Die Missverstandenen. Das Kino der Wachowskis.

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Jupiter Ascending

Ich habe bis zum letzten Drittel von Jupiter Ascending gebraucht, bis ich mir sicher war. Dort wird ein Charakter gefoltert, und zwar, indem sich ihm auf einer Streckbank eine Maschinerie nähert, wie sie ineffektiver nicht sein könnte. Viele kleine Zahnräder, Klingen und Sägeblätter an mechanischen Ärmchen bewegen sich auf das Gesicht der Figur zu – ungefähr so, wie sich ein zehnjähriges Kind die Foltermethoden eines Bösewichts vorstellt. Also logisch: wer immer das hier inszeniert hat, kannn das alles gar nicht ernst meinen.

Ich hätte mir auch schon früher sicher sein können, an den dutzenden Stellen, wo Jupiter Ascending jeden Anspruch auf “ernsthafte” Science Fiction aufgibt und sich voll und ganz Elementen von Farce und Groschenheftromanze oder einfach nur dem Gefühl hingibt, eines Nachts alleine im Spielparadies eingesperrt zu sein und die epischste, grenzenloseste Geschichte aller Zeiten zu spielen, ohne dass einem jemand reinredet.

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Jupiter Ascending

Mit Terry Gilliam ist eigentlich alles gesagt

Als Mila Kunis’ Jupiter Jones entschieden hat, dass sie den königlichen Familienanspruch antreten will, von dem ihr Channing Tatums Wolfmensch-“Splice” erzählt hat, muss sie sich in der Hauptstadt des galaktischen Reiches durch eine absurde Bürokratielawine kämpfen, um am Ende von einem nur entfernt menschlichen Wesen ihre Beurkundung abzuholen. Gespielt wird dieser Notar von Terry Gilliam. Und damit ist eigentlich alles gesagt.

Wären die Dinge nur ein wenig anders gelaufen, Andy und Lana Wachowski könnten heute auch Terry Gilliam sein. Filmemacher, deren waghalsige Fabeln von der Liebe zur “Weirdness” und von ihrem Einfallsreichtum leben, von der Transgression und von dem Gefühl, etwas zu sehen, was man als Zuschauer niemals ganz durchdringen wird. Und deren Filme es gleichzeitig extrem schwer haben würden, überhaupt zu entstehen, weil jeder Finanzmensch weiß, dass sie kaum massenmarkttauglich sind.

Das explosive Zeitgeistgemisch

Bound, der erste Film der Wachowskis, war so ein Film. Klein, übersehbar, schon allein durch seine homosexuelle Lovestory mit BDSM-Einschlag irgendwie grenzüberschreitend, aber eindeutig mit einer starken Autor_innenstimme gesegnet. Doch dann schufen die Geschwister The Matrix und damit einen der wichtigsten und größten Blockbuster des ausgehenden 20. Jahrhunderts, der Cool und Weird auf so explosive Weise zu einem Zeitgeistgemisch verband, dass ihnen in der Folge so ziemlich alles zugetraut wurde.

Darin liegt der Fehler, und das ist auch der Grund, warum man vielen Filmliebhabern (inklusive mir) über die letzten 15 Jahre langsam dabei zuschauen konnte, wie sie von Wachowski-Fans zu Wachowski-Apologeten werden mussten. Die Wachowskis sind keine Blockbuster-Filmemacher. Sie sind Underground-Künstler mit einem eigentlich sehr beschränkten Rezipientenkreis, die sich durch den Matrix-Erfolg eher zufällig den Blockbuster mit neunstelligem Budget als ihr Medium ausgesucht haben.

Was zur Hölle haben sie sich gedacht?

Lange war die Frage “Was zur Hölle haben die sich eigentlich dabei gedacht?” nur schwer zu beantworten, weil die Geschwister notorisch öffentlichkeitsscheu waren und sich weigerten, ihre Filme zu erklären. Erst als sie für ihr Herzensprojekt Cloud Atlas 2013 an der Seite von Tom Tykwer ihre Fördergelder rechtfertigen mussten, wagten sie sich regelmäßig vor Mikrofone, und wenn man ihnen zuhört merkt man, dass hier ganz bestimmt keine abgebrühten Hollywood-Business-Faschisten am Werk sind wie Zack Snyder, auch keine einfachen Kellerkind-Nerds, denen man endlich den streng kontrollierten Schlüssel zur Franchise-Schatzkiste gegeben hat wie Joe und Anthony Russo, sondern Gegenkultur-Ästheten, die es irgendwie schaffen, immer wieder Mäzene zu finden, die bereit sind, ihnen große Summen Geld zu geben, um ihre wahnwitzigen Pop-Art-Projekte umzusetzen.

Mit diesem Wissen muss man alle ihre Filme, insbesondere aber alle Filme nach The Matrix lesen. Die beiden Matrix-Sequels Matrix Reloaded und Matrix Revolutions sind in dem Sinn keine Filme, sie sind Teil eines megalomanischen Worldbuilding-Projekts, das die Grenzen zwischen Film, Videospiel, transmedialer Rhizom-Erzählung und Medienkunst-Installation bewusst verschwimmen lässt.

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Matrix Reloaded

Das sind keine Filme

Deswegen wirken einige der spektakulären Setpieces aus den beiden Filmen eher wie Videospiel-Level, deswegen gibt es mehrere Charaktere, die keine klare Funktion im Voranschreiten des Plots zu erfüllen scheinen, deswegen endet Reloaded in einem gigantischen Cliffhanger, dessen philosophische Implikationen in Revolutions niemals wirklich aufgelöst werden. Das sind keine Filme, es sind sehr teure poststrukturalistische Meditationen – und ähnlich wie in weniger teuren poststrukturalistischen Meditationen der Vergangenheit kann man sich dabei nicht immer sicher sein, ob dahinter wirklich Substanz steckt oder der einfache Versuch, die Grenzen des Behauptbaren auszutesten.

Speed Racer, Film drei nach Matrix, ist eine der besten Übersetzungen des Zeichensystems und der Kinetik japanischer Comic- und Trickfilmkultur in den westlichen Realfilm, die man jemals sehen wird. Man muss die Rennszenen aus Speed Racer nur mit denen aus einem Streifen wie Rush vergleichen, um zu merken, welcher Film die Essenz eines Hochgeschwindigkeitsrennens wohl besser verstanden hat. Bei den Wachowskis werden Autorennen zu einer Metapher einerseits für einen brutalen Gladiatorenkampf, andererseits für den Eintritt in eine andere Welt ähnlich der Stargate-Sequenz am Ende von 2001: A Space Odyssey.

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Speed Racer

Die Überschreitung aller Regeln

Die simplistischen, bonbonfarbenen Szenen, die diese Rennen verbinden, die man kaum Handlung nennen kann und die nicht im herkömmlichen Sinne von “runden” Charakteren bevölkert werden, dienen nur dazu, die Überschreitung aller Kinoregeln irgendwie narrativ zu legitimieren. Man sollte auch nicht vergessen, dass die Vorlage für Speed Racer eine japanische Nachmittagsserie namens “Mach Go Go Go” ist, und dass im japanischen Mediensystem andere Regeln gelten als in Hollywood, wie etwa Henry Jenkins im Interview mit Ian Condry und Mark Steinberg herausgearbeitet hat.

John Gaeta, mit dem die Wachowskis im Visual-Effects-Bereich seit The Matrix immer wieder zusammengearbeitet haben, war 2008 mit Speed Racer auf dem Frankfurter eDIT-Festival zu Gast und ich erlebte, wie er sich einem fast schon feindseligen Publikum stellen musste, von dem er sich grundlegend missverstanden fühlte. Verzweifelt versuchte Gaeta zu verteidigen, dass es beim Filmemachen manchmal um mehr gehen sollte, als nur um eine zufriedenstellende Erzählung, nämlich um neue Arten sich künstlerisch auszudrücken, manchmal auch jenseits des Erklärbaren. Man kann daher Speed Racer, ähnlich wie den Matrix-Sequels, vorwerfen, dass er kein guter Hollywood-Film ist, ein Erlebnis ist er aber allemal.

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Speed Racer

“Zweimal alles, bitte”

Cloud Atlas, mit dem sich die Wachowskis gemeinsam mit Tom Tykwer 2012 nach einer längeren Pause zurückmeldeten, ist deutlich zugänglicher als Speed Racer, aber ein A-bis-Z-Film ist er deswegen noch lange nicht. Wichtiger als die einzelnen Handlungsstränge der sechs Erzählungen aus David Mitchells Matrjoschka-Roman, die der Film verwebt und selbst wichtiger als die universelle Message von Befreiung, Zeitenwende und Läuterung, die Cloud Atlas vor sich herträgt, scheint es den Filmemachern auch hier wieder zu sein, möglichst viele Elemente in ein einzelnes Gesamtkunstwerk zu packen.

“Zweimal alles, bitte”, scheint Cloud Atlas zu sagen, wenn er Postapokalypse, Kolonialismus, Science-Fiction, Romanze, Farce, Thriller, Spiritualität, ethnische und Geschlechteridentität und musikalische Philosophie in einen Drei-Stunden-Film presst. Mich persönlich hat dieser schillernde, sich ständig verändernde Rubikswürfel von einem Kinoprojekt extrem angesprochen, mit seinen Hollywood-Stars, die hinter den platonischen Ideen ihrer Charaktere zu verschwinden versuchen, doch vielen anderen Kritiker_innen war auch Cloud Atlas in seiner In-Your-Face-ness, die er trotz seiner vielen Ebenen besitzt, irgendwie zu flach.

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Cloud Atlas

Eine Verschwendung von 175 Millionen Dollar

Es ist dieser Vorwurf der letztendlichen Flachheit, die sich auch Jupiter Ascending wieder gefallen lassen muss. Der kritische Konsens, sowohl unter Filmkritiker_innen als auch beim Publikum scheint zu sein, dass Jupiter Ascending extravagant designt ist und sehr viel Spaß machen kann, wenn man ihn nicht ernst nimmt (wie er ja – siehe oben – meiner Meinung nach auch nicht verstanden werden will), aber letztendlich einfach auch irgendwie eine völlig behämmerte Verschwendung von 175 Millionen Dollar darstellt.

“We’re sort of oddities in that we keep making original movies”, sagt Lana Wachowski im Interview mit dem “L.A. Times”-Blog “Hero Complex”. Kommentator_innen haben ihr und ihrem Bruder längst vorgeworfen, dass Jupiter Ascending wohl kaum ein echtes “Original” sei, da es sich schamlos an allem bedient, was vor ihm kam, nicht zuletzt auch an The Matrix. Der wahre Punkt, auf den sie hinauswill, aber liegt im zweiten Teil ihrer Aussage, in dem sie feststellt, wir seien heute “more excited about a story we know the ending to” – wie das zunehmende Zurückgreifen von Hollywood auf Quellen, die sich bereits bewährt hätten, beweise.

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Jupiter Ascending

Die Legitimation der Missverstandenen

Die zentrale Frage ist, ob es wirklich genug ist, wenn sich Andy und Lana Wachowski und diejenigen, die ihre Arbeit schätzen, auf die Position der “Missverstandenen” zurückziehen. Brauchen Filme, die so viel Geld kosten und sich in vielerlei Hinsicht eben auch den Anstrich von Hollywood-Blockbustern und nicht von exzentrischen Kunstprojekten geben, eine Legitimation durch den Massenmarkt? Oder besitzen sie nur dann ein Existenzrecht, wenn sie besser ins Bild des kämpfenden Auteurs passen wie bei Gilliam oder den beiden Davids Lynch und Cronenberg, dessen eXistenZ gerne als die “bessere” Matrix-Verfilmung bezeichnet wird?

In jenem filmischen Barock, in dem wir uns zurzeit befinden, sollten meiner Ansicht nach auch die Wachowskis einen Platz finden können, hinter deren ästhetischen Vexierspielen sich manchmal vielleicht nicht unbedingt eine tiefere Wahrheit versteckt. Vielleicht ist das neugeborene Fernsehen, in dem sie als nächstes die Serie Sense8 auf die Welt loslassen, inzwischen eher ihr Medium. Wir werden sehen, was am Ende der Matrix wartet, wo der “Architect” es vielleicht immer noch am besten ausgedrückt hat:

Your life is the sum of a remainder of an unbalanced equation inherent to the programming of the matrix. You are the eventuality of an anomaly, which despite my sincerest efforts I have been unable to eliminate from what is otherwise a harmony of mathematical precision. While it remains a burden to sedulously avoid it, it is not unexpected, and thus not beyond a measure of control.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er dabei von Neo oder von den Wachowskis spricht.

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Cloud Atlas

Die Welt ist nicht genug – Man of Steel und Hollywoods episches Problem

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Richard Lesters Film Superman II von 1980 hat in Sachen Plot eine ganze Menge mit Man of Steel gemeinsam. Der kryptonische General Zod, der die Zerstörung Kryptons übelebt hat, weil er in einem außerplanetarischen Gefängnis saß, gelangt mit seinen Spießgesellen zur Erde, die er – in gewohnt zodscher Überheblichkeit – übernehmen will. Clark “Superman” Kent kann das natürlich nicht zulassen. Im Finale des Films (Spoiler) lockt er Lex Luthor, Zod und Co in seine Festung der Einsamkeit am Nordpol und besiegt sie, indem er ihre Arroganz geschickt gegen sie einsetzt.

Auch Man of Steel (Noch mehr Spoler) endet mit einer Konfrontation zwischen Kal-El und Zod. Die beiden smashen und crashen sich durch Metropolis, um schließlich in einem Bahnhof zu landen, wo Superman Zod mit einem Ruck das Genick bricht, um zu verhindern, dass dieser einer unschuldigen Familie schadet. Ein persönlicher Kampf, könnte man meinen. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, braucht Man of Steel zuvor eine andere Szene, in der Zod und seine Kryptonier begonnen haben, die Erde mit ihrem Raumschiff zu terraformen. Metropolis wird von Erdstößen erschüttert. Superman muss das Gegenstück des Raumschiffs am anderen Ende der Welt zerstören. Lois Lane versucht in einem Bomber ein schwarzes Loch zu erzeugen. Zod verfolgt sie in einem 20.000 Jahre alten kryptonischen Raumschiff, das eine Brutkammer enthält, mit deren Hilfe – gemeinsam mit dem in Supermans Zellen enthaltenen Informationen – Krypton auf der Erde wieder auferstehen kann.

Hektische Dringlichkeit

Es ist bereits einiges geschrieben worden über Man of Steels Zerstörungsorgie in der letzten halben Stunde. Über das PG-13-Problem und die nicht enden wollende Referenzierung von 9/11. Thomas Groh bringt den Stein des Anstoßes (oder des Jubels) für viele Kritiker in seinem Text (in dem sich noch mehr gute Links finden) auf den Punkt, wenn er schreibt

[J]ene Inseln, in denen Superman eins mit sich (oder allein bei sich) ist und die man aus früheren Superman-Adaptionen kennt, weichen einem allumfassenden Modus hektischer Dringlichkeit, der sich auch an der unstet verwackelten Kameraführung ablesen lässt.

Doch es ist gar nicht unbedingt nur die Zerstörungswut und der “Let’s get Loud”-Gestus, an dem Man of Steel meiner Ansicht nach krankt. Das viel größere Problem ist, dass er einfach insgesamt zu gigantisch ist. Auch in Superman II gibt es eine Schlacht um Metropolis, und wären Computer 1980 zu den gleichen Leistungen in der Lage gewesen, wie heute, hätte diese sicherlich auch anders ausgesehen. Der Clou ist aber vielmehr, dass Superman II am Ende eigentlich eine kleine, persönliche Geschichte erzählt, obwohl Zod die Welt bedroht. Man of Steel versucht das gleiche, er will im Kern die Coming-of-Age-Geschichte von Superman erzählen, doch dabei schleppt er zahllose Expositionssequenzen und endlose Massen an Mythologie mit sich herum, die ihn wie ein tonnenschweres Gewicht hinunterziehen. Dort wollen ihn Zack Snyder und Christopher Nolan natürlich auch haben. Schließlich sind beide dafür bekannt, Gewicht mit Gravitas zu verwechseln.

Das Einkaufszentrum reicht nicht mehr

Die Geschichte von Man of Steel ist sehr einfach. Doch Snyder, Nolan und Drehbuchautor David Goyer brauchen einen langen, feurigen Prolog auf Krypton, eine beliebig wirkende Reihe von expositorischen Flashbacks, ein Hologramm von Russell Crowe, eine Entführung auf das kryptonische Raumschiff, jede Menge kryptisch (pun intended) erklärendes Kauderwelsch (“Wir konnten den Phantomgenerator in einen Hyperantrieb umbauen.”) und den oben beschriebenen Dreifach-Showdown, um sie zu erzählen. Und man beginnt trotzdem immer nur dann, tatsächlich etwas zu fühlen, wenn sich Zod und Kal-El wieder persönlich gegenüberstehen.

Ende vergangenen Jahres habe ich das neo-barocke Hollywoodkino am Beispiel des Hobbit noch gelobt. Doch dieser Blockbuster-Sommer ist drauf und dran, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Hollywood ist einfach zu episch geworden. Filme – selbst effektlastige Blockbuster – waren mal gut darin, große Geschichten in kleinen Kosmen zu erzählen. Derzeit passiert genau das Gegenteil: Nicht nur Superman muss verhindern, dass die ganze Welt zerstört wird. Wo Zombiefilmen früher ein Einkaufszentrum reichte, um ihre Parabel zu errichten, muss es heute schon ein ganzer World War Z sein. Und Guillermo del Toros Pacific Rim folgt der Logik: Wir werden von gigantischen Monstern angegriffen? Dann müssen wir wohl selbst gigantische Monster bauen.

Der perfekte Sturm

Die gleiche schwanzbeißende Logik scheint Hollywoods Studiobossen durch die Hirne zu kreisen. Wenn Filme schon 200 Millionen Dollar pro Stück kosten müssen, dann müssen die Geschichten und Setpieces, auch größer sein, als alles bisher dagewesene. Mindestens Global. Besser noch Galaktisch. Sicher, Schauwerte sind einer der größten Spaßspender im Sommerkino. Und Worldbuilding kann in unserer transmedialen Welt eine Menge Spaß machen. (Einschub: Ich mochte den Einfall eigentlich, aus Man of Steel einen Science-Fiction-Film zu machen, statt immer nur die bekannten Superheldenkühe zu melken.) Aber hinter allem muss etwas stehen, zu dem man als Zuschauer einen Bezug aufbauen kann. Sonst bleibt selbst der perfekte Sturm in seinem Wasserglas gefangen.

Edgar Wrights Film Scott Pilgrim vs the World wurde damals mit der wunderschönen Tagline “An Epic of epic Epicness” beworben. In dem Film geht es darum, dass ein junger Mann sich damit abfinden muss, dass seine Freundin eine sexuelle Vergangenheit hat. Aber auch eine so banal wirkende Prämisse kann eben manchmal zum epischen Kampf werden. Dafür muss nicht immer gleich die ganze Welt vor der Zerstörung stehen.

Quotes of Quotes (X): The Operational Aesthetic

Accounts of cinematic special effects highlight how these moments of awe and amazement pull us out of the diegesis, inviting us to marvel at the technique required to achieve visions of interplanetary travel, realistic dinosaurs, or elaborate fights upon treetops. These spectacles are often held in opposition to narration, harkening back to the cinema of attractions that predated narrative film and deemphasizing classical narrative form in the contemporary blockbuster cinema. While such special effects do appear on television […] complex television offers another mode of attractions: the narrative special effect. […] These moments of spectacle push the operational aesthetic to the foreground, calling attention to the constructed nature of the narration and asking us to marvel at how the writers pulled it off; often these instances forego strict realism in exchange for a formally aware baroque quality in which we watch the process of narration as a machine rather than engaging in its diegesis.
– Jason Mittell, Complex TV, “Complexity in Context”

I do love it, when a plan comes together. And I love it even more, when someone finds a technical term for that love. After reading my defense of Star Trek Into Darkness‘s plotting, a friend alerted me to Jason Mittels excellent work-in-progress book Complex TV: The Poetics of Contemporary Television Storytelling which is now fully online for free! I have only devoured two chapters so far, but it is an excellent read with not too many academic strings attached. Highly recommended!

As for the “Operational Aesthetic”, that is: the joy of watching a machine work, I feel like Mittell has found me out. Since I have always been a fan of visual special effects, it comes as no surprise that I’m also a fan of narrative special effects – and I think it’s one of the few joys left to us in the realm of market-oriented contemporary franchise filmmaking. Mittell mentions puzzle movies like Inception as examples from the big screen, but I think the same terms fit perfectly with the Marvel Cinematic Universe movies and evolving franchises like The Fast and the Furious.

Finally, I also like the fact that Mittell mentions the “baroque quality” of these narrative shenanigans. I have been trying to link the baroque to contemporary cinema before, and it’s always good to see people agree with me. (Although Mittell’s quotation referred me back to Angela Ndalianis’s book which I remember quoting six years ago in my MA thesis, so maybe the thought wasn’t really my own in the first place.)

Genießt euer barockes Kino, so lange ihr noch könnt!

Sollen sie Kuchen essen? – New Line Cinema/MGM

“Ja, er hat Fehler in der Figurenzeichnung. Ja, er ist zu lang, zu ausgewalzt (…). Aber verdammt noch eins,
es ist so schön, wieder in Mittelerde zu sein.”
Ich zitiere mich selbst, weil ich es kann

Der Hobbit erobert derzeit nicht nur überall die Kinokassen, er erhitzt auch die Gemüter. Ein großer Teil dieser Erhitzung ist auf seinen Einsatz von HFR 3D zurückzuführen, was manche als Verrat am Kino empfinden, andere (darunter ich) als endlich eine angenehme Art, 3D zu genießen. Doch fast genauso viel Zorn hat der Film auf sich gezogen, weil er Randals Spott über die Herr der Ringe-Triolgie in Clerks 2, “All it was, was a bunch of people walking”, in die Hände zu spielen scheint. Bilbos Worte aus The Fellowship of the Ring, er fühle sich wie “Butter, die auf zu viel Brot verstrichen wurde”, mussten nicht nur einmal herhalten, um die Probleme des neuen Mittelerde-Filmkapitels auf den Punkt zu bringen.

Ich mochte den Film trotzdem, oder gerade deswegen. Gut, ich denke ich hätte ohne den doppelten Prolog leben können, der sich etwas zu sehr bemüht, die Hobbit-Filme an die Herr der Ringe-Trilogie anzudocken, aber davon abgesehen habe ich mich im Kino nie gelangweilt, denn schließlich gab es ständig genug zu staunen, zu fiebern und zu lachen.

Das bizarre Biest Hobbit

Und doch hat mich das Ganze ins Grübeln gebracht. Man muss mal einen Schritt zurücktreten und dieses Projekt Hobbit-Trilogie mit etwas Abstand betrachten, um zu sehen, was es eigentlich für ein bizarres Biest ist, das Peter Jackson erschaffen hat. Grundlage der Filmtrilogie, deren Kinofassung vermutlich insgesamt etwa achteinhalb Stunden Laufzeit haben wird, ist ein (in der Originalausgabe) 310 Seiten starkes Kinderbuch und etwa 50 weitere Seiten Anhänge des “Herrn der Ringe”. Doch die Filme sind noch gar nicht fertig, sie sind nur die Grundlage für zu erwartende “Extended Editions”, die jedem Film vermutlich noch einmal mindestens zehn bis zwanzig Minuten hinzufügen werden. Und eigentlich sind sie nicht mal wirklich Filme, sie sind nur eine Art Ur-Text für ein Marken-Universum aus Merchandising-Artikeln und Anschau-Ritualen für die kommenden Jahre, hinter dem sich ein weiteres Universum aus Neuseeland- und Weta-Mythologie verbirgt, aus Making-Ofs und Anekdoten, aus Tourismus und Staatshaushalten.

So werden Hollywood-Filme heute gemacht. Und man muss sich immer wieder bewusst machen, wie ungeheuerlich es ist, dass ein Filmstudio einem einzelnen Mann und seinem Team einen neunstelligen Geldbetrag in die Hand drückt, um im Grunde ein Kunstwerk zu schaffen – in der Hoffnung, damit eine Geldlawine loszutreten. Man – und damit meine ich insbesondere jene, die das ganze Jahr über das Ende des Kinos beschrien haben – man muss sich bewusst machen, wieviel Macht heutzutage einem Film innewohnen kann.

Und dann muss man sich vorstellen, ob ein Film wie The Hobbit vor 15, 20 oder 30 Jahren hätte entstehen können. Ein Film, der aus vergleichsweise wenig Geschichte ungeheure Schauwerte strickt. Der sich aber gleichzeitig traut, zu erzählen wie ein Roman oder eine Fernsehserie, nicht wie ein traditioneller Kinofilm. Der mit einer Technologie in die Kinos kommt, die noch nirgendwo zuvor ordentlich ausgetestet wurde. Der in einer fantastischen Parallelwelt spielt und zu dessen Hauptfiguren 13 (!) bärtige Personen mit Namen wie Dori, Ori und Nori zählen. Der vollständig abseits des Hollywood-Kontrollsystems am anderen Ende der Welt entsteht. Dessen bekannteste Darsteller britische Fernseh- und Bühnenmimen sind und dessen größtes Verkaufsargument der Erfolg seiner Vorgängerfilme ist. Hätte so ein Film entstehen können? Fast immer wird die Antwort “Nein” lauten. Die Ausnahme heißt wahrscheinlich Star Wars.

Mehr als zwei sind ein Trend

Und doch ist ein Film wie The Hobbit heute nur die extremste Form eines Trends, die im Filmjahr 2012 vielleicht so deutlich wie noch nie zutage getreten ist. Marvel’s The Avengers: ein zweieinhalbstündiges Ensemblestück, das die B-Mannschaft von Marvels Superheldenriege gegen eine charakterlose Alien-Armee antreten lässt, nachdem zuvor jede de Hauptfiguren in einem eigenen Film vorgestellt wurde. The Dark Knight Rises: 165 Minuten, in denen ein grüblerischer alter Mann in epischer Breite gegen einen Feind kämpft, dessen Gesicht man nicht sehen und dessen Stimme man kaum verstehen kann. Prometheus: Ein Regisseur kehrt über 30 Jahre später zu dem Genrefilm zurück, der ihn groß gemacht hat, und verpasst ihm eine aufgeblähte Vorgeschichte, die wahlweise mystisch oder schrecklich unlogisch ist.

John Carter: Die 250-Millionen-Dollar-Verfilmung eines Schundromans aus den 30ern, der angeblich alle anderen Welten inspiriert hat, den aber nur eingeweihte Hardcore-Fans kennen, von einem Regisseur, der noch nie einen Realfilm gedreht hat. Battleship. Twilight: Breaking Dawn – Part 2. Sherlock Holmes: A Game of Shadows. Die Liste ließe sich vermutlich noch eine Weile weiterführen, besonders wenn man die letzten paar Jahre dazunimmt.

Das Dunkel Erhellen

Auch wenn mir vermutlich jeder Kunsthistoriker dafür aufs Dach steigt: Ich sage, wir befinden uns 2012 im Mainstreamkino in einem barocken Zeitalter des Filmemachens. Alles ist größer als notwendig, von scheinbar epischer Bedeutung, unendlich verziert, dekadent und wunderbar bunt anzusehen. Fantasie und Phantastik regieren. Kunst hat Macht, doch sie nutzt sie nicht dazu, die Gesellschaft zu verändern, sondern ihren unstillbaren Hunger nach Spektakel zu stillen. Filmgattungen (Animation und Realfilm, Dokumentar- und Spielfilm), Filmbranchen (Kamera, Schnitt und Effekte) und Medienformen (Fernsehen, Videospiele, Kino) fließen ineinander zu einem einzigen, dickflüssigen Unterhaltungsbrei, der irgendwie das Dunkel erhellt.

Die Kulturpessimisten mögen das nicht. Sie fordern Relevanz und Realismus, mehr Brot und weniger Kuchen. Ich sage: Das Kino war noch nie so frei wie heute. Lasst uns den Tanz auf dem Vulkan genießen, so lange wir noch können, und die mannigfaltigen Blüten preisen, die dieses Kino hervorbringt. Filme wie Cloud Atlas oder Holy Motors, die sich nicht zu schade dafür sind, 100 Jahre Kinogeschichte und 4000 Jahre westliche Kulturgeschichte in einem abgeschlossenen Stück Kino zusammenzupressen.

Denn ihr wisst, was als nächstes kommt: Revolution und Krieg, Enthauptung der Machthaber und der sogenannte “Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen”. Sämtliche Triebe werden unterdrückt. Die Kunst zieht sich in die Natur zurück, heult vor sich hin und malt Seerosen. Das kann doch niemand ernsthaft wollen.