder “Bestätigung von etwas, was ich schon vorher dachte”. Aber immer mal wieder kommen Tatsachen des Wegs, die mein Denken und Handeln verändern. Das Schöne daran: Die Quellen können völlig verschieden sein. Manchmal sind es wissenschaftliche Erkenntnisse, manchmal Worte von Experten, manchmal auch nur gut formulierte Aphorismen.
Ich habe zehn dieser kleinen Erkenntnisse in dieser Liste gesammelt, ohne Reihenfolge und Konsequenz, einfach weil ich diese Art Selbstbespiegelung immer interessant finde, und weil ich hoffe, dass es andere gibt, die vielleicht auch bei der ein oder anderen Sache aufmerksam werden. Während ich den Text schrieb, fiel mir auch auf, dass darin keine Erkenntnisse zu großen gesellschaftlichen Problemen wie diversen -ismen stehen. Das ist unbewusst geschehen, aber ich glaube, es ist auch ganz gut so. In keinem dieser Felder will ich mich zum “Typ, der’s kapiert hat” aufschwingen.
1. Im Zweifelsfall für die Narrative Equity
Der Begriff “Narrative Equity” (“erzählerisches Kapital”) stammt vom Spieledesigner Mark Rosewater. Er beschreibt damit das Phänomen, dass man manchmal Entscheidungen trifft nicht unbedingt, weil sie einen am schnellsten ans Ziel führen, sondern weil man sich auf die Geschichte freut, die man anschließend darüber erzählen kann.
Ich finde diesen Gedanken super und wende ihn seitdem öfter mal bewusst an. Wenn ich mich nicht zwischen zwei Optionen entscheiden kann und keine unbedingt besser ist als die andere, nehme ich im Zweifelsfall die, hinter der potenziell die bessere Geschichte steckt.
Etwas ausführlicher habe ich das schon mal im LEXPOD beschrieben:
2. Wir erleben Dinge anders als wir uns an sie erinnern
Diese Erkenntnis habe ich aus einem Interview mit Daniel Kahnemann (der ohnehin einen größeren Einfluss auf mein Handeln hat – seine Forschung zu Risikoabwägung hat mich bereits im Studium fasziniert). Kurz gesagt: Unsere Erinnerung an Ereignisse ist oft ganz anders als die Gefühle, die wir währenddessen haben (“There is living life and there is thinking about it”). Vor allem sind sie stark vom Ende der Ereignisse geprägt und davon, welche Geschichte wir dadurch im Nachhinein erzählen.
Wenn man das einmal weiß, kann man versuchen, seine Ereignisse bewusst so zu gestalten, dass sie auf einer positiven Note enden, damit man sich später gut daran erinnert. Unter anderem kann mal wohl schmerzhafte Operationen dadurch verbessern, dass man Menschen nach dem Ende der eigentlichen OP noch durch etwas ein angenehmes Gefühl verursacht. Denn als Erinnerung bleibt dann: Eine Weile tat es weh, aber dann wurde es gut. (Das ist meiner Ansicht nach übrigens auch der Grund, warum Statistiken zeigen, dass Menschen mit Kindern zwar insgesamt gesehen weniger häufig glücklich sind als solche ohne, aber am Ende ihres Lebens meist das Gefühl haben, ein erfüllteres Leben gehabt zu haben.)
3. Hör auf von jedem gemocht werden zu wollen, du magst doch auch nicht jeden.
Das war einfach nur eine alberne Instagram-Kachel. Der Spruch ist vermutlich sehr alt. Aber ich kannte ihn noch nicht und er hat irgendwie ein “Hm, so hab ich da noch nie drüber nachgedacht” in mir ausgelöst. Natürlich handle ich nicht danach (könnt ihr mich bitte mögen?), aber ich denke immer wieder daran.
4. Menschen empfinden Belastungen unterschiedlich
Diese Erkenntnis entsprang einer Übung, die ich mal bei einer Fortbildung gemacht habe. Alle Teilnehmenden bekamen kleine Kärtchen in die Hand, auf denen Dinge standen, die einen belasten können, körperlich und psychisch. Verschiedene Sorten von Stress und Schmerzen, ich kann mich an die Details nicht mehr erinnern. Wir wurden dann gebeten, uns mit der Einschätzung unserer Karte auf einer Linie einzusortieren, die von “keine Belastung” bis “sehr hohe Belastung” reichte. Plot Twist: Immer zwei Teilnehmende hatten die gleiche Karte, hatten sich aber sehr häufig an ganz unterschiedlichen Stellen in der Skala aufgestellt.
Es mag eine banale Erkenntnis sein, dass Schmerzen im linken Fuß oder eine drängende Deadline für den einen keine große Sache sind und den anderen völlig verrückt machen, aber mir schadet es nie, es mir immer wieder bewusst zu machen, egal ob in privaten oder beruflichen Kontexten. Nur weil mir etwas nichts ausmachen würde, kann es trotzdem sein, dass du deswegen gerade nichts auf die Reihe kriegst … und das ist okay! Es gibt keine objektiven Kriterien dafür, wie belastend etwas ist. Die dadurch ausgelösten Gefühle sind aber in jedem Fall real und verdienen es, respektiert zu werden.
5. Was weg ist, ist weg – die Sunk Cost Fallacy
Die “Sunk Cost Fallacy” stammt aus den Wirtschaftswissenschaften. Menschen neigen dazu, Geld, das sie durch schlechte Investitionen verloren haben, hinterherzuweinen und deswegen noch mehr Geld hineinzustecken, damit sich die ursprünglichen Investitionen nach ihrem Gefühl gelohnt haben. Aber: Das verlorene Geld ist weg. Es kommt nicht zurück. Menschen sollten ihre Investitionsentscheidung zu jedem Zeitpunkt möglichst danach treffen, was genau in diesem Moment richtig ist.
Dieses Modell lässt sich auf sehr viele andere Lebenssituationen übertragen. Falsche Entscheidungen aus der Vergangenheit lassen sich nicht dadurch berichtigen, dass man sie aushält. Es bringt zum Beispiel nichts, in toxischen Beziehungen zu bleiben, damit sich die schlechte Zeit wenigstens gelohnt hat. Die guten und schlechten Zeiten, die man zusammen hatte, bleiben, auch wenn man sich trennt. Wenn man Fehler gemacht hat und das erkennt, sollte man sich also lieber umentscheiden. Das Durchhalten dankt einem später niemand. Zum ersten Mal ist mir diese Idee übrigens bei Planet Money begegnet.
6. Der “Lehrerich” wäre die Lösung der Genderproblematik
Diese Erkenntnis stammt aus einem Blogbeitrag von Antje Schrupp, die sich aber ihrerseits auf Luise Pusch bezieht. Sie ist etwas komplizierter und ich will versuchen, sie so kompakt wie möglich zu beschreiben. Die Diskussion um Gendersternchen und andere “Sichtbarmachungen” von männlichen und weiblichen (und hier auch tatsächlich auch nur diesen binären) Personen wird ja gerne damit gekontert, dass das “generische Maskulinum” bereits beide Formen enthalte, da es nur vom grammatikalischen Geschlecht, nicht aber vom biologischen Geschlecht her männlich sei.
Schrupp stellt nun die These auf, dass es die Konterer einfach ärgert, dass sie, die Männer, sich überhaupt als eigene Kategorie begreifen müssen, denn ihre, die männliche Form, ist ja im Gegensatz zur weiblichen (“-innen”) gar nicht extra markiert. Die “Lösung” für die Diskussion wäre also, das generische Maskulinum tatsächlich als “neutrale” Form zu etablieren, aber Männer und Frauen beiderseits zu markieren. Also: Der Lehrer (neutral), die Lehrerin (weiblich), der Lehrerich (männlich). In eine ähnliche Richtung gehen Thomas Kronschlägers Überlegungen zur Etablierung einer echten neutralen Form wie “Lehrys”. In einer utopischen Welt wäre das meine ideale Auflösung dieser ätzenden Debatte.
7. Vor dem Schlafengehen Fiction lesen
Das stammt aus irgendeiner Liste, die ich nicht mehr finde. Sie enthielt Tipps zum “besseren” Lesen, aber dieser Ratschlag ist hängengeblieben. Eine Weile habe ich vor dem Schlafen gerne noch journalistische Artikel und Blogeinträge gelesen, aber das führte nur dazu, dass ich dann bei gelöschtem Licht über sie nachdachte. Seit ich damit aufgehört habe, und vor dem Zubettgehen wirklich nur noch Bücher, am besten fiktionale Bücher, lese, schlafe ich deutlich besser und ruhiger ein.
8. Hinterfragen statt Beschreiben und Bewerten
Während meiner Arbeit für das “Service-Portal Integration” der Stiftung “Haus der kleinen Forscher” hatte ich die große Freude, einem Gespräch mit Frauke Hildebrandt, Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der FH Potsdam, beizuwohnen. Darin ging es unter anderem darum, dass Eltern und Kinder, aber auch Erwachsene untereinander, einen großen Teil ihrer Gespräche damit verbringen, nur zu beschreiben, was ihnen passiert ist und das dann zu bewerten (“Ich habe heute einen Blogbeitrag gelesen, den fand ich ganz gut”).
Sehr viel weniger Zeit verbringen wir damit, zu überlegen “warum die Dinge sind wie sie sind, und ob sie nicht auch anders sein könnten”, wie sie es ausdrückt. Das ist aber die Grundlage dafür, überhaupt nachzudenken und eigene Gedanken zu entwickeln, und wir tun es viel zu wenig, vor allem in Gesprächen.
Bei mir ist dabei vor allem hängengeblieben: Wenn ich ein gutes Gespräch führen will, das mich auch innerlich zufriedenstellt, sollte ich im Gespräch irgendwann an einen solchen Punkt kommen, wo man sich gemeinsam Gedanken macht. Sonst hat man sich nur upgedatet und nicht nachgedacht.
9. Durch Sport nimmt man nicht ab
Diese Erkenntnis stammt aus dem Podcast Science Vs. Für die meisten Menschen ist “Bewegung” untrennbar mit “Abnehmen” verbunden. Stimmt aber nicht. Man müsste absurd viel Sport treiben, um damit eine ansonsten ungesunde Ernährung auszugleichen (Ich vereinfache enorm). Sport als Weg zu einem schlankeren Körper funktioniert also nur bei einer gleichzeitigen Ernährungsumstellung.
Aber selbst wenn man davon nicht abnimmt, lohnt es sich trotzdem enorm, Sport zu treiben, einfach weil es wahnsinnig gesund für den Körper ist, das Risiko aller möglichen Erkrankungen reduziert und uns hilft, länger fit zu bleiben. Für mich ist das tatsächlich die bessere Motivation, habe ich festgestellt. Sonst höre ich immer irgendwann wieder auf, weil ich ja doch nicht abnehme. Aber wenn ich das Gefühl habe, ich tue mir gerade etwas Gutes, macht es meistens sogar Spaß (und ich ärgere mich nicht so, wenn ich mal keine Lust habe).
10. Deswegen … Aber
Zum Schluss ein Schreibtipp, der bei mir hängengeblieben ist. Ich habe ihn im Buch Screenwriting 101 von Film Crit Hulk gelesen. Er schreibt ihn Trey Parker und Matt Stone, den Schöpfern von South Park, zu, aber vielleicht ist er auch älter. Ich erinnere mich an sonst nichts aus dem Buch, aber die Tatsache, dass Parker und Stone empfehlen, jede Szene sollte an die vorhergehende entweder mit “deswegen” (“therefore”) oder “aber” (“but”) anschließen und möglichst nie nur mit “und dann”, hat sich tief in meine Seele gebrannt.
Parker und Stone empfehlen diese kausale Logik für fiktionale Texte, aber sie lässt sich genauso gut auf nichtfiktionales Schreiben anwenden. Wenn ein (Sinn-)Absatz auf den nächsten mit einem “deswegen” oder “aber” folgen kann, argumentiere ich eigentlich immer besser, finde ich, als wenn ich nur aufzähle (wie in diesem Artikel, haha). Ich habe an mir bemerkt, dass ich meine Texte, wann immer möglich, so strukturiere, seit ich davon weiß.
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