Es gibt vieles, was man This Is Us vorwerfen kann (und ich denke, es ist zu Genüge geschehen). Die Serie um ein Drillingstrio, von dem eins Schwarz und adoptiert ist, ist oft genug kitschig. Sie ist melodramatisch und dreht bei allem, was mit Gefühlen zu tun hat, die Regler immer so weit nach rechts, das sie manchmal brechen. (Finde ich nicht nur verkehrt, vor allem wenn es um männliche Verwundbarkeit geht, aber sei’s drum.) Und sie hat alle Fallstricke einer Seifenoper, mit dramatischen Wendungen in einer solchen Häufigkeit, das es manchmal ins Absurde abdriftet. Insbesondere die Dichte an lange verloren geglaubten, plötzlich wieder auftauchenden Verwandten lässt an einen eher an die Klischees einer Telenovela denken, als an “Qualitätsfernsehen”.
Doch während ich gerade in der Mitte der 5. Staffel stecke (wir hatten zwischendurch fast zwei Jahre Pandemiepause gemacht, weil uns alles etwas too much war), bewundere ich aufs Neue, wie genial weniger die Handlung als der zentrale erzählerische Kniff von Dan Fogelmanns Serie ist. This Is Us spielt, das ist der erste große Reveal am Ende der Pilotfolge, parallel in verschiedenen Zeitebenen. Gleichzeitig zum Leben der Hauptfiguren als erwachsene anfangs 35-Jährige im Jahr 2016, erzählt die Serie auch die Geschichte der Eltern 35 Jahre zuvor.
In den ersten Staffeln hat das Ganze ein bisschen den Vibe von The Godfather – Part II. Die Szenen, die in den 80ern spielen, haben hauptsächlich Rückblenden-Charakter. Sie informieren Geschehnisse in der Gegenwart, bieten notwendigen Hintergrund, und dienen vor allem darum, ein sehr lange gezogenes Stück Suspense aufrecht zu erhalten. Wir wissen, dass Jack, der Vater von Kevin, Kate und Randall, gestorben ist, aber wir wissen nicht, wann und unter welchen Umständen. Bis diese Frage endlich aufgelöst wird, legt die Serie sehr viele falsche Fährten. Meisterhaft, aber irgendwann auch ein wenig ernervierend.
Von dieser Enthüllung befreit wird This Is Us ab Staffel 3 mutig. Sie multipliziert die Zeitebenen und springt nicht nur in verschiedene Zeiten zurück (inklusive der Kindheit der Eltern), sondern auch nach vorne, wenn die Kinder der Protagonist*innen bereits erwachsen sind. Gelegentlich baut sie dadurch die gleiche Fake-Spannung auf, indem sie einen schicksalhaften Moment vorwegnimmt und uns dann lange in der Schwebe hält, wie es dazu kam.
In den besten Fällen aber nutzt die Serie ihre Allwissenheit über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht nur eines Menschen sondern einer ganzen Gruppe, um wirklich wie mit dem Auge Gottes auf ihre Leben zu blicken. Sie tritt einen Schritt zurück und breitet das Leben ihrer Figuren wie einen geknüpften Teppich vor den Zuschauenden aus. Sie lässt uns die Fäden sehen, die sich vom Gestern ins Heute und ins Morgen ziehen, und die, die plötzlich enden, nur um vielleicht später wieder aufgenommen zu werden. Sie zeigt uns, wo Pfade auseinandergehen und wieder zusammenfinden oder neue Abzweigungen bilden. Sie lässt uns Menschenleben als Ganzes betrachten, nicht nur durch den schmalen Sehschlitz, der unser Alltag ist.
Man stelle sich vor, man besäße diese Fähigkeit für sein eigenes Leben. Möchte man das überhaupt? Psychotherapie versucht es manchmal. Alle Karten auf den Tisch legen und versuchen, die Muster zu erkennen. Aber This Is Us sieht eben nicht nur die Kausalitäten aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Es kann auch noch sehen, ob wir die Versprechen, die wir uns heute geben, halten werden, und wer noch dabei sein wird, um uns daran zu erinnern. Wer diesen Auge hat, der besitzt ein mächtiges Werkzeug. Es lässt ein ein kleines bisschen ehrfürchtiger auf uns Menschen und unsere Verstrickungen blicken. Und das ist etwas Besonderes.