Berlin, New York und Real Virtuality

“Wie stellst du dir Zeit vor?” – Eine Frage, die ich viel zu selten stelle. Für mich ist Zeit eine Art frei schwenk- und zoombares 3D-Modell, das quer durch den Raum läuft. Jedes Jahr ist ein Ring, die Ringe aneinandergereiht geben ein Band, das ungefähr bis 2000 vor unserer Zeitrechnung zurückreicht (danach wird es unscharf). Bei genauerer Betrachtung bestehen die Ringe aus Bögen, jeder Bogen ist eine Woche. Am Wochenende hat ein Bogen seinen tiefsten Punkt. Es ist schwer zu beschreiben, aber so funktioniert mein Verstand nunmal.

Als ich die Frage tatsächlich mal jemandem gestellt habe, sagte mir diese Person, sie stelle sich die Zeit eher vor wie einen Kalender; ihren Kalender. Ich fand das schräg. Da hat man die unendliche Gestaltungsmöglichkeit seines Verstandes zur Auswahl, und man entscheidet sich für Skeuomorphismus und modelt seine Vorstellung nach einem realen Objekt.

Mein innerer Stadtplan

Doch dann fiel mir auf, dass ich es bei meiner Vorstellung von Raum genauso mache. Wenn ich an einen neuen Ort komme, beginne ich, in meinem Kopf einen Stadtplan anzulegen. Mir gibt das Sicherheit und es hilft mir bei der Orientierung. Ich gehe oder fahre eine Straße hinunter und diese Straße – im Bezug zu anderen Straßen und Orten drumherum – wird dann in meinem Kopf geloggt und meinem inneren Stadtplan hinzugefügt. In Berlin war ich mir lange unsicher, wie genau sich Zoo, Potsdamer Platz und Alexanderplatz eigentlich genau zueinander verhalten, weil ich immer nur mit der U-Bahn von Ort zu Ort gefahren war und U-Bahnen töten jede räumliche Orientierung. Erst seit ich hier wohne, die Strecke auch mal per Bus zurückgelegt und mit Stadtplänen verglichen habe, besitze ich eine ungefähre Vorstellung.

Berlin sieht jetzt für mich ungefähr so aus. Ich kenne die Innenstadt einigermaßen, die Ecke unten links wo ich jetzt wohne und die Ecke unten rechts, wo ich mal längere Zeit verbracht habe. Ich habe quasi keine Ahnung was außerhalb des S-Bahn- und Autobahnrings passiert und das Zentrum von Kreuzberg ist ein Mysterium.

© Google Maps

Screenshot: Google Maps

Allerdings, möchte ich einwenden, ist ein Stadtplan natürlich auch wirklich nur eine Abstraktion dessen, was wir sehen, wenn wir eine Stadt tatsächlich aus der Luft betrachten. Der Skeuomorphismus in meinem Kopf geht also auf die Realität zurück, im Gegensatz zu einem Kalender, der weniger die Zeit selbst repräsentiert als das, was sie repräsentiert.

Die Situation in New York

Bei New York war die Situation ein bisschen anders. Ich kannte New York aus hunderten Filmen, Serien und Büchern, die mir immer wieder Eindrücke der Stadt gezeigt hatten. Hinzu kommt, dass New York so unfassbar einfach aufgebaut ist, dass es eigentlich ein Leichtes sein sollte, einen inneren Stadtplan zu zeichnen. Manhattan ist ein langer Zapfen, oberhalb davon ist die Bronx, oben rechts ist Queens, unten rechts ist Brooklyn. In der Mitte ist der Central Park. Die Straßen sind durchnummeriert und rechtwinklig! Einfacher geht es gar nicht.

Ich wusste trotzdem nicht, wie New York ist, bis ich 2011 dort war. Ich wohnte bei Bekannten in Queens, fuhr jeden morgen mit der Bahn in die Stadt und schritt große Teile Manhattans zu Fuß ab. Es war ein sehr merkwürdiges Gefühl, an all diesen Orten vorbeizukommen, die einem scheinbar so bekannt vorkamen: Brücken im Central Park, die Billboards am Times Square, Battery Park am Fuß der Halbinsel, wo die Fähren ablegen, das Museum of Natural History, 30 Rock.

A Couple of Blocks Away

Aber es war notwendig, einmal wirklich dort gewesen zu sein, um ein Gefühl für die räumlichen Dimensionen zu bekommen. Wie weit ist “just a couple of blocks away”, was man immer wieder in US-Medienerzeugnissen hört. Wie hoch sind die Gebäude entlang der Madison Avenue wirklich? Wie riesengroß ist der See im oberen Teil des Central Park. Wieviel kleiner wirkt Manhattan, wenn man plötzlich durch das East Village spaziert, obwohl es direkt neben den protzigen Bürotürmen des Financial District liegt. Und wie titanenhaft sind bitteschön diese Brücken über den East River?

Einmal dort gewesen jedoch klickte plötzlich alles zusammen wie ein gigantisches Puzzle. Nur eine gute Woche nach meinem New York-Besuch sah ich Nick and Norah’s Infinite Playlist im Fernsehen, ein netter kleiner Indiefilm, in dem die Titelcharaktere eine Art Road Trip durch New York erleben. Und nicht nur rief ich plötzlich ständig “Da war ich” (zur unendlichen Freude meiner Mitzuschauer, da bin ich mir sicher), sondern ich hatte plötzlich auch das Gefühl, mich viel besser in den Film hineindenken zu können. Ich konnte die zweidimensionalen Bilder auf dem Bildschirm übersetzen in dreidimensionale Bilder in meinem Kopf.

Real Virtuality

Filme konstruieren künstliche Räume, das ist eine der ältesten Erkenntnisse der Filmtheorie. Wer nacheinander einen Menschen zeigt, der von links nach rechts läuft, einen weiteren Menschen, der von rechts nach links läuft, ein Gebäude und dann zwei Arme, die einander die Hand geben, wird dadurch in 90 Prozent aller Menschen den räumlichen Eindruck erwecken, die beiden Menschen seien aufeinander zugegangen, um sich vor dem Gebäude die Hand zu schütteln – auch wenn die Aufnahmen an völlig unterschiedlichen Orten entstanden sind, das Gebäude ein Modell ist und die Hände anderen Menschen gehören als den zuvor gezeigten. Diese künstlichen Räume existieren allerdings nur innerhalb des Films, wir können sie nicht betreten, weil sie nicht existieren. Auch nicht, wenn wir alle oben genannten Drehorte nacheinander besuchen würden.

Unter anderem deswegen finde ich so spannend, was zurzeit im Bereich Virtual Reality passiert. Die dort erschaffenen Räume sind auch nicht real, sie sind digitale Simulationen. Aber sie besitzen die gleiche Räumlichkeit wie ein realer Ort. Ich kann mir die Brille aufsetzen und den Ort erfahren, so wie ich damals 2011 nach New York geflogen bin, um den Ort zu erfahren. Das bedeutet auch, dass wir vom gleichen Ort reden werden, wenn wir über unsere VR-Erlebnisse sprechen. Es wird nicht mehr so sein, wie wenn wir über Filme reden, wo sich jeder einen eigenen künstlichen Raum zusammenbaut. Wie wenn wir über Zeit sprechen, dass der eine einen Kalender sieht und die andere ein Band im endlosen Weltall. Es wird hoffentlich wie Theater, wo wir alle mittendrin stehen. Real Virtuality. Ich kann es kaum erwarten.

Passenderweise gibt es übrigens inzwischen ein VR-Produkt namens Real Virtuality, das mehreren VR-Nutzern erlaubt, gleichzeitig die gleiche Simulation zu erleben. Ich habe mein Blog also genau richtig benannt.

What is the purpose of Harry Potter: The Exhibition?

A week and a half ago, I visited Harry Potter: The Exhibition at Discovery Times Square in New York. If I had not been on holiday in New York this summer and steeped in the Harry Potter films through my podcast series, I would probably not have bothered with the exhibit. Having seen it, however, it left me intrigued and puzzled.

The press release for the opening of the exhibition in April 2009 in Chicago boasted “more than 200 authentic props and costumes from the films” and had Eddie Newquist, president of the company responsible for the show’s concept, excited about it being “enchanting, engaging and, above all, true to the spirit of the films”. What does that mean?

The most interesting part of the exhibition for Potter buffs is indeed that it showcases original props and costumes. Which means that you can finally see clothes worn by Dan Radcliffe, Alan Rickman and others “for real”. You can see, for example, how small the three young wizards once were – something which at least for me is always hard to imagine when your only reference is a big screen image.

The exhibit is also made up like a theme park ride, full of replicas of scenery and characters from the series. These make for “magic” atmosphere, of course, but they also hammer home what seems to be the point of the whole exhibit: that Harry’s World isn’t something that was created by a team of talented filmmakers, but something that is almost so real you can experience it yourself. The following examples illustrate this concept:

1. Every costume will bear a caption reading something like “Robes worn by Harry Potter (Daniel Radcliffe) in ‘Harry Potter and the Goblet of Fire'”. Note how the caption emphasizes the fictional character over the actor, ignoring the fact that Harry Potter never actually wore the robes. Daniel Radcliffe wore them while he was playing Harry Potter.

2. The Hagrid costume on display is not human-sized, it’s Hagrid-sized. The belonging plaque will still read “Clothes worn by Hagrid (Robbie Coltrane)”, eliminating the notion that Coltrane is actually not as big as Hagrid and probably wore smaller clothes when he portrayed the character, while the clothes on display might have been worn by a size double, if they are actually authentic props at all (there is no way to tell).

3. In a part of the exhibition that deals with the villains of the films, a statue of the house elf Kreacher sits between the costume busts. It’s a lifelike recreation of what the elf would look like if he ever actually existed outside of a computer and it also has a little plaque reading “Kreacher as seen in …”. This is, of course, completely meaningless, because this painted styrofoam Kreacher is just as unreal as the virtual elf on the screen. An interesting alternative would have been to display the maquette that Industrial Light and Magic used to create the character, but that would probably destroy the “magic”.

For me, this conception of the exhibit renders it quite useless no matter what you are interested in. If you really want to look behind the screens of the film series, you will be disappointed, because the show offers nothing at all about the making of the films, except the props (unlike, for example the Museum of the Moving Image which I visited a day later and which absolutely knocked my socks off because it is designed so well). If you want to study the craftsmanship and attention to detail that went into the production design of the movies, the shenanigans around the actual displays will drive you mad and give you a hard time actually looking at things up close. And if you are interested in the complete immersive Harry Potter experience, you will be disappointed as well, because the props and costume displays clearly disrupt the storytelling experience of the exhibit, as they come from a world outside the show (which differentiates the exhibition from the Wizarding World of Harry Potter theme park).

Moneymaking aside, what is the purpose of exhibitions like this? According to David Monsena, president of the Museum of Science and Industry in Chicago, the Harry Potter exhibit “embodies the Museum’s mission of inspiring the inventive genius in everyone”. How any part of Harry Potter: The Exhibition could inspire you to more than buying stuff in the gift shop, however, remains a mystery to me.

(Edward Rothstein of the “New York Times” thinks many of the same thoughts but arrives at a more positive conclusion.)