Die Meriten der Pixar-Theorie und die Sehnsucht nach einem Gemeinsamen Universum

© Disney

Jon Negronis “Pixar Theory” sorgte vor gut anderthalb Monaten für einigen Aufruhr unter den Menschen, die im Internet über Film schreiben. Wer den ursprünglichen Post – oder eine seiner Visualisierungen – nicht gelesen hat, sollte das gerne jetzt tun (es lohnt sich). Die Kurzform ist, dass Negroni die Gesetzmäßigkeiten – etwa den Grad der Anthropomorphisierung – in den individuellen Pixar-Filmen mit den Easter Egg-Querverweisen kombiniert, welche die kreativen Köpfe von Pixar in jeden Film verstecken, um daraus eine völlig hanebüchene, aber in ihrer Schlüssigkeit bestechend logische Theorie abzuleiten. Diese besagt, dass alle Pixar-Filme im gleichen Universum, auf unterschiedlichen Punkten eines Zeitstrahls spielen, in dessen Verlauf diverse Mutationen die Welt verändert haben.

Kein Aufruhr ohne Gegenwehr. Die von mir sehr geschätzten Kollegen von “ANIch” und ihr Landsmann Owley schlugen in einem Posting deutlich genervte Töne anlässlich des Hypes um Negroni an. Real Virtuality ist außerdem mindestens ein weiterer deutschsprachiger Blogger namentlich bekannt, der bereits beim Erwähnen der Pixar Theory wütend wird.

Ein Hauch von Third-Person-Effekt

Ich will mich nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen, doch in solchen Momenten weht ein Hauch von Third-Person-Effekt durch die Blogosphäre – die Angst, dass Andere, weniger Eingeweihte, das sorgfältig konstruierte Verschwörungskartenhaus für bare Münze nehmen könnten, und dass man folglich bis ans Ende seiner Tage auf Parties darauf angesprochen wird, sobald herauskommt, dass man was mit Film macht. Eine kurze Twittersuche zeigt, dass – wie bei einem guten Zaubertrick – das Gros des Pöbels sich jedoch eher vor der Konstruktion verneigt, sich höchstens wünscht, dass es stimme und von Anfang an geplant wurde.

Auch Nachahmer hat die Pixar Theory gefunden. Josh Butler veröffentlichte am vergangenen Sonntag die Disney-Theorie nach dem gleichen Prinzip, ging dabei aber schon weit weniger ernsthaft zur Sache (“[E]ither Bambi’s mother can travel through time or deer just have a similar look in the Disneyverse”).

Die Freude der Verschwörungstheorie

Hinter der Pixar Theory steckt (außer der Freude am Konstruieren einer absurden Verschwörungstheorie – die wie alle Verschwörungstheorien nur funktioniert, indem man riesige Gegen-Hinweise ignoriert und kleinste Details zu großen Beweisen hochjazzt) aber auch der Wunsch vieler Fans, egal wie fanatisch sie wirklich sind, ihre konsumierten Geschichten in einem großen Ganzen zu vereinen. Sei es, um ihren Seherfahrungen eine Gesamtkohärenz zu geben, oder um zumindest die winzige Möglichkeit offen zu lassen, dass ihre Lieblingscharaktere sich einmal im gleichen Universum begegnen könnten.

Eine grandiose, epische Parodie auf diesen Vereinigungswunsch bot vor kurzem eine “Parks and Recreation”-Folge in der Patton Oswalt seinen Plot für Star Wars Episode VII vorstellte, in dem unter anderem die Crew der Enterprise, die X-Men und der Infinity Gauntlet aus dem Marvel-Universum Platz finden. Und auf der diesjährigen ComicCon sah sich Grumpy Old Man Harrison Ford, gekommen um Ender’s Game zu promoten, zum x-ten Mal mit dem gleichen Phänomen konfrontiert, als ihn ein Fan am offenen Mikrofon fragte, was sich wohl Han Solo und Indiana Jones zu sagen hätten, würden sie sich treffen. Ford antwortete wortlos und irgendwo zwischen echter und gespielter Entnervtheit.

Lang erwartete Gipfeltreffen

Dabei sind wir wahrscheinlich so nah dran, diese Frage zu beantworten, wie noch nie. Denn die Medienlandschaft hat begonnen, sich von einfachen TV-Crossovers aus den Zeiten von “General Hospital” zu verabschieden, und komplexere Standoffs zu inszenieren. Das Marvel Cinematic Universe und dort insbesondere der erste Gipfeltreffen-Film The Avengers bot genau das, worauf Fans seit Jahren warten, und zum Teil auch genau deswegen. “Wir wollen doch alle wissen, was passiert, wenn Thors Hammer auf Captain Americas Schild trifft“, lautete das Diktum. Also wurde eine Szene in den Film eingeflochten, in der genau das passiert. Nicht zur Zufriedenheit aller, natürlich.

DC bemüht sich nun, sein eigenes Verse endlich auf die große Leinwand zu bringen und lässt 2015 direkt ihre beiden Titanen, Batman und Superman, in einem Film aufeinandertreffen – wahrscheinlich der größte Geek-Gipfel seit Star Trek: Generations. Schon gehen die Spekulationen los, ob die DC-Serie “The Arrow” sich eventuell in das Man of Steel-Universum integrieren lässt. Und Bryan Singer orchestriert für Fox den größten Retcon der Kinogeschichte, wenn er in X-Men: Days of Future Past die jungen und alten Versionen der X-Men durch die Zeit reisen lässt, mit dem erklärten Ziel, Bret Ratners X-Men: The Last Stand ungeschehen zu machen.

Disney spielt uns in die Hände

Wenn man ehrlich ist, ist die Walt Disney Company gar nicht so weit davon entfernt, den Pixar- und Disney-Theorien indirekt in die Hände zu spielen. In den Disney-Parks bewohnen die Figuren längst ein für sie konstruiertes Universum (der geplante “Magic Kingdom”-Film scheint derzeit wieder im Schrank verschwunden zu sein) und Konzepte wie das jüngste Videospiel-Unternehmen Disney Infinity laden ebenfalls dazu ein, die Schöpfungen von hunderten unterschiedlichen Individuen, die jedoch seit 90 Jahren unter einem Markennamen veröffentlicht werden, als Bewohner eines gemeinsamen Weltanschauungs-Universums zu begreifen.

Wir sehnen uns also einerseits nach Einheitlichkeit, Ordnung, klaren Regeln und Autorität (schließlich könnten wir uns das Aufeinandertreffen unserer Helden ja auch einfach in einer Fanfic selber überlegen und wissen über die zu bedenkenden Faktoren wahrscheinlich deutlich mehr als der Schauspieler, der sie vor dreißig Jahren gespielt hat), andererseits nach der Möglichkeit zur endlosen Spekulation und Ausgestaltung. Moderne Story- und Markenuniversen, die in ihrer Konzeption inzwischen manchmal vor dem ersten Drehbuch stehen geben uns genau das. Ist es da nachvollziehbar, dass in dem ein oder anderen der Wunsch erwacht, die gleiche Perfektion auch älteren Entitäten überzustülpen? Dahinter steckt schließlich nur der Drang, die Fiktion genauso kohärent zu gestalten wie die Realität.


Ich würde gerne mal verschiedene Spielberg-Filme ineinanderfalten und einen greisen Indiana Jones in den Jurassic Park schicken, oder nach seinen Erfahrungen in Crystal Skull als Experte in Close Encounters auftauchen sehen. Was denkt ihr, welche Filmografien eignen sich noch dazu, in einem gemeinsamen Universum vereinigt zu werden?