Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: WALL*E (2008)

2008 war für mich vor allem ein Jahr starker Animationsfilme, so dass sich im Endeffekt zwei um die Spitzenposition stritten: Sollte ich den politisch und filmisch relevanteren, den beeindruckenden Waltz with Bashir zum Film des Jahres krönen? Oder den fluffigeren aber Animationsgeschichtlich mindestens ebenso interessanteren WALL*E? Im Endeffekt gaben die Filmkritiker von Los Angeles für mich den Ausschlag, die WALL*E ebenfalls zum Film des Jahres wählten. “Dann darf ich auch”, dachte ich mir.

WALL*E, der zweite Film von Pixar-Regisseur Andrew Stanton, der schon Finding Nemo gemacht hatte, ist in vielerelei Hinsicht ein herausragendes Stück Film. Er traut sich, am Anfang des Films in der Animationsgeschichte zurückzugehen und 20 Minuten lang fast nur stumm zu erzählen. Er stellt zwei Looks der SF-Geschichte, die dreckige, staubige Erde und das klnische, weiße Raumschiff, einander gegenüber und setzt einen vermittelnden Charakter dazwischen, der an Liebenswürdigkeit kaum zu überbieten ist.

Man fühlt mit WALL*E, obwohl er nicht spricht und obwohl er ein Roboter ist, und das ist bemerkenswert. Der Grund ist, dass Stanton inmitten seiner robotischen Umgebung Bilder von erstaunlicher Poesie findet, besonders in der zentralen “Define Dancing”-Sequenz des Films, als WALL*E und EVE miteinander durchs All wirbeln. Der sense of wonder, der die SF definiert – hier ist er wieder einmal richtig greifbar.

Das Drehbuch ist diesmal nicht so stark wie bei Nemo, aber die Erzählweise des Films mit wenig Worten und umso mehr Sounds und einem grandiosen Soundtrack von Thomas Newman und Peter Gabriel, machen das wieder wett. WALL*E ist kein großer, bedeutender Film, aber ein kleines Juwel, das einem wirklich ans Herz wächst.

Waltz with Bashir ist dafür bedeutend und mindestens ebenso gut. Ari Folman nutzt hier (so wie im Jahr zuvor Marjane Sartrapi mit Persepolis) Animation um das Unvorstellbare und das Persönliche vorstellbar zu machen. Das gelingt ihm mit Bildern, die einen noch lang verfolgen. Damit man sich aber nicht darin verliert, setzt er als Ausrufezeichen eine Filmsequenz von den realen Schrecken des Massakers von Sabra und Schatila an das Ende des Films und weckt so zwar nicht subtil aber umso effektvoller den Zuschauer wieder auf, der somit die gleiche Reise durchmacht wie der Protagonist.

Slumdog Millionaire, der Liebling der Kritiker und der bisher größte Film von Danny Boyle, konnte mich nicht ganz so überzeugen. Ich fand ihn zwar gut, aber die wesentlich bessere Romanvorlage verdarb mir etwas den Spaß. Besser gefiel mir da schon der brillant geschriebene In Bruges, der mich so zum Lachen brachte wie schon lange davor nichts mehr.

Zwei beeindruckende Charakterstudien, eine fiktional, eine biografisch, hatte 2008 ebenfalls zu bieten: Milk und The Wrestler, die nicht zuletzt auch die Fertigkeit ihrer Regisseure Gus van Sant (Bilder) und Darren Aronofsky (Erzählung) perfekt in Szene setzten. Hunger von Steve McQueen hat beides und lässt einem mit einem eindrucksvoll-beunruhigten Gefühl zurück.

Gewohnt gut, aber jeweils nicht überragend fand ich die beiden neuen Filme von Regisseuren, die beide rund zehn Jahre zuvor ihre Meisterstücke abgeliefert hatten: The Curious Case of Benjamin Button war mir etwas zu überfrachtet , Revolutionary Road packte mich eher intellektuell als im Bauch. Auf beiden Ebenen funktionierte hingegen Gomorra.

2008 war ein Jahr dreier großer Comic-Filme. In erster Linie natürlich The Dark Knight, der aber meiner Ansicht nach (auch nach erneutem Gucken) ein wenig an seiner eigenen Unplausibilität krankt. Hellboy II – The Golden Army liegt mir mit seinen Charakteren und seinem Setting irgendwie mehr. Im Nachhinein gefällt mir aber vermutlich Iron Man wegen seiner coolen Fuck-You-Attitüde am besten.

Einen verdienten Doku-Oscar bekam Man on Wire, der eigentlich einfach nur ein verdammt guter Caper Movie mit bewegendem Finale ist. Zwei kleine Lieblinge sah ich auf dem Filmfestival von Edinburgh: Good Dick, die abgefuckteste romantische Komödie, die man sich vorstellen kann, und L’Heure d’été, der mir wegen seiner Charakterzeichnung sehr gut gefiel.

Was fehlt? Australia (zu recht), der sich nicht entscheiden konnte, was er sein will. Frost/Nixon, den ich nochmal sehen muss, damals aber nur durchschnittlich gut fand. Die völlig verkorkste Bond-Fortsetzung Quantum of Solace. Bienvenue chez les Ch’tis, den ich einfach nicht komisch fand. Und Speed Racer, der sich traute, optisch in Regionen vorzudringen, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hatte, aber sonst einfach gar nichts hatte, Gar Nichts. Schade eigentlich.

Ach ja, Frohe Weihnachten an alle! Nächste Woche dann die Enthüllung meiner Lieblingsfilme dieses Jahres.

Dieser Beitrag ist Teil 9 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme

Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme: Finding Nemo (2003)

2003 schaffte es zum ersten Mal in diesem Jahrzehnt ein Animationsfilm an die Spitze meiner Jahrescharts. Und vermutlich würde ich ihn jederzeit wieder dorthin setzen, denn Finding Nemo gehört bis heute zu den Filmen, die ich am häufigsten gesehen habe – nicht ohne Grund. Der Film ist ein Powerhouse an Witz, Design und Story, wie es auch unter den besten Unterhaltungsfilmen selten ist.

Das war keinesfalls Liebe auf den ersten Blick. Ich glaube, erst beim dritten Sehdurchgang hatte ich den Film so richtig ins Herz geschlossen. Weil ich immer noch, oder sogar noch mehr, über die Gags lachen konnte und weil ich immer noch narrative Details entdeckte, die mich beim ersten Sehen einfach erschlagen hatten. Die ganzen Anspielungen auf australische Stereotypen beispielsweise; die Ansammlung von psychischen Problemfällen im Aquarium von P. Sherman (42 Wallaby Way, Sydney); die vielen kleinen brillanten Ideen in der Gestaltung von Nebencharakteren und in der Ausschöpfung der Unterwasserwelt.

Die einfache Geschichte von einem kleinen Clownfisch, der entführt wird und von seinem überängstlichen Vater gesucht wird, springt dabei über so viele Steine, dass es eine reine Freude ist. Im klassischer Questenmanier bekommt Vater Marlin einen Helfer zur Seite und roadmoviet sich von Station zu Station: Scharadige Schwarmfische, Quallenwald, Schildkröten, Wal, Pelikane. Währenddessen hat der im Aquarium gelandete Nemo ganz andere Probleme: Er muss verantwortliches Handeln lernen und einem tödlichen Schicksal entrinnen. Das ganze kulminiert im vielleicht einzigen etwas zu kitschigen Moment des ganzen Films – wenn dann eigentlich alle vereint sind, es aber noch eine letzte Hürde zu nehmen gilt und das gelernte angewendet werden muss. Zum Glück folgt dann kurz darauf der Epilog, der zur alten Leichtigkeit zurückfindet.

Finding Nemo hat als erster Pixar-Oscarpreisträger bisher seinen Fisch gestanden. Trotz seiner vielen Abschweifungen in der Story, hält alles zusammen – ist nicht so zerfasert wie die beiden Brad Bird-Werke The Incredibles und Ratatouille. Und ebenso wie das spätere Stanton-Werk Wall*E kommt Nemo eigentlich ohne Bösewicht aus. Der Antrieb der Figuren, den Plot voran zu treiben, stammt aus ihnen selbst.

2003 war natürlich auch das Jahr in dem ein Film, zumindest in der Award Season, alles überschattete. Der Abschluss der Lord of the Rings-Trilogie, The Return of the King hat zwar von den drei Filmen den meisten emotionalen Oomph, besteht aber gleichzeitig zu großen Teilen (wie schon The Two Towers) aus Kampfspektakel und FrodoSamGollum, die sich durch die Wüstenei schleppen. Das kann auf drei Stunden gesehen dann auch irgendwann ein bisschen anstrengen.

Und 2003 war auch ein gutes Jahr für kleinere Filme, die immer noch in meinem Gedächtnis sitzen. Elephant zum Beispiel, von Gus van Sant. Oder Herr Lehmann, mit Detlev Buck und Christian Ulmen wohl die perfekte Bebilderung von Sven Regeners kratzigem Roman. Lost in Translation, allerdings, der Indie-Hit des Jahres ist auch bei wiederholtem Sehen nicht wirklich an mich gegangen. Im Gegensatz zu 21 Grams – denn damals war das Inarritu-Prinzip noch nicht so ausgelutscht. Auch Dogville gehört mit seiner Zerstörung der Illusionskunst des Films zu den besten Filmen des Jahres. Kill Bill Volume 1 wiederum nicht – hier ist die Gewalt noch zu sinnlos und gewinnt erst durch die Vollendung der Saga einen Sinn.

Außerdem gab es noch die Fortzsetzungen der Matrix. Aber sich darüber zu beschweren, könnte ein eigenes Blog füllen.

Dieser Beitrag ist Teil 4 der Serie
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme