Movie Genome Project: Assoziationen zu The Grand Budapest Hotel

© 20th Century Fox

Wes Andersons Neuer, The Grand Budapest Hotel, der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale, ist großartig. Ein 100-minütige Achterbahnfahrt von einem Film – spannend, komisch, absurd und überschäumend vor Ideen. Dieser Ideenreichtum, die Detailverliebtheit und die immense Einbeziehung von (pop-)kulturellen Bezügen war schon immer eine Stärke von Wes Anderson und in seinem zweiten nicht in der Gegenwart angesiedelten Film (nach Moonrise Kingdom), der zum größten Teil in einer Wolkenkuckucks-Version von Mittel-Osteuropa in den 30ern spielt, kommt sie voll zur Geltung.

Neben den Werken von Stefan Zweig, die Anderson als Inspiration in den Credits des Films klar benennt – und anderen Werken von Hannah Arendt und Irène Nemirovsky, denen er in Interviews Tribut gezollt hat, trägt The Grand Budapest Hotel eine Legion von Einflüssen in seiner DNA mit sich herum. In diesem Posting möchte ich versuchen, möglichst viele von ihnen aus meiner eigenen Wahrnehmung und der anderer Kritiker zu sammeln (denn kaum eine Kritik des Films kommt ohne einen Hinweis auf eine Referenz aus, welche die Kritikerin zu erkennen geglaubt hat) und so eine Art “Genom” des Films generieren.

Grand Hotel (1932)

Ein großer MGM-Klassiker über die Begegnungen der Reichen und nicht ganz so Reichen in einem europäischen Hotelpalast der Zeit, deutscher Titel: Menschen im Hotel. Neben dem Titel, dem Setting und dem Entstehungsjahr, was auch das Handlungsjahr von Andersons Film ist, ist auch Grand Hotel – ähnlich wie sein Budapester Cousin – eine veritable Star-Parade mit John und Lionel Barrymore, Joan Crawford, Wallace Beery, Jean Hersholt und vielleicht der definitiven Performance von Greta Garbo (“I vant to be alone …”).

Lubitsch, Ernst

Viele Kritiker erwähnen den Bezug zu den perfekt durchgetakteten Komödien des Berliner Regisseurs, nicht zuletzt The Shop around the Corner, der in Budapest spielt, und To Be or Not to Be, in dem ebenfalls Nazis düpiert werden.

“Der Zauberberg” (Thomas Mann, 1924)

“Man denkt fast unwillkürlich an Thomas Manns Zauberberg, wenn sich – lange nach Schließung des Hotels – ein Schriftsteller (Tom Wilkinson) an ein abendliches Gespräch mit dem ehemaligem Inhaber Zéro (F. Murray Abraham) erinnert (den jüngeren Autor spielt Jude Law), welcher wiederum von seinem jüngeren Ich und den abenteuerlichen Jahren kurz vor Kriegsbeginn erzählt.” (Nino Klingler auf “critic.de”)

Chapman, Graham

Joseph Fiennes’ Charakter M. Gustave parliert in perfektem “Candy Ass” English mit höchstem Etikette-Grad und rezitiert mit Vorliebe romantische Poesie – außer wenn er sich ärgert und nebenbei diverse F-, S- und sonstige Bomben in seine Repliken einflicht. Es fällt schwer hier kein Echo der Monty-Python-Charaktere von Graham Chapman zu sehen, in denen auch häufig englische Stiff-upper-Lip-Noblesse auf krachende Gewalt und Pöbelei traf.

Inglourious Basterds (2009)

Wie Anderson drehte auch Quentin Tarantino sein Alternativ-Historien-Magnum Opus zu großen Teilen in Deutschland und rekrutierte für die Nebenrollen einige deutsche Schauspieler. The Grand Budapest Hotel enthält deswegen auf gleiche Weise zahlreiche Blinzle-und-du-verpasst-sie-Auftritte von deutschen Mimen. War das eben wirklich Florian Lukas? (auch Tim Lindemann stellt den Bezug her)

Charade (1963) und andere Euro-Thriller der 60er

The Grand Budapest Hotel spielt in dem kleinen europäischen Land Zubrowka. Dessen Einwohner sprechen britisches oder amerikanisches Englisch, deutsch oder Französisch, ohne jede Erklärung dahinter außer der Herkunft des jeweiligen Schauspielers. Auch die Namen von Orten und Figuren sind eine wahllose Mischung aus den drei großen westeuropäischen Sprachen. Spontan musste ich an die opulenten US-europäischen Koproduktionen der Post-Studio-Ära denken, in denen sich Schauspieler aus den verschiedenen Filmnationen auf ähnliche Art die Klinke in die Hand gaben und einander jederzeit perfekt verstanden. (Justin Chang erwähnt in “Variety” ebenfalls die “transcontinental intrigue of ‘Murder on the Orient Express’ and ‘The Lady Vanishes’ und den “deliberate Europudding effect” der Akzente).

Zeman, Karel

Der tschechische Filmemacher, eine Art osteuropäischer Ray Harryhausen, realisierte in den 50er und 60er Jahren eine Reihe von fantastischen Filmen, in denen er Realaufnahmen von Schauspielern mit deutlich als handgemacht zu identifizierendem Trickmaterial für Sets und Hintergründe kombinierte. Besonders in der Eröffnungs-Tricksequenz von TGPH scheint Zemans Geist über der Szenerie zu schweben.

Warner Bros. Horrorfilme der 30er

Die gesamte Gang der “Desgoffes und Taxis”, von Tilda Swintons schnell versterbender Matriarchin bis zu Willem Dafoes kaltblütigem Katzenkiller, könnten im Grunde direkt einem James-Whale-Film entstiegen sein, besonders was ihre Frisuren angeht.

© 20th Century Fox

Freud, Sigmund

Jeff Goldblums Bart. (aus dem Presseheft)

Bond, James

Ausgemacht von Dirk Knipphals in der “taz”. Vielleicht hat ihn die Ski-Verfolgungsjagd an On Her Majesty’s Secret Service (1967) erinnert. Obwohl Karl Gaulhofer darin eher ein Zitat von Vertigo (1958) erkennt.

Tystnaden (1963), The Sound of Music (1965) und The Shining (1980)

Jeder sieht, was er sehen möchte. Tim Lindemann erkennt in der Idee vom verlassenen Hotel Gemeinsamkeiten mit Ingmar Bergmans Film. Tim Robey vom “Telegraph” erkennt die Referenz an Kubrick vor allem in einer Fellatioszene und ich musste – vor allem wegen der Zuckergussenen Farben doch an das Musical denken, in dem auch ein großes, schickes Haus in den Bergen plötzlich von Nazis besetzt und zum Offizierskasino umfunktioniert wird – mit Fahnen und allem.

Weitere DNA-Stränge gerne in die Kommentare!

Danke an Björn für den Namen “Movie Genome Project” und an den Kritikerspiegel von “film-zeit.de”.