Mathias J. Ringler: Die Digitalisierung Hollywoods: Zu Kohärenz von Ökonomie-, Technik- und Ästhetikgeschichte und der Rolle von Industrial Light & Magic. Konstanz: UVK, 2009. 187 Seiten, € 24,00
Ein hehres Ziel hat sich Mathias J. Ringler mit seiner Doktorarbeit gesetzt: Er will die Digitalisierung Hollywoods beschreiben, in der Kohärenz von Ökonomie-, Technik- und Ästhetikgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Rolle der wohl bekanntesten Visual-Effects-Schmiede Hollywoods, Industrial Light & Magic (ILM). Die “Trias”, wie er sie nennt, von Wirtschaft, Technik und Ästhetik, die er aus dem Standardwerk “Film History” von Robert C. Allen und Douglas Gomery zieht, ist ihm extrem wichtig: immer wieder weist er darauf hin und bezieht die Begriffe in seine Kapitelüberschriften mit ein. Und sie ist mit Sicherheit der richtige Ansatz, denn anders als in der Zusammenwirkung dieser drei Faktoren lässt sich nichts in der Kunst-Industrie des Films ausreichend erklären. Umso tragischer ist es, dass Ringler mit seinem Buch, einer Doktorarbeit an der Uni Erlangen-Nürnberg, keinem der drei Faktoren gerecht wird.
“Die Digitalisierung Hollywoods” scheitert maßgeblich auf zwei Ebenen. Ihr erstes Scheitern besteht darin, dass sie ihrem akademischen Anspruch kaum gerecht wird. Ringler schlägt einen weiten Bogen, will seine Ausführungen über Digitalisierung bis in die Anfänge Hollywoods zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen, doch er bleibt dabei stets so nah an der Oberfläche, dass sich seine Arbeit zeitweise eher liest wie ein Sprechzettel für einen Politiker, der gebeten wurde, eine Rede zur Digitalisierung zu halten.
Entschuldigungen dafür gibt es auf gerade mal 161 Seiten (ohne Anhänge) genug: Immer wieder weist Ringler darauf hin, dass es den Rahmen seiner Arbeit sprengen würde, wenn er tiefer in ein Thema einsteigen würde. Die Entschuldigungen können jedoch keine Erklärung dafür sein, dass er für viele Themenbereiche mit nur wenigen Quellen arbeitet und bevorzugt diejenigen zitiert, die allenfalls einen groben Überblick über das Thema bieten, beispielsweise Röwekamps “Schnellkurs Hollywood” zum Thema “New Hollywood”. Einen Abriss über die ökonomische Funktionsweise des klassischen Hollywoodkinos geben zu wollen, sogar mit Bezug auf die von Allen und Gomery beschriebene “Great-Man-Theory”, ohne Thomas Schatzens wegweisendes Werk “The Genius of the System” auch nur zu erwähnen, scheint schlicht unmöglich, Ringler macht es trotzdem. Das New Hollywood besteht in seinem Buch maßgeblich aus dessen Anfängen (Bonnie und Clyde, The Graduate) und dann aus Spielberg und Lucas. Dass es weniger die späteren Blockbuster-Erfinder Spielberg und Lucas waren, die der wichtigsten Erneuerungswelle des amerikanischen Kinos ihren Stempel aufdrückten, als vielmehr Francis Ford Coppolas Firma Zoetrope (Immerhin: Der Pate wird erwähnt) und Regisseure wie Martin Scorsese, Peter Bogdanovich und Hal Ashby, scheint Ringler keine Erwähnung wert.
Bei der Beschreibung der Auswirkungen der Digitalisierung des Films lässt der Autor bahnbrechende Techniken außen vor. Den “Digital Intermediate Process” (DI) des Color Gradings beispielsweise, den inzwischen fast jeder Film durchläuft, erwähnt er ebenso nur im Vorbeigehen, wie die Demokratisierung von Produktionsprozessen und die neue Qualität des Dokumentarfilms durch HDV und die Veränderungen in der Schnittästhetik durch nonlinearen digitalen Schnitt. Für eine Doktorarbeit, die sich einen so umfassendes Ziel setzt, kann das nicht genügen. Das von Ringler ausgiebig zitierte Buch Film und Computer von Almuth Hoberg, obwohl inzwischen zehn Jahre alt, bietet nach wie vor einen wesentlich fundierteren Überblick über das Thema in seiner Gesamtheit.
Den Werdegang und den Einfluss von ILM, den Ringler als eine Art Fallstudie in den Kern seiner Ausführungen stellt, beschreibt das Buch noch am besten, doch auch hier hat es klare Defizite. Dies wird vor allem dadurch begründet, dass als Quellen über die Arbeit des Unternehmens aufgrund dessen Kommunikationsstrategie eigentlich nur Propagandamaterial und kaum “objektive” Quellen zur Verfügung stehen. Doch auch hier können DVD-Dokumentationen, Audiokommentare und der Rest des Panoptikums, der inzwischen an Material über Visual Effects – gerade zu wichtigen ILM-Filmen wie Terminator II oder die Star Wars-Saga – zur Verfügung steht, Anhaltspunkte zumindest für die ästhetische Analyse bilden. Bei der Lektüre des Buchs entsteht der Eindruck, dass der Autor eigentlich nicht weiß, wie die Arbeit an Visual Effects wirklich vonstatten geht – stattdessen lässt er sich allzu oft von der zuvor kritisierten Propaganda blenden, schreibt bewundernd über Rechnerkapazitäten und die tolle Arbeitsatmosphäre auf der Skywalker Ranch.
Das zweite Problem des Buchs ist seine Struktur. Obwohl sich Ringler Mühe gibt, seine Kapitel jeweils unter einem der Aspekte seiner Trias zu subsummieren, gelingt das in den seltensten Fällen. Die Abschnitte handeln oft erstaunlich unstringent von dem, wovon sie handeln sollen, stattdessen werden große Teile des Textes darauf verwandt, auf vorhergehende oder noch folgende Ausführungen zu verweisen, was den Leser unnötig verwirrt. Eine klarere Struktur, die alle Aspekte eines Themas Stück für Stück abarbeitet, hätte deutlicher machen können, worauf der Autor eigentlich wirklich hinaus will.
Allein, auch das wird bei der Lektüre von Ringlers Arbeit nur äußerst unzureichend klar. Seine Schlussfolgerungen bestehen häufig aus einem unglaublich vagen “Alles verändert sich”. Was sich konkret verändert hat seit 1975 – und was sich noch verändern könnte – bleibt gerade innerhalb der Trias sehr nebulös, zu handfesten Zahlen und Statistiken, die die Veränderungen beispielhaft beziffern könnten, greift der Autor nur selten.
Schließlich und endlich ist “Die Digitalisierung Hollywoods” anscheinend nur notdürftig lektoriert worden. Einige Teile des Buchs scheinen aus dem Jahr 2004 zu stammen und wurden nur flüchtig aktualisiert, so ist an einer Stelle von den “fünf bisher produzierten ‘Star Wars’-Filmen” (es sind seit 2007 sechs) die Rede. Hinzu kommen Erbsenzähler-Fehler wie eine falsche Schreibweise von Jar Jar Binks und eine manchmal etwas kreative Zeichensetzung, die aber auch dazu beitragen, dass der Gesamteindruck des Buches sich nicht verbessert. Schade eigentlich, denn von einem gerade in der Filmwissenschaft oft herausragenden Verlag wie UVK ist man eigentlich Besseres gewohnt.
Diese Kritik erschien erstmals bei Screenshot – Texte zum Film. Als Anmerkung sei gestattet, dass Mathias J. Ringler mich in seinem Buch zitiert und meine Meinung als “treffend” bezeichnet. Dadurch fühlte ich mich geschmeichelt, aber leider nicht besänftigt.