Mein Kulturindustrie-Kollege Lucas hat mich in seinen Podcast Longtake eingeladen, um mit mir über Alice Diops Film Saint Omer zu sprechen, den wir beide sehr gut fanden. Es geht um Spiegelungen und Alltagsrassismus, Elterngefühle und Ambiguität, und darum, dass ich mir nie wirklich merken kann, was Wittgenstein alles so geschrieben hat. Viel Spaß beim Hören.
Tag: Podcast
“LÄUFT” – Neuer Podcast von epd medien und Grimme-Institut feat. Yours Truly

Im Oktober 2022 habe ich angefangen, wieder regelmäßig für epd medien als Redakteur vom Dienst und Kritiker zu arbeiten. Im März 2023 fragte mich meine Chefin Diemut Roether, ob ich auch Lust hätte, mal ein Podcast-Konzept zu entwickeln. Ich habe natürlich sofort Ja gesagt. Auf so eine Gelegenheit hatte ich seit Jahren gewartet.
Das Konzept gefiel dem Team und um die Suche nach einem Partner zu erleichtern produzierte ich im Frühsommer eine Dummy-Folge, aus der man ungefähr raushören konnte, wie das Endresultat klingen könnte. Trotzdem hat nur ein kleiner Teil von mir tatsächlich damit gerechnet, dass aus dem Konzept irgendwann Realität wird. Aber mit dem Grimme-Institut hat der epd in Rekordgeschwindigkeit einen super Partner gefunden.
Im Herbst haben wir die redaktionellen Abläufe mit einer Generalproben-Folge geprobt und letzte Scharten ausgewetzt. Und seit heute kann man den Podcast “LÄUFT – Die Programmschau von epd medien und Grimme-Institut” überall hören, wo es Podcasts gibt.
In der ersten Folge spreche ich mit Peter Luley über die ARD Mediathek & Das Erste Produktion “Bonn – Alte Freunde, neue Feinde” und mit Jenni Zylka über Kriegsberichterstattung. Eine neue Episode gibt es ab sofort alle zwei Wochen.
Besonders schön an der Erfahrung ist, dass ich die Sendung zwar als One-Man-Show produziere, aber eine tolle Redaktion im Hintergrund habe, die mir nicht nur sehr viel Hintergrund-Arbeit bei der Auswahl der Gäste und Themen abnimmt, sondern auch einfach allgemein für das Gefühl sorgt, nicht alleine auf weiter Flur zu stehen. In jeder Folge stecken übrigens ungefähr zwei volle Produktionstage.
Bitte reinhören und Rückmeldung geben. Als Kommentar, an mich direkt oder offiziell an medien@epd.de. (Auch positives Feedback wird gerne genommen – ich habe mich schon lange nicht mehr so wie ein Hochstapler gefühlt wie mit diesem Projekt. Leute bezahlen mich für’s Podcast machen? Haben die einen Knall?!)
Journalistische Arbeit als Podcast-Plotpunkt

Der neueste Podcast aus dem Hause Serial/New York Times heißt The Trojan Horse Affair. Darin spüren zwei Journalisten einem Brief nach, der Anfang der 2010er Jahre erst in Birmingham und anschließend in ganz Großbritannien für Debatten und später sogar politische Maßnahmen sorgte, weil er angebliche Pläne aufzeigte, Schulen in der Stadt gezielt zu islamisieren. In The Trojan Horse Affair geht es darum, wer diesen Brief geschrieben hat, und warum.
Doch es geht noch um mehr. Der Podcast hat einen richtiggehenden B-Plot, der nicht nach außen, sondern nach innen gekehrt ist. The Trojan Horse Affair ist auch eine Art Buddy Movie über zwei Journalisten – der eine älter, weiß, erfahren (Brian Reed, S-Town), der andere, Hamza Syed, jünger, frisch auf der Journalistenschule und brown. (Hier reden die beiden darüber.) Gemeinsam loten sie aus, was Journalismus leisten sollte und darf, wann das Ergebnis einer Recherche befriedigend ist und wann nicht. Die Gespräche darüber machen einen erheblichen Teil des Podcasts aus. Sie lassen gleichzeitig die Arbeit transparent werden und sie sorgen für einen zweiten, inneren Konflikt zusätzlich zum äußeren, wie aus dem Drehbuch-Lehrbuch. (Wie Willa Paskin im Slate Culture Gabfest festgestellt hat, endet er wie viele Podcasts dieser Art außerdem auf einer Art konstruktivistischer “Was ist eigentlich Wahrheit?”-Note, aber das nur am Rande.)
The Trojan Horse Affair ist nicht der erste Serial-Podcast, der seine eigene Arbeit zum Thema macht. Schon im ursprünglichen Serial ging es genauso um die Arbeit von Sarah Koenig und ihrer Producerin Julie Snyder wie um den Mord, in dem die beiden herumwühlten. Und schon damals machte diese Transparenz einen Teil des Appeals aus. Das Problem bei Trojan Horse: Es werden gerade Vorwürfe laut, dass die Journalisten eben nicht transparent genug gewesen seien. Die Darstellung ihrer Recherche stütze einseitig ihre Thesen, lasse manche Interviewpartner zu leicht davonkommen und gehe mit anderen zu hart ins Gericht. Dieser Artikel in “Vulture” fasst die ganze Debatte ganz gut zusammen, gibt den Autoren Raum für Reaktion und vermutet vor allem einen konservativen Backlash, aber eine kritische Frage finde ich berechtigt: Hätte es diese Debatte überhaupt gegeben, wenn Syed und Reed ihre eigene Arbeit nicht so plotdienlich thematisiert (und dadurch auch erzählerisch sortiert) hätten?
Ich finde es grundsätzlich gut, wenn Podcasts auch von ihrer Recherche erzählen, denn ich bin Medienjournalist und Journalismus-Nerd und manchmal interessiert mich fast mehr, wie ein Medium entsteht als was es enthält. Die Art, wie diese Entstehung erzählt wird, macht aber viel aus. In 11 Leben berichtet Max-Jacob Ost, dass er erst nach dem Treffen mit einem Dramaturgen auf die Idee kam, seine eigene Arbeit am Podcast und die Frage “Gelingt es mir, ein Interview mit Uli Hoeneß zu ergattern?” zum B-Plot des Projekts zu machen, der aber durchaus zur Unterhaltung und zum Spannungsbogen beiträgt. Er sorgt für Ereignis-Highlights wie einem zufälligen Treffen an der Kühltheke im Supermarkt und er lässt das Ende deutlich befriedigender erscheinen. Aber es ist schwer zu sagen, ob diese eigene Reise vollständig oder nur plotdientlich erzählt wurde.
Andere, insbesondere investigative Podcasts, erzählen ebenfalls von ihrer Arbeit, schaffen es aber nicht immer, diese als Teil des Spannungsbogens zu verkaufen, sondern sie einfach nur wie ein bisschen Flexing um die Recherche aufregender erscheinen zu lassen. In meiner Kritik zum Podcast Just Love für epd medien habe ich das so beschrieben:
Wir haben das aufgedeckt, heißt es, und dafür haben wir einen enormen Aufwand betrieben. Es folgt (…) eine Aufzählung dieses Aufwandes – Recherchen, Interviews, Akteneinsichten – als müsse man ganz zu Anfang nicht nur die Zuhörenden von der Qualität der Ergebnisse überzeugen (über die dieser Aufwand natürlich wenig aussagt (…)), sondern auch den Verantwortlichen im Verlag oder Sender erklären, wo ihr Geld geblieben ist.
Trommeln gehört zum Handwerk und Konventionen zum Genre, aber es wäre schon manchmal angenehm, wenn Reportagen ohne dieses Gebelle auskommen würden. Das gilt vor allem, wenn sie wie „Just Love“ (…) gar nicht so schrecklich viel Neues aufdecken. Was nicht schlimm ist. Enthüllung muss nicht immer das Ziel einer guten Podcast-Reportage sein. Es kann ein großer oder sogar größerer Wert sein, existierende oder bekannte Fäden zusammenzuführen und zu einem Gesamtnarrativ zu verdichten. „Just Love“ gelingt das am Ende sogar, aber bis die Hörenden sich dahin vorgekämpft haben, müssen sie sehr viel performative Recherchearbeit über sich ergehen lassen.
Diese Art von “performativer Recherchearbeit” finde ich die Kehrseite der inzwischen anscheinend etablierten Weisheit, das man den Journalismus auch zum Thema machen sollte. Als Hörende erfahren wir dabei wenig bis nichts über die Menschen, die den Podcast machen, über ihre Motivationen oder über die Sackgassen, die ihre Recherche genommen hat. Es bleibt nur die, wie es Carina und Sandro Schroeder in ihrem neuen Podcast Ohrensessel ausdrücken, “Breitbeinigkeit”. Die Schroeders nennen als weiteres Positivbeispiel den Podcast Narcoland der “Aachener Zeitung”, in dem der Journalist sich ebenfalls zur Hauptfigur macht, den ich aber noch nicht gehört habe.
Bei der FYEO-SZ-Koproduktion Going to Ibiza – Österreich und die Korruption war ich im Herbst 2020 auch ganz angetan von der Aufbereitung der eigenen Recherche. Von den zwei Hosts qualifiziert sich die eine, Leila Al-Serori, dadurch, dass sie selbst Teil des Rechercheteams war, und der andere, Vinzent-Vitus Leitgeb, dadurch, dass er wie Al-Serori österreichische Staatsbürgerschaft hat. Wie wichtig diese Beziehung der Hosts zum Thema sein kann beschreiben die Schroeders in Ohrensessel wenn sie über die neuere SZ-Produktion Suisse Secrets sprechen – dort hostet ebenfalls Leitgeb, er hat aber mit der Recherche nichts mehr zu tun und wird zum unbeteiligten Erzähler.
Etwas unentschieden war ich in meiner Betrachtung von Sneakerjagd, dem Podcast zu einer Recherche des Startups Flip. Hier hat die Recherchemethode, GPS-Sender in gebrauchten Turnschuhen, um nachzuvollziehen, ob diese recycelt werden, fast schon Gimmick-Charakter. Sie visualisiert Erkenntnisse, die Branchen-Insidern vermutlich zu großen Teilen bekannt waren, erlaubt den Journalist*innen aber, daran eine Verfolgungsjagd-Erzählung aufzuhängen.
Wie gut ihnen diese Erzählung gelingt, ist dann aber trotzdem noch einmal eine andere Frage. Sneakerjagd wurde für mich deutlich besser, als er zum Schluss in einen relativ klassischen Feature-Modus zurückkehrte und nicht mehr seinen Autoren um die Welt folgt. Eventuell muss man sich halt doch entscheiden: Was brauchen die Hörenden in diesem Moment? Will ich Informationen vermitteln oder will ich etwas erzählen? Und wenn Letzteres der Fall ist, habe ich überhaupt etwas Interessantes zu erzählen?
Geschichten aus dem DDR-Alltag. Der Podcast “Mensch Mutta”
Das Leben von Katharinas Mutter findet nicht im Scheinwerferlicht der Geschichte statt, und es gibt kaum überraschende Plot-Twists. Die plötzlichen Kurven und Umschwünge in ihrem Leben meistert “Mutta” mit souveräner Gleichmütigkeit. Gerade das Gewöhnliche an diesem Leben habe sie fasziniert, sagt Katharina, und die Tatsache, dass trotzdem aus heutiger und auch aus westlicher Sicht kaum etwas Normales daran sei. So sind es auch weniger die großen dramaturgischen Bögen, die an “Mensch Mutta” begeistern, sondern die Details. Etwa, dass “Mutta” ihren Wunschberuf Kindergärtnerin nicht ausüben konnte, weil sie in der Schule ein einziges Mal aufgemuckt hatte.
Interview: Dirk von Gehlen über Das Pragmatismus-Prinzip
In “Kulturindustrie” geht es ja sonst eigentlich immer darum, was wir vier so von verschiedenen Dingen halten, ich fand es aber spannend, diese Idee gelegentlich auch durch Gespräche mit Menschen, die selbst Kultur schaffen, zu erweitern. Deswegen gibt es jetzt eine neue Folge, die aus einem Interview mit Dirk von Gehlen besteht.
Dirk von Gehlen arbeitet als Leiter Social Media/Innovation bei der Süddeutschen Zeitung. Er bloggt und er betreibt die Seite Phänomeme.de, eine Art gelegentliches deutschsprachiges Know Your Meme, und er schreibt auch schon seit mehreren Jahren Bücher. Mashup war sein erstes 2011, sein letztes vor dem aktuellen hieß Meta.
Das Pragmatismus-Prinzip, so heißt das neueste Buch, ist ein Plädoyer für den offenen Umgang mit dem Neuen und verquirlt dafür verschiedene Denkschulen und Ideen miteinander zu einer, wie ich finde, ganz gelungenen Mischung und einer Art über die heutige Zeit nachzudenken, die mir persönlich sehr sympathisch ist. Ich würde das Buch also auf jeden Fall empfehlen – das nur vorweg – und habe mit Dirk eher noch über Fragen gesprochen, die sein Buch in mir angestoßen hat. Wir kennen uns auch seit einer Weile über Twitter und duzen uns entsprechend. Also bitte nicht enttäuscht sein, wenn jetzt kein knallhartes Investigativ-Interview folgt. Es ist eher ein offenes Gespräch.
Auf dem Cover von Das Pragmatismus-Prinzip ist ein Emoticon abgebildet, das Dirk von Gehlen den “Shruggie” nennt, und das ihr sicher auch kennt. Es sieht aus wie ein Mensch, der lächelnd mit den Schultern zuckt. ¯\_(ツ)_/¯ Der Shruggie spielt im Buch eine gewisse Rolle, er ist der “Autor” des Vorworts und er fasst auch immer die Kapitel zusammen. Mit dem Journalisten Yannik Hannebohm hat Dirk vor ein paar Wochen einen Podcast namens “Was würde der Shruggie tun” gestartet, in dem er in der Rolle des Shruggie Lebensfragen beantwortet.
Angefangen habe ich das Gespräch aber mit einem Rückgriff. Mashup, sein erstes Buch, habe ich nämlich damals auch in meinem Blog besprochen und dem Post dazu den Titel “Das vernünftige Manifest” gegeben. Ich fand nämlich schon damals gut, dass das Buch sehr unaufgeregt ist und sich eher bemüht, das Phänomen Remixkultur und Dinge wie Creative Commons zu verstehen, als irgendwas darüber zu behaupten. Deswegen habe ich Dirk als erstes gefragt, ob Das Pragmatismus-Prinzip einen Gärungsprozesses beendet, der schon viel länger andauert.
Ganz kurz noch was zur technischen Entstehung des Interviews. Dirk und ich haben ganz normal so aufgenommen, wie wir auch bei Kulturindustrie immer aufnehmen – verbunden per Skype und jeder nimmt seine Spur auf. Am Ende des Gesprächs stellte sich dann aber raus, dass es bei Dirk einen technischen Fehler gab. Seine Spur war also verloren. Anstatt aber das ganze Gespräch neu zu führen, haben wir pragmatisch (höhö) etwas neues probiert; Ich habe Dirk meine Seite der Aufnahme geschickt und er hat meine Fragen einfach noch einmal neu beantwortet. Das Ergebnis ist jetzt also eine Art Frankenstein-Interview. Meine Fragen, im gleichen Fluss wie sie im Originalgespräch gestellt wurden und Dirks zeitversetzte Antworten dazu.
Der lange Weg zur Kulturindustrie
Wer keine Lust auf wehmütige Reminiszenzen hat, einfach vorscrollen bis zur Zwischenüberschrift
Zehn verdammte Jahre ist es her, dass ich meinen ersten Podcast gehört habe. The Guardian Film Weekly hatte ein Danny-Boyle-Interview zu Sunshine, das ich unbedingt hören wollte. Danach war es um mich geschehen. Die Form des “Radio auf Abruf” hat mich sofort fasziniert und zu Film Weekly kamen in den nächsten fünf Jahren mehr Podcasts hinzu: Erst The Guardian Music Weekly, dann der Savage Lovecast und This American Life, dann der /Filmcast. Dann hatte ich irgendwann ein Smartphone und es gab kein Halten mehr. Heute habe ich 38 Podcasts abonniert und höre zusätzlich regelmäßig Einzelfolgen von anderen Podcasts (hauptsächlich wegen Sara Webers Newsletter).
Sieben Jahre ist es her, dass ich meinen ersten Podcast produziert habe. Auf dem eDIT-Festival 2010 zog ich mit meinem frisch gekauften Aufnahmegerät herum und interviewte Filmemacher, schrieb Moderationen und bastelte das ganze zusammen. Ein Jahr später blickte ich mit dem Podcast-Projekt “RePotter” auf die Harry-Potter-Filmreihe zurück. 2014 habe ich fünf Tage lang täglich per Podcast vom Internationalen Trickfilmfestival in Stuttgart berichtet. Aber immer habe ich die entstandenen Produktionen nur hier im Blog veröffentlicht. Es sollten immer nur Experimente sein, kleine Ausprobier-Projekte, aus denen nur ja keine Verpflichtung erwachsen sollte. Ich hatte irgendwie immer Angst vor der eigenen Courage, mich wirklich in die Podcast-Welt hineinzubegeben.
Spätestens seit ich sowohl das Slate Culture Gabfest als auch NPRs Pop Culture Happy Hour höre, hatte ich zum Beispiel den Gedanken, dass man ein solches Format doch auch in Deutschland umsetzen können muss. Kein lockerer Gesprächspodcast, in dem eine Reihe Kumpels frei assoziierend anderthalb Stunden über einen Film sprechen, sondern ein kompaktes Audio-Magazin, zwar mit Persönlichkeit, aber auch mit journalistischem Anspruch. Mitten in dem Sweet Spot, in dem ich meine Podcasts am liebsten mag und den in Deutschland nur wenige Menschen erreichen (wollen). (Augen öffnend für mich dazu: der Vortrag von Ralf Stockmann und Claudia Krell auf der re:publica 2015.)
Aber ach, ich traute mich nicht. So viel Arbeit. Und mir fehlten die richtigen Leute. Zufälligerweise lief keiner gerade rum, der einfach Lust hatte, mich mitzunehmen, und mir die Arbeit abzunehmen. Also tingelte ich stattdessen als Gast von Podcast zu Podcast, immer noch nicht willens, meinen vielen Worten zum Thema endlich Taten folgen zu lassen.
Im Sommer dieses Jahres war ich endlich so weit. Mit Lucas Barwenczik, dessen Artikel bei “kino-zeit.de” ich von Anfang an erstaunlich fand, und Sascha Brittner von “Pew Pew Pew”, mit dem mich seit unserem Interview vor fünf Jahren eine genauso erstaunliche Freundschaft verbindet, kannte ich zwei Leute, die willens waren, mit mir ein entsprechendes Projekt zu wagen. Mir war es aber auch wichtig, mindestens eine Frau im Team zu haben, deswegen war ich sehr froh, als sich Mihaela Sartori bei mir meldete und Interesse bekundete. Sie ergänzt nicht nur unsere jeweiligen (etwas filmlastigen) Hintergründe perfekt, sondern hat auch noch Podcasterfahrung.
Irgendwann hatte ich einen Namen und sogar ein Konzept, und trotzdem hätte ich Mitte August fast doch noch das Handtuch geworfen. Hätten Sascha, Mihaela und Lucas mich nicht irgendwann fast getreten, gäbe es wahrscheinlich immer noch keinen Podcast. Zum Glück haben sie es aber gemacht …
… und deswegen gibt es jetzt einen Podcast und er heißt Kulturindustrie
In der nullten Folge, die jede und jeder außer auf Soundcloud auch in Apple Podcasts und anderen Podcatchern hören kann, sprechen wir über The Circle, Bojack Horseman und den Comic Snotgirl. Obwohl die Aufnahme noch etwas holprig lief und es auf jeden Fall noch Luft nach oben gibt, was unsere Redebeiträge angeht, bin ich unglaublich stolz auf diesen Podcast. Nach meinem langen und schwer erklärbaren Leidensweg bin ich heilfroh, die Anfangshürde genommen zu haben und freue mich jetzt sehr darauf, weiterzumachen.
Kulturindustrie wird/soll zweiwöchentlich erscheinen. In Ausgabe 001, die wir am 24. September aufnehmen und hoffentlich am 26. September veröffentlichen, sprechen wir über Darren Aronofskys Mother!, Dietrich Brüggemanns Tatort “Stau” und das Indiegame The First Tree. Für weitere zwei Wochen später haben wir uns auf jeden Fall Han Kangs Roman Menschenwerk vorgenommen.
Egal ob jetzt oder nach einigen Folgen; Ich bin dankbar für alles konstruktive Feedback. Hier in die Kommentare, auf Twitter oder per Mail an podcast@kulturindustrie.de.
Mit diesen fünf US-Podcasts fühle ich mich gut über Musik informiert
“Redphones” by Garry Knight, CC-BY 2.0
Es gibt wohl nichts, wofür sich Podcasts besser eignen, als über Musik zu berichten – deutlich besser zumindest, als über Film und TV. Wenn dann noch das in den USA deutlich großzügigere Urheberrecht mit “fair use” hinzukommt, ergeben sich jede Menge tolle Möglichkeiten. Im Laufe der Jahre hat sich für mich als Musikfan eine kleine aber feine Auswahl an Podcasts durchgesetzt, in denen Musik von allen Seiten beleuchtet wird, und die ich gerne teilen möchte.
1. Neue Musik für die Playlist
Nachdem vor einigen Jahren der “Music Weekly” Podcast des Guardian eingestellt wurde, machte ich mich auf die Suche nach einer neuen Sendung, in der ich einfach neue Musik zum Hören entdecken konnte. Fündig wurde ich bei “All Songs Considered” von NPR. Hier spielen die Moderatoren Bob Boilen und Robin Hilton sich jede Woche eine Stunde lang aktuelle Musik vor, die ihnen gefällt. Boilen und Hilton sind beides mittelalte weiße Männer aus den USA, natürlich ist die Auswahl entsprechend angeschlagen. Scharfen Musikkritiker*innen aus Europa wäre sie vermutlich häufig zu seicht, aber für meinen Geschmack ist sie oft genau richtig. Indie, Rock, Folk und Country machen wahrscheinlich den größten Teil der Auswahl aus, aber der Musikgeschmack der beiden – und der Gäste, die sie manchmal im Studio haben – ist groß genug, dass man auch Highlights aus Feldern wie Hip-Hop, Punk, Metal und avantgardistischeren Musikrichtungen zur hören bekommt. Das besondere: “All Songs Considered” spielt seine Songs voll aus (im Streamingzeitalter scheinen die Lizenzen bezahlbar zu sein) und erlaubt daher, wirklich zu entscheiden, ob einem ein Song gefällt oder nicht. Ergänzt wird der Podcastfeed durch gelegentliche Interviews mit Musiker*innen, die oftmals weitere interessante Entdeckungen bereithalten.
2. Wie kommen die Löcher in den Käse?
Hinter “Song Exploder” steckt eine Idee, die so einfach wie genial ist. Moderator Hrishikesh Hirway interviewt Musiker*innen über die Entstehung einzelner Songs und bekommt von ihnen zusätzlich die sogenannten “Stems”, also die Originalspuren ihrer Aufnahmen. Das ermöglicht es ihm, einzelne Elemente der Songs zu isolieren und den Beschreibungen zuzuordnen. Im Ergebnis lernt man nicht nur, wie vielschichtig manche Songs sind, sondern auch wie unterschiedlich die kreativen Prozesse in der Entstehung von Musik sein können. Aus welchem Element ist der Song gewachsen? Welchen Einfluss hatten Musiker und Produzenten? Was war gewollt und was ist einfach passiert? Warum hat Rivers Cuomo von Weezer eine riesige Excel-Tabelle mit Textzeilen? Da ich selbst Musiker bin (wenn auch nur Schlagzeuger) ist “Song Exploder” für mich eine endlose Fundgrube an Inspiration. Die Musikrichtungen von “Song Exploder” reichen von Filmmusik über Hardcore bis Pop und Rock. Einfach mal reinhören! (Bonus: Das Longform-Interview mit Hrisikeh Hirway gibt wiederum Einblicke in die Entstehung von “Song Exploder” und die kleinteilige Arbeit, die Hirway investiert.)
3. Die Perlen der Charts
Eher selten in den beiden erstgenannten Sendungen vertreten sind die Songs, die nicht die Regale von Musiksnobs, sondern die Heavy Rotations junger Radiowellen dominieren. Hier hilft “Switched on Pop” aus. Songwriter Charlie Harding und Musikwissenschaftler Nate Sloan nehmen dort alle zwei Wochen aktuelle Pophits auseinander und entdecken ihre verborgenen Tiefen. Das beste an dem populär-musikwissenschaftlichen Ansatz, den die beiden verfolgen, ist, dass sie auch versuchen Trends zu identifizieren, ihnen Namen zu geben und zu beobachten, wo sie herkommen und hingehen. Im letzten Jahr ist etwa der “Pop Drop” zum definierenden Merkmal aktueller Popmusik geworden, in dem der Refrain durch eine gepitchte und zerstückelte Stimme auf fetten Beats ersetzt wird, die Assimilation eines Stilmittels aus der elektronischen Tanzmusik. “Switched on Pop” hilft mir dabei, auch bei Musik “in the know” zu bleiben, die ich selbst wenig höre, die aber Rückschlüsse auf unsere Popkultur als Ganzes zulässt. Und manchmal entdecke sogar ich in den aktuellen Chartpoppern etwas, was mir gefällt, zum Beispiel Julia Michaels.
4. Auf zu neuen Ufern
So nah “Switched on Pop” an populärer Musik ist, so weit ist “Meet the Composer” davon entfernt. Die preisgekrönte Sendung der Musikerin und Moderatorin Nadia Sirota beschäftigt sich mit moderner Klassik oder “New Music”, wie sie es nennt. Auch wenn ich selbst nur wenig dieser Musik selbst höre (Atonalität ist wirklich nicht mein Ding), ist die Sendung allein schon wegen ihrer Produktion hörenswert und weil man so viel dabei lernt. Wurden in Staffel 1 und 2 noch pro Folge individuelle Komponist*innen vorgestelllt, widmet sich Staffel 3 oft auch abstrakteren und faszinierenden Konzepte. Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Komponist*in und den Ensembles, die die Musik spielen – und welche Rolle spielt Sadomasochismus dabei? Welche Rolle spielen Komponist*innen, die Musik nicht notieren, sondern aus Samples zusammenbauen? “Meet the Composer” hat meinen Horizont in Sachen Musik so erweitert wie schon lange nichts mehr.
5. Der kulturindustrielle Komplex
Chris Molanphy ist Autor der Slate-Kolumne “Why is this Song Number One?” und hat das pophistorische Wissen des 20. Jahrhunderts in seinem Kopf gespeichert. In seinem Podcast “Hit Parade”, der monatlich im Feed des “Slate Culture Gabfest” auftaucht untersucht er Phänomene, die weniger mit Komposition und Musikgeschmack, als mit den Karrieren von Musiker*innen im Spiegel von Promotion und Airplay zu tun haben. Bisher gibt es drei Episoden von “Hit Parade” und alle waren spannend: Warum wurde UB40’s “Red Red Wine” in den 80ern ein Hit in den USA und welche Rolle spielten abweichlerische Radio-DJs dabei? Wie gelang es den Beatles 1964, die gesamte Top 5 der Billboard-Charts zu besetzen und was hatte die schlechte Plattenlabel-Politik der USA damit zu tun? Und eine Historie der Zusammenarbeit und Rivalität von Elton John und George Michael über vier Dekaden hinweg. Musik ist eben auch eine Industrie, die aber ihre eigenen beeindruckenden Geschichten bereithält.
Außerdem Über “Pitch” und “Our Debut Album” habe ich im Blog schon geschrieben. Beide Projekte scheinen für’s erste beendet zu sein.
Was fehlt? Über die deutsche Musikszene weiß ich weiterhin sehr wenig, aber mir ist auch noch kein guter Podcast dazu in die Hände gefallen. Vorschläge und weitere Tipps zu guten Musikpodcasts gerne in die Kommentare.
There’s this one thing about Invisibilia that really bothers me
NPR’s hit podcast Invisibilia about the “invisible forces that control human nature” has just completed its third season. The self-professed “concept album” of seven episodes released over four weeks dealt a lot with constructivist ideas. Do emotions, does reality just happen to us or do we make them first? While not as good as season 2, which seemed more politically relevant to me, season 3 again delivered some aha moments that got me thinking. It also repeated something it has been doing since the beginning, which I find both terribly annoying and journalistically questionable.
Invisibilia belongs to the school of storytelling podcasts made popular by This American Life. It strings together interviews and sound documents with explanatory narration to inform you about a topic and tell a compelling story a the same time. Different shows have different sonic profiles to support the storytelling, especially in their use of music and sound design. Radiolab, for example, often “visualises” (for lack of a better word) microscopic processes with synthesized sounds, making it easier to follow the explanation. Invisibilia‘s signature technique is to represent thoughts and feelings through single sentences from interviews and weave them into the narration whenever they become relevant again, like flashback images in a movie.
The sonic flashback
For example, the first episode of season three, Emotions, Part One, tells the story of a man, Tommy, traumatised by an accident he was involved in. The man recounts how he got out of his truck and approached the car he collided with. The driver is unconscious, the passenger, Miss Jones, is dazed. Tommy says: “Miss Jones says something about ‘the other child’ and I say ‘what other child’? That’s when I see Michaela’s arm, hanging there.” This is the original recording, but the phrase uttered by Tommy that describes the trauma is repeated throughout the episode as a shorthand for the whole image. For example:
Alix Spiegel: The day after the accident, after a tortured night in a motel room, Tommy’s trucking company put him on a plane to go home. He got in his seat, fastened his seatbelt. Would you like something to drink, sir?
Tommy: Her little arm, hanging out of the car.
I personally don’t like this “sonic flashback” technique. I find it clumsy and I just don’t like listening to it, but there is nothing badly wrong with it. It does, however, speak to the liberty Invisibilia takes with their recorded interviews, using phrases like these to illustrate thoughts and placing them in contexts where they were not originally uttered.
Unwarranted confirmation
The show does the same with other, shorter phrases, and there, I find, it crosses a line of good journalism. It is customary in the storytelling format to summarise longer interview bits that contain explanations a bit too long for the format. You will normally hear the first few sentences of the explanation, and then the narrator will take over and summarise the rest. Radiolab or This American Life often even fade down the original tape and lets it play in the background, while the narration talks over it, saying something like: “John explains, that …”.
But Invisibilia goes one step further. It will summarise a bit of tape and then it will insert a sound bite that confirms the summary, something I want to call “unwarranted confirmation”. Take this example from the final episode, “True You”:
Mindy: And so in life he became polite and reserved and embarrassed, …
Lulu Miller: This is his wife, Mindy, …
Mindy: … I mean that in a good way.
Lulu Miller: … who says that wile Chad is six foot five, he will always try to appear smaller.
Mindy: Whenever we’re in a crowd, like, when we’re at a concert, he’s trying to get out of the way.
Chad: Yeah.
(…)
Lulu Miller: And then one day, in his mid-thirties, a very different side of him appeared.
Chad: Yes.
Both the “Yeah” and the “Yes” are spliced into the narration from contexts we as listeners don’t know about. Chad was probably not interviewed at the same time as Mindy, but the producers see it necessary to insert his confirmation of Mindy’s statement about concerts by splicing in a “Yeah”. Well, maybe they asked him afterwards if the story was true and he actually did say “Yeah” and corroborated it.
Intransparent and condescending
The second example is worse. “One day, a very different side of him appeared” is not a statement that needs affirmation or denial. It is simply a justified assertion, an observation made by the storyteller. Why does Chad need to say “Yes” afterwards? It sounds like the producers are getting his blessing for what they just said, even though 1) what they said does not need a blessing and 2) we don’t know what context the blessing comes from. It could be any “Yes” from hours of tape. We have no idea what it originally pertained to.
Invisibila will do this all the time. They insert “Yes”, “Yeah”, “No”, “That’s right”, “Uh-huh” and other short phrases into their narration to confirm their own statements in a way that’s both non-transparent and often unnecessary. It’s like a sonic tic the show has been cultivating since its very first episode. And while it seems to be something Alix Spiegel, Hanna Rosin and their producers employ to shape the show’s profile, it’s also journalistically questionable and condescending in exactly the way NPR is often accused of being, degrading interview subjects to deliver sound bites for the self-aggrandisement of a manipulative storyteller.
Do you agree?
Piq: Ein Jahr nach dem Anschlag in Orlando
Vor einem Jahr, am 12. Juni 2016, tötete ein Mann im LGBTQ-Nachtclub Pulse in Orlando, Florida 49 Menschen. Der New Yorker Podcast “Nancy”, den Katrin Rönicke auch schon einmal gepiqt hat, widmet sich diese Woche den Folgen dieses Attentats auf die ganze Community von Orlando. Der normalerweise übermütige Ton der Sendung weicht dafür einer nüchternen, nachdenklichen Berichterstattung.
Kathy Tu und Tobin Low besuchen für ihre Bestandsaufnahme nicht nur Familien von Opfern und LGBTQ-Aktivisten vor Ort, sie gehen auch dorthin, wo viele keine nennenswerte Reaktion erwartet hätten – etwa zum Pastor der größten evangelikalen Gemeinde in Orlando, der durch den Anschlag mit seiner Haltung zu Gleichberechtigung ins Trudeln gekommen ist. Selbst wenn die etwas “Inside Baseball”-mäßige Art von “Nancy” vielleicht sonst nicht für jeden Menschen interessant zu sein scheint – diese Folge lohnt sich auch als Einzelstück.
“Our Debut Album” erlaubt einen einmaligen Einblick in kreative Prozesse
Wir sind davon besessen, wie Kreativität funktioniert. Wer sich einmal in eine bestimmte Filterblase im Netz verirrt, zum Beispiel auf “Medium”, kann sich plötzlich gar nicht mehr retten vor Selbsthilfe-Tipps für Autoren – gegen Schreibblockaden, für Ideenfindung, zur Effizienzsteigerung und Prozessverbesserung. Erfolgreiche Kreative und findige Wissenschaftler_innen teilen in TED-Talks und anschließenden Büchern inzwischen regelmäßig ihre Kreativitäts-Geheimnisse und -Beobachtungen. In Fernsehsendungen wird Kreativität als Problemlösung endlos zur Schau gestellt.
Aber selten bekommen wir die Gelegenheit, Ideen tatsächlich beim Entstehen zu beobachten. Denn Kreativität ist nach wie vor ein enorm privater Prozess. Er findet im Kopf statt oder alleine im stillen Kämmerlein (einer der Tipps für Ideenfindung) und wenn er, wie im Reality-TV der Superstars und Umdekorierungen, öffentlich inszeniert ist, wird die wirkliche Arbeit in der Regel nicht gezeigt, weil sie zu langweilig scheint. Podcasts wie der fantastische Song Exploder, “where musicians take apart their songs, and piece by piece, tell the story of how they were made” kommen einer echten Kreativ-Analyse einzelner Werke ohne Selbsthilfe-Charakter sehr nah (Rivers Cuomo hat einen der faszinierendsten Arbeitsprozesse aller Zeiten). Aber auch sie können Kreativität nur im Nachhinein erzählen. Live dabei sind sie nicht.
Eine Stunde Zeit
Auftritt Our Debut Album. Der Podcast von Dave Shumka und Graham Clark hat ein simples Konzept: Viele große Hits der Musikgeschichte wurden angeblich in unter einer Stunde geschrieben. Also braucht man auch nur eine Stunde, um gute Hits zu schreiben. Also kann man sich dabei auch aufnehmen. Shumka und Clark, beide eigentlich Comedians und weit davon entfernt, geübte Musiker zu sein, geben sich ein paar Minuten zum Brainstormen, dann starten sie den Countdown und schreiben einen Song.
Die Ergebnisse, die auf Bandcamp gestreamt und gekauft werden können, haben meiner Ansicht nach bisher nicht das Kaliber echter Hits. Einigen von ihnen merkt man ihren nicht sehr durchdachten Entstehungsprozess auch deutlich an. Aber darum geht es nicht. Viel interessanter ist, dass man Shumka und Clark dabei zuhören kann, wie sie unter (mäßigem) Zeitdruck Ideen entwickeln und ausarbeiten. Dass sie hauptberuflich Comedians sind, hilft, weil sie ihren eigenen Prozess ständig verbalisieren, kommentieren und auseinandernehmen – was schließlich auch das Geheimnis vieler guter Witze ist.
Meine persönliche Kreativitäts-Theorie
Ich habe eine persönliche Lieblingstheorie zum Thema Kreativität, die darin besteht, dass es im Grunde zwei kreative Persönlichkeitstypen gibt (und, natürlich, wie immer, ein Spektrum dazwischen). Bei den einen ist Kreativität von einer Vision getrieben. In ihrem Kopf entsteht sehr schnell ein voll ausgeformtes Endprodukt und der kreative Prozess besteht darin, sich diesem Endprodukt anzunähern. Eine der schönsten Visualisierungen dieses Typs habe ich im Film Begin Again entdeckt. Mark Ruffalo hört Keira Knightley in einer Bar zur Gitarre singen und für ihn stimmen sofort die herumstehenden Instrumente mit ein, zeigen das Arrangement, dass er sich vorstellt. Ich selbst bin auch so ein Typ – ich kann erst anfangen zu schreiben, wenn der Text in meinem Kopf erst existiert. Der Vorteil ist, dass der eigentliche Schreibprozess oft sehr schnell geht. Aber wenn auf dem Weg zur Vision etwas Unvorhergesehenes passiert oder die Vision sich nicht einstellen will, gerät der ganze Prozess schnell in eine existenzielle Krise.
Am anderen Ende des Spektrums steht Kreativität, die von einem Prozess getrieben ist. Zumindest habe ich das beobachtet. Ich kenne viele kreative Menschen, die eben nicht sofort wissen, wo sie hinwollen, sondern einfach so lange arbeiten, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden (genug) sind. Das bedeutet oft, erstmal übers Ziel hinauszuschießen und dann den Kurs zu korrigieren sowie sich bestimmte Ideen gar nicht vorstellen zu können, bevor der vorhergehende Schritt nicht abgeschlossen ist. Prozessorientierte Kreative sind, glaube ich, bessere Zusammenarbeiter und sie sind offener für spontane Entwicklungen im Laufe des Prozesses. Dafür brauchen sie meist länger, neigen stärker zur Prokrastination und man muss ihnen ihr Werk manchmal mit den Worten “Das ist jetzt gut so” aus den Händen reißen.
Die Theorie in Aktion
Bei der Live-Kreativität von Our Debut Album kann man als Hörer Zeuge von beidem werden. Shumka und Clark sind beide eher prozessorientierte Kreative, wie oben beschrieben. Sie fangen mit einer Ursprungs-Idee an und hangeln sich davon ausgehend so lange durch das Songwriting bis die Zeit um ist. Natürlich greifen sie auf typische Muster des Liedschreibens zurück, um ein Gerüst zur Orientierung zu haben, aber nicht selten kommen die entscheidenden Heureka-Momente erst nach der Hälfte der Zeit.
Ein paar Mal hatten die beiden allerdings auch Gäste mit in der Sendung, und fast jedes Mal konnte man beobachten, wie zwei verschiedene Kreativitätswelten aufeinander trafen. Emmett Hall, der in Episode 2, “Glam Boyz” mit im Studio sitzt, ist schon nach gut 15 Minuten von den ersten Ideen so angefixt, dass er den Rest des Songs bereits spielen könnte und von den anderen gestoppt werden muss (Ungefähr bei 18 Minuten im Podcast). Und mit Jessica Delisle wurschteln Shumka und Clark in Episode 6, “Party Lyin'” eine Stunde lang herum und sind am Ende überzeugt, zum ersten Mal gescheitert zu sein. Aber Delisle versichert ihnen: “In my mind, I’m hearing a song” – und produziert kurze Zeit drauf eine Demo aus den Versatzstücken (Bei ca. 33 Minuten). “I’m very much ‘what’s on the page'”, gibt Graham Clark als Antwort darauf zu und beschreibt damit das andere Ende des Spektrums. Es ist faszinierend!
Wieviel bleibt übrig?
Im letzten Schritt des Podcasts beschreiben die Gastgeber zusätzlich, wie aus ihrem in der Sendung entstandenen Gerüst mit Hilfe des Produzenten Jay Arner ein fertiger Song wird. Und obwohl dieser Schritt immer sehr verkürzt dargestellt wird, lässt sich auch darin noch viel über die Mutabilität von Ideen lernen. Weil die Zuhörer_innen zuvor alle Sackgassen miterleben durften, die das Songwriting auf seinem Weg passiert hat, bringen sie jetzt ein viel besseres Gefühl dafür mit, welche Anfangs-Ideen es bis zum Ende schaffen und wieviel Saat des finalen Songs in diesen Anfangs-Ideen überhaupt vorhanden ist.
Wer sich für Kreativität, Musik und Komik interessiert, dem lege ich Our Debut Album hiermit wärmstens ans Herz. Neue Episoden erscheinen immer am ersten Mittwoch jedes Monats. Neun Songs sind schon fertig, zwölf sollen es mal werden.
Und wer Ideen, Erfahrungen und Meinungen zu meinen Gedanken über kreative Prozesse hat, darf sie gerne in die Kommentare schreiben.