Turtles of the Mind

Die “Teenage Mutant Hero Turtles” (wie sie hierzulande hießen) waren einer der ersten großen Popkultur-Importe, der mir etwas bedeutete. Um 1990 schwappten sie nach Deutschland, und ich war großer Fan. Ich zeichnete, mit Freunden, nicht nur einen Comic mit den Turtles, sondern eine ganze Serie über mehrere Jahre. Ich erinnere mich sehr genau daran, wie ich meine Eltern so lange anbettelte, bis sie mir einen kleinen Spiegel kauften, auf dem die Turtles eingeprägt waren.

Woher kam diese Leidenschaft? Ganz sicher nicht aus den Live-Action-Kinofilmen (1990-93), für die ich in den Augen meiner Eltern noch viel zu jung war. Ich las zwar viel über diese Filme, in Zeitschriften wie Limit und Micky Maus, aber selbst gesehen habe ich sie erst viele Jahre später (und absurderweise keinerlei Erinnerung daran). 

Eine große Inspiration kam auf jeden Fall aus der Animationsserie (1987ff.), von der ich auf jeden Fall einige wenige Episoden gesehen habe. Sie hat definitiv den Stil meiner Turtles-Zeichnungen beeinflusst und ich kannte daher den Titelsong sowie die Persönlichkeiten der vier Hauptcharaktere. Aber ich durfte oder konnte die Serie nie ausführlich genug sehen, um wirklich tief in die Turtles-Mythologie einzusteigen. Mein Einblick ins Turtles-Universum war immer nur extrem oberflächlich.

Keine diegetische Wahrheit

Die Hauptquelle für meine Vorstellung von der Welt der vier Schildkröten-Helden war also meine eigene Fantasie. Wenn ich meine Comics zeichnete oder mit meiner spärlichen Auswahl an Action-Figuren spielte (ich hatte zwei von vier Turtles und ein paar Nebencharaktere), dachte ich mir auf eine Weise Geschichten aus, wie sie sich nur Kinder ausdenken können. Alles Unbekannte über Charaktere und Settings, wird einfach irgendwie ergänzt. Es gibt keine Vorstellung von einer diegetischen, durch irgendetwas oder irgendjemand festgelegten “Wahrheit”. Was zählt, sind die Dinge, die man selbst für wichtig hielt. Turtles of the Mind.

Über dreißig Jahre später merke ich, dass ich von dieser damaligen Version der Turtles nie ganz weggekommen bin. Auch, weil ich mich nie wieder tief in ihre Welt eingegraben habe. Ich habe ein paar der neueren IDW-Comics von Kevin Eastman gelesen, ich habe den Film TMNT von 2007 gesehen, aber nicht die dazugehörige Serie und erst recht nicht die Michael-Bay-Realverfilmungen. TMNT erschien mir in Design und Gefühl noch relativ nah dran an den Turtles meiner Kindheit. Ich habe mir 2014 eine Donatello-Figur gekauft (Donatello ist übrigens natürlich der beste Turtle), die der alten relativ ähnlich sah. Jetzt wohnt er im Spielhaus meines Kindes und heißt nur noch “der Turtle”.

Der Trailer zum neuen Film Mutant Mayhem, der diese Woche gestartet ist, scheint aber so gar nicht zu meinem inneren Bild von den Turtles zu passen. Ich glaube, dass es daran liegt, dass ich die Turtles aus Kinderaugen, trotz ihres Namens, nie als Teenager wahrgenommen habe, sondern als alterslose Erwachsene. Design und Marketing des von Seth Rogen mitgeschriebenen Films stellen aber genau diese Eigenschaft sehr nach vorne. Eventuell ist es das, was mich abschreckt. Aber da die kritische Rezeption des Films gut ist, werde ich ihn mir wohl trotzdem ansehen. Mal sehen, wie sehr sich innere Bilder überschreiben lassen.

Bild: Alexander Gajic (7 Jahre)

Superheld:innengeschichten für kleinere Kinder

Ich weiß nicht mehr wirklich, womit es ursprünglich anfing. Mit meinem Hulk T-Shirt, vielleicht, oder mit den Erzählungen eines älteren Kindes aus der Kita, aber irgendwann im letzten Sommer wurde mein Kind, damals gerade vier Jahre alt, Fan von Superheld:innen. Es wollte alles darüber wissen, vor allem natürlich, welche Superkräfte sie haben. Damit konnte ich als MCU-Gucker und gelegentlicher Comicleser einigermaßen dienen.

Das größere Problem: Mein Kind wollte Geschichten erzählt bekommen. Darin bin ich sehr schlecht. Nachdem ich also die stark vereinfachten Versionen der Avengers-Filme mehrfach erzählt hatte, stand ich ein bisschen verloren da und sah mich nach anderen Möglichkeiten um.

Bücher

Es zeigt sich: Ich bin zum Glück nicht der erste Mensch, der sich überlegt hat, wie man Superheld:innengeschichten auch schon für kleinere Kinder aufbereiten kann. Das Motiv wird in diversen Kinderbüchern aufgegriffen, die mich allerdings immer ein bisschen an das Meme “Did a printer write this Tweet” erinnern. In Büchern wie Max und die Superhelden oder Meine Mama ist ein Superheld schreiben Erwachsene für Kinder darüber, dass Erwachsene ja eigentlich auch Superhelden sind. Ich kann nur immer wieder davor warnen, diese Art von plumper Didaktik bei Kindern zu versuchen. Sie sind dafür viel zu clever, und in diesem Fall wollte mein Kind nicht Superhelden, die Eltern sind, sondern echte Superhelden.

Doppelseite aus “Max und die Superhelden” von Rocio Bonilla © Jumbo

Besser funktionierte da schon ein Buch aus der SUPERLESER! Reihe des DK-Verlags (Marvel Avengers – Die Superhelden retten die Welt). Eigentlich zum Selbstlesen für Grundschüler:innen, griff es etwas auf, was schon Jonas Lübkert vor kurzem in seinem Newsletter angemerkt hat: Lexika kommen gut an. Sie enthalten kurze, kompakte Informationsblöcke mit Bildern dazu, die den Wissensdurst stillen. Viele Wörter im Buch waren für mein vierjähriges Kind noch zu kompliziert, aber es entstand ein erster Eindruck vom Superhero Industrial Complex.

Noch besser fand ich aber kurze Zeit später die Spider-Man-Bücher von MacKenzie Cadenhead. Sie richten sich auch eigentlich an Erstleser:innen, eignen sich daher aber auch wirklich gut als Vorlesebücher. Sie erzählen “echte” Superheldengeschichten, haben ein angenehm emanzipiertes und augenzwinkerndes Weltbild dabei und kommen ohne viel Gewalt aus. Gibt’s auch als Hörbuch, gelesen von Tom Hollands deutscher Synchronstimme Christian Zeiger.

“Squirrel Girl? Heißt das, du hast die Fähigkeiten eines Eichhörnchens?” – “Und die Fähigkeiten eines Mädchens! Problem damit?”

aus “Spider-Man gegen Sandman
Screenshot © Random House

Fernsehen

Wir mussten uns selbst etwas überwinden, aber als der viereinhalbte Geburtstag dann irgendwann vorbei war, haben wir unser Kind auch Spidey und seine Super-Freunde (Disney+) gucken lassen. Hier ist die Zielgruppe eindeutig Kinder, die jünger sind als Schulalter, mit allem was seit Paw Patrol dazugehört. Endlose Wiederholungen hirnloser Catchphrases (“Lasst uns Spidey-schwingen!”), identische Suit-Up-Sequenzen in jeder Folge, kostengünstig produzierte Animation in sterilen Umgebungen, die bei allen, die keine Maske tragen, schnell gruselig aussieht.

Dennoch lohnt es sich, auch festzuhalten, was die Serie richtig macht. Eines hat sie nämlich begriffen, das auch mir erst im Laufe der Zeit klar wurde. Kinder im Vorschulalter sehen Superheld:innen vor ihrem inneren Auge ebenfalls als kinder-ähnlich. Sie haben noch nicht die mentale Kapazität, um sich wirklich in die Lebenswelt von Erwachsenen hineinzudenken. Daher sind bei Spidey eigentlich alle Charaktere entweder Kinder oder Eltern.

Das gilt nicht nur für die drei Protagonist:innen. Auch Nebenfiguren wie Hulk und vor allem die Schurken, etwa Rhino, Green Goblin und Doc Ock, sehen nicht nur in ihren Formen aus wie Kinder, sie handeln auch aus sehr einfachen Motivationen heraus, die Kinder verstehen können. Ihre bösen Pläne drehen sich immer entweder darum, andere Menschen zu ärgern oder etwas zu klauen. Warum genau oder was damit später passieren soll, ist egal. Hauptsache, es gibt ein einfaches Problem, was Spidey, Spin und Ghost Spider mit ein paar geschickten Netzwürfen lösen können. Dabei wird immer wieder betont, das sie haben, was den Schurken fehlt: Sie arbeiten zusammen und stehen füreinander ein.

Die Bösewichte in Spidey and His Amazing Friends sehen aus wie etwas ältere Kinder © Disney

Das Ergebnis ist nicht besonders sophisticated, aber in seiner Einfachheit auch ganz spaßig. Zumal man anerkennen muss, dass Disney sich in Sachen Diversity wirklich bemüht. Doc Ock und Electro etwa sind entgegen dem Kanon weibliche Figuren, Gwen/Ghost Spiders Mutter (statt, wie in den Comics normalerweise, ihr Vater) ist Polizistin. Ms. Marvel/Kamala Khan und Black Panther haben regelmäßige Gastauftritte. Kann man also (manchmal) gucken.

And Beyond

Die allerbeste Idee für immer neue Superhelden-Geschichten kam aber letzte Woche von der Programmiererin April King, die darüber twitterte, dass Eltern vorgeschlagen hätten, diese Art von “Erzählst du mir eine Geschichte?”-Geschichten einfach von ChatGPT generieren zu lassen. Und, was soll ich sagen: das funktioniert sehr gut. Man kann ChatGPT ziemlich einfach genau die manchmal etwas abstrusen Plot-Wünsche der Kinder präsentieren. Die generative KI strickt eine Dramaturgie drumherum, die man sich sonst mühsam selbst ausdenken müsste, und verpackt das Ganze in der einfachen Form, die das Kind in solchen Momenten ja auch einfach will. (Ich hoffe doch, dass die meisten Eltern mir zustimmen würden, dass in solchen Momenten gar keine psychologisch komplexen Geschichten gewünscht sind.)

Dabei entsteht dann sowas, basierend auf einem echten Wunsch meines Kindes. Wir haben schon zusammen vor dem Computer gesessen und ChatGPT gefüttert und um Änderungen gebeten. Ich denke, das ist die Zukunft.

Eines Tages wurde ein wertvolles Artefakt aus dem Museum gestohlen und die Avengers waren alarmiert. Captain America und Wasp machten sich auf den Weg, um den Dieb zu finden. Unterwegs trafen sie Thor und Hulk, die ihnen bei der Suche helfen wollten. Sie entdeckten bald, dass der Dieb niemand anderer als Loki war. Er hatte das Artefakt gestohlen, um seine eigene Macht zu stärken und die Welt zu unterwerfen.

Die Avengers kämpften tapfer gegen Loki und seine Armee von Schergen, aber sie waren gegen seine List und Täuschungen machtlos. Wasp schlug schließlich vor, dass sie sich auf Ameisengröße schrumpfen und durch ein kleines Loch in Lokis Versteck schlüpfen sollten. Wasp und Captain America schrumpften sich und krochen durch das Loch. Sie fanden sich in einem riesigen Raum wieder, in dem Lokis Geheimnisse und Macht verborgen waren. Aber sie waren nicht allein. Loki bemerkte sie und versuchte, sie zu fangen.

Wasp flog schnell durch den Raum und umkreiste Loki, während Captain America gegen die Schergen kämpfte. Aber Loki war schlau und er verwandelte sich in einen riesigen Drachen. Es schien, als hätten sie keine Chance gegen ihn. Doch Wasp gab nicht auf. Sie flog auf Lokis Augen zu und stach ihn mit ihrem Stachel. Es war ein gewagter Schritt, aber es zahlte sich aus. Loki brüllte vor Schmerz und verwandelte sich zurück in seine menschliche Form.

Die Avengers waren erfolgreich und Loki wurde gefangen genommen. Sie brachten das Artefakt zurück ins Museum und feierten ihren Sieg. Wasp hatte gezeigt, dass sie eine mutige und kluge Heldin war, die eine entscheidende Rolle in dem Kampf gegen Loki gespielt hatte. Die Avengers waren stolz auf sie und schätzten ihre Fähigkeiten und ihren Mut.

Geht Immer

Die Freude eines guten Quest-Plots

© Disney, weil alles Disney ist

Mein Kind ist inzwischen in dem Alter, wo wir ihm zutrauen, auch mal ganze Filme zu schauen. Einer davon, der zuvor auch schon per Buch und Soundtrack ausführlich vorbesprochen wurde ist Moana (2016), der außerhalb der USA Vaiana heißt, von John Musker und Ron Clements aus dem Hause Disney. Beim erneuten Sehen fiel mir etwas auf, und als ich den Film bei Letterboxd loggen wollte, stellte ich fest, dass es mir schon beim ersten Mal aufgefallen war. Es ist eine der großen Stärken des Films: Moana hat einen sehr geradlinigen Heldenreisen-Quest-Plot.

Moana ist die Nachfolgerin des Chiefs auf einer pazifischen Insel. Das einst fischreiche Riff der Insel wird immer weniger ergiebig, aber die Inselbewohner weigern sich, sie zu verlassen. Moana, die sich seit ihrer jüngsten Kindheit vom Ozean angezogen fühlt, findet heraus, dass ihre Vorfahren Seefahrer waren, die von Insel zu Insel zogen, unter dem Segen der Fruchtbarkeitsgöttin Te Fiti. Doch seit der Halbgott Maui auf einem seiner Diebeszüge Te Fitis “Herz” stahl und den Feuerdämon Te Ka gegen die Inselbewohner aufgebracht hat, sind die Ozeane nicht mehr sicher. Gegen den Willen ihres Vaters macht sich Moana auf einem Boot auf, um Maui zu finden und das Herz zurückzubringen. Der Ozean hilft ihr dabei und lässt sie trotz Unbeholfenheit nicht ertrinken. Maui stellt sich als großmäuliger Egoist heraus, der keinen Bock auf die Mission hat und Moana nicht als ebenbürtig akzeptiert. Doch in einer Reihe von Konfrontationen, unter anderem mit einer riesigen Krabbe, die Mauis magischen Fischhaken gestohlen hat, beweist sie ihren Mut. Gemeinsam reisen sie zu Te Ka und erkennen, dass sich hinter dem Dämon die aus dem Gleichgewicht gebrachte Te Fiti verbirgt. Sie geben das Herz zurück und heilen Te Fiti. Moana kehrt als erfahrene Seefahrerin zu ihrem Clan zurück und beginnt ein neues Zeitalter der Seefahrerei.

Es ist in den vergangenen 30 Jahren extrem aus der Mode gekommen, solche einfachen Plots, die einst als der heilige Gral der Drehbuchstruktur galten, eins zu eins umzusetzen. So einfach kann man es sich ja nicht mehr machen, ist schließlich einer der Leitsätze der Postmoderne. Deswegen gehört heutzutage in den Werkzeugkasten der Plotstrukturen mindestens eine unvorhersehbare Wendung, die alles bisher geglaubte auf den Kopf stellt, oder – noch wichtiger – ein deutliches Hinterfragen der Held*innen-Figur. Diese darf längst nicht mehr einfach “auserwählt” sein, stattdessen gehört die gesamte psychologische Komplexität des Freien Willens gründlich hinterfragt.

Cleverness als Formel

Ich will nicht sagen, dass ich das schlecht finde. Es war in den 1990er Jahren an der Zeit dafür. Inzwischen ist die Cleverness bezüglich des Quest-Plots aber auch selbst schon zu einer Formel geworden. Man kann inzwischen fest davon ausgehen, dass wann immer Filme im ersten Akt etablieren, dass irgendetwas vorherbestimmt ist, sich im dritten Akt sicher zeigen wird, dass alles ganz anders ist – die wahre Liebe, etwa, die Prinzessin Anna rettet, ist nicht die eines Mannes, sondern die ihrer Schwester Elsa. Gleichzeitig haben die Filmemacher*innen aber häufig keine wirklich gute oder klare alternative Aussage, verstricken sich in Wischi-Waschi-Relativitäten oder müssen die Glaubwürdigkeit der Handlungsentwicklung sehr auf die Probe stellen, um an dem Punkt anzukommen, den sie erreichen wollen. An manchen Stellen scheint die Subversion der Erwartungen wichtiger geworden zu sein, als die Folgerichtigkeit der Handlung.

Worauf ich hinauswill: Ein traditioneller Quest-Plot ist verdammt befriedigend. Es gibt einen klaren Auftrag. Es gibt Proben, die bestanden werden wollen. Es gibt eine klare Auflösung. Es gibt dennoch immer auch Überraschungen. Natürlich verschiebt sich das Ziel des Auftrags zwischendurch. Verbündete stellen sich als Gegner heraus und umgekehrt. Te Ka ist kein Dämon, sondern nur die Herz-vermissende Te Fiti. Doch am Ende ist die Mission erfüllt und Held*in und Welt verändert. Mir ist klar, dass das mit Blick auf unsere Welt nicht sehr realistisch ist, aber es sorgt für eine deutlich befriedigendere Geschichte.

Eine Geburtstagstorte für Mando

Bei der aktuellen Staffel The Mandalorian, deren vierte Folge, die heute erscheint, ich noch nicht gesehen habe, hat mich der ähnlich simple Plot, der seit Folge 1 gesponnen wird, hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Irritation. Er erinnerte mich ein wenig an das Kinderbuch Eine Geburtstagstorte für die Katze, das aber auch nur eine alte Formel variiert: Petterson will Kuchen backen, stellt fest das er kein Mehl mehr hat. Also will er in die Stadt fahren, um neues zu holen, aber sein Fahrrad hat einen Platten. Um an das Flickzeug zu kommen, muss er in seinen Schuppen, doch der Schlüssel ist verschwunden. Um an den Schlüssel zu kommen, muss er einen Stier ablenken, der im Weg steht usw. Jedes Hindernis gebiert in seiner Überwindung ein neues. Am Ende jedoch lässt sich die ganze Kette zurückverfolgen und der Kuchen wird gebacken.

So ähnlich kommt es mir bei Mando auch vor. Er will nach Mandalore, um in den Quellen zu baden, doch der Planet ist verseucht. Also braucht er einen Roboter, doch dessen Schaltkreise sind kaputt. Also braucht er neue Schaltkreise, doch die gibt es nicht mehr. Am Ende von Folge 3 hatte er es mit einigen Hindernissen tatsächlich geschafft, in den Quellen zu – naja – baden. Der Auftrag ist eigentlich erfüllt, doch dahinter steht natürlich der größere Auftrag, die Mandalorianer wieder zu vereinen. Wird The Mandalorian seinen Quest-Plot fortsetzen? Oder wird alles noch viel komplizierter?

40 kulturelle Produkte, die mein Leben geprägt haben (und ein wenig Reflexion zum 40 werden)

Am 25. Februar bin ich 40 Jahre alt geworden. Um ehrlich zu sein beschäftigt mich diese Tatsache seit mindestens einem Jahr. Natürlich sind Alterszahlen relativ willkürliche Grenzen im Leben, aber irgendwas verändert sich ja doch, wenn nicht in einem selbst, dann zumindest in der Wahrnehmung durch andere. Mit 40 ist man auf jeden Fall nicht mehr „jung“. Auch nicht unbedingt alt (außer vielleicht in den Augen meines bald fünfjährigen Kindes), aber doch an einem Punkt angelangt, wo ein entscheidender Teil des Lebens meistens bereits abgeschlossen ist: Adoleszenz, Ausbildung, Berufswahl, Familiengründung. 

Es ist logischerweise nicht zu spät, um sich neu zu orientieren. Darüber habe ich mit vielen, die mir ein paar Jahre voraus sind und von denen einige genau das getan haben, in den letzten zwölf Monaten gesprochen. Ich selbst habe das vor einem Jahr beruflich in Angriff genommen, mich nach vielen Jahren in der PR wieder stärker in Richtung Journalismus orientiert und ein wenig Freiberuflichkeit ausprobiert. Da meine größte Angst mehr oder weniger ist, in meinen 40ern irgendwie außerhalb meiner Familie irrelevant zu werden (eine sehr eitle Angst, ich weiß), fühlte sich das schon mal wie ein guter Schritt an. Ich hoffe, dass es gleichzeitig auch ergänzt wird von einer gewissen, auf Erfahrung beruhenden Gelassenheit, von der mir einige Ü40-Menschen erzählt haben. Wir werden sehen.

Ich bin nicht Kevin Kelly

Ich habe lange überlegt, wie ich diesen Augenblick im Blog festhalten kann. Lange Zeit hatte ich die Idee, Ratschläge aus genau der eben erwähnten Erfahrung weiterzugeben, weil ich beispielsweise Kevin Kellys derartige Liste total toll fand. Aber ich fühle mich noch nicht bereit dafür. Also habe ich mich entschieden, zurück und nach innen zu schauen und zu überlegen, welche kulturellen Dinge (ich bin Schließlich im weitesten Sinn Kulturjournalist) mich als Person in den letzten 40 Jahren besonders geprägt haben.

Mein Maßstab dafür war weniger, was noch heute meine „Lieblings“-Bücher, Filme, Musik usw. sind und somit die Zeit überdauert haben, sondern woran ich immer noch öfter als formende Erfahrungen zurückdenke. Momente, in denen ich plötzlich einen neuen Blick auf die Welt wahrnahm, der mein Denken oder Fühlen verändert hat. Außerdem Erfahrungen von Kultur, die etwas in mir geweckt haben: ein Interesse, eine Leidenschaft, eine Gewohnheit, manchmal sogar einen Charakterzug, den ich heute noch in mir erkenne.

Zwischen 8 und 12

Beim Erstellen der Liste, die übrigens natürlich trotz aller Überlegung sehr willkürlich ist und in mindestens der Hälfte der Einträge auch anders aussehen könnte, ist mir aufgefallen, dass die entscheidendste kulturelle Phase meines Lebens etwa die Zeit zwischen 8 und 12 Jahren war. Keine große Erkenntnis aus entwicklungspsychologischer Sicht, ich weiß, aber es hat mich doch erstaunt, wie viele Grundsteine in dieser Zeit gelegt wurden, die ich heute als einen essenziellen Teil von mir betrachte, während vieles, was später kam, sich weniger entscheidend anfühlte – selbst viele Dinge, denen ich im Studium begegnet bin.

Je kürzer zurück die Erinnerungen reichen, desto spärlicher werden sie. Auch das ist logisch. Erstens kann man ihre Wirkkraft noch nicht so gut sehen wie bei älteren Erfahrungen. Zweitens waren für mich etwa die letzten zehn Jahre vermutlich mehr vom Erlernen von sozialen und beruflichen Fähigkeiten geprägt als von kulturellen Ideen. Ich glaube aber auch, dass es eine Rolle spielt, dass ich mein inneres Alter immer ungefähr auf 27 oder 28 beziffern würde. Zu dieser Zeit hatte ich mein Studium, meine ersten zwei Jobs und die ersten ernsthaften Beziehungen gemeistert, fühlte mich also etwas erfahren, aber gleichzeitig kaum festgelegt. Ich konnte überall auftauchen und als Mensch mit Potenzial wahrgenommen werden, und ich verhielt mich auch so. Jetzt, zwölf Jahre später fühle ich mich deutlich mehr „gesetzt“, sowohl innerlich als auch von außen betrachtet. Es wird in den nächsten Jahren wichtig sein, diese Gesetztheit aufzubrechen ohne im Prozess Fundamente zu verlieren, die mir wichtig sind.

Und jetzt endlich: die Liste. Ein größeres Mammutwerk, als ich gedacht hätte. Die Reihenfolge orientiert sich an der ungefähren Zeit, in der ich den Dingen begegnet bin.

1. Chris de Burgh: Spark to a Flame. Meine erste popkulturelle Erinnerung ist Mitsingen zu „Don’t Pay the Ferryman“. Der relativ softe Musikgeschmack meiner Eltern hat mich in jedem Fall geprägt. Noch heute sehe ich immer wieder, dass Popmusik, die eher im Folk als im Blues verwurzelt ist, mich stärker anspricht.

2. Cats und Starlight Express. Ich habe beide Musicals als Kind gesehen und natürlich anschließend die Alben in Dauerrotation gehört. „Musical Theatre“ und besonders der Stil von Andrew Lloyd Webber hat sich in meine DNA eingeschrieben. Trotz allem anderen, was ich im Leben so gemacht habe, würde ich mich, müsste ich mich einem US-Highschool-Clan zuordnen, am ehesten als „Theatre Kid“ bezeichnen.

3. Knister. Späteren Leser*innen dürfte der Kinderbuchautor Knister vor allem als Erfinder der Hexe Lilli bekannt sein. In den 90ern hat er aber eine Reihe Bücher geschrieben, die ich sehr mochte („Teppichpiloten“ zum Beispiel), darunter eins namens „Mikromaus mit Mikrofon“, in dem es darum ging, wie man mit Mikro und Recorder Hörspiele und andere Klangexperimente machen kann. Von dort zum Podcasten war es quasi ein logischer Schritt.

4. Otto Waalkes. Meine Eltern hatten fast alle Otto-Platten aus den 1970er Jahren, und ich habe sie als Kind rauf- und runtergehört – sicherlich ohne sie in all ihren Nuancen zu verstehen. Rückblickend kann ich sagen, dass mein Humor davon stark geprägt wurde. Das gilt für Nonsens und Sprachwitz gleichermaßen wie für die große Musikalität, die Ottos Bühnenprogrammen innewohnt. Dass er ein fantastischer Musiker ist, habe ich erst mit erwachsenen Ohren zu schätzen gelernt.

5. Bart Simpson. Die Simpsons sind inzwischen zum kulturellen Teppich einer ganzen Generation geworden, aber am Anfang war für mich vor allem die Figur von Bart interessant, noch bevor ich die Serie überhaupt geschaut habe. Der Schlingel auf dem Skateboard war lange Zeit mein Idol (ich wollte sogar „Bart“ heißen), obwohl ich weder Skateboard fuhr noch besonders schlecht in der Schule war.

6. Die Sendung mit der Maus. Meine Eltern hatten lange eine sehr restriktive Fernseh-Police und „Die Sendung mit der Maus“ war in den ersten 8 Jahren meines Lebens oft das einzige, das ich überhaupt schauen durfte.

7. Queen: Bohemian Rhapsody. Wie für wahrscheinlich viel Menschen war dieser Song, der sich über seine Laufzeit so stark verändert aber sein Pathos-Level unverändert hochhält, für mich ein musikalisches Erweckungserlebnis. Ich halte ihn für unerreicht.

8. Eurodance. Zwischen 1992 und 1995 bestanden große Teile meiner musikalischen Welt aus, wie ich es damals nannte, „Techno“. „No Limit“ von 2 Unlimited war meine erste Single. Obwohl ich kein großer Hörer elektronischer Musik geworden bin, fasziniert mich Eurodance, dieser Clash aus dem Elektro-Underground und Maximalpop, noch immer. So sehr, dass ich am liebsten mal eine große journalistische Recherche zur damaligen Zeit und ihrer Dynamik, die außerhalb Europas kaum eine Rolle spielte, umsetzen würde.

Tourism (1993)

9. Roxette: Tourism. Meine erste CD war „Joyride“, aber „Tourism“ ist das besonderere Album, weil es ein so ungewöhnliches Konzept hat – eine Mischung aus Aufnahmen, die während einer Welttournee entstanden – manche im Studio, manche live, manche improvisiert. Die Musik von Per Gessle würde ich als eine weitere wichtige Säule meines Musikgeschmacks positionieren. Außerdem war ich damals schwer in Marie Fredriksson verknallt, die ich ebenfalls bis heute toll finde und deren früher Tod bis heute schmerzt.

10. M. C. Escher. Die mathematischen Muster und visuellen Verrenkungen im Werk von M. C. Escher haben mich sofort in ihren Bann gezogen. Ich hatte lange das Bild „Tekenen“ als Druck an der Wand hängen. 2022 habe ich mir ein Penrose Dreieck, das Escher zu einigen seiner Werke inspiriert hat, als Tattoo stechen lassen.

11. 4D Sports Driving („Stunts“). Videospiele wurden ab ca. 1993 ein fester Teil meines Lebens und ich habe viele Klassiker ausführlich gespielt. Am meisten im Kopf geblieben ist mir aber „Stunts“, ein Rennspiel, in dem man mit seinem Fahrzeug durch Loopings fahren und über Brücken springen und – das wichtigste – selbst Strecken bauen konnte. Bis heute sind Sportspiele, von direkten Nachfolgern wie Trackmania bis zu Tony Hawk’s Pro Skater und Fifa eigentlich meine Lieblingsspiele.

12. X-Base. X-Base war eine leider kurzlebige Show im Nachmittagsprogramm des ZDF, die versuchte, das neu aufkommende Computerzeitalter für ein junges Publikum aufzubereiten. Es gab Videospiel-Wettkämpfe, Reportagen, einen digitalen Moderator namens Eddie Highscore und Auftritte von Elektro-Popgruppen. Ich fand X-Base von vorne bis hinten großartig, sie enthielt alles, was ich zu diesem Zeitpunkt toll fand. Leider wurde die Show nach einem halben Jahr eingestellt, aber sie hat in mir definitiv ein größeres Interesse für digitale Kultur geweckt.

13. Terminator II: Judgment Day. Dieser Film, den ich verbotenerweise viel früher schaute, als seine FSK-Einschätzung vorgab, hat sehr wahrscheinlich meine lebenslange Faszination mit Visual Effects und Computeranimation auf dem Gewissen.

Meine erste Lektüre fand nicht mit dieser Ausgabe statt, aber meine zweite.

14. J. R. R. Tolkien: The Lord of the Rings. Mit Tolkiens Buch, das ich las während ich eine Woche krank zu Hause war, hat sich für mich alles verändert. In seiner Folge gab es für mich über viele Jahre kaum etwas anderes als Fantasy und Science-Fiction zu lesen und bis heute sind Tolkiens Werke für mich literarische Texte, die ich – durch die zahllosen Veröffentlichungen zum Thema – weiter studiere.

15. Shadowrun. Das in Deutschland von Fantasy Productions veröffentlichte Spiel, das uns ein Klassenkamerad auf dem Rückweg einer Klassenfahrt im Bus erklärte, war mein erster Kontakt mit Tabletop-Rollenspielen. Nicht nur spiele ich diese bis heute (wenn auch selten), aber ich bin auch nach wie vor absolut fasziniert von der Cyberpunk-Vision, die Shadowrun dazu noch mit Fantasy-Tropes kombiniert.

16. Magic: The Gathering. Magic besiegelte meine Fantasy-Gaming-Obsession 1995 endgültig. Diesem Spiel gehörte fast jede freie Minute. Ich konnte alle Karten auswendig, bis die Faszination rund um mein Abitur 2001 irgendwann nachließ aber nie ganz einschlief. 2017 fing ich schließlich wieder an zu spielen und mich aufs Neue zu faszinieren. 2021 habe ich mir die fünf Mana-Symbole als Tattoo stechen lassen.

InQuest

17. InQuest. Diese amerikanische Zeitschrift begriff sich als Begleitmagazin zu Magic und den anderen damals aufkommenden Collectible Card Games. Später erweiterte sie ihr Spektrum auf Rollenspiele und andere Phantastik-Hobbies. InQuest hat nicht nur meinen Blick auf die Welt der Phantastik nachhaltig geprägt (die darin von Zeit zu Zeit aufgestellten Kanons bester Filme oder Romane lassen sich bis heute schwer abschütteln), sondern auch den damals verbreiteten, sehr männlichen Nerd-Humor in mich eingeschrieben. Es hat einige Jahre gedauert, mich von dieser Prägung zu emanzipieren, die in einigen Ecken des Internets immer noch sehr stark ist.

18. Dream Theater: A Change of Seasons. Der Song, der meinen gesamten Musikgeschmack veränderte. Tendenzen waren eventuell durch Queen schon da, aber in den kommenden zehn Jahren würde sich für mich alles mehr und mehr um Progressive Rock drehen. Dream Theater war auch die Band, bei der ich zum ersten Mal Fandom im Internet erlebte, mit Mailinglisten und Online-Foren.

A Change of Seasons (1995)

19. Blind Guardian: Nightfall in Middle Earth. Was mit Dream Theater begann, setzte sich mit Blind Guardian und anderen Bands, die hymnischen Metal zu Fantasy-Themen präsentierten, fort. Aus heutiger Sicht kann ich es klar der Pubertät anlasten, dass ich ausgerechnet diesem Wahre-Männer-Kämpfen-Metal damals so verfallen war. Schlich sich zum Glück zum Studium hin dann aus.

20. Robert Jordan: The Wheel of Time. In gewisser Weise beendete The Wheel of Time, die endlose und endlos derivative Fantasy-Saga rund um eine Gruppe Jugendliche und eine alte Prophezeiung, was Der Herr der Ringe begonnen hatte. Im Rückblick steht die Buchreihe, die ich nie beendet habe, für mich für die Abkehr von der großen Erzählung der Fantasy, der ich mich eine gute Dekade hingegeben hatte, und ein neues Erwachsenheitsgefühl.

21. DVD Extras. Schon bevor die DVD das dominante audiovisuelle Medium wurde, hatte ich mich dafür interessiert, wie Filme gemacht werden. Aber DVDs, mit ihren Featurettes und Audiokommentaren – und manchmal auch mit ernstzunehmenden Einblicken ins Filmemachen – haben meinen Blick auf die Filmwelt enorm geprägt. Ich habe sie alle geschaut und gehört, selbst dort, wo ich die Filme nicht besonders gut fand. Die Kombination aus Streaming und Zeitmangel durch Elternschaft hat dem leider weitgehend ein Ende gesetzt.

Die DVD-Extras von The Fellowship of the Ring waren ein Erlebnis

22. The Fellowship of the Ring. Was war das für ein Glück, dass ich in einer Zeit lebte, in der das 50 Jahre alte Buch, in das ich mich gerade verliebt hatte, dann auch noch grandios verfilmt wurde. An Fellowship brachen sich alle Dinge Bahn, die mich interessierten: Computer-Effekte, Internet-Hype-Kampagnen, Fantasy, eine fantastische Nutzung des DVD-Formats. Der Film meines 18-jährigen Lebens.

23. Futurama. Wo die Simpsons den Boden bestellt hatten, konnte Futurama ernten. Die nerdigere Variante von Matt Groenings und David Cohen Humor war eine große Faszination für mich. So sehr, dass ich alle fünf Staffeln vor der ersten Absetzung als DVD-Boxen besaß.

24. 65daysofstatic: Retreat! Retreat!. Mit dem Beginn meines Studiums begann für mich auch eine neue Ära der Musikentdeckung, besonders durch meinen Freund Carsten. Ich weiß nicht, wie sich mein musikalisches Leben ohne 65daysofstatic entwickelt hätte. Die Band hat so viele interessante Sachen in den letzten 20 Jahren gemacht, ihre Livekonzerte gehören zu meinen liebsten Dingen überhaupt. Und dieser erste Song, den ich von ihnen gehört habe, gehört immer noch zu den besten Songs aller Zeiten.

25. Neal Morse: One. Andererseits: Noch war meine Prog-Begeisterung lange nicht gebrochen. Als Spock’s Beard-Frontmann Neal Morse Anfang der 2000er sein Coming Out als Born-Again-Christ hatte und künftig nur noch christliche Prog-Alben machte, hat das, gemeinsam mit einigen anderen Faktoren, etwas in mir bewegt. Ohne Neal wäre ich wahrscheinlich nicht in der evangelischen Kirche und beim Kirchentag gelandet.

26. Pink Floyd: The Wall. Konzeptalben waren ein großes Ding für mich in der ersten Hälfte der 2000er und The Wall, zu dem es ja auch einen werden aber coolen Film gibt, war mein liebstes. Ich habe mich sehr ausführlich damit beschäftigt und meine Vorstellungen von gelungen transmedialen Erfahrungen, wie ich sie zehn Jahre später erforschen würde, wurden sehr davon geprägt. Aber nur damit das klar ist: Roger Waters kann hingehen, wo der Pfeffer wächst!

White Teeth (2000)

27. Zadie Smith: White Teeth. „Black British Fiction by Women“ hieß das Seminar, das ich im Anglistik-Studium eher aus Verlegenheit besuchte, und das mich in vielerlei Hinsicht erstmals dazu zwang, mich erstmals mit Marginalisierung, Feminismus und Postkolonialismus zu beschäftigen. Zadie Smiths Debütroman, der den Fächer der damit verbundenen Erfahrungen und Erzählungen weit aufmacht, war für mich der Schlüssel dazu. Zadie Smith hat mein Denken geprägt und bis heute gehört sie zu den wenigen Autor*innen, von denen ich kein Buch verpasse.

28. Cinematical. Ich habe auch eine Weile Ain’t It Cool News gelesen, aber Cinematical (RIP) war mein Einstieg in die US-Filmblog-Kultur, über die ich mein Film-Nerdtun lange Zeit gepflegt habe.

29. The Guardian Film Weekly. Mein allererster Podcast. Dass er mich geprägt hat, sieht man daran, dass ich heute selbst ein Format mit zwei Interviews pro Folge moderiere.

30. Rudolf Arnheim: Film als Kunst. Etwas hat „Klick“ bei mir gemacht, als ich von diesem 90 Jahre alten Buch das erste Mal hörte. Arnheim ist ein sehr konservativer Denker, aber er sein Verständnis davon, wie die Materialität des Mediums sein Output beeinflusst, entspricht einfach sehr gut meinem eigenen Kunst-Empfinden. Arnheims Text bildete dann einen Teil des Rückgrats meiner Magister-Arbeit, die leider aus anderen Gründen nicht das ruhmreichste Ende nahm.

Film als Kunst (1932)

31. Stefan Niggemeiers Blog. Übermedien-Gründer Stefan Niggemeier war der erste deutsche Blogger, den ich bewusst wahrgenommen habe, erst über das Bildblog, dann über sein eigenes medienjournalistisches Blog. Ich muss einfach sagen, dass er auch ein großes Vorbild für mich war (und wahrscheinlich noch immer ist). Vielleicht nicht das beste, da ich immer wieder feststelle, dass ich von meiner Arbeitsweise ganz anders ticke, aber zumindest stilistisch glaube ich, dass er mich sehr beeinflusst hat. Fun fact: Zum ersten Mal persönlich miteinander gesprochen haben wir 2022.

32. Wired. Obwohl ich von Wired immer schon viel gehört hatte, hatte ich erst 2008 (nach einem USA-Urlaub) das erste Mal eine Ausgabe in der Hand und war sofort schockverliebt. Diese Art von Technikoptimismus passte exakt in diesen Moment meines Lebens zum Ende meines Studiums und zu beginn meines Berufslebens, das sich sehr bald stark in Richtung Online-Kommunikation drehen würde. Ich habe Wired kurz danach abonniert und ziemlich religiös gelesen. Erst als Chris Anderson als Chefredakteur ging, verlor ich das Interesse.

33. Slate’s Culture Gabfest. Dieser Podcast, den ich immer noch höre und zu dessen Hosts ich eine starke paarsoziale Beziehung habe, hat mich an das Podcastformat „stark moderierte Roundtable-Kulturdiskussion“ herangeführt, das ich viele Jahre später für meinen eigenen Podcast Kulturindustrie versucht habe, zu kopieren.

34. The Avengers. Als das Marvel Cinematic Universe noch keine Punchline war, sondern eine ganz neue Entwicklung – der Versuch, Erzählmechaniken aus seriellen Comics auf das Blockbuster-Kino zu übertragen – war ich völlig besessen davon. Ich fand die Idee einfach so revolutionär gut und neu. The Avengers halte ich für den Höhepunkt dieser Idee und bis heute für einen erstaunlichen Film.

35. This American Life. Die Art von Ira Glass und seinen Kolleg*innen, Radio zu machen, hat eine ganze Generation von Radioleuten und Podcastern beeinflusst. Auch mich hat sie von Anfang an gefangen genommen und sehr beeindruckt. Ich höre TAL immer noch jede Woche und lerne nach wie vor davon. Wenn es um den wahrhaft ausgelutschten Begriff „Storytelling“ im Journalismus geht, denke ich immer noch als erstes an TAL.

36. Simon Reynolds: Retromania. Auf der Suche nach dem Zeitgeist stieß ich 2011 auf dieses Buch, das in den kommenden Jahren als eine Art Prisma für meinen Blick auf große Teile der Kulturwelt diente (und das ich entsprechend oft zitiert habe). Interessanterweise denke ich, dass der Lebenszyklus des Buchs in den letzten zwei bis drei Jahren ein Ende gefunden hat, da sich der Eindruck einer „Hyper-Stasis“ (alles wird schneller, aber nichts verändert sich) vielerorts durch die am Horizont drohende Klimakatastrophe verändert hat.

37. re:publica. Lange bevor ich das erste Mal selbst auf die re:publica fahren konnte (2014) war sie ein Sehnsuchtsort. Der Raum, in dem sich alle Menschen trafen, die ich im Internet toll fand. Das beste: Bei meinem ersten Besuch (und auch meinem zweiten, wo ich zum ersten Mal selbst Speaker war) stellten sich viele Projektionen sogar als wahr heraus und ich hatte jedes Mal eine krasse Zeit. In den letzten Jahren hat, zugegeben, ein gewisser Gewöhnungseffekt eingesetzt.

38. Mark Rosewaters Kolumnen & Podcasts. Ich denke, der Head Designer von Magic: The Gathering ist einer der einflussreichsten Menschen in meinen Gedanken der letzten fünf Jahre. Erst im letzten halben Jahr habe ich den Eindruck, dass der Hype bei mir ein bisschen nachgelassen hat. Rosewater steht mit seiner Kolumne Making Magic und seinem Drive to Work Podcast für einen sehr transparenten Umgang mit Game Design und erklärt sehr regelmäßig genau, warum welche Entscheidungen für die Weiterentwicklung des komplexen Spiels getroffen wurden. Gleichzeitig ist er ein sehr sympathischer Typ, der seine Design-Lektionen auch gerne in Lebensweisheiten umwandelt.

39. Game Knights. Das YouTube-Format, in dem Menschen miteinander die Magic-Variante „Commander“ spielen, hat mir nicht nur das Format selbst nähergebracht, es hat mich (der sonst kaum YouTube-Formate schaut) auch viel darüber gelehrt, wie Spiele und Hobbys im Internet präsentiert werden können. Ich habe großen Respekt vor dem ganzen Team der „Command Zone“, die aus einem Zwei-Personen-Podcast ein kleines Nischen-Medienimperium mit einem dutzend Angestellten aufgebaut haben. 

40. Terra Ignota. Ada Palmers vierbändiger Science-Fiction-Zyklus hat mich sehr beeindruckt und stark beeinflusst, wie ich derzeit über Science-Fiction, Worldbuilding und die Zukunft der Menschheit nachdenke.

Ein für allemal: Paw Patrol ist kaum Copaganda (Es ist viel schlimmer)

© Bandai Namco/Nickelodeon/Spin Master

Vor einem knappen Jahr hat mein Kind angefangen, wie quasi jedes andere Kind ihres (Kindergarten-)Alters, die Serie Paw Patrol zu gucken, die seit einigen Jahren zu den größten Franchises für diese Zielgruppe gehört. Und weil ich, ähnlich wie bei Feen-Einhorn-Glitzerwelten, meinen Geisteswissenschaftler-Nerd-Hut nicht ausziehen kann, wenn ich die Serie gemeinsam mit meinem Kind schaue, äußere ich mich manchmal amüsiert dazu – zum Beispiel weil der Suit-Up-Musiktrack “Paw Patrol on A Roll” mein meistgespielter Song des letzten Jahres war. (Nicht nur mein Kind mag ihn, manchmal mach ich ihn auch als Motivation für’s Ausgehen an, denn dort treffen Pop-Punk-Riffs auf orchestralen Bombast und jemand ruft die ganze Zeit “Go! Go! Go!”).

Fast wie auf Stichwort kommt dabei häufig jemand (meist kinderlos) um die Ecke und kommentiert “Was? Paw Patrol?! Das ist doch Copaganda, würde mir nichts ins Haus kommen.” Und mir bleibt nichts anderes übrig, als die Augen zu verdrehen. Wer den Begriff nicht kennt: “Copaganda” ist ein Ausdruck aus der Medienkritik, der sich darauf bezieht, dass die Arbeit von Polizist*innen in vielen Medien, vor allem Krimis, als ausschließlich positiv und aufklärerisch dargestellt wird, während kritische Aspekte (Corpsgeist, Gewaltmissbrauch, Racial Profiling etc.) ausgespart werden oder sogar positiv besetzt sind à la “Er spielt nicht nach den Regeln, aber erzielt Resultate”.

Welpe in Uniform

Ich kann es den Kommentatoren kaum verübeln. Die sichtbarste Figur des Paw Patrol-Kosmos ist Chase, ein Hundewelpe in Polizeiuniform. Bevor ich selbst anfing, die Serie zu rezipieren, hatte ich ähnliche Vorwürfe auch schon aufgeschnappt und habe sie deswegen in ähnlicher Weise vorgebracht, wenn ich etwa mit Merchandising-Produkten in Berührung kam. Aber die Wahrheit ist, dass Copaganda bei Paw Patrol wirklich kaum eine Rolle spielt. Was die Show in Wirklichkeit so ätzend macht, ist viel schlimmer.

Wer Paw Patrol bisher aus dem Weg gehen konnte: Die Serie spielt in der fiktiven Abenteuerbucht, in der ein zehnjähriger Junge namens Ryder in einem futuristischen Turm gemeinsam mit sechs Hundewelpen (Marshall, Rocky, Chase, Rubble, Zuma, Skye) zusammenwohnt. Wann immer jemand in der kleinen Stadt ein Problem hat, besonders die trottelige Bürgermeisterin Gutherz oder die Kinder Alex und Kathi, ruft er oder sie Ryder an. Dieser ruft seine Hunde zum Einsatz, die Hunde schwingen sich nach einem Briefing in Anzüge und Fahrzeuge, und retten gemeinsam mit Ryder, was zu retten ist. Und ja, Chase ist allen Äußerlichkeiten nach ein Polizist, aber er ist wirklich nur einer von sechs “Pups” (“Fellfreunde” im Deutschen) zu denen auch ein Feuerwehrmann, ein Müllwerker, ein Bauarbeiter, ein Wasserschützer und eine Helikopterpilotin gehören.

Die Fernsehserie zum Spielzeug

Der Ursprung von Paw Patrol liegt wie bei vielen populären Kinderserien in der Spielzeugindustrie, hier bei der kanadischen Firma Spin Master. Mattel kam in den 1980er Jahren zum ersten Mal auf die Idee, ein Spielzeug (“Masters of the Universe”) mit einer Fernsehserie zu bewerben statt umgekehrt, seitdem ist das Prinzip vor allem in Nordamerika, aber eigentlich überall wo die Genese der Serien nicht öffentlich-rechtlich ist, quasi Standard. Und so liegt der Funke von Paw Patrol nicht in seiner Story. Diese wurde vielmehr erfunden, um ein Verwandelbare-Fahrzeuge-Spielzeug speziell an Kinder im Kindergartenalter zu vermarkten.

Der Serie merkt man das zu hundert Prozent an. Obwohl es auf Plot-Ebene immer um Rettungsmissionen geht (“Rescue Dogs” war die zentrale Inspiration für Schöpfer Keith Chapman), hat die Art und Weise der Rettung fast immer mit dem korrekten Einsatz von (vehikularer) Technik zu tun. Die Hunde kommen selten selbst auf clevere Ideen oder arbeiten auf intelligente Weise zusammen. Sie folgen den Anweisungen ihres Besitzers, der sie immer mit den neuesten Autos, Trucks und Gadgets ausstattet. Die Verwandlungs-Sequenzen der Fahrzeuge werden in jeder Folge in ermüdender Länge gezeigt. Jedes Problem lässt sich mit dem richtigen Knopfdruck, dem richtigen Gefährt lösen. Und natürlich gibt es zu jedem Gefährt im Laden ein Spielzeug zu kaufen. Paw Patrol tropft, vor allem in den frühen Staffeln, bevor die Figuren ein etabliertes Multimillionen-Franchise waren, die Spielwaren-Dauerwerbesendung mit ihrem gruselig technokratischen Weltbild aus jeder Pore.

Das Schlumpfinen-Problem

Natürlich haben die Fellfreunde außerdem beinahe selbstverständlich das Schlumpfinen-Problem, bei dem nur einer von sechs Hunden als Abweichung von der Norm eindeutig weiblich markiert ist. Der größte Bösewicht der Serie hingegen, Bürgermeister Besserwisser aus der Nachbarstadt, kann (wie viele Bösewichter der Vergangenheit) problemlos als queer-coded gelten. Nervig.

Doch als wäre all das nicht genug, ist die Paw Patrol nicht mal besonders gut in ihrem Job. Jay Annelli, der neben seiner Tätigkeit als Autor für Magic: The Gathering im bürgerlichen Leben in der Koordination von Katastrophenmanagement arbeitet, und sich daher mit behördlichen Aufgaben aller Art auskennt, twittert immer wieder halb-ernst darüber, welches merkwürdige Verständnis von Hilfe und Gerechtigkeit Paw Patrol vermittelt.

Privatunternehmer

Seine größte Beschwerde: Die Abenteuerbucht hat überhaupt kein regulär funktionierendes System mit Notfall-Behörden wie Polizei oder Feuerwehr. Die Stadt mit ihrer idiotischen Bürgermeisterin verlässt sich vollständig auf die Dienste eines Privatiers und seiner verkleideten Hunde, die sich natürlich umgekehrt niemals wirklich an Gesetze oder Zuständigkeiten halten. Es ist immer von vornherein klar, wer gut und wer böse ist und wen man deshalb wie behandeln darf. Ein gefährliches Bild von eigentlich staatlichen Aufgaben.

Annelli bemängelt auch, dass Chase deutlich öfter zum Einsatz gerufen wird als andere Mitglieder der Paw Patrol, die für gewisse Aufgaben viel besser geeignet wären. Das kann man natürlich als Pro-Polizei-Haltung deuten, aber: siehe oben, Chase ist gar kein Polizist, nur ein Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes.

Aber selbst wenn man diese Spitzfindigkeit meinerseits auslässt, finde ich nicht, dass Paw Patrol ernsthaft Copaganda betreibt. Das, was die Paw Patrol macht, ist in der Regel keine “echte” Polizeiarbeit, sondern eher Schadensbegrenzung, Rettung und Verhindern von Katastrophen. Chase, der Polizeihund, ist zwar die Hauptfigur, aber er verhält sich niemals so, wie sich ein Polizist – selbst in Kinderaugen – verhalten würde. Er ist beileibe nicht die einzige Identifikationsfigur und in späteren Staffeln kommt die Paw Patrol ohnehin völlig von ihren Ursprüngen ab und wird wahlweise zu Superhelden, Spionen, Dinoforschern und anderen abenteurigen Stereotypen.

Paw Patrol ist wirklich keine gute Serie. Aber die zweifelhafte Geschlechtspolitik, die quasi direkte Anleitung zum Konsumterror und die technokratische Sicht auf Problemlösungen ´- all das finde ich tatsächlich deutlich anstrengender und problematischer als den so leichtfertig herausgeholten Vorwurf der Copaganda. Oder die ziemlich gut gemachte Musik.

Beiseit: Seit (billige) 3D-Animation den Kindermedien-Markt beherrscht, lassen sich insbesondere Fahrzeuge, aber auch Figuren, von vornherein deutlich stärker so modellieren, dass sie bereits in der Serie aussehen wie ihre Spielzeug-Äquivalente. Das verringert natürlich die Transferleistung vom Bildschirm in den Laden. In der 2D-Welt der 80er war das noch anders.

Film- und TV-Highlights 2022

(c) Disney

Letztes Jahr habe ich die Grenzen schon aufgeweicht, dieses Jahr packe ich einfach alles in eine Liste. Ich will ja schließlich auch einen Pool haben, der groß genug ist, dass ich daraus überhaupt eine Top 10 auswählen kann. Warum ich hier ein Ranking vornehme und bei Podcasts nicht? Keine Ahnung.

Insgesamt merke ich mehr und mehr, wie sich mein Blick verschiebt und ich eigentlich weder den Anspruch noch den Willen habe, möglichst viel Wichtiges gesehen zu haben, um diese Liste mit der gebotenen Sorgfalt erstellen zu können. Sie ist ein Schnappschuss von Bewegtbild-Erlebnissen, die bei mir dieses Jahr hängengeblieben sind – mehr kann sie gar nicht sein.

Mein “Absatz of Shame” der Filme, die ich 2022 nicht gesehen habe: Drive My Car, The Batman, Cyrano, Aftersun, Athena, Memoria, The Menu, RRR, Bones and All und viele viele mehr.

Nun denn:

1. Andor (Season 1)

In der Kulturindustrie-Highlightsendung, die am 1.1. erscheint, habe ich auch bereits erzählt, was mich an Andor so begeistert hat. Abgesehen von einem relativ tighten Drehbuch, gute Regie, schickem Design und gutem Casting, fand ich bemerkenswert, dass hier die Tiefe des Worldbuildings von Star Wars genutzt wurde, um eine Geschichte zu erzählen, die gar nicht zwangsläufig im Star-Wars-Universum spielen müsste, sondern auch in unserer Welt stattfinden könnte. Das zeigt, wie vielseitig sekundäre Welten sein können, wenn man sich zur Abwechslung mal nicht auf ihre populärsten Tropes lehnt, sondern sie als Hintergrund nutzt für Geschichten nutzt, die es wert sind, erzählt zu werden. Ich liebte das an den From a Certain Point of View-Anthologien und ich liebe es hier. Ein echter Home Run.

2. Petite Maman

Unsere Eltern waren auch mal Kinder. Und auch als Erwachsene sind sie nicht nur Eltern. Indem Céline Sciamma erzählt, wie ein Mädchen seiner eigenen Mutter als Kind begegnet und sich mit ihr anfreundet, erforscht sie diese Gedanken märchenhaft und dennoch in ihrer Einfachheit erstaunlich klar. Ich war schon lange nicht mehr so berührt im Kino.

3. Irma Vep

Irma Vep

In Olivier Assayas’ Filmen finde ich immer wieder eine leichtfüßige Verhandlung der Beziehung zwischen dem Besonderen und dem Mondänen – hier am Beispiel eines Filmdrehs. Mit seiner Meta-Miniserie über die Entstehung eines fiktiven Remakes sowohl eines Stummfilmklassikers als auch seines eigenen Films aus den 90ern erforscht Assayas alles, was an Film frustierend und bezaubernd zugleich ist – am Ende aber landet er ganz klar auf der Seite des Zaubers.

4. Nope

Ich feiere Nope dafür, dass er es schafft, innerhalb seines Genre-Korsetts etwas Neues zu erzählen. Vielleicht nicht sehr eindeutig, vielleicht nicht so politisch, wie einige es gerne hätten, aber sehr eigenständig, originell und visuell überraschend.

5. Three Thousand Years of Longing

Es ist leicht, diesem Film vorzuwerfen, dass er sein Thema exotisiert, aber davon abgesehen ist es ein fantastisches Märchen voller Wendungen und Kurven, wie immer bombastisch verpackt und mit einer großen Dosis Kinomagie.

6. Crimes of the Future

Ein Film, der in mir gewachsen ist wie ein neues Organ. An seiner Cronenbergigkeit in Design und Inszenierung werde ich mich wahrscheinlich immer reiben, aber er verhandelt so viele interessante Ideen auf ungewöhnliche Weise, dass er gewürdigt gehört.

7. Glass Onion: A Knives Out Mystery

Meine Kulturindustrie-Kolleg*innen hätten mich fast davon abgebracht, diesen Film zu mögen, weil er als Zeitgeist-Spiegel vielleicht wirklich ein bisschen zu wohlfeil ist. Aber das ändert nichts daran, dass er sehr unterhaltsam, erneut sehr gut konstruiert und von Charakteren bevölkert ist, die im Gedächtnis bleiben. Ich bleibe gespannt, was Rian Johnson sonst noch einfällt.

8. The Lord of the Rings: The Rings of Power (Season 1)

(c) Prime Video

Ich komme immer wieder gerne nach Mittelerde zurück. Und wenn es nicht ganz so ein langatmig-sinnloses Geschlachte wie im dritten Hobbit-Film ist, sondern kompetent erzählt und wunderschön designt ist wie hier, macht es mir auch nichts aus, dass erstmal wenig passiert und eine gewisse generische Well-Madeness nicht von der Hand zu weisen ist. Für die erste Verfilmung, die sich stärker von Tolkiens Worten löst als je zuvor, fand ich Rings of Power doch sehr gelungen.

9. Avatar: The Way of Water

Spätestens jetzt merke ich, dass das Leitmotiv dieses Jahr “Handschrift im System” zu sein scheint. So schwach The Way of Water in seinem platten Plot ist, so einmalig ist er doch, wenn er sich zwischendurch 40 Minuten Zeit nimmt um einfach in seinen fantastischen Bildern zu schwelgen und am Ende eine weitere Stunde für eine auslandende Actionsequenz, wie sie nur James Cameron inszenieren könnte. Kein Meisterwerk, aber ein bemerkenswerter Film.

10. Red Rocket / Der schlimmste Mensch der Welt

Am Ende bleiben zwei Filme, die ich alle nach dem Ansehen erstmal sehr gut fand, aber deren Eindruck bei mir etwas verblasst ist. Daher kann ich mich auch nicht entscheiden, welcher am Ende doch länger in meinem Gedächtnis bleiben wird: die Geschichte eines genialen Hustlers im Nirgendwo oder das verspielt-vignettenhafte Porträt einer Person aus einer Generation, der ich mich noch entfernt verwandt fühle. Die Zeit wird es zeigen.

Lobende Erwähnung: Encanto

Lin-Manuel Mirandas Disney-Musical kam schon Ende 2021 raus, deswegen gehört er nicht offiziell auf diese Liste. Aber er hat in meinem Haushalt auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Noch hat ihn mein bald fünfjähriges Kind nicht gesehen, aber es kennt die Geschichte aus einem Buch und die Musik läuft auch heute noch bei uns (und auch bei mir) rauf und runter. Das Ende finde ich nach wie vor etwas zu einfach, aber die zentrale Metapher, die Charaktere und die verhandelten Gefühle haben mich doch sehr berührt. Als Gesamtwerk prophezeie ich Encanto ein verdient langes Leben. Der Film ist zigmal besser als der elende aber nicht totzukriegende Frozen.

Gottes Auge: Der wirklich geniale Kniff an This Is Us

This Is Them (c) NBC

Es gibt vieles, was man This Is Us vorwerfen kann (und ich denke, es ist zu Genüge geschehen). Die Serie um ein Drillingstrio, von dem eins Schwarz und adoptiert ist, ist oft genug kitschig. Sie ist melodramatisch und dreht bei allem, was mit Gefühlen zu tun hat, die Regler immer so weit nach rechts, das sie manchmal brechen. (Finde ich nicht nur verkehrt, vor allem wenn es um männliche Verwundbarkeit geht, aber sei’s drum.) Und sie hat alle Fallstricke einer Seifenoper, mit dramatischen Wendungen in einer solchen Häufigkeit, das es manchmal ins Absurde abdriftet. Insbesondere die Dichte an lange verloren geglaubten, plötzlich wieder auftauchenden Verwandten lässt an einen eher an die Klischees einer Telenovela denken, als an “Qualitätsfernsehen”.

Doch während ich gerade in der Mitte der 5. Staffel stecke (wir hatten zwischendurch fast zwei Jahre Pandemiepause gemacht, weil uns alles etwas too much war), bewundere ich aufs Neue, wie genial weniger die Handlung als der zentrale erzählerische Kniff von Dan Fogelmanns Serie ist. This Is Us spielt, das ist der erste große Reveal am Ende der Pilotfolge, parallel in verschiedenen Zeitebenen. Gleichzeitig zum Leben der Hauptfiguren als erwachsene anfangs 35-Jährige im Jahr 2016, erzählt die Serie auch die Geschichte der Eltern 35 Jahre zuvor.

In den ersten Staffeln hat das Ganze ein bisschen den Vibe von The Godfather – Part II. Die Szenen, die in den 80ern spielen, haben hauptsächlich Rückblenden-Charakter. Sie informieren Geschehnisse in der Gegenwart, bieten notwendigen Hintergrund, und dienen vor allem darum, ein sehr lange gezogenes Stück Suspense aufrecht zu erhalten. Wir wissen, dass Jack, der Vater von Kevin, Kate und Randall, gestorben ist, aber wir wissen nicht, wann und unter welchen Umständen. Bis diese Frage endlich aufgelöst wird, legt die Serie sehr viele falsche Fährten. Meisterhaft, aber irgendwann auch ein wenig ernervierend.

Von dieser Enthüllung befreit wird This Is Us ab Staffel 3 mutig. Sie multipliziert die Zeitebenen und springt nicht nur in verschiedene Zeiten zurück (inklusive der Kindheit der Eltern), sondern auch nach vorne, wenn die Kinder der Protagonist*innen bereits erwachsen sind. Gelegentlich baut sie dadurch die gleiche Fake-Spannung auf, indem sie einen schicksalhaften Moment vorwegnimmt und uns dann lange in der Schwebe hält, wie es dazu kam.

In den besten Fällen aber nutzt die Serie ihre Allwissenheit über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht nur eines Menschen sondern einer ganzen Gruppe, um wirklich wie mit dem Auge Gottes auf ihre Leben zu blicken. Sie tritt einen Schritt zurück und breitet das Leben ihrer Figuren wie einen geknüpften Teppich vor den Zuschauenden aus. Sie lässt uns die Fäden sehen, die sich vom Gestern ins Heute und ins Morgen ziehen, und die, die plötzlich enden, nur um vielleicht später wieder aufgenommen zu werden. Sie zeigt uns, wo Pfade auseinandergehen und wieder zusammenfinden oder neue Abzweigungen bilden. Sie lässt uns Menschenleben als Ganzes betrachten, nicht nur durch den schmalen Sehschlitz, der unser Alltag ist.

Man stelle sich vor, man besäße diese Fähigkeit für sein eigenes Leben. Möchte man das überhaupt? Psychotherapie versucht es manchmal. Alle Karten auf den Tisch legen und versuchen, die Muster zu erkennen. Aber This Is Us sieht eben nicht nur die Kausalitäten aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Es kann auch noch sehen, ob wir die Versprechen, die wir uns heute geben, halten werden, und wer noch dabei sein wird, um uns daran zu erinnern. Wer diesen Auge hat, der besitzt ein mächtiges Werkzeug. Es lässt ein ein kleines bisschen ehrfürchtiger auf uns Menschen und unsere Verstrickungen blicken. Und das ist etwas Besonderes.

Popkultur-Simulakren, 2021

Cowboy Bebop, (c) Netflix

Seit ich ihn gelernt habe, beim Schreiben meiner Magisterarbeit vor etwa 15 Jahren, lässt mich der Begriff des Simulakrums nicht mehr los. Ich weiß nicht, ob Jean Baudrillard ihn erfunden oder nur adaptiert hat (und bin gerade zu faul zum Googeln, der Sinn dieser Blogposts soll sein, dass ich sie schnell runterschreibe) und ich weiß auch, dass er sie deutlich politischer aufgeladen hat, als es heute meistens getan wird. Aber ich mag ihn einfach sehr, diesen Gedanken, von einem Zeichen, das auf etwas verweist, was nicht mehr da ist und somit nur noch als leerer Verweis stehen bleibt – wie ein Hyperlink auf eine 404-Seite.

In den vergangenen Jahren habe ich schon oft über Retromanie und reaktionäre Nostalgie geschrieben, aber das, was mir im Jahr 2021 begegnet, halte ich oft für harmloser. Ich denke, es stammt meist aus einer genuinen Liebe für etwas Vergangenes, und dem Wunsch, ihm ein zweites Leben einzuhauchen. Musik-Streaming etwa hat musikalischen Nischen den Weg bereitet, die sehr stark in diesen Topf greifen. Die Musik der Band LeBrock klingt eins zu eins nach Powerballaden und Hairmetal-Hymnen der 1980er, so nah dran, dass man es fast schon für Parodie halten könnte – es ist aber bierernst. Wir leben aber nicht mehr in den 1980ern, sondern 40 Jahre später. Worauf die musikalische Ästhetik der Zeit reagiert hat, etwa den Überhang der Hippie-Ära oder den Maximalismus der politischen Rhetorik, hat sich gewandelt. Somit wird die Musik von LeBrock zum Simulakrum, zum Zeichen ohne Bezeichnetes. (Ich finde sie trotzdem gar nicht schlecht, ehrlich gesagt)

Im Streaming-TV sehen wir etwas Ähnliches. Wir haben darüber unter anderem in der bald kommenden Folge von Kulturindustrie gesprochen, deswegen will ich nicht zu sehr vorgreifen, aber was genau will eigentlich Cowboy Bebop? Wenn man ein kulturelles Produkt remaket, das seinerseits bereits auf alle Lieblingsdinge der Macher*innen verweist, was bleibt dann übrig?`

Die Ästhetik, die entsteht, wenn man diesen Produktionen einerseits genug Geld gibt, um sie stellenweise poliert aussehen zu lassen, andererseits aber auch wieder nicht so viel, um sie wirklich ins Detail zu durchdenken und etwas eigenes schaffen zu können, ist so eine merkwürdige Middlebrow-Hohlheit. Nicht underdog-mäßig genug, um in seiner niedrigen Qualität charmant und roh zu sein (was man evtl. für den Original-Anime argumentieren könnte, aber auch für andere Kultprodukte wie etwa Evil Dead), aber auch nicht so mit Budget zugeschissen, dass es für echte Hochwertigkeit reicht.

Bei The Wheel of Time, von dem ich – so viel Transparenz muss sein – erst eine Folge gesehen habe, verhält es sich meiner Ansicht nach ähnlich. Die Serie ist auf Glamour gebürstet, der ruft “Schau mal, ich bin hochwertig”, es scheint ihr aber an wirklicher Qualität zu fehlen. Die Hauptdarsteller*innen, mit Ausnahme von Rosamund Pike, fallen alle in die Kategorie “Hübsch, aber charakterlos”, für die Ausstattung gilt Ähnliches. Passt aber vielleicht dann auch wieder ganz gut für eine Buchvorlage, die zwar ein großer Fantasy-Erfolg war, sich aber im Rückblick vor allem wie eine Neuverquirlung aller bis dahin bekannten Fantasy-Klischees, von Bibel über Tolkien bis Dune, mit wenigen eigenen Ideen liest.

Das sind sie, die Popkultur-Simulakren von 2021 – Verweise auf Verweise, aber nicht originell und postmodern verspielt, sondern außen poliert und innen hohl. Streaming-Golems, gut genug für Netflix und Amazon Prime.

The Morning Show und Real World Suspense – Is it a thing?

Wir haben am Wochenende die zweite Staffel von The Morning Show auf Apple TV+ beendet. Obwohl es tragisch ist, dass diese Serie, die ich in der ersten Staffel mal sehr unterhaltsam fand (und in der immer noch viele sehr charismatische Schauspieler*innen mitspielen), in der zweiten leider ziemlich random und langweilig geworden ist (Linda Holmes kann besser erklären, warum), hat sie doch einige Gedanken in mir angestoßen.

Denn eine Entscheidung, die ich sehr clever von den Drehbuchautor*innen fand, war, die Staffel in den Wochen vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie anzusiedeln. Sie spielen immer wieder sehr geschickt damit, wie fast alle Menschen den Ausbruch in China vor anderthalb Jahren erstmal nicht besonders ernst genommen haben (ich höre ab und zu meinen Podcast vom 11. März 2020 nochmal) und baden geradezu darin, große Menschenmengen und Händeschüttel-Orgien zu zeigen, während wir – das Publikum mitten in der Pandemie – dabei vermutlich jedes Mal zusammenzucken. Die Staffel kulminiert darin, dass einer der Hauptcharaktere selbst COVID bekommt, aber bis dahin spielt die Serie geschickt damit, dass wir uns ständig fragen, wie die anlaufende Pandemie wohl die Handlung beeinflussen wird?

Dazu frage ich mich einmal, ob das die erste Serie ist, die den Corona-Ausbruch auf diese Art thematisiert. (Ich habe mitbekommen, dass Grey’s Anatomy sich auch mächtig ins Zeug gelegt hat, aber dort ist man ja an vorderster Front. Auf die entsprechende Staffel von The Good Fight warte ich sehnsüchtig.) Denn wie wir zum Beispiel noch in Kulturindustrie festgestellt haben, fühlte sich etwa die dritte Staffel von Master of None ja sehr nach “in der Pandemie gedreht” an, thematisierte sie aber gar nicht.

Zweitens frage ich mich, ob diese Art von “Suspense durch Ereignisse aus der echten Welt” ein regulärer Brunnen ist, aus dem TV-Autor*innen schöpfen können und/oder sollten. Bei historischen Filmen ist es ja eigentlich gang und gäbe, dass ein großer Teil der Spannung daraus besteht, dass wir als Publikum wissen, was passieren wird, und uns eigentlich pausenlos fragen, was deswegen den Figuren zustoßen kann. Ist ja auch eine beliebte Quelle für dramatische Ironie, egal ob auf der Titanic (“Gott selbst könnte dieses Schiff nicht versenken”) oder am Vorabend der Machtübernahme durch die Nazis. Aber mit einem so jungen historischen Ereignis fühlte es sich irgendwie anders an – vielleicht auch, weil wir noch nicht auf der anderen Seite sind (“I am tired of being a part of a major historical event“). Und wie so oft endet mein Gedankengang dort – ich finde es weder besonders gut oder schlecht, nur irgendwie bemerkenswert.

Die merkwürdige Menschlichkeit von Space Force

Manchmal sind meine Podcast-Skripte nur Stichwortsammlungen, manchmal sind sie fast echte Texte. Im letzteren Fall habe ich mich entschieden, sie auch hier zu veröffentlichen für Leute, die keine Podcasts hören. Sie sind aber natürlich trotzdem darauf ausgelegt, gesprochen (und während des Sprechens verknüpft) zu werden und enthalten evtl. Fehler.

  • Serie auf Netflix, bereits am 29. Mai gestartet
  • Von Greg Daniels und Steve Carrell
  • Die Macher des amerikanischen “Office” (nie gesehen)
  • Greg Daniels: Auch “Parks and Recreation”, “King of the Hill”
  • Eine von diesen “Blank Check” Situationen
  • Außer Titel “Space Force” stand zunächst nichts fest
  • Juni 2018 – Trump: “Space Force” als Unterdivision der Air Force, “Boots on the Moon” 2024
  • Daniels: “Wer ist wohl die arme Sau, die das jetzt umsetzen muss?”
  • In der Serie ist es Steve Carrell, General Mark Naird
  • Er zieht mit seiner ganzen Familie irgendwo nach Nirgendwo, Colorado
  • Seine Mitstreiter sind 
    • John Malkovich als Wissenschaftlicher Leiter
    • Ben Schwartz als Medienbeauftragter
    • Tawny Newsome als eine der Soldatinnen, die ins All fliegen sollen
  • “Workplace Comedy”, die meisten Plots drehen sich um die Zusammenarbeit, den absurden Auftrag und die Wünsche der Politiker, die pragmatische Umsetzung dieser Wünsche und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Beteiligten
  • Kritik nicht begeistert von der Serie, vor allem weil es keine besonders harte Satire ist
  • Man erwartete anscheinend ein generelles, beißendes Auseinandernehmen der wahnwitzigen Idee, Truppen auf dem Mond zu stationieren, Trumps Größenwahn, Unfähigkeit etc.
  • Das liefert sie aber nicht. Von so etwas Ätzendem wie “Veep” könnte “Space Force” gar nicht weiter entfernt sein
  • Mir ist die Serie irgendwie ans Herz gewachsen, und ich habe in jeder Folge mehrfach laut gelacht – und das obwohl sie eigentlich weder besonders originell noch besonders lustig ist
  • Aber irgendwie hat sie so eine merkwürdige Menschlichkeit, die mir imponiert hat
  • Die Serie nimmt den Auftrag ernst – auch wenn sie seine Auftraggeber als Idioten dastehen lässt
  • Und sie nimmt vor allem auch die Leute ernst, die das umsetzen müssen – sie glauben alle auf ihre Art daran
    • Mallory (Malkovich) ist Wissenschaftler und geht mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit an die Aufgabe heran, Weltraumforschung zu betreiben
    • Und Naird, das macht die Serie ganz klar, ist nicht umsonst 4-Sterne-General
    • Er wird dargestellt als ein “guter Soldat”, jemand der an Integrität und Aufrichtigkeit glaubt, an Anstand und Diplomatie (im Gegensatz zu den anderen Top-Militärs, vor allem den Air Force Kommandanten Grabaston, der ein echter Drecksack ist), gleichzeitig hat er als Soldat einiges durchgemacht und ist deswegen nicht “schießwütiger” sondern eher friedliebender geworden
    • Damit ist Naird näher dran an Leslie Knope aus Parks and Rec als an der Chef-Figur in “The Offfice”, was wohl auch viele Zuschauer enttäuscht hat
    • Eher der Straight Man, als die Witzfigur für die man ihn halten könnte (Malkovich genauso) – die Absurditäten dringen eher auf sie ein (Schwartz, sein trotteliger Sekretär, Grabaston, der chinesische Gegner)
  • Was das merkwürdig menschliche an Space Force ist, zeigt die Serie gleich in der ersten Folge
    • Ein Raumschiff soll gestartet werden, und diesmal soll es nach mehreren Fehlstarts endlich funktionieren
    • Die Wissenschaftler beharren darauf, dass die Wetterkonditionen nicht ideal sind
    • Naird steht unter jeder Menge Druck, weil die Politik endlich Ergebnisse sehen will
    • Nachdem er sich die ganze Folge lang damit herumgeschlagen hat, bittet er auf dem Klimax um 10 Minuten alleine in seinem Büro.
    • Er blickt aus dem Fenster und …
    • … beginnt zu singen: “Kokomo” von den Beach Boys
    • Das ist seine merkwürdige, irgendwie peinliche aber unglaublich sympathische Art, sich selbst zu beruhigen
    • Es wird nicht als peinlich dargestellt. Als ungewöhnlich vielleicht, aber nicht als peinlich
    • Und es hilft ihm dann am Ende wirklich eine sinnvolle Entscheidung zu treffen
  • Solche Situationen gibt es immer wieder
    • Naird ist nicht perfekt, er trifft falsche Entscheidungen, er lässt sich in blöde Situationen bringen, er hat an einigen Stellen sehr rigide Überzeugungen, die ihn auch disqualifizieren, z. B. denkt er mit ein bisschen Disziplin wäre doch jede Herausforderung zu meistern und junge Leute heute sind Weicheier
    • Aber durch solche Eigenschaften und Überzeugungen ist er nicht zuende definiert, und er zeigt immer wieder an ungewöhnlichen Stellen Güte und Integrität
      • Zwei Beispiele
      • Er ist alleinerziehender Vater, weil seine Frau für mehrere Jahrzehnte im Gefängnis sitzt (warum wird frustrierenderweise nie erklärt) und obwohl er seiner 17-jährigen Tochter nicht die Zeit widmen kann, die sie wahrscheinlich verdient, ist er immer fair, und auf keinen Fall ein “Idiot Dad” – er hilft ihr bei den Hausaufgaben oder holt sie mit dem Helikopter aus schwierigen Momenten raus
      • Ein längerer Plotstrang dreht sich darum, dass Nairds Frau (Lisa Kudrow) ihn dazu überreden will, die Ehe zu öffnen, weil sie beide sich nur so selten sehen können (zwei Intimbesuche pro Jahr, die manchmal auch gestrichen werden). Das spricht gegen alles Konservative in Mark Naird, aber er lässt sich schlussendlich überzeugen, dass es beiden gegenüber das fairste ist
      • So versucht die Serie immer wieder, ihren Straight Man im Zentrum zu mehr zu machen als einer militärischen Witzfigur; lässt damit auch freiwillig viele Gelegenheiten aus, seinen Konservatismus für Cringe-Humor zu benutzen
      • Naird scheint einigermaßen Woke zu sein (dass Mallory schwul ist kümmert ihn zum Beispiel überhaupt nicht), er ist einfach nur unflexibel – und ich finde es angenehm, dass der Humor dann eher dort gesucht wird, als in den niedrig hängenden Früchten.

Es gibt ein längeres Interview mit Daniels, wo er seinen Ansatz für Figurenentwicklung beschreibt:

“You talk to the actors, you try and get to know who they are as people, you try to involve some of their own traits in their own backstories. I think it’s what the actors do, because the actors are given a character and then part of the actor’s job is to go into their own experience and figure out how they can relate to the character. So you try and help them with that, and be part of that process to flesh them out, and make them feel like real three dimensional people.”

Nichts besonderes, genau wie die Serie nichts wirklich Besonderes ist (und das Cliffhanger-Finale ist eigentlich sogar blöd), aber doch etwas, was mich irgendwie berührt hat – in der heutigen Fernsehlandschaft ist irgendwie für alles Platz und gerade im Bereich Comedy wird glaube ich zurzeit viel damit experimentiert, wie weit man von den vertrauten Mustern abweichen kann.