Spätestens seit dem Erfolg von 50 Shades of Grey sollte Fanfiction vielen Menschen ein Begriff sein. Der Roman, der sein Leben als Fanfiction zur Buch- und Filmserie Twilight begann und dann zum Bestseller wurde, war der lebendige Beweis dafür, dass das überwiegend von weiblichen Fans betriebene Hobby, neue Geschichten für ihre Lieblingscharaktere aus Film, Fernsehen und Literatur zu erfinden, Mainstream-Appeal haben kann. Fanfiction ist längst das Objekt einer ganzen geisteswissenschaftlichen Forschungsrichtung, es gilt als interessantes Instrument des Empowerments von Fans wie von Frauen und es ist in vielen Fällen auch viel mehr als die reine Beschreibung erotischer Szenarien, selbst wenn die Unterabteilung “Slash” recht groß ist.
Nicht nur wegen des Slash-Faktors hat Fanfiction dennoch nicht den besten Ruf. Die Fanfic-Schreiber_innen wissen das. Sie diskutieren ihre Werke selbstkritisch und selbstironisch im Internet und haben längst ein ganzes Vokabular erschaffen, um die Probleme zu benennen, die ihr Hobby mit sich bringt. “Schlechte” Fanfiction – das Wort steht bewusst in Anführungszeichen, denn manche Autor_innen schreiben diese Geschichten auch in vollem Bewusstsein darüber, was sie gerade tun – fügt dem Originaltext wenig hinzu außer der persönlichen Wunscherfüllung der oder des Schreibenden. Sie reflektiert weder die Regeln der fiktionalen Welt, die sie erschafft, noch die unserer eigenen und spielt einfach Situationen durch, die der Autor oder die Autorin gerne erleben wollen. Das beliebteste Instrument dafür, nach dem inzwischen sogar eine feministische Popkultur-Seite benannt ist, ist die “Mary Sue“, ein allgemeiner Terminus für einen Charakter, der das nur schwach verklausulierte Idealbild der Autorin darstellt und dann stellvertretend die Abenteuer erleben darf, die ihr verwehrt bleiben.
Die Irren leiten das Irrenhaus
Diese lange Einleitung soll nur Hintergrund sein für eine Situation, die in der Popkultur längst überall gang und gäbe ist. Fans sind nicht nur die Autorinnen und Autoren der inoffiziellen Fortschreibungen von Serien, Comics und Filmen in Internetforen. Sie sind auch die offiziellen Autoren, Regisseure und Künstler, die sie am Laufen halten. Das Wiki “TV Tropes” nennt diesen Zustand “Running The Asylum“. Die Irren leiten das Irrenhaus. Popkultur-Franchises sind so alt und langlebig, dass sie heute von Menschen fortgeschrieben werden, die in ihrer eigenen Kindheit als Fans mit ihnen aufgewachsen sind. Meistens ist das gar kein Problem, denn natürlich sind diese Menschen inzwischen erwachsen und in der Lage, ihre eigenen Befangenheiten zu reflektieren. Aber manchmal ist es eben doch eins.
Jeff Cannata hat es im “/Filmcast” zum neuesten Ableger der Terminator-Reihe, Genisys, ganz gut auf den Punkt gebracht (bei 44:31).
Here’s the thing about this and Jurassic World for me. (…) The people who are making these movies, these properties that are 20 or more years old, were kids when those movies were out and they remember them fondly. And these movies feel like the kids got the keys to the kingdom and they get to write some fun fan fiction that is really reverent to the souce material, sort of like: what we always wished it could be. We sat around and thought: Well, if they had access to a time machine, why didn’t they just do X, Y or Z? And I feel like both this and Jurassic World are like the best fan fiction version of these franchises.
Was Cannata sagt, spiegelt in seinen beiden Kernpunkten den Konflikt des Fandoms an sich wieder. Menschen, die plötzlich ans Ruder einer von ihnen früher vergleichsweise unreflektiert geliebten Operation gelassen werden, fühlen sich hin- und hergerissen zwischen der Verehrung ihres Idols und dem Wunsch, daraus das zu machen, was sie sich immer erträumt hatten. Wer versucht, beiden Extremen gerecht zu werden, kann wahrscheinlich nur ein minderwertiges Ergebnis abzuliefern.
Veränderung des Mythos
Terminator: Genisys bietet einem Fanfiction-Autor mehr als jedes andere Franchise die Mittel dafür, den Spagat dennoch zu versuchen. Weil es im Terminator-Universum Zeitreisen gibt, bekommen Regisseur Alan Taylor und seine Drehbuchautor_innen Laeta Kalogridis und Patrick Lussier im Wortsinn die Möglichkeit, die Historie des Terminator-Mythos zu verändern. Genisys inszeniert tatsächlich einige Szenen des Original-Terminator von 1984 nach und verändert sie dann im neuen Zeitstrahl des Films, der – wie wir später erfahren – daraus entstanden ist, dass der “gute” T-800 bereits in eine Zeit vor dem ersten Film zurückgeschickt wurde.
In seinem weiteren Verlauf pickt Genisys sich wahllos alle coolen Ideen und Momente aus den bisherigen Terminator-Filmen zusammen, von Arnolds One-Linern bis zu den Flüssigmetall-Moves des T-1000, dessen Präsenz im Film tatsächlich nur dadurch gerechtfertigt zu sein scheint, dass es geil war, ihn mal wieder in Aktion zu erleben. Gleichzeitig besteht Genisys in seinem zentralen Mantra, der T-800 sei “alt, aber nicht veraltet” (“old, but not obsolete”) immer wieder darauf, dass halt doch Nichts über das Original geht. Damit untergräbt er seine eigene Existenz und insbesondere seinen ziemlich dämlichen dritten Akt. Genisys will eben nichts Neues versuchen, wie der spektakulär gescheiterte vierte Teil Terminator: Salvation, der zu einer ganz anderen Zeit spielte. Er will eigentlich nur das Gleiche noch einmal erzählen, die besten Stücke raussuchen und ein bisschen größer und spektakulärer erneut erleben.
Owen Grady ist die perfekte Mary Sue
Jurassic World ähnelt Genisys in dieser Hinsicht tatsächlich. Wie der Terminator-Film ist auch Colin Trevorrows Mega-Erfolg ein selektives Sequel, das nur die Teile des Mythos weiterentwickelt und aufgreift, die den Autoren gut gefallen haben. Und genau wie das Schwarzenegger-Vehikel ist auch Jurassic World hin- und hergerissen zwischen absurden Erfüllungsphantasien (“Was wenn der Park tatsächlich geöffnet hätte?”, “Wie geil wäre es denn bitte, wenn man Raptoren trainieren könnte?”) und einer lähmenden Ehrfurcht gegenüber dem Originalwerk, dessen T-Rex natürlich allein schon deswegen cooler ist als seine jüngeren Epigonen, weil er das Original ist. Chris Pratts Charakter Owen Grady ist in alledem die perfekte Mary Sue oder – wie man bei Kerlen sagt – Mary Stu.
Auch die Erschaffer_innen von popkulturellen Erfolgen geben manchmal den Fan-Impulsen nach, was im Fachjargon gerne “Fanservice” genannt wird. Es ist an sich nichts Schlechtes, sich ab und an einen Wunsch zu erfüllen. Zudem gehören “Was wäre wenn”-Szenarien fest zu den Merkmalen des modernen Franchising und sie sind einer seiner interessantesten Aspekte, egal ob es um einen alternativen Zeitstrahl von Star Trek geht oder darum, was passiert, wenn Thors Hammer und Captain Americas Schild aufeinandertreffen.
Doch die Fans, die den Schlüssel zum Königreich bekommen haben, müssen dennoch aufpassen, dass sie nicht zu tief in den Fanfiction-Strudel hineingerissen werden. Für die Außenwirkung eines Franchises ist es nämlich doch irgendwie wichtig, ob seine Fanfiction nur unter Fans geteilt wird, oder ob sie zu einem neuen Teil des Kanons wird und damit auch auf das Original zurückreflektiert. Für zukünftige Sequels sollte es wichtiger sein, den generellen Geist des Originals zu behalten, sich zu besinnen, welche zentralen Ideen es groß gemacht haben und ruhig mit allem anderen in eine radikal andere Richtung zu gehen und dort Originelles zu schaffen – Beispiel Mad Max: Fury Road. Die gegenteilige Möglichkeit, ein Derivat des Originals zu schaffen, das seine Verwandschaft aber nur an Äußerlichkeiten festmacht und sich ansonsten in wilden Wunschkonzerten verliert, kann langfristig nur in die Bedeutungslosigkeit führen.