Ich glaube, dass Children of Men einer der unterschätztesten Filme des Jahrzehnts ist, vor allem aber des Jahres 2006 – auch wenn viele Kritiker ihn mochten und lobten, war der Film sowohl an den Kinokassen als auch in der Award Season wenig erfolgreich, und das obwohl er auf so vielen Ebenen begeistert.
Alfonso Cuarons Film enthält einige ewig lange Kameraeinstellungen, deren perfekte Ausführung jedes Filmformalistenherz höher schlagen lassen. Hinzu kommt eine Menge angenehm subtiler Visual Effects und ein so behutsames Design, dass diese Zukunftsvision einfach sehr glaubhaft ist. Man füge außerdem eine Szene mit “In the Court of the Crimson King” hinzu, und man hat mich schon gewonnen.
Viel wichtiger ist aber, dass Children of Men einfach ein verdammt guter Science-Fiction-Film ist, weil er die eigene Gegenwart so gekonnt in die Zukunft spinnt. Aktuelle Probleme wie Terrorismus, Flüchtlinge und rückläufige Geburtenraten greift er (basierend auf dem Buch von P. D. James) auf und schöpft daraus ein Szenario, das er mit großartigen Schauspielern (Clive Owen, Julianne Moore, Michael Caine, Chiwetel Ejiofor, Peter Mullan) bevölkert und das, weil es so realistisch wirkt, sehr beklemmend ist. Sein Realismus zeichnet den Film aus: Die Kampfszenen im Flüchtlingscamp zum Ende des Films hin scheinen eher wie heutige Kriegsszenen vom Balkan oder aus Bagdad. Eingebettet in ein SF-Szenario können sie aber auf eine andere Weise wirken, die nicht so stark die “Von Krieg will ich nichts wissen”-Reflexe triggert.
Zugegeben, der Film krankt stellenweise an den üblichen Problemen: Exposition über die imaginierte Vergangenheit muss möglichst beiläufig in Dialoge eingeflochten werden, was nicht immer gelingt. Manchmal ist seine Bildsprache ein wenig zu symbolträchtig. In der hervorragenden Gesamtheit seiner künstlerischen Vision jedoch kann man darüber hinwegsehen. Ich würde ihn jederzeit wieder zum Film des Jahres ernennen.
2006 war das Jahr der Mexikaner. Neben Cuarons Children of Men begeisterte auch El Laberinto del Fauno von Guillermo del Toro die Menschen (inklusive mir) und Babel kam auch sehr gut an (ich fand ihn etwas zu betulich bemüht). Es war außerdem das Jahr von Martin Scorsese, der nach all seinen großen Historienschinken mit The Departed mal wieder einen geschliffenen, spannenden Thriller hinlegte. The Last King of Scotland gefiel mir ebenfalls vor allem in seiner Drehbuchkonstruktion sehr gut.
Christopher Nolan machte zwischen seinen beiden Batmans ein kleines Meisterwerk: The Prestige, ein gerne übersehener Geheimtipp. Und wo wir gerade bei Geheimtipps sind, Richard Linklaters A Scanner Darkly ist zwar nicht ganz einfach zugänglich – wenn man ihn aber durchdringt, kann man ihn als Freund guter SF eigentlich nur mögen. Ich mochte auch Michel Gondrys Science of Sleep, auch wenn er die Rafinesse seines Vorgängers Eternal Sunshine vermissen ließ. Und ich fand, dass Das Parfum eine solide, gute Arbeit von Tom Tykwer war, die das Buch angemessen auf den Bildschirm übertrug.
V for Vendetta mochte ich damals auch, ich bezweifle allerdings, dass der Film einer zweiten Sichtung standhält – wo wir allerdings gerade bei Explosionen sind: Mission: Impossible III von JJ Abrams wusste dank Philipp Seymour Hoffmann als guilty Pleasure auch zu begeistern ebenso wie der neue Bond Casino Royale wegen seiner vielen frischen Ideen.
2006 bot auch zwei gute Komödien: Little Miss Sunshine und Thank You For Smoking und viel zu viele – und dafür in der Summe umso enttäuschendere – Animationsfilme, allen voran der schwächste Pixar-Film Cars. Auf den Hype um Borat konnte ich dank mangelnder Witzigfindung leider nicht aufspringen und werde es wohl auch nicht mehr.
Half Nelson mit einem tollen Ryan Gosling und einem sehr atmosphärischen Soundtrack von Broken Social Scene bekam ebenso die verdiente Aufmerksamkeit der Academy wie The Queen, dessen eher zurückgenommener Inszenierungsstil ihm allerdings ein wenig das Kinoformat nahm. Und schließlich war da noch der Doppelschuss von Clint Eastwood, Flags of our Fathers und der hochgelobte Letters from Iwo Jima, den ich allerdings leider noch nicht gesehen habe. Das ist dann etwas fürs nächste Jahrzehnt.
Zehn zu Null – Eine Dekade voller Filme
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