Real Virtualitys Erlebnis-Highlights 2014

Naturhistorisches Museum Stuttgart, November 2014

Das Ende des Jahres ist für mich immer vor allem eine Zeit der Zurückschauens. Ich schließe mit dem Alten ab, um mich dem Neuen besser widmen zu können. Hier im Blog mache ich das seit Jahren mit einer Liste meiner zehn liebsten Filme des Jahres, die in den nächsten Tagen folgt. In meinem privaten Tumblr habe ich dieses Jahr außerdem ein Mixtape mit meiner Musik des Jahres zusammengestellt.

Letztes Jahr habe ich erstmals zusätzlich einen Rückblick auf ein paar andere (film- und medienbezogene) Ereignisse des Jahres geworfen, vor allem solche, die ich toll fand. Eine Art Thanksgiving im Dezember. Das mache ich dieses Jahr wieder. Spoiler: Es geht fast ausschließlich um Menschen.

Berlinale

Da ich mich letztes Jahr im Herbst entschieden hatte, erneut den Job zu wechseln und 2014 nicht mehr hauptberuflich mit Film zu tun hatte, reichte es im Februar nur für eine wochenendliche Stippvisite zur Berlinale – und dort auch nur für zwei Filme. Der wahre Grund, im Februar nach Berlin zu fahren, ist aber sowieso längst, tolle Menschen zu treffen. Gerold zum Beispiel, der mich sogar in seiner Wohnung übernachten ließ, und die anderen Bloggerinnen und Blogger auf dem 2. Berlinale-Bloggertreffen.

Weil ich die Freiheit hatte, mich einfach treiben zu lassen, bin ich – statt in Snowpiercer zu gehen – in der Nacht von Samstag auf Sonntag mit Vince Mancini von “Filmdrunk” um die Häuser gezogen. Ich hatte ihn angetwittert, nachdem ich gelesen hatte, dass er auf der Berlinale ist. Und weil er sich nicht gewehrt hat, habe ich ihm einmal die einzige Gegend von Berlin gezeigt, die ich einigermaßen kenne – vom Frankfurter Tor bis zum Schlesischen Tor – inklusive Lebowski Kneipe und Eastside Gallery. Selbst in der Erinnerung noch ein wenig surreal, aber definitiv einer der besten Nächte des Jahres.

Vinces Sicht der Dinge im “Frotcast” ab 38:00 und ab 44:00.

Yup, that's the wall. #Berlin

Ein von Vince Mancini (@filmdrunk) gepostetes Foto am

Trickfilmfestival

Als ich noch Filmkram gearbeitet habe, habe ich Urlaub genommen, um vom Kirchentag zu berichten – also logisch, dass ich mir Urlaub nehme, um über ein Filmfestival zu berichten, während ich beim Kirchentag arbeite. Entsprechend habe ich mein drittes Trickfilmfestival Stuttgart so intensiv erlebt, wie noch nie. Tägliche Podcasts, tägliche Kolumnen und jede Menge Filme. Hat Spaß gemacht, aber mir einmal mehr gezeigt, dass Festivalstress nicht mein Lieblingsteil des Filmlebens ist. Auch hier wieder: Tolle Leute getroffen, zum Beispiel Orlindo von “animatiosfilme.ch” und Daniel von “GentleGamer.de” und überraschende Gespräche führen können, mit Daniel Kothenschulte von der “Frankfurter Rundschau” (“Oh! Sie sind Daniel Kothenschulte!”) und Thomas Klingenmaier von der “Stuttgarter Zeitung”, der mir erzählte, dass er mein Blog liest (!).

re:publica

Noch mehr Input, noch mehr wunderbare Menschen. Meine erste re:publica war ein Rausch aus Erlebnissen und Begegnungen. Was mir nach diesem Rausch als Gefühl zurückgeblieben ist, habe ich ja schon aufgeschrieben, aber am glücklichsten bin ich wohl, dass ich durch die re:publica Kontakt zu zwei Bloggerinnen aufbauen konnte, die ich sehr schätze, Journelle und Patricia Cammarata (ursprünglich indem ich mich, alle star-struckness überwindend, recht dreist in ein Gespräch zwischen ihnen eingemischt habe). Allein dafür hat sich der Besuch gelohnt.

Viral sein

Fast beiläufig und völlig ungeplant ist es mir dieses Jahr zum ersten Mal gelungen, dass sich etwas, was ich produziert hatte, mit viraler Geschwindigkeit verbreitete und sogar beinahe Meme-Charakter annahm. Es geht natürlich um meine Game of Thrones Zeitschriftencover, insbesondere “Ygritte”. Zum ersten Mal habe ich dabei auch dieses merkwürdige Gefühl gespürt, wenn einem die Kontrolle über etwas entgleitet. Ich hätte so gerne jeden einzelnen Facebook-Share nachvollzogen und mich bedankt, gelesen was die Menschen schreiben, aber ab einem gewissen Punkt muss man die Welle einfach über sich hinwegrauschen lassen. Eine erstaunliche Erfahrung.

Serial

Ich war schon lange nicht mehr Teil eines kollektiven kulturellen Moments und als ich im Oktober hier im Blog über “Serial” schrieb hatte ich noch keine Ahnung, dass der Podcast aus dem “This American Life”-Stall zu so einem Phänomen werden würde (wenn auch nur für einen vergleichsweise ausgewählten Kreis, vor allem hier in Deutschland). Da ich sonstige Kollektiv-Wows wie Breaking Bad oder das “Red Wedding” verpasst hatte, war es ein tolles Gefühl, jeden Donnerstag auf die neue Folge zu warten, und anschließend mit dem Team des “Slate Spoiler Special” zu rätseln und zu analysieren. Über dieses Gefühl hinaus ist “Serial” aber ohnehin mein Medienereignis des Jahres, das Begriffe wie Podcasting, Storytelling, “Live” und “serielles Erzählen” für mich in ein ganz neues Licht gerückt hat. Ich empfehle übrigens die Analysen von Fernsehwissenschaftler Jason Mitell.

Interstellar

Sascha vom Blog Pew Pew Pew ist seit meinem Blogosphäre-Artikel vor zwei Jahren nicht nur ein Blog-Bekannter sondern auch ein guter Freund geworden. Dieses Jahr haben wir uns zum ersten Mal persönlich getroffen, um im Karlsruher IMAX gemeinsam Interstellar zu sehen. Der Tag, an dem wir außerdem in der Computerspiele-Ausstellung des ZKM waren und in einem glutamatüberfrachteten Chinarestaurant zu Mittag gegessen haben, war ein echte Festtag für mich und hat mich in bester Weise an die ersten IRL-Treffen der Mailingliste erinnert, mit der ich Ende der 90er das Internet entdeckte. Der direkt nach dem Kinobesuch entstandene Podcast wird eines Tages ein wichtiges Zeitdokument sein.

Techniktagebuch

Seit es gestartet ist, bin ich Fan des Techniktagebuchs, ein von Kathrin Passig initiiertes Blog, in dem verschiedene Autoren alltägliche Erfahrungen mit Technik dokumentieren, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Als ich im Oktober nach Istanbul flog und zum ersten Mal eine automatisierte Grenzkontrolle erlebte, schrieb ich das auf und reichte es erfolgreich ein. Nach zwei weiteren Beiträgen wurde ich in den Gruppenchat auf Facebook eingeladen und nicht nur fühle ich mich immer noch extrem geehrt, dass ich überhaupt auf dieser Plattform publizieren darf, die beteiligten Co-Autoren sind auch noch alle schrecklich interessante und nette Menschen (zumindest im Internet), die meinen Alltag regelmäßig mit ihren Gesprächen bereichern.

Filmlöwin

“Filmlöwin”, das vor einigen Tagen online gegangene neue Blog von Sophie Charlotte Rieger hat sehr wenig mit mir zu tun, gefreut hat mich der Launch trotzdem, weil er so einen wichtigen Leuchtturm im Bereich “Professionalisierung der Filmblogosphäre” darstellt. Sophie hat sich gut dokumentiert schon mehrfach über die Zustände im Online-Filmjournalismus geärgert, und jetzt hat sie die bestmögliche Konsequenz gezogen: sich auf ihr Alleinstellungsmerkmal besonnen, ihr Profil geschärft und daraus ein ganz eigenes Ding gemacht. Ich wünsche mir mehr solcher Projekte! More power to them!

Continuity

Schließlich noch ein Scheitern mit erhobenem Haupt, was ich durchaus auch als Highlight betrachten kann. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier im Blog angekündigt, 2014 ein Buch schreiben zu wollen. Ein Jahr später kann ich sagen: Ich habe es nicht geschafft und ich werde es so schnell auch nicht schaffen und deswegen schlage ich mir den Gedanken vorerst aus dem Kopf. Nicht nur, dass mir meistens schlicht die Zeit und der Anreiz fehlt – vor allem, wenn ich weiterhin meinen anderen Hobbies, zum Beispiel diesem Blog, nachgehen will, sondern auch, weil das Thema inzwischen ein bisschen verbrannt ist – seitdem “Shared Universe” sogar schon auf den Hasslisten aller Filmkritiker gelandet ist. Ich habe durchaus schon etwas Recherche betrieben, ich bleibe am Thema dran, aber ich werde es vorerst nicht in Buchform gießen und möchte den Druck, etwas tun zu müssen gerne auch für’s erste los sein. Also: Kein “Continuity” in absehbarer Zeit. Aber ich stehe ja auf “slow burns”, also sollte man niemals nie sagen.

2014 hat “Real Virtuality” so viele und so unterschiedliche Menschen erreicht wie noch nie. Darüber freue ich mich sehr und ich bin dafür sehr dankbar. Alljenen, die hier ab und zu etwas lesen, wünsche ich für’s nächste Jahr mindestens genausoviele Highlights wie mir für dieses.