Mit diesen drei Richtlinien können Nerds dem Empfehlungsdilemma entgehen

Mein Freund Simon ist der größte Brettspiel-Nerd, den ich kenne. Er arbeitet freiberuflich in der Spielebranche und seine Wohnung gleicht einem Ausstellungsraum für Brettspiele jeder Form und Farbe. Mir war also klar, an wen ich mich Ende Oktober wenden würde, als ich vorhatte, ein neues Spiel zu kaufen. Bis sich folgender Dialog im Facebook-Messenger entspann:

Alex: Hi! Kathi und ich fahren nächste Woche in Urlaub. Kennst du noch ein gutes kompaktes Spiel für zwei, das ich mitnehmen könnte?

Simon: Ich kenne einige, habe auch einige und kann entsprechend einige empfehlen… :) Kommt ein bisschen drauf an, was ihr mögt.

Alex: Ich weiß nicht so richtig, was wir mögen. Wir hatten Spaß am “Siedler”-Kartenspiel und an “Mr. Jack“. Ich wollte gestern am liebsten “Munchkin” kaufen, aber das geht ja erst ab 3 Spielern. Ist das eine Orientierung?

Simon: Du meinst, das 2-Personen-Kartenspiel für Siedler, richtig? Ja, das finden wir auch super. Schon lange nicht mehr gespielt, allerdings – kostet dann doch etwas Zeit. So, wie ich das herauslese, sollte das Spiel thematisch eingekleidet sein, weniger abstrakt. Und auch eher kein 2-Stunden-Spiel, sondern eher was kürzeres, das man ggf. öfter spielen kann. Und sollen es primär 2-Personen-Spiele sein (also reine ebensolche), oder Spiele, die auch mit mehreren gespielt werden können?

Alex: Meistens sind wir zu zweit. Das Thematische ist wurscht. Wir wollen nur im Urlaub auch mal was anderes machen als Fernsehen gucken, essen und lesen :)

Simon: Ah. Wie schauts mit der Spiellänge aus? Ich hab da durchaus involvierte, lange Spiele, aber auch Spiele mit “normaler” Länge, oder sogar kurze :) Ist die Frage – lieber ein Spiel lang, oder ein Spiel mehrfach… :)

Alex: Egal. Kurz ist praktischer, aber wenn das lange Spiel gut ist nehm ich auch das

Simon: Okay, dann lass mich mal überlegen. Ich kann allerdings nicht garantieren, dass es die Spiele noch alle gibt. In Berlin solltet ihr aber mehr Chancen haben, denke ich… Das dauert jetzt etwas, da ich eine etwas größere Liste bzw. Auswahl vorschlage. Jeweils mit Link zu einschlägigen Foren, damit ihr weitere Infos/Bilder kriegt, falls es interessant klingt
Ich mach mir grade nen Tee, dann setz ich mich dran… :)

Alex: Simon, empfiehl mir doch einfach was Einfaches, was ich überall bekomme und womit wir zu zweit ein bisschen Spaß haben können.

Simon: Wenn das so einfach wäre.

Ich war hin- und hergerissen. Einerseits war ich zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich genervt, weil ich doch eindeutig einen Experten gefragt hatte. Warum war dieser Experte nicht in der Lage, meine doch irgendwie einfache Frage auch einfach zu beantworten? Andererseits konnte ich Simon verstehen. Wenn man als Experte schon mal gefragt wird, dann möchte man natürlich auch sein gesamtes Expertenwissen anwenden (was ja schließlich sonst so selten Leute interessiert).

Die vermittelnde Instanz fand ich im Journalismus. Dort geht es schließlich auch darum, umfangreiches Wissen so zu filtern und aufzubereiten, dass es auch von jenen verstanden werden kann, die das Wissen nicht besitzen. Und auch wenn die Verfechter der aktivistischen Filmkritik den Charakter der Filmkritik als Dienstleistung ablehnen, ist es doch genau eine Dienstleitung, die sich viele Konsumenten mindestens von einer Filmkritik erwarten. Eine Antwort auf die Frage: Sollte ich mir diesen Film ansehen? Ich weiß, “Here I am, brain the size of a planet, and they ask me to take you to the bridge.” Aber trotzdem.

“Kannst du mir einen Film empfehlen?” ist die Frage, die ich als Filmmensch nach “Kannst du Filme noch normal gucken?” und “Was ist dein Lieblingsfilm?” wahrscheinlich am häufigsten gestellt bekomme. Und weil ich ungerne ein Snob bin und gerne gute Antworten gebe, halte ich mich bei dem, was ich daraufhin sage, an drei einfache Richtlinien, die ich hiermit allen Nerds ans Herz legen will. Eure Freunde werden sich bei euch bedanken und euch als Empfehlungsgeber weiterempfehlen. Garantiert!*

1. Denkt in breiten Kategorien

Ihr seid Experten und kennt euer Feld viel feinkörniger als jeder Laie. Ihr sortiert euer Interessensgebiet nach Schulen, Ländern, Branchenkategorien. Aber mit diesem Insiderwissen verwirrt ihr euer Gegenüber nur. Dem genügen vermutlich die Einordnungen, wie sie in einer Kaufhausabteilung gemacht wurden. “Komödie”, “Drama”, “Musical”. “Rock”, “Pop”, “Dance”. “Krimi”, “Historischer Roman”, “Liebesschnulze”. Zwingt euch, für einen Moment ebenfalls in diesen Kategorien zu denken. Wenn eure Gesprächspartnerin ein Beispiel nennt, was sie gerne mochte, ordnet dieses Beispiel möglichst weit ein. Wenn sie sagt: “Ich mochte Willkommen bei den Sch’tis.”, denkt nicht: Okay, sie mag französische Filme von und mit Dany Boon, die sich über lokale Besonderheiten lustig machen und mindestens zehn Millionen Zuschauer hatten. Denkt: “Sie mag lustige Filme. Und sie hat nichts gegen europäisches Kino.” Empfehlt ihr schweren Herzens Ziemlich beste Freunde, falls sie den nicht eh schon kennt.

2. Sortiert nach Erhältlichkeit

Simons erste Empfehlung auf meine Frage oben (“7 Wonders – Duel”) hätte ich online bestellen oder in einem Fachhandel suchen müssen. Ich hatte aber tatsächlich relativ wenig Zeit und wollte am liebsten in den nächsten Karstadt marschieren und es noch schnell mitnehmen. Aus demselben Grund empfehle ich Leuten, die mich nach Filmen fragen, am liebsten Filme, die gerade noch im Kino laufen oder überall einfach auf DVD zu haben sind. Denn auch wenn ihr bereit seid, für die perfekte Perle lange und hartnäckig zu graben, heißt das nicht, dass euer Gegenüber genau so denkt. Wenn ihr bei eurer Empfehlung seine Bedürfnisse mitdenkt, heißt das auch, dass ihr es ihm einfach machen solltet, eurer Empfehlung auch nachzukommen. Sonst steht die Chance hoch, dass ihr euch viele Gedanken gemacht habt, aber nie erfahren werdet, ob der Tipp ein guter war.

3. Macht es euch selbst nicht so schwer

Auch wenn es euch vielleicht Spaß macht, euer ganzes Wissen in den Ring zu werfen, lange an einer perfekten Lösung zu tüfteln und die Fragenden im Zuge dessen ein bisschen zu bilden, ihnen am besten noch eine Auswahl zu geben, aus der sie selbst wählen können: Widersteht der Versuchung! Sie macht dem anderen unnötige Arbeit. Als Experten solltet ihr auch wissen, welche Kulturprodukte allgemein beliebt sind. Nennt erstmal das nächstbeste, was euch passend vorkommt. Wenn die Fragende das Empfohlene schon kennt, geht eine Schicht tiefer und nennt etwas, was viele, aber nicht alle mögen (in Reiseführern und Fernsehzeitschriften gerne hyperbolisch “Geheimtipps” genannt). Ein solches Schichtensystem sorgt im besten Fall dafür, dass ihr die fragende Person sanft an einen (eurer Meinung nach) guten Geschmack heranführt, statt von vornherein dutzende Kategorien abzufragen, über die sie sich vermutlich vorher nie Gedanken gemacht hat.

Diese Richtlinien sind übrigens genau das: Richtlinien. Keine in Stein gehauenen Gebote. Wenn euer Gegenüber ebenfalls so seine Obsessionen und Zeit hat, kann es Spaß machen, gemeinsam auf die Suche nach der perfekten Empfehlung zu gehen. Oder die Fragende ist ohnehin so informiert, dass sie bitte einen außergewöhnlichen Tipp haben will und eben nicht eine allgemeine, einfache Empfehlung. Ich selbst stelle solche Fragen allerdings eher selten, selbst in Gebieten, in denen ich mich nicht auskenne, weil die Gefahr, danebenzulangen, viel größer ist. Und ich bekomme sie auch nur selten gestellt.

Case in Point:

Simon: Stell Dir mal vor, ich frag Dich nach nem spannenden, lustigen Film

Alex: Naja, ich werde das ja auch öfter gefragt und ich habe das geübt ;). Zum Beispiel würde ich dir bei spannend und lustig momentan empfehlen … Man from UNCLE.

Simon: Ja, Man from U.N.C.L.E. steht auf der Liste.

* nicht garantiert

Bild: Allan Ajifo, CC-BY 2.0

4 thoughts on “Mit diesen drei Richtlinien können Nerds dem Empfehlungsdilemma entgehen”

  1. Das kommt mir wirklich sehr bekannt vor :)

    “Empfehl mir doch mal ‘nen Film” vs “Äähm, das hängt ganz davon ab, was du sehen willst”

  2. Pingback: URL

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