Warum uns Mockingjay mehr in Erinnerung bleiben wird als Interstellar

© Warner, StudioCanal

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in unbeobachteten Momenten ist es, vorherzusagen, an was wir uns als typisch erinnern werden, wenn wir in zwanzig Jahren auf unsere jetzige Zeit zurückblicken (übrigens auch einer der Gründe, warum ich unbedingt beim Techniktagebuch mitmachen wollte). Wenn man beobachtet, wie zurzeit auf die 90er zurückgeblickt wird, ob mit Liedern oder “Buzzfeed”-Listen merkt man doch, dass nicht unbedingt die Dinge im Gedächtnis bleiben, die man damals für wichtig hielt.

Lenkt man die Zeitgeistforschung auf die aktuelle Kinolandschaft und dort spezieller auf die Blockbuster der letzten Wochen, fallen einem zwei Filme auf. Christopher Nolans Interstellar hat alles, was es für einen “großen Film” braucht: einen visionären Regisseur von solchem Kaliber, dass sein Name ausreicht, um Zuschauer ins Kino zu ziehen, ein massives Kinoereignis, ein Originalstoff und mindestens einige Effekt-Oscars am Horizont. Auf der anderen Seite erscheint Mockingjay – Part 1 wie der typische massenproduzierte Plastikblockbuster von der Art, wie sie Hollywood inzwischen am laufenden Band raushaut. Die letzte gedrehte Performance von Philip Seymour Hoffman genügt mit Sicherheit nicht, um ihn zu etwas Besonderem zu machen.

Und doch ist Interstellar aus Zeitgeist-Sicht ein Film, der genau wegen seiner Alleinstellungsmerkmale überhaupt nicht in unsere Zeit passt. Fast schon ein Relikt ist er, mit seiner Fetischisierung von Filmmaterial und seiner Besinnung auf konservative Werte wie die Kernfamilie und den einzelnen “Great Man“, den Pionier, der die Menschheit ins neue gelobte Land führt. Mockingjay – Part 1 hingegen ist voll und ganz ein Produkt seiner Zeit und wird in zwanzig Jahren als so typisch für die erste Hälfte der 2010er gelten können, wie kaum ein anderer Film. Warum? Ich bin froh, dass ihr fragt.

1. Er spielt in einer dystopischen Zukunft

Ja, Interstellar auch. Aber während Nolans Film seine vage und wenig erklärte Öko-Katastrophe nur als Mittel zum Zweck nutzt, um seine Hauptfiguren auf den Weg zu einer neuen Frontier zu schicken, ziehen die “Hunger Games”-Verfilmungen ihre graumelierte Zukunftsvision knallhart durch. Und eine gesellschaftliche Spaltung in Haber und Nicht-Haber, bei der die Nicht-Haber zu einem Leben in Staub und Knechtschaft verdammt sind, ist nicht nur in Panem Programm, sondern in großen Teilen der Mainstream-Science-Fiction – auch im Kino, von Elysium bis Snowpiercer. Die Arizona State University hat sogar ein Programm namens “Hieroglyph” aus der Taufe gehoben, um wieder hoffnungsvollere Visionen zu produzieren, die die Forscher der Zukunft inspirieren sollen. So gut es uns teilweise im Moment noch geht, wir blicken alle in den Abgrund, der sich vor uns auftut.

2. Er ist Teil eines Franchises

Genau die Eigenschaft, die Mockingjay – Part 1 zu einem generischen Stücken Hollywood-Schlock zu machen scheint, macht ihn auch zu einem typischen Produkt unserer Zeit. Die 2010er-Jahre werden die Dekade der Franchises und des seriellen Erzöhlens sein. Seit Harry Potter und die Lord of the Rings-Filme bewiesen haben, dass ein treues Publikum brav alle paar Jahre wieder in die Kinos schlappt, um der Weitererzählung einer nicht abgeschlossenen Geschichte beizuwohnen – die oft nicht viel mehr ist als die Bebilderung eines ohnehin erfolgreichen Buches – gibt es bei der Franchisisierung in Hollywood kein Halten mehr. Nicht nur durch den Aufbau von Shared Universes wie bei Marvel und Co, sondern durch das Auswalzen einer Story auf mehrere Filme. Mockingjay – Part 1 ist nur das jüngste Beispiel dieser merkwürdigen “Penultification” (Dan Kois), die durch den Erfolg von seriellen Fernseherzählungen (und jetzt auch Podcasts) nur befeuert wird. Ich gehe schwer davon aus, dass diese Welle in zwanzig Jahren ein wenig abgeflaut ist.

3. Es geht um Medien

Interstellar ist ein altmodisches Forscherabenteuer – es zählt nur, was man mit den Händen berühren kann. Zentrale Plotpunkte des Films basieren darauf, dass Pioniere und Heimatbasis nur eingeschränkt miteinander kommunizieren können und natürlich muss die Raumfähre auf jedem Planeten, den es zu erforschen gilt, landen, statt aus der Luft zu sehen, dass es da unten nur Wasser und turmhohe Wellen gibt. In Mockingjay und den anderen “Hunger Games”-Filmen spielt Kommunikation eine der Hauptrollen. Vom zentralen Plotpunkt der Reihe, den titelgebenden Hungerspielen, die im Grunde eine Weiterentwicklung von Reality Shows wie “Survivor” oder “Big Brother” sind – bis hin zu den Propaganda-Videos, die Katniss im jüngsten Teil drehen muss: Medien und mediale Inszenierung stehen im Mittelpunkt der Handlung. Was könnte besser passen zu unserem Informationszeitalter voller Selfies und sozialer Netzwerke, voller YouTube-Stars, die aus dem Nichts geboren werden, und Überwachungsstrukturen, die uns vielleicht schon bald dazu zwingen, unser tägliches Leben noch mehr zu inszenieren, um nicht unter Verdacht zu geraten? Mockingjay mag eine “Young Adult”-Version der Zukunft sein, in der die wichtigste Bezugsperson der eigene Kostüm- und Makeup-Designer ist, aber der Film trift damit genau die brachliegenden Nerven unserer Zeit.

© StudioCanal

4. Die Hauptfigur ist eine Frau

Fuck yeah! Die 2010er werden hoffentlich die Dekade sein, an die wir uns erinnern, wenn es darum geht, dass 150 Jahre Feminismus endlich soweit im Mainstream angekommen sind, dass selbst der dümmste Studioboss einsehen muss, dass die wichtigsten Mover und Shaker einer Welt, auch einer fiktionalen Welt, nicht Männer sein müssen. Katniss Everdeen ist der weibliche Superheld, der Hollywood auf den Pfad von Wonder Woman, Frozen und Captain Marvel geführt hat, die Anti-Bella, die ihr verdammtes Schicksal selbst in die Hand nimmt. Als zu großen Triumph sollte man das jetzt noch nicht feiern, dafür ist noch zu viel zu tun, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Zum Vergleich: Interstellar

5. Es geht um eine Revolution

Hiermit schließt sich der Kreis zu Punkt 1. Auch wenn Occupy Wall Street und der arabische Frühling schon wieder verebbt scheinen, erreichen uns auch 2014 immer wieder Nachrichten von Aufständen und Protesten auf der ganzen Welt, von Hong Kong über Ferguson bis Bangkok, wo Mockingjay nicht gezeigt wurde, weil Protestierer den Drei-Finger-Gruß des Films als Zeichen annahmen. Revolution liegt in der Luft – vielleicht nicht in Deutschland, dafür geht es uns noch zu gut, aber im globalen Zeitgeist definitiv. In zwanzig Jahren werden wir wissen, ob diese Stimmung der Anfang einer großen Umwälzung war oder doch nur ein Blip auf dem Radar des großen Weiter-als-wäre-nichts-gewesen.

Lege ich Mockingjay eine Last auf, die der Film nie im Leben tragen kann? Ist Interstellar vielleicht doch kein Relikt sondern nur seiner Zeit voraus? In die Kommentare, bitte.

Die Welt ist nicht genug – Man of Steel und Hollywoods episches Problem

© Warner Bros. Pictures

Richard Lesters Film Superman II von 1980 hat in Sachen Plot eine ganze Menge mit Man of Steel gemeinsam. Der kryptonische General Zod, der die Zerstörung Kryptons übelebt hat, weil er in einem außerplanetarischen Gefängnis saß, gelangt mit seinen Spießgesellen zur Erde, die er – in gewohnt zodscher Überheblichkeit – übernehmen will. Clark “Superman” Kent kann das natürlich nicht zulassen. Im Finale des Films (Spoiler) lockt er Lex Luthor, Zod und Co in seine Festung der Einsamkeit am Nordpol und besiegt sie, indem er ihre Arroganz geschickt gegen sie einsetzt.

Auch Man of Steel (Noch mehr Spoler) endet mit einer Konfrontation zwischen Kal-El und Zod. Die beiden smashen und crashen sich durch Metropolis, um schließlich in einem Bahnhof zu landen, wo Superman Zod mit einem Ruck das Genick bricht, um zu verhindern, dass dieser einer unschuldigen Familie schadet. Ein persönlicher Kampf, könnte man meinen. Doch um an diesen Punkt zu gelangen, braucht Man of Steel zuvor eine andere Szene, in der Zod und seine Kryptonier begonnen haben, die Erde mit ihrem Raumschiff zu terraformen. Metropolis wird von Erdstößen erschüttert. Superman muss das Gegenstück des Raumschiffs am anderen Ende der Welt zerstören. Lois Lane versucht in einem Bomber ein schwarzes Loch zu erzeugen. Zod verfolgt sie in einem 20.000 Jahre alten kryptonischen Raumschiff, das eine Brutkammer enthält, mit deren Hilfe – gemeinsam mit dem in Supermans Zellen enthaltenen Informationen – Krypton auf der Erde wieder auferstehen kann.

Hektische Dringlichkeit

Es ist bereits einiges geschrieben worden über Man of Steels Zerstörungsorgie in der letzten halben Stunde. Über das PG-13-Problem und die nicht enden wollende Referenzierung von 9/11. Thomas Groh bringt den Stein des Anstoßes (oder des Jubels) für viele Kritiker in seinem Text (in dem sich noch mehr gute Links finden) auf den Punkt, wenn er schreibt

[J]ene Inseln, in denen Superman eins mit sich (oder allein bei sich) ist und die man aus früheren Superman-Adaptionen kennt, weichen einem allumfassenden Modus hektischer Dringlichkeit, der sich auch an der unstet verwackelten Kameraführung ablesen lässt.

Doch es ist gar nicht unbedingt nur die Zerstörungswut und der “Let’s get Loud”-Gestus, an dem Man of Steel meiner Ansicht nach krankt. Das viel größere Problem ist, dass er einfach insgesamt zu gigantisch ist. Auch in Superman II gibt es eine Schlacht um Metropolis, und wären Computer 1980 zu den gleichen Leistungen in der Lage gewesen, wie heute, hätte diese sicherlich auch anders ausgesehen. Der Clou ist aber vielmehr, dass Superman II am Ende eigentlich eine kleine, persönliche Geschichte erzählt, obwohl Zod die Welt bedroht. Man of Steel versucht das gleiche, er will im Kern die Coming-of-Age-Geschichte von Superman erzählen, doch dabei schleppt er zahllose Expositionssequenzen und endlose Massen an Mythologie mit sich herum, die ihn wie ein tonnenschweres Gewicht hinunterziehen. Dort wollen ihn Zack Snyder und Christopher Nolan natürlich auch haben. Schließlich sind beide dafür bekannt, Gewicht mit Gravitas zu verwechseln.

Das Einkaufszentrum reicht nicht mehr

Die Geschichte von Man of Steel ist sehr einfach. Doch Snyder, Nolan und Drehbuchautor David Goyer brauchen einen langen, feurigen Prolog auf Krypton, eine beliebig wirkende Reihe von expositorischen Flashbacks, ein Hologramm von Russell Crowe, eine Entführung auf das kryptonische Raumschiff, jede Menge kryptisch (pun intended) erklärendes Kauderwelsch (“Wir konnten den Phantomgenerator in einen Hyperantrieb umbauen.”) und den oben beschriebenen Dreifach-Showdown, um sie zu erzählen. Und man beginnt trotzdem immer nur dann, tatsächlich etwas zu fühlen, wenn sich Zod und Kal-El wieder persönlich gegenüberstehen.

Ende vergangenen Jahres habe ich das neo-barocke Hollywoodkino am Beispiel des Hobbit noch gelobt. Doch dieser Blockbuster-Sommer ist drauf und dran, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Hollywood ist einfach zu episch geworden. Filme – selbst effektlastige Blockbuster – waren mal gut darin, große Geschichten in kleinen Kosmen zu erzählen. Derzeit passiert genau das Gegenteil: Nicht nur Superman muss verhindern, dass die ganze Welt zerstört wird. Wo Zombiefilmen früher ein Einkaufszentrum reichte, um ihre Parabel zu errichten, muss es heute schon ein ganzer World War Z sein. Und Guillermo del Toros Pacific Rim folgt der Logik: Wir werden von gigantischen Monstern angegriffen? Dann müssen wir wohl selbst gigantische Monster bauen.

Der perfekte Sturm

Die gleiche schwanzbeißende Logik scheint Hollywoods Studiobossen durch die Hirne zu kreisen. Wenn Filme schon 200 Millionen Dollar pro Stück kosten müssen, dann müssen die Geschichten und Setpieces, auch größer sein, als alles bisher dagewesene. Mindestens Global. Besser noch Galaktisch. Sicher, Schauwerte sind einer der größten Spaßspender im Sommerkino. Und Worldbuilding kann in unserer transmedialen Welt eine Menge Spaß machen. (Einschub: Ich mochte den Einfall eigentlich, aus Man of Steel einen Science-Fiction-Film zu machen, statt immer nur die bekannten Superheldenkühe zu melken.) Aber hinter allem muss etwas stehen, zu dem man als Zuschauer einen Bezug aufbauen kann. Sonst bleibt selbst der perfekte Sturm in seinem Wasserglas gefangen.

Edgar Wrights Film Scott Pilgrim vs the World wurde damals mit der wunderschönen Tagline “An Epic of epic Epicness” beworben. In dem Film geht es darum, dass ein junger Mann sich damit abfinden muss, dass seine Freundin eine sexuelle Vergangenheit hat. Aber auch eine so banal wirkende Prämisse kann eben manchmal zum epischen Kampf werden. Dafür muss nicht immer gleich die ganze Welt vor der Zerstörung stehen.

Inception – Christopher Nolans Studien über selbst gewählten Konstruktivismus

(Dieser Artikel enthält am Ende massive Spoiler zu Inception, der am 29. Juli in den deutschen Kinos startet – und auch über alle anderen Nolan-Filme)

Es heißt, manche Filmemacher, auteurs, drehen immer den gleichen Film in verschiedenen Formen. Daran mag etwas Wahres sein, vor allem wenn man sich das Werk von Christopher Nolan anschaut. Ich finde, dass seine Filme – nicht immer gleich deutlich aber doch sehr klar – sich ganz klar um ein Thema drehen: Sie handeln von Menschen, die sich selbst eine Realität konstruieren, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Sollte Inception keine Ausnahme sein, kann man damit natürlich Rückschlüsse auf die Bedeutung des ambivalenten Endes ziehen.

Memento, Nolans Durchbruch, hat diese Idee am deutlichsten und am schockierendsten umgesetzt. Am Ende des Films, das erzählerisch der Mitte der Geschichte entspricht, hat Leonard zum wiederholten Male festgestellt, dass er sein Ziel eigentlich erreicht hat: Er hat den Mörder seiner Frau gefunden (inzwischen zum x-ten Mal) und seine Erinnerung ist trotzdem nicht zurückgekehrt. Er steht jetzt vor der Wahl, “aufzugeben” und sich seiner eigenen Geschichte zu stellen oder seine Mission ein weiteres Mal zu wiederholen. Indem er auf das Foto von Teddy “Don’t trust his lies” schreibt, baut er seine Welt eines ewig Suchenden wieder auf, gibt seinem Leben wieder ein Ziel – auf Kosten des Menschen, der ihm eigentlich hilft.

Hier tritt dieses Motiv am deutlichsten auf. Leonard belügt sich ganz bewusst selbst, um weiterleben zu können. Doch diese Art der Lebenskonstruktion war schon in Mementos Vorgänger, Following, zu sehen. Der Protagonist des Films folgt Menschen und spioniert ihre persönlichen Dinge aus: Er substitutiert eine falsche Intimität mit Fremden für eine wirkliche Intimität. So erschafft er sich die Welt in der er zuhause ist. Als er beginnt, zum ersten Mal echte Intimität aufzubauen, bricht seine Welt in sich zusammen.

Auch in Insomnia, dem Remake eines norwegischen Thrillers, betreibt der Polizist, um den sich die Story dreht, Selbstverblendung nach Memento-Art. Er erschießt seinen Partner, der in einem internen Verfahren gegen ihn aussagen könnte, um seine eigene Mörderjagd aufrecht zu erhalten. Der Mörder und er werden ungewollt Komplizen in einer Konstruktion der Realität, die er gegenüber der jungen Polizistin (Hillary Swank) aufrechterhalten will und deren Zerstörung auch die Zerstörung seiner Identität als brillanter Polizist bedeuten würde. Am Ende weiß er selbst nicht mehr, ob er seinen Partner mit Absicht erschossen hat oder nicht, seine konstruierte Geschichte ist für ihn zur Realität geworden.

The Prestige, einer von Nolans weniger beachteten aber besten Filmen, stellt gleich zwei Zauberkünstler in den Mittelpunkt – Männer, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, dem Publikum eine Scheinwelt vorzugaukeln. Das Duell der beiden Rivalen führt schließlich dazu, dass beide Männer unglaublich elaborierte Konstruktionen aufbauen, um den perfekten Trick zu realisieren – und damit ihr Leben als der jeweils beste Zauberkünstler zu erhalten. Christian Bales Charakter lebt ein Doppelleben mit seinem Zwillingsbruder, mit dem er regelmäßig die Rollen tauscht, was nicht einmal seine Frau weiß. Hugh Jackman hingegen ist bereit, sich selbst jede Nacht qualvoll zu töten und als Doppelgänger seiner selbst weiterzuleben. Auch hier gilt: Würde jeder der beiden Männer sich seinen Selbstbetrug eingestehen, würde er seinen ausgemachten Lebenssinn verlieren.

Und dann ist da noch Batman. An Batman Begins erinnere ich mich nicht mehr gut, aber soweit ich mich erinnere geht es um einen Menschen, der sich als Superheld neu erfindet; und sein Gegner ist ebenfalls jemand, der Menschen Traumwelten aufzwingt. Auch The Dark Knight streift das Thema wieder. Der Titel des Films ist Batmans selbstgesetztes Lebensziel. Er will der ewige Rächer der Entrechteten bleiben, denn ansonsten müsste er seine eigene Schwäche konfrontieren. Also kann er den Joker nicht töten, denn dieser ist der Gegenpol, der seine Realität am Leben erhält. Stattdessen schickt er Harvey Dent vor, der für ihn das sein soll, was er nicht sein kann: Ein weißer Ritter. Im Endeffekt opfert er Dent, macht ihn selbst zu einem Schurken, um Batman bleiben zu können. Sogar Dents Morde nimmt er am Ende des Films auf seine Kappe, um selbst gejagter Rächer bleiben zu können und Dent als weißen Ritter zu erhalten. (danke an Max für die Korrektur)

Man sieht also: Das Motiv ist nicht immer im Vordergrund, aber es ist immer irgendwie da. (Ich hoffe, dass jemand in den Kommentaren mit mir darüber diskutieren will, ob das stimmt.)

Und jetzt also Inception. Am Ende des Films haben sich anscheinend alle Probleme von Leonardo DiCaprios Charakter Cobb in Luft aufgelöst: Er hat seinen Job erledigt, kann in die USA zurückkehren und seine Kinder wiedersehen. Doch der Zuschauer darf berechtigte Zweifel darüber haben, ob sich Cobb nicht doch noch immer in einer seiner Traumwelten befindet. Nolan lässt einen im Unklaren: Der Kreisel auf dem Tisch dreht und dreht sich, am Ende scheint er umzufallen (ein Zeichen für “Realität”) aber sicher sein dürfen wir uns nicht. Wir dürfen selbst entscheiden, ob wir das Ende “positiv” oder “negativ” deuten wollen.

Folgt man der Logik von Nolans bisherigen Protagonisten, wäre vermutlich eher ein “negatives” Ende angebracht, das heißt Cobb hat seine Aufgabe nicht erfüllt: Er befindet sich immer noch in einem Traum und wird bald wieder weitermachen mit der Lebensaufgabe, die Schuld am Tod seiner Frau zu sühnen. Denn das ist das, was ihn antreibt. Wie man den bisherigen Film gesehen hat, kann Cobb eigentlich nicht glücklich damit sein, einfach zu leben und die Vergangenheit loszulassen – er braucht das Gefühl, einen Zweck zu haben und faustisch einem unerreichbaren Ziel nachzustreben. Die Tatsache, dass am Ende des Films plötzlich alles ganz einfach zu sein scheint, viel einfacher als die Überwindung aller bisherigen Hindernisse, spricht für die Traumtheorie.

Worauf schon viele Kritiker nicht nur im Hinblick auf Inception hingewiesen haben, ist, dass diese Art der Realitätserschaffung natürlich im Endeffekt sowohl auf den Filmemacher als auch auf das Publikum zurückfällt. Der Lebenszweck des Filmemachers ist es, künstliche Welten zu schaffen, Realitäten zu konstruieren, um sich selbst am Leben zu erhalten (eines der schönsten Beispiele ist auch hier wieder The Prestige, in dem manche Zaubertricks ohne das Wunder des Schnitts gar nicht möglich wären).

Das Publikum hingegen konstruiert sich ebenfalls eine eigene Welt, es interpretiert die Filme und setzt sie im Kopf zu Realitäten zusammen – besonders deutlich wird das bei Memento, wo der Zuschauer am Ende des Films mehr weiß, als der Protagonist, weil es dessen Zukunft kennt. Und auch bei Inception, wo das Publikum am Ende entscheidet, wie die Geschichte weitergehen könnte, wirkt es aktiv an der Konstruktion fremder Realitäten mit. So werden wir alle Teil der großen Self-Fulfilling-Prophecy des Lebens.