Für mein polemisches
Thesenstück zur deutschen Filmblogosphäre habe ich neun deutschsprachige Filmblogger per E-Mail interviewt. Die Auswahl erfolgte nach persönlichem Geschmack und relativer Findbarkeit im Netz.
Neben “DigitaleLeinwand” habe ich noch ein weiteres Blog interviewt, das sich auf ein bestimmtes Teilspektrum der Filmlandschaft spezialisiert hat. “Animationsfilme.ch” bekommt meiner Ansicht nach perfekt die Balance hin zwischen den auch von anderen Seiten gewöhnten (umfassenden) News und kleinen, redaktionellen Seiteneinwürfen und Entdeckungen, die sozusagen als Sahnehäubchen für maximalen Lesegenuss sorgen.
Übrigens: Das hier ist der Punkt, wo – wer möchte – mir gerne germanisches Hegemoniedenken vorwerfen darf, weil ich die ganze Zeit von “deutscher” Film-Blogosphäre spreche, obwohl “ANIch” aus der Schweiz stammt. Ich wollte zu viele Sprachungetüme vermeiden (“Film-Blogsphäre” ist ja auch schon eins) und im Interview erzählen die beiden auch, dass sie es gelegentlich mit ihrer .ch-Endung gar nicht so leicht haben.
Beschreibt ihr kurz in eigenen Worten, was ihr bei “Animationsfilme.ch” macht, warum, wie lange schon, und wie es dazu kam?
Severin Auer: Animationsfilme.ch ist ein deutschsprachiger Filmblog mit Schwerpunkt Animationsfilme aller Art. Von A wie Anime, über S wie Stop-Motion, bis Z wie Zeichentrick. Egal ob Studenten-Kurzfilm oder grosse Hollywoodproduktion. Was in unseren Radar gerät, uns selber interessiert und mit Animation im weitesten Sinne zu tun hat, greifen wir auf und berichten darüber auf dem Blog. Entsprungen ist Animationsfilme.ch einem anderen Filmblog, der sich aber auf den Realfilm spezialisiert hat. Aus persönlichem Interesse habe ich dort immer wieder Neuigkeiten zu Animationsfilmen untergebracht, nur erschien es mir in der Häufung dann zu unpassend. Was lag also näher, als einen neuen Blog zu eröffnen und sich dort aussschliesslich der animierten Kunst zu widmen. So richtig losgelegt habe ich mit Animationsfilme.ch im Januar 2010 als Ein-Mann-Projekt. Etwa ein Jahr später erhielt ich tatkräftige Unterstützung von Orlindo.
Auch wenn die Frage komisch klingt: Was qualifiziert euch eurer Meinung nach dazu, über Animationsfilme zu bloggen? Habt ihr einen professionellen Hintergrund, der entweder mit Film oder mit Journalismus zu tun hat?
SA: Ich habe an der Universität Medienwissenschaften mit Schwerpunkt Film studiert und mich mit Film in seiner breiten Fächerung wie auch mit Genrefilmen auseinandergesetzt. Während dieser Zeit habe ich auch begonnen Filmrezensionen zu schreiben und erste Schritte in den Filmjournalismus gewagt. Zu einem grossen Teil lässt sich das Wissen zum Realfilm auch auf den Animationsfilm anwenden. Wobei hier ganz besonders auch die Machart ein Schwerpunkt ist, die ich mir in ihren Grundprinzipien aus persönlichem Interesse theoretisch erarbeitet habe. Ansonsten spricht der “Fan” aus mir, der schon viele Animationsfilme gesehen hat und sich auch weiterhin auf neue Produktionen freut.
Orlindo Frick: Ich habe Animation und visuelle Effekte in Berlin studiert und arbeite in dem Bereich auch freiberuflich. Jedoch war ich bereits vor dem Studium aktiver Schreiberling für Onlinemagazine, u.a. “Outnow.ch”. Nach dem Studium hat sich bei mir herauskristallisiert, dass ich beides benötige. Die praktische als auch theoretische Auseinandersetzung mit dem Medium Animationsfilm. Zumal Schreiben eine Passion von mir ist. Während also einige meiner Kommilitonen ins Ausland gingen um bei Pixar oder namhaften VFX-Studios Praktika zu machen, zog es mich immer weiter in den deutschen Filmjournalismus hinein, wo ich mittlerweile ganz gut Fuß fassen konnte. Ich denke, hier ergänzen wir uns – Severin und ich – ganz gut. Er schaut mir journalistisch auf die Finger und hat einen direkteren Draht zu Frankreich (ohnehin eines der führenden Länder im europäischen Raum was Animation betrifft) während ich Input und Kontakte direkt aus der deutschen und internationalen Branche mitbringe.
Meint ihr, ihr habt einen Vorteil dadurch, dass ihr euer Blog thematisch so genau eingegrenzt habt?
SA: Definitiv ja. Allerdings ist beim “Animationsfilm” die Eingrenzung wiederum sehr relativ zu verstehen. Im deutschsprachigen Raum gibt es Pixar-Blogs und Anime-Blogs, was nochmals eine deutlichere Eingrenzung wäre. Um ein grösseres, wiederkehrendes Publikum anzuziehen, ist die Spezialisierung in irgendeiner Form aber auf jeden Fall ein Vorteil.
OF: Gerade weil sehr wenige deutschsprachige Internetseiten existieren, die sich mit dem gesamtem Spektrum des Animationsfilms befassen, konnte sich ANIch relativ schnell profilieren. Das habe ich selbst gemerkt, als ich noch vor meiner Mitarbeit bei ANich gezielt nach deutschen Newsseiten zum Thema gesucht habe und keine nennenswerten Alternativen fand. Damals sorgte die Seite bereits für Aufmerksamkeit und ich denke (und hoffe) seit ich im Boot sitze, konnte ANIch seine Position ausbauen.
Wie messt ihr den Erfolg eures Blogs? Seid ihr in deinen Augen mit dem was ihr jetzt erreichen wollt, erfolgreich?
SA: In erster Linie an den Leserzahlen. In zweiter Linie an der Reputation und der Aufmerksamkeit, die man in und ausserhalb der Blogosphäre erhält, unter anderem auch durch Anfragen wie zu diesem Interview hier. Dafür, dass wir den Blog in der Freizeit stemmen, können wir mit dem bisher Erreichten sicherlich zufrieden sein. Dennoch wollen wir weiter wachsen und noch viele neue Leser gewinnen.
Wie regelmäßig und wie wertvoll ist das Feedback, das ihr von euren Lesern bekommt?
SA: Feedback erhalten wir unregelmässig, dafür ist es aber umso wertvoller. Meistens handelt es sich um inhaltliche Zusatzinformationen oder Hinweise zu technischen Aspekten (z.B. Fehler auf der Website). Bei einigen handelt es sich auch um Empfehlungen einzelner Projekte oder bestimmter Veranstaltungen.
Welche Blogs (über Film und drumherum) lest ihr selbst? Zu welchem Zweck?
SA: Ich selbst bin besonders im englischsprachigen Blograum unterwegs, u.a. auch um Neuigkeiten für den eigenen Blog zu finden, das deckt sich dann auch mit der eigenen Neugier, neues über Animationsfilme und Film zu entdecken. Zu regelmässigen Anlaufstellen gehören auch der Animatie.Blog.nl (Niederlande) und filmsanimation.com (Frankreich), die ähnlich aufgestellt sind wie wir, aber einen anderen Sprachenmarkt bedienen. In der Schweizer Film-Blogosphäre bin ich zudem gerne bei Filmsprung.ch, Groarr.ch, Moviecops.ch und Sennhausersfilmblog.ch unterwegs.
OF: Bei mir sind es ebenfalls die üblichen Verdächtigen aus den Staaten (“Slashfilm”, “Collider”, “Hollywood Reporter” etc.). Viele Hinweise für ANich bekomme ich auch direkt von den Leuten, die gerade an Projekten sitzen, aber das sind dann weniger Kino- als Kurz- und Werbefilme. Ich bin auch ein begeisterter Abonnent von Blogs aktiver Animatoren, Illustratoren oder Künstlern. Die dürfen zwar meist nicht über aktuelle Projekte schreiben, aber sind umso spendierfreudiger was ältere Arbeiten betrifft.
Habt ihr den Eindruck, dass es so etwas wie eine deutschsprachige Film-Blogosphäre gibt, in der die Blogs miteinander kommunizieren? Wenn ja, kannst du sie beschreiben? Seid ihr Teil dieser Blogosphäre?
SA: Ja die gibt es. Vielleicht nicht in dem streng vernetzten Ausmass, wie man sich dies in erster Linie vorstellt. Aber man versucht aufeinander zu verweisen, gibt sich auch mal Neuigkeiten durch, die einen anderen Blogger interessieren könnten. Teil der Blogosphäre sind vielleicht eher die Autoren, die wiederum in Kontakt mit anderen Bloggern treten, als der Blog selbst. So können natürlich auch neue Kontakte entstehen.
OF: Hier kann ich Severin nur zustimmen. Im Schweizerraum kenne ich mich weniger aus, aber gerade deutsche Filmblogs pflegen ab einem gewissen Level regelmäßigen Austausch über die sozialen Kanäle (resp. die Autoren der Blogs). So unüberschaubar die Anzahl an deutschsprachigen Filmblogs erscheint, so kann man die seriösen und mit Leidenschaft geführten Blogs (die auch eine gewisse Bekanntheit und Reichweite besitzen) auf einige wenige Dutzend zusammenfassen.
Macht es einen Unterschied, dass ihr zwar deutschsprachig seid, aber aus der Schweiz schreibt?
SA: Auf der Leserseite macht das einen grossen Unterschied. Die Domain-Endung .ch gibt uns zwar einen doppelt exklusiven Status, jedoch fehlt uns der .de Bezug schon irgendwo. Wir befürchten auch, dass einige potenzielle Leser die Seite aus der “kleinen” Schweiz bewusst überspringen und weiter nach einem Äquivalent aus Deutschland suchen. Auch befürchten einige Leser wohl, nicht spezifisch genug zum deutschen Animationsmarkt informiert zu werden, und sei es nur zu Kinostarts – erst wer sich wirklich in die Rubrik klickt, sieht, dass hier auch deutsche Leser bedient werden.
Andereseits sind wir hier in der Schweiz mit unserer Nähe zu Frankreich enorm im Vorteil. Die französischsprachige Schweiz orientiert sich an den Releasedaten von Frankreich, wodurch wir hier in den Genuss einiger Animationsfilme kommen, die nie im deutschen Sprachraum oder erst viel später in die Kinos kommen werden.
OF: Ja, das ist ein wichtiges Thema. Ich werde nicht selten darauf angesprochen, ob und wann wir einen deutschen Ableger von ANIch starten. Sowohl interessierte Leser, Kollegen aus der Branche aber auch deutsche Verleiher äussersten sich zu dem Thema bereits. Letztere wären sofort bereit, gemeinsame Kooperationen zu starten, wenn wir einen Blog unter deutscher Flagge aufbauen würden. Darum liege ich diesbezüglich Severin auch etwas im Nacken. Wir haben Pläne in diese Richtung, aber als ehrenamtliches Zweimannprojekt ist ein Blog bereits viel Arbeit, darum muss ein solcher Schritt mit Bedacht unternommen werden. Die Mehrheit unserer Leser kommt aus Deutschland und wir wissen, dass dieses Punkt-CH am Ende unseres Blogtitels ein nicht unbedeutender Stolperstein darstellt.
Gibt es eurer Ansicht nach im Bereich Film im deutschsprachigen Web so etwas wie Leitmedien? Was wären die?
SA: Nein. Es gibt natürlich beliebte Filmblogs und Aushängeschilder wie die “Fünf Filmfreunde”, über die man gar nicht nicht stolpern kann, wenn man den deutschen Film-Blog-Wald durchforstet, wie auch die grossen Filmportale wie “Moviepilot.de”. Letztere sind jedoch viel zu breit aufgestellt, inhaltlich verwässert und selten mit Charakterköpfen besetzt. Was alle gemein haben, sie orientieren sich wiederum an den englischsprachigen Filmseiten, weil die die Informationen halt zuerst kriegen. Mit dieser Informationsbeschaffung ist auch ein kleiner Filmblog genauso schnell wie die grossen Seiten, wodurch die Begrifflichkeit des Leitmediums an Bedeutung verliert. Und so schöne Seiten wie Schnitt.de verschwinden. In Sachen Neuorientierung kann ich “Negativ” empfehlen, die sich von der täglichen Berichterstattung der doppelt wiedergekäuten Newswelle jüngst distanzierten.
Wenn ihr an der ganzen Sache mit dem Bloggen, wie es im Moment läuft, etwas ändern könntet, was würdet ihr ändern?
SA: Schreiben und publizieren ist etwas Tolles. Leider fühlt sich mittlerweile wirklich jedermann dazu berufen, in der Blogosphäre mitzumischen. Ob man dann von einer Thematik wirklich eine Ahnung hat, ist meistens sekundär. Leider gehen dadurch einige tolle Seiten in der Masse unter. Schön wäre also mehr Qualität und mehr Individualität. Wenn sich dann auch noch mehr Leser finden, die am Lesen wirklich Spass haben und bereit sind, Zeit zu investieren, macht das den Autor auch sehr glücklich. Das mit der passenden monetären Entschädigung, gemessen am Zeitaufwand, wäre natürlich auch ein Thema.
Was hat euch das Bloggen gebracht? Was wird es euch noch bringen?
Severin Auer: Bloggen ist eine Visitenkarte und kann bei einem neutralen Themen-Schwerpunkt durchaus auch als Referenz dienen. Der Aufbau und die ganze Arbeit am Blog hat mich geschult im ganzen technischen Bereich, in der Organisation und Planung diverser Abläufe, in der Kommunikation und beim Networking – und natürlich im Recherchieren und Schreiben unterschiedlich langer Texte, wie auch bezüglich der Wirkung auf die Leser und auf die Algorithmen von Google – darüber hinaus auch generell in den Gefahren und Chancen des Internets.
Orlindo Frick: Hier greift wieder die Frage nach der Blogosphäre. Blogger kennen sich untereinander. Man liest sich, man tauscht sich aus. So entstehen Kontakte. Ausserdem bleibt man als Blogger nah am Puls des Internets, erfährt Veränderungen direkt. Mit den sozialen Netzwerken von heute ist man nicht mehr “nur” ein Blogger, sondern setzt sich auch mit anderen Bereichen auseinander. Das beginnt bei PR, SEO, technischen Aspekten eines Blogaufbaus etc. Alles wertvolle Erfahrungen, die man an anderer Stelle wieder einbringen kann.