Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Sunshine (2007)

Dass ich 2007 einen etwas ungewöhnlichen Film als Nummer 1 meines Jahresfilmkonsums festlege, ist kein Zufall. für den ich mich selbst damals schon ein bisschen vor mir selbst rechtfertigen musste. 2007 beendete ich mein Studium der Filmwissenschaft und entschied mich dafür, mein Glück an einer Promotion zu versuchen – über Danny Boyle, den Regisseur von Sunshine, der mir so gut gefallen hatte, dass ich dachte, ich könnte es wagen (warum es nicht geklappt hat, ist eine andere Geschichte).

Tatsächlich aber halte ich Sunshine auch heute noch für einen der besten Science-Fiction-Filme des letzten Jahrzehnts. Er verbindet den “sense of wonder” von Klassikern wie 2001 mit dem psychologischen Schrecken des ersten Alien-Films und er macht das ziemlich gut. Im Kino hat es mich beim Ansehen enorm in den Sitz gedrückt. Seine Schwäche liegt leider im dritten Akt seines Drehbuchs (von Alex Garland). Sobald die Crew der Icarus auf ihren zum Gottesanbeter gewordenen Vorgänger trifft, driftet die Geschichte manchmal etwas auseinander, der finale Kampf erschließt sich dem Zuschauer nur noch sehr spärlich.

Das ändert nichts an den tollen Bildern, sowohl außerhalb als auch innerhalb des Schiffs, der guten Musik und einem Cast, den ich in seiner Zusammensetzung der Original-Alien-Crew durchaus ebenbürtig finde: Cillian Murphy, Michelle Yeoh, Chris Evans, Rose Byrne, Hiroyuki Sanada.

Aber ich würde Sunshine heute nicht mehr als den besten Film des Jahres 2007 bezeichnen. Diese Ehre geht mit Abstand an There Will Be Blood, Paul Thomas Andersons furiose Schlacht um Öl und Wahnsinn, die mich – als ich den Film dann endlich gesehen hatte – doch stark beeindruckt hat und sicherlich länger halten wird als jener andere sehr gute Film, der den Academy Award mit heim nehmen konnte: No Country for Old Men. Sehr clever und sehr gut war auch Zodiac von David Fincher, der von der Award Season ein bisschen vernachlässigt wurde.

2007 war ein Jahr, in dem die unterschiedlichsten Sachen gut waren. Marjane Sartrapis hervorragender Zeichentrickfilm Persepolis zum Beispiel, Robert Thalheims Am Ende kommen Touristen (allein wegen des Titels), aber auch Hairspray und Enchanted, die quietschigsten Bonbon-Filme der letzten Zeit, und Hot Fuzz, der nur ein bisschen zu verquast ist, manchmal.

Tolle Bilder gab es auch bei The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford (mit einem großen Brad Pitt) und bei Across the Universe, der viele geniale Beatles-Arrangements vorweist aber eben leider nur eine Art Nummernrevue ist. Wahnwitzige Bilder zeigte auch 300, der die Technik von Sin City perfektionierte, nicht ohne allerdings den Faschist-O-Meter noch ein paar Rasten weiterzudrehen.

Unter die Haut gingen mir Le Scaphalage et le Papillon (wahnsinnig gut!) und The Kite Runner, bei dessen Steinigungsszene ich im Kino richtiggehend zusammengezuckt bin. Zwei Komödien standen bei den Kritikern 2007 hoch im Kurs und während ich Knocked Up ebenfalls sehr gut fand, nervte mich Juno wegen seiner abgegriffenen Indie-Klischees leider extrem.

Zwei Award-Season-Filme fehlen zum Schluss noch: Ratatouille setzte für mich leider die Serie der schwächeren Pixar Filme fort (an den Haaren Ziehen? Was soll denn der Quatsch?) und Atonement war eine gelungene Romanadaption mit gut geführten und wohl besetzten Schauspielern.

Dieser Beitrag ist Teil 8 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Oscarnachbetrachtung

Mit dem Ergebnis der Oscars kann, so denke ich, jeder Filmjournalist zufrieden sein. Auch wenn ich Slumdog Millionaire persönlich nicht für den besten Film des Jahres 2008 halte, hat hier doch zumindest ein wirklich guter Film gewonnen – von einem Regisseur (Danny Boyle), der seit Jahren immer wieder clevere, mutige Filme aus allen Genres realisiert hat, allen voran seine beiden SF-Ausflüge 28 Days Later und Sunshine. Und auch für seine globale Vision hat der Film seine acht Oscars verdient. Mit Sean Penn wurde bei den Darstellern überraschend nicht Mickey Rourke ausgezeichnet, aber dennoch eine solide und wiederum mutige Performance geehrt, und Kate Winslet hat in The Reader vielleicht nicht ihre beste Rolle gespielt, ist aber prinzipiell eine Schauspielerin, die jeden Film veredeln durch ihre Beteiligung veredeln kann.

Unverständnis rief bei mir nur der Oscar für den besten Nebendarsteller hervor, der an Heath Ledger ging. Unabhängig davon, dass sich darüber streiten lässt, ob Ledgers Performance nun die beste der fünf Nominierten war, halte ich postume Preise in einem Konkurrenzumfeld generell für Unfug. Dass man eine gute Leistung auch nach dem Tod des Betroffenen noch anerkennt ist eine Selbstverständlichkeit. Aber selbst davon abgesehen, dass der tragische Tod einer Person ihr bei Juroren vermutlich generell ein paar Sympathiebonuspunkte einbringt, bewirkt die Verleihung eines Preises an jemanden, der nicht mehr am Leben ist schlicht, dass sich (in diesem Fall vier) lebendige Menschen, die ebenfalls gute Leistungen erbracht haben, nicht über einen Preis freuen können – obwohl sie vermutlich mehr davon gehabt hätten. Gerade die Entscheidungen der Academy gelten inzwischen kaum noch jemandem als ernsthafte Prämierung der “besten” Leistungen, sind aber nach wie vor einer der größten “Selling Points” in der Filmindustrie für die zukünftige Karriere von Schauspielern, Produzenten und anderen Filmschaffenden. Josh Brolin oder auch Michael Shannon, dessen Auftritt in Revolutionary Road zu den besten Momenten des Films gehört, hätten ihren Oscar also vielleicht etwas besser gebrauchen können, als Ledger (der auch vor The Dark Knight, spätestens seit Brokeback Mountain, schon ein “gemachter” Schauspieler war).

Glückwunsch übrigens an den einzigen deutschen Gewinner des Abends, Jochen Alexander Freydank für seinen Kurzfilm Spielzeugland. Ein Film mit Nazis und kleinen Kindern – ich denke, er wusste, dass er damit bei der Academy gute Chancen haben würde.