Denise Fernholz, die inzwischen den tollen Podcast-Newsletter “Beifahrersitz” schreibt (für mich unerlässlich zur Übersicht über Neuerscheinungen und als Selbsthilfe-Support), hat für den “Mixdown”-Newsletter der Podstars vor ein paar Jahren die Kolumne “Vom Podcast gelernt” redaktionell betreut. Eines der wenigen Formate, in dem Podcaster:innen ehrlich von ihren Prozessen und Inspirationen berichten. Letztes Jahr, als ich zum ersten Mal ein größeres Podcastprojekt (“X-Base”) im Rahmen von LÄUFT hinter mich gebracht hatte, habe ich mir daran ein Beispiel genommen, und zum ersten Mal meinen Weg dorthin und meine gewonnenen Erkenntnisse aufgeschrieben. Vor einer Woche erschien mit “Die Marienhof-Connection” erneut ein Format außer der Reihe im Feed von LÄUFT, über dessen Genese ich hier berichten will. Vieles von dem, was ich aufschreibe, dürfte für andere Podcaster:innen Routine sein, aber ich glaube, dass man vom offenen Teilen von Erfahrungen immer profitieren kann, so wie ich von Denise’ Erfahrungen aus ihrem Newsletter profitiere.
Inspiration und Recherche
- Der Ursprung der “Marienhof-Connection” liegt vermutlich in meinem Interview mit Khesrau Behroz vom Juli. Einerseits, weil ich danach – es ging um “Judging Amanda Knox – verstärkt über Drehs zum Thema “True Crime” in meinem Podcastfeld Medienjournalismus nachgedacht habe. Ich habe an anderer Stelle öfter kritisiert, dass gefühlt jedes journalistische Ressort, vom Feuilleton bis Wissenschaft auf den True-Crime-Boom aufspringt, aber es bleibt ja eine Tatsache, dass viele Ereignisse, in denen Verbrechen und ihre Aufklärung im Zentrum stehen, gute Geschichten ergeben..
- Das war die andere Inspiration, die ich aus dem Gespräch mit Khesrau mitgenommen habe: Er hat im Interview gesagt, dass er nicht nach Themen, sondern nach Geschichten sucht. Das hat mich dazu getrieben, ebenfalls nach einer medialen Geschichte zu suchen, die ich am Ende des Jahres in einer Spezialfolge erzählen könnte.
- Eines Abends im Bett (wirklich!) fiel mir die Geschichte von Volker Lilienthals Marienhof-Recherche bei epd medien wieder ein. Als ich 2009-2010 bei epd medien gearbeitet habe, war Lilienthal noch verantwortlicher Redakteur. Die Erinnerung an die Recherche war noch frisch, aber sie war bereits zu einer Art Legende geworden. Dieser Aspekt interessierte mich.
- Für die Folgen zu X-Base hatte ich das Format der Oral History ausgekundschaftet, in der viele verschiedene Stimmen gemeinsam die Historie eines Ereignisses erzählen und sich aus dem so entstehenden Chor ein Ablauf formt. Die Lilienthal-Recherche hatte den zusätzlichen Vorteil, dass sie das exakte Gegenteil schien: eine Geschichte, die ich aus einem langen Interview heraus erzählen konnte. Mir war aufgefallen, dass auch Podcasts wie Search Engine manchmal diesen Modus einschlagen, wenn sie etwas weniger Aufwändiges produzieren wollen. Sie lassen einen Experten/eine Expertin die Story ihrer Recherche erzählen, und der Host überbrückt die Interviewpassagen mit Zusammenfassungen, Kontext und Meinung.
- Bei der Vorab-Recherche half mir, außer dem epd-Archiv, vor allem ein verschriftlichter ZAPP-Beitrag von 2005, der die Chronologie der Geschichte bereits ziemlich gut aufdröselte. Er erlaubte mir bereits vor dem Interview mit Volker Lilienthal, eine gute Vorstellung davon zu gewinnen, wonach ich ihn fragen muss, wenn ich alle Wegmarken der Geschichte passieren will. Auf einem Miro-Board konnte ich so bereits eine vorläufige Dramaturgie der Story skizzieren, wie sie in zwei Podcast-Folgen passen könnte (siehe Bild). Jede Folge sollte dabei Szenen, Wendepunkte und Momente der Reflexion enthalten, denn ich fand immer, dass einer der Schwachpunkte meiner “X-Base”-Story der Mangel an greifbaren Szenen gewesen war.
- An dieser Stelle kamen mir auch die ersten Ideen, wie ich die Geschichte für Audio aufbereiten konnte und welche ihrer Aspekte ich in der damaligen Zeit unterberichtet fand – vor allem, wie genau die Recherche und die juristische Auseinandersetzung ablief. Dabei schälte sich für mich auch heraus, dass es keine “True Crime”-Story war, auch wenn illegale Taten ihr Auslöser waren, sondern eine “True Journalism”-Story im Stil von All the President’s Men, Spotlight oder She Said. (Eine Referenz an diese Szene aus She Said hatte ich eine Weile im Skript stehen, hab sie aber irgendwann rausgenommen.)
Materialsammlung
- Ich habe verschiedene Szenarien durchgespielt, wie ich das zentrale Interview am besten führen kann. Mir war wichtig, dass wir genug Zeit haben und uns in die Augen gucken können. Nach einigen Absprachen auch mit Volker, entschied ich mich, Christian Conradi zu fragen, ob ich sein frisch eröffnetes Studio in Tempelhof mieten könnte, was er glücklicherweise bejahte.
- Volker war bereits vor dem Interview höchst freigiebig damit, Recherchematerialien von damals mit mir zu teilen. Er schickte mir vor allem eine Reihe von echten Marienhof-Clips, die mir eine Vorstellung davon vermittelten, wie die Schleichwerbe-Platzierungen ausgesehen hatten. Das half enorm beim Interview.
- Bei einigen Fragen, die mich besonders interessiert hatten, lief das Interview unerwartet auf Grund. Volker hatte wenig dazu zu sagen, wie er sich auf seine “Rolle” vorbereitet oder wie er auf den Namen seines Alter Ego Matthias Bergkamp gekommen war. Noch wichtiger: Er konnte und wollte nicht mehr darüber urteilen, wie sich das Thema seiner Recherche nach seinem Artikel weiterentwickelt hat.
- Damit war mein geplantes Ende, das auch die Redaktion vorgeschlagen hatte – den Bogen ins Jetzt schlagen, über Influencer und Produktplatzierung heute zu sprechen (aktuelle Relevanz, auch ein Aspekt, der in “X-Base” zu kurz gekommen war) – plötzlich sehr dünn, und ich wusste, dass ich eine andere Lösung würde finden müssen.
- Bei “X-Base” hatte ich zur Veredelung des Endprodukts einige Leute um Gefallen gebeten, unter anderem einen Bekannten, der instrumentale Musik macht. Ganz ohne Gefallen ging es auch diesmal nicht: Ich hatte das Podcast-Duo Raphaël Vogt und Kati Bork über eine Freundin meines Kindes kennengelernt und erst spät kapiert, dass sie beide Schauspieler:innen sind. Dass sie mir einfach aus Freundlichkeit die Passagen aus dem Video eingesprochen haben, rechne ich ihnen hoch an. Dass Raphaël früher selbst in einigen Vorabend-Serien mitgespielt hat, ist ein ironischer Zufall, auf dem ich aber nicht rumreiten wollte.
Schreiben und Produzieren
- Der eigentliche Schreib- und Produktionsprozess lief dann tatsächlich erstaunlich gut, auch wenn ich – wie erwartet – natürlich nicht mit den sonst typischen zwei Tagen pro Folge LÄUFT reichte. Ich habe viele Abende und Zugfahrten mit Schreiben und Schneiden verbracht, insgesamt stecken vermutlich rund acht bis zehn volle Arbeitstage in den zwei Folgen. Am meisten belastet mich in diesen Situationen immer mein Hang zur “Präkrastination” – Dinge, die in meinem Kopf bereits existieren, lassen mir keine Ruhe, bis ich sie umgesetzt habe, was für mein Umfeld manchmal ziemlich anstrengend sein kann.
- Die Kritiken, die ich im Lauf des letzten Jahres für LÄUFT geschrieben und produziert hatte, waren eine gute Übung, um eine klare und eigene Narrations-Stimme zu entwickeln. Bei „X-Base“ hatte ich noch versucht, sehr neutral zu klingen.
- Ein Element der Dramaturgie, das mir erst beim Schreiben auffiel, aber für den Podcast sehr wichtig wurde, ist, wie sehr die Marienhof-Recherche eine Geschichte über retardierende Momente ist. Es gibt mehrere Punkte innerhalb der fast drei Jahre, in denen die Recherche stattfindet, in denen man eigentlich erwarten würde, dass nun ein Artikel erscheint – nach dem Videoband, nach der Undercover-Mission, nach dem Gerichtsurteil. Dass sich Lilienthal jedes Mal entschließt, erst noch einer weiteren Spur nachzugehen, ist ein entscheidender Faktor dafür, dass die Geschichte spannend bleibt.
- Anders als beim letzten Mal habe ich diesmal meine Töne nicht von Anfang an in einem Projekt sortiert, sondern hatte in Reaper einzelne Projekte für Interviews und Ausschnitte, die ich dort vorgeschnitten und am Ende ins Masterprojekt mit der Narration einkopiert habe. Das hat bei der Übersicht sehr geholfen!
- LÄUFT ist in vielerlei Hinsicht eine Ein-Personen-Show. Ich habe keine Producer:innen, Regisseur:innen oder Toningenieur:innen, die mir beim Zusammensetzen der Folgen helfen. Was aber auch diesmal wieder Gold wert war, war die Redaktion von Lars Gräßer und Michael Ridder. Insbesondere Michael, der ja selbst seit fast 20 Jahren bei epd medien arbeitet und Volker ebenfalls kennt, hat in seinen Abnahmen des Skripts und des Podcasts sehr genau hingeguckt, Ungereheimtheiten entdeckt und viele meiner eigenen Schwächen ausgeglichen.
- Hier war eine zentrale Erkenntnis, dass Erinnerungen an 20 Jahre zurückliegende Ereignisse öfter trügen können. Volker konnte sich vor allem an die zeitliche Abfolge seiner Recherche nicht immer im Detail erinnern (was ich ihm auf keinen Fall vorwerfe) und Michael hat mich darin bestärkt, bei einigen Dingen noch einmal nachzufragen, was zu mehreren notwendigen Präzisierungen im finalen Podcast geführt hat.
- Mit Michael habe ich auch sehr genau durchgesprochen, welche Personen namentlich im Podcast vorkommen müssen. Bei einigen haben wir uns schließlich dagegen entschieden, da ihre Namen für die größere Geschichte nicht relevant sind.
- Aus der Redaktion kam schließlich auch die rettende Idee für das zusätzliche Interview mit Cornelia Holsten, die als Medienwächterin einen guten Überblick liefern und das Thema in die Gegenwart transportieren konnte. Die Notwendigkeit dafür, die Geschichte nicht mit dem Nachspiel der Recherche enden zu lassen, hatte mir auch der Podcast zu KINO.TO von Studio Soma noch einmal deutlich aufgezeigt.
- Ein Bonus für mich war, dass dadurch im Podcast zusätzlich nicht nur männliche Stimmen zu hören sind. Cornelia Holsten ist übrigens eine fantastische Interviewpartnerin, und ich bin sehr glücklich, sie im Podcast zu haben.
- Auf der “So Many Voices”-Podcastkonferenz im November bekam ich in einem Workshop des BR Story Lab noch einmal einige meiner eigenen Überlegungen zu Dramaturgie bestätigt und präzisiert. Einen der zentralen Sätze relativ am Anfang des Podcasts habe ich danach noch einmal umgeschrieben.
- Für die Musik wollte ich diesmal mit einer professionellen Podcast-Musiklibrary arbeiten und meine Wahl fiel schnell auf Blue Dot Sessions, die vor etwa zehn Jahren der Go-To-Place für viele US-Produktionen war. Als besonders hilfreich empfand ich das Feature, die Musikauswahl nach Stimmungen und Instrumentation zu filtern und von jedem Stück auch die Stems, also die einzelnen Spuren, nutzen zu können. An diversen Stellen im Podcast konnte ich so Elemente vorheriger Musik zurückbringen, ohne den gesamten Track nutzen zu müssen. Das Auswählen und Schneiden der Musik war eine Herausforderung aber auch gleichzeitig eine große Freude, bei der mir ehrlich gesagt auch mein jahrelanges Spielen in Bands (als Schlagzeuger) sehr half.
Veröffentlichung und Bilanz
- Für den Release kam ich schnell auf die Idee, die zwei Folgen diesmal nicht im Abstand von zwei Wochen zu veröffentlichen, sondern relativ dicht hintereinander, damit die ganze Geschichte schnell in der Welt sein würde und als Ganzes beworben werden könnte. Das halte ich auch jetzt noch für die richtige Entscheidung.
- Christian hatte in seinem Podcast-Studio auch Video mitgeschnitten, so dass ich erstmals Video-Clips für die Bewerbung des Podcasts einsetzen konnte. Ich habe allerdings nicht das Gefühl, dass sie besonders geholfen haben. Auf jeden Fall weniger als die Empfehlungen von einigen Leuten aus meinem Netzwerk und von Volker selbst.
- Ich bin sehr stolz auf “Die Marienhof-Connection”. Ich glaube, dass sie im Vergleich zu “X-Base” ein großer Schritt nach vorne für mich ist, sowohl von den Workflows, als auch von der Qualität des Erzählens. Das habe ich auch an den Reaktionen von Leuten bemerkt, die nicht in der Medien-Bubble stecken und denen die Story somit vorher gar nichts sagte.
- Frei nach dem Motto “die Regeln erstmal befolgen, bevor man sie bricht”, habe ich “Die Marienhof-Connection” ziemlich nach Lehrbuch erzählt und war mir auch für einige eventuell etwas abgegriffene Standards nicht zu schade. Ich musste also ein bisschen lachen, als erst Jens Thiele in seinem Newsletter schrieb, dass er keine Anfänge mehr hören möchte, die mit einer datierten Szene beginnen (wie bei mir) und dann Sandro und Carina Schroeder im Ohrensessel die Foreshadowing-Phrase “das wird später noch wichtig” verabschiedeten (die ich ebenfalls benutze).
- Anfang Dezember habe ich mehrere Leute gebeten, mich im nächsten Sommer daran zu erinnern, dass ich 2026 kein großes Jahresendsprojekt machen will, um nicht wieder in einer ohnehin stressigen Zeit des Jahres noch gestresster zu sein. Mal schauen, ob ich mich daran halte.
- Wenn ich dennoch noch einmal eine größere produzierte Story dieser Art herstellen wollen würde, wäre der nächste Schritt für mich auf jeden Fall, etwas zu machen, in dem Reportageelemente vor Ort eine zentrale Rolle spielen. Damit meine ich nicht das inzwischen übliche Einbauen von Prä-Interview-Geplänkel, sondern wirklich Szenen, bei denen es entscheidend ist, dass ich mit meinem Mikrofon am Ort des Geschehens bin. Das ist ein Muskel, den ich gerne mal trainieren würde, und es würde auch helfen mal etwas zu machen, was nicht “nur” zurückblickt. Außerdem wäre es gut, das nächste Mal eine Geschichte zu erzählen, in der eine Frau (oder nonbinäre Person) im Mittelpunkt steht.
Ich bin nach wie vor dankbar für direktes Feedback zur “Marienhof-Connection”. Hier in die Kommentare oder per E-Mail.