Das Ertragsgesetz der Cornetto-Trilogie

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Das “Ertragsgesetz”, erklärt die Wikipedia, ist ein wirtschaftliches Modell.

Insgesamt bietet dieses Modell ein besonders anschauliches (didaktisches) Konzept, Relationen von Einsatz (Input) und Ertrag (Output) zu beschreiben. Im Alltag wird schnell klar, eine Arbeit wird zunächst schneller verrichtet, wenn „einige zusammen anpacken“ (Arbeitsteilung), aber mit weiter steigender Anzahl von Beteiligten nimmt die Effizienz ab und es wird vielleicht sogar weniger erreicht („Viele Köche verderben den Brei“).

Die englische Version der Seite, wo das Ganze etwas klangvoller “Diminishing Returns” heißt, ergänzt: “The use of fertilizer improves crop production on farms and in gardens; but at some point, adding more and more fertilizer improves the yield less per unit of fertilizer, and excessive quantities can even reduce the yield”. Ich fasse zusammen: Mehr ist nicht gleich Mehr.

Helden der Nerdherzen

Die inhaltlich kaum zusammenhängenden Filme der “Cornetto-Trilogie” des “Spaced”-Teams um Edgar Wright (Regie, Drehbuch), Simon Pegg (Drehbuch, Hauptrolle), Nick Frost (1. Nebenrolle) und – gerne vergessen – Nira Park (Produktion) gehören zu den Angebetetsten Filmen, die die letzte Dekade hervorgebracht hat. Sie sind Genrefilme ohne in überflüssige Konventionen abzudriften, sie sind Komödien, deren Witz eine gewisse Intelligenz innewohnt, und sie haben eine gesunde Prise Gefühl – eine Kombination, die Nerdherzen weltweit erobert hat und sogar im Mainstream einigermaßen gut ankam. Mit The World’s End ist letzte Woche der dritte Teil der Reihe endlich in den deutschen Kinos gestartet. Ein grünes Cornetto (grün wie Aliens wie Science Fiction) hat einen Gastauftritt und (viele) Kritiker und Fans sind wieder einmal begeistert.

Ich kann mich dem nicht ganz anschließen. Mag sein, dass The World’s End reifer und vielschichtiger ist als seine Vorgänger, wie ich an verschiedenen Stellen gelesen habe. Doch denken wir auch mal an das Ertragsgesetz zurück. Und an Shaun of the Dead, den ersten Kinofilm der Truppe.

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Ein fast perfekter Film

Ich halte Shaun of the Dead in vielerlei Hinsicht für einen fast perfekten Film, mit Sicherheit aber für die beste Komödie der letzten zehn Jahre. Das liegt zum einen an der oben genannten Mischung aus Genre-Elementen (hier: Zombies), Humor, der nie in die reine Parodie abdriftet, und echtem Gefühl. Shaun wechselt von Laut-Loslachen-Witzig (“Don’t stop me now”) im Handumdrehen zu Im-Hals-Steckebleiben-ernst (die eigene Mutter erschießen) und wirkt dabei nie lächerlich. Das Wie oder Warum der Zombies wird nie erklärt, weil es darum nicht geht. Es geht darum, eine menschliche Geschichte zu erzählen, die sich vor dem Hintergrund einer katastrophalen Situation entfaltet.

Der erste Akt des Films endet damit, dass Shaun – frisch von der Freundin verlassen und vom Mitbewohner unter Druck gesetzt – betrunken in der Küche zusammensackt und auf das dortige Whiteboard kritzelt: “GET LIZ BACK – GO ROUND MUM’S – SORT LIFE OUT”. Und um nichts anderes geht es in dem Film, an dem kein Gramm Fett zu viel ist. Das Markenzeichen von Regisseur Edgar Wright ist der dynamische Übergang, der ihn nahtlos von einer Szene in die nächste gleiten lässt, und auch wenn er seinen Stil bei Shaun of the Dead noch nicht so hervorkehrt, wie etwa später bei Scott Pilgrim vs The World, ist es dennoch bemerkenswert, wie flüssig Shaun wirkt. Es geht um die Reise einer Person, die versucht ihr Leben in den Griff zu bekommen. Alles was passiert dient diesem Zweck. Alle Charaktere unterstützen Shauns Reise vom duckmäuserischen Loser zum (wenn auch nicht erfolgreichen) Anführer, was man alleine daran sieht, dass Shaun die einzige Figur ist, die eine Entwicklung durchmacht. Der Film braucht dafür 99 Minuten und 4 Millionen Pfund. Ein Lehrstück in Ökonomie.

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Doppelt so teuer und 20 Minuten länger

Zum Vergleich: Der zweite Film des Teams, Hot Fuzz, kostete doppelt so viel Geld und ist zwanzig Minuten länger. Er beginnt mit einem Whodunnit-Plot im lauschigen Dörfchen Sandford, für den der frisch versetzte Polizeisergeant Nicholas Angel (gemeinsam mit dem Zuschauer) zunächst eine schrecklich komplizierte Lösung zusammenfabuliert, nur um dann eher durch Zufall über den wahren Grund für die untersuchte Mordserie zu stolpern. Doch damit nicht genug. Anschließend muss Hot Fuzz noch zwei separate Showdowns – einen Shootout und ein Mano-a-Mano-Grudge-Match – hinterherschieben und ein Haus in die Luftjagen, bevor er ein Ende findet.

Mit jeder Sichtung von Hot Fuzz entdecke ich neue, clevere kleine Einfälle, die mir beim letzten Mal noch nicht aufgefallen waren. Der Mystery-Plot der ersten anderthalb Stunden ist ein faszinierend komplexes Puzzle mit über zwanzig Sprechrollen (mit sprechenden Namen), dutzenden Locations und unzähligen Indizien. Außerdem geht es noch darum, wie Nicholas Angel und sein Buddy Danny Butterman als Team zusammenwachsen. Danny verbringt viel Zeit damit, Nicholas von den Vorzügen des amerikanischen Actionkinos im Vergleich zu britischer Nüchternheit zu überzeugen, und als er ihn endlich überzeugt hat, dreht der Film seinem komplexen Mysterium eine lange Nase und geht frech zur (vergleichsweise) gewaltigen Materialschlacht über.

Hot Fuzz hat also von allem mehr als Shaun. Mehr Schauwerte, mehr Cleverness, mehr versteckte Gags für wiederholte Sichtungen, mehr Schichten. Doch das Ertragsgesetz schlägt unbarmherzig zu, und obwohl Hot Fuzz ein sehr guter, bewundernswerter Film ist – den ökonomischen kairos von Shaun erreicht er nicht. Bei so viel Film fällt es nämlich manchmal schwer, sich auf die persönliche Reise der beiden Hauptfiguren zu konzentrieren.

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Das erste Ensemblestück

Und nun The World’s End. Zwölf Minuten kürzer zwar als Hot Fuzz, aber dafür erneut doppelt so teuer wie der direkte Vorgänger. Und obwohl Simon Peggs Gary eigentlich die Hauptfigur dieser Fabel über das Erwachsenwerden bei gleichzeitiger Selbsttreubleibung ist, haben Wright und Pegg auch zum ersten Mal ein Ensemblestück geschrieben. Jeder der Fünf Freunde im Zentrum der Geschichte bekommt seinen eigenen Story Arc und sein eigenes Geheimnis spendiert, das er bei geeigneter Gelegenheit auspacken kann. Zusätzlich gibt es sogar noch ein Liebesdreieck zwischen Gary, Paddy Considines Peter und Rosamund Pikes Sam.

Die persönliche Geschichte zwischen Pegg und Frost funktioniert diesmal wieder erstaunlich gut und hat echte emotionale Resonanz. Drumherum jedoch wird ein Feuerwerk aus Effekten, Musik und Action abgefackelt, dass einen diese Menschlichkeit manchmal vergessen lässt. Und The World’s End entwickelt streckenweise Eigenschaften, die Shaun of the Dead nie passiert wären: Redundanz, Egoismus und Inkonsistenz.

Spoiler-Sektion

Ein paar Beispiele (und wer den Film noch nicht gesehen hat, sollte vielleicht den nächsten Absatz überspringen): Bei der ersten Begegnung mit den Blanks, die ihre Heimatstadt übernommen haben, liefern sich die fünf Jungs eine ziemlich spektakuläre Prügelei in der Herrentoilette, die mit Hilfe von langen Takes und genau durchdachten Kameramoves eine beachtliche Dynamik entfaltet. Warum also muss sich diese Szene ein paar Pubs weiter wiederholen, ohne nennenswerte Veränderung der Vorzeichen? Die Clubszene im “Mermaid” muss narrativ nur minimale Funktionen erfüllen – drei der Jungs müssen lange genug abgelenkt sein, damit Steven die Wahrheit erfahren kann – und die Blanks brauchen die DNA, um die Kopien herzustellen. Wofür dann die aufwändige, lange Tanz- und Fummelszene – außer für “Fanservice”? Ergibt der Plan der Aliens eigentlich wirklich einen Sinn? Sie wollen die Menschheit freundlich unterjochen und nur wer sich weigert wird ausgetauscht. Warum genau? Und ist die Starbuckisierung wirklich mit dieser Strategie vergleichbar, oder ist das nur eine wohlfeile Anti-Establishment-Metapher? Schließlich und endlich gratuliere ich dem Team zur Chuzpe, das “World’s End” tatsächlich eintreten zu lassen. Aber es wirkt schon ein wenig schlampig, dafür den Voiceover-Erzähler zu wechseln und weitgreifende Veränderungen in einem kurzen Monolog abzuhandeln, den die am Feuer Sitzenden eigentlich gar nicht brauchen, weil sie die Realität doch selbst kennen.

Scheitern auf hohem Niveau

The World’s End war ein faszinierender, ambitionierter Film voller guter Ideen, aber nach dem Ertragsgesetz berechnet ist er auf hohem Niveau gescheitert. Er ist einfach, genau wie Hot Fuzz, weit entfernt von der perfekt austarierten Input-Output-Kalkulation von Shaun of the Dead. Aus deutlich mehr Input kann der dritte Teil der Cornetto-Trilogie trotzdem weniger Output generieren, genau wie zuviele Helfer beim Lösen einer Aufgabe oder zu viel Dünger auf einem Feld.

Wirklich vorwerfen kann man Künstlern wohl nicht, dass sie mit gesteigerten Mitteln und wachsendem Alter den Erfindungsreichtum vergangener Tage nicht exakt replizieren können, vor allem, wenn sie sich nicht wiederholen wollen (Pixar kämpft derzeit mit dem gleichen Problem). Schade ist es trotzdem. Aber – sagen wir es mal so – The World’s End ist deswegen noch lange nicht das Ende der Welt.