es ist so schön, wieder in Mittelerde zu sein.”
– Ich zitiere mich selbst, weil ich es kann
Der Hobbit erobert derzeit nicht nur überall die Kinokassen, er erhitzt auch die Gemüter. Ein großer Teil dieser Erhitzung ist auf seinen Einsatz von HFR 3D zurückzuführen, was manche als Verrat am Kino empfinden, andere (darunter ich) als endlich eine angenehme Art, 3D zu genießen. Doch fast genauso viel Zorn hat der Film auf sich gezogen, weil er Randals Spott über die Herr der Ringe-Triolgie in Clerks 2, “All it was, was a bunch of people walking”, in die Hände zu spielen scheint. Bilbos Worte aus The Fellowship of the Ring, er fühle sich wie “Butter, die auf zu viel Brot verstrichen wurde”, mussten nicht nur einmal herhalten, um die Probleme des neuen Mittelerde-Filmkapitels auf den Punkt zu bringen.
Ich mochte den Film trotzdem, oder gerade deswegen. Gut, ich denke ich hätte ohne den doppelten Prolog leben können, der sich etwas zu sehr bemüht, die Hobbit-Filme an die Herr der Ringe-Trilogie anzudocken, aber davon abgesehen habe ich mich im Kino nie gelangweilt, denn schließlich gab es ständig genug zu staunen, zu fiebern und zu lachen.
Das bizarre Biest Hobbit
Und doch hat mich das Ganze ins Grübeln gebracht. Man muss mal einen Schritt zurücktreten und dieses Projekt Hobbit-Trilogie mit etwas Abstand betrachten, um zu sehen, was es eigentlich für ein bizarres Biest ist, das Peter Jackson erschaffen hat. Grundlage der Filmtrilogie, deren Kinofassung vermutlich insgesamt etwa achteinhalb Stunden Laufzeit haben wird, ist ein (in der Originalausgabe) 310 Seiten starkes Kinderbuch und etwa 50 weitere Seiten Anhänge des “Herrn der Ringe”. Doch die Filme sind noch gar nicht fertig, sie sind nur die Grundlage für zu erwartende “Extended Editions”, die jedem Film vermutlich noch einmal mindestens zehn bis zwanzig Minuten hinzufügen werden. Und eigentlich sind sie nicht mal wirklich Filme, sie sind nur eine Art Ur-Text für ein Marken-Universum aus Merchandising-Artikeln und Anschau-Ritualen für die kommenden Jahre, hinter dem sich ein weiteres Universum aus Neuseeland- und Weta-Mythologie verbirgt, aus Making-Ofs und Anekdoten, aus Tourismus und Staatshaushalten.
So werden Hollywood-Filme heute gemacht. Und man muss sich immer wieder bewusst machen, wie ungeheuerlich es ist, dass ein Filmstudio einem einzelnen Mann und seinem Team einen neunstelligen Geldbetrag in die Hand drückt, um im Grunde ein Kunstwerk zu schaffen – in der Hoffnung, damit eine Geldlawine loszutreten. Man – und damit meine ich insbesondere jene, die das ganze Jahr über das Ende des Kinos beschrien haben – man muss sich bewusst machen, wieviel Macht heutzutage einem Film innewohnen kann.
Und dann muss man sich vorstellen, ob ein Film wie The Hobbit vor 15, 20 oder 30 Jahren hätte entstehen können. Ein Film, der aus vergleichsweise wenig Geschichte ungeheure Schauwerte strickt. Der sich aber gleichzeitig traut, zu erzählen wie ein Roman oder eine Fernsehserie, nicht wie ein traditioneller Kinofilm. Der mit einer Technologie in die Kinos kommt, die noch nirgendwo zuvor ordentlich ausgetestet wurde. Der in einer fantastischen Parallelwelt spielt und zu dessen Hauptfiguren 13 (!) bärtige Personen mit Namen wie Dori, Ori und Nori zählen. Der vollständig abseits des Hollywood-Kontrollsystems am anderen Ende der Welt entsteht. Dessen bekannteste Darsteller britische Fernseh- und Bühnenmimen sind und dessen größtes Verkaufsargument der Erfolg seiner Vorgängerfilme ist. Hätte so ein Film entstehen können? Fast immer wird die Antwort “Nein” lauten. Die Ausnahme heißt wahrscheinlich Star Wars.
Mehr als zwei sind ein Trend
Und doch ist ein Film wie The Hobbit heute nur die extremste Form eines Trends, die im Filmjahr 2012 vielleicht so deutlich wie noch nie zutage getreten ist. Marvel’s The Avengers: ein zweieinhalbstündiges Ensemblestück, das die B-Mannschaft von Marvels Superheldenriege gegen eine charakterlose Alien-Armee antreten lässt, nachdem zuvor jede de Hauptfiguren in einem eigenen Film vorgestellt wurde. The Dark Knight Rises: 165 Minuten, in denen ein grüblerischer alter Mann in epischer Breite gegen einen Feind kämpft, dessen Gesicht man nicht sehen und dessen Stimme man kaum verstehen kann. Prometheus: Ein Regisseur kehrt über 30 Jahre später zu dem Genrefilm zurück, der ihn groß gemacht hat, und verpasst ihm eine aufgeblähte Vorgeschichte, die wahlweise mystisch oder schrecklich unlogisch ist.
John Carter: Die 250-Millionen-Dollar-Verfilmung eines Schundromans aus den 30ern, der angeblich alle anderen Welten inspiriert hat, den aber nur eingeweihte Hardcore-Fans kennen, von einem Regisseur, der noch nie einen Realfilm gedreht hat. Battleship. Twilight: Breaking Dawn – Part 2. Sherlock Holmes: A Game of Shadows. Die Liste ließe sich vermutlich noch eine Weile weiterführen, besonders wenn man die letzten paar Jahre dazunimmt.
Das Dunkel Erhellen
Auch wenn mir vermutlich jeder Kunsthistoriker dafür aufs Dach steigt: Ich sage, wir befinden uns 2012 im Mainstreamkino in einem barocken Zeitalter des Filmemachens. Alles ist größer als notwendig, von scheinbar epischer Bedeutung, unendlich verziert, dekadent und wunderbar bunt anzusehen. Fantasie und Phantastik regieren. Kunst hat Macht, doch sie nutzt sie nicht dazu, die Gesellschaft zu verändern, sondern ihren unstillbaren Hunger nach Spektakel zu stillen. Filmgattungen (Animation und Realfilm, Dokumentar- und Spielfilm), Filmbranchen (Kamera, Schnitt und Effekte) und Medienformen (Fernsehen, Videospiele, Kino) fließen ineinander zu einem einzigen, dickflüssigen Unterhaltungsbrei, der irgendwie das Dunkel erhellt.
Die Kulturpessimisten mögen das nicht. Sie fordern Relevanz und Realismus, mehr Brot und weniger Kuchen. Ich sage: Das Kino war noch nie so frei wie heute. Lasst uns den Tanz auf dem Vulkan genießen, so lange wir noch können, und die mannigfaltigen Blüten preisen, die dieses Kino hervorbringt. Filme wie Cloud Atlas oder Holy Motors, die sich nicht zu schade dafür sind, 100 Jahre Kinogeschichte und 4000 Jahre westliche Kulturgeschichte in einem abgeschlossenen Stück Kino zusammenzupressen.
Denn ihr wisst, was als nächstes kommt: Revolution und Krieg, Enthauptung der Machthaber und der sogenannte “Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen”. Sämtliche Triebe werden unterdrückt. Die Kunst zieht sich in die Natur zurück, heult vor sich hin und malt Seerosen. Das kann doch niemand ernsthaft wollen.