Dem am Donnerstag startenden neuen Marvel-Film Captain America: The Winter Soldier könnte man mit einiger Berechtigung manche kritische Frage stellen. Zum Beispiel: Ist es wirklich notwendig, dass ein Film, der so vielversprechend als Paranoia-Thriller anfängt, am Ende doch wieder in einem krawalligen Showdown münden muss, in dem jede Menge Pixel explodieren und dessen zentrales Plotelement an der selten dämlichen Idee hängt, dass tödliche futuristische Flugzeugträger ihre hochsensiblen Zieldaten in einer offen zugänglichen Platine gespeichert haben, die sich in einem zentralen, verglasten und unbewachten Versorgungsschacht an der Unterseite des Gefährts befindet?
Oder: Hat der sogenannte “Winter Soldier” eigentlich irgendeine wirkliche Funktion, außer moralisch ambivalenter Gegenpart für Captain America zu sein, und ist es nicht eigentlich schade, eine so wichtige Umkehr der zuvor als sicher geltenden Ereigniskette für so eine generische Handlanger-Rolle zu verbraten? Wäre insofern der deutsche Verleihtitel sogar fast wirklich (*schluck*) der passendere?
Mit diesen Fragen will ich mich aber im Folgenden nicht beschäftigen, sondern mit der zentralen Verschwörungsthematik des Films.
Eine länger angelegte Entwicklung
Captain America: The Winter Soldier greift in seinem Spionage-Setting geschickt und ziemlich bewusst aktuell schwelende gesellschaftliche Themen rund um Überwachung und Verdachtsjustiz auf. Die Entwicklung ist seit längerer Zeit schon in den Marvel-Filmen angelegt. Die Mutation von S.H.I.E.L.D. zu einem autokratischen Machtapparat, dem auch dann nicht zu trauen ist, wenn er behauptet, auf der Seite der “good guys” zu stehen, klang in den Avengers schon an und ist auch einer der Handlungsstränge in der ABC-Serie “Agents of S.H.I.E.L.D.”.
In The Winter Soldier blüht sie vollends auf. Nach einer Entscheidung des ominösen “Weltsicherheitsrates” plant S.H.I.E.L.D. mit seiner Helicarrierflotte einen signifikanten Teil der Menschheit ohne Gerichtsverfahren (!) auf Basis von gesammelten Daten (!!) automatisiert von Weitem (!!!) hinzurichten. Steve Rogers, der ewige Anwalt der Unterdrückten und Verteidiger des Gerechten, muss quasi zum Edward Snowden werden, wenn sich ein wichtiger Teil der Handlung darum dreht, einen S.H.I.E.L.D.-gebrandeten USB-Stick zu bergen und seinen entlarvenden Inhalt in die Welt zu spielen. “This isn’t freedom, this is fear”, hält Rogers auch im Trailer Nick Fury entgegen.
Am Ende von The Winter Soldier liegen S.H.I.E.L.D. und seine größenwahnsinnigen Machenschaften in Trümmern. Ein konsequenter und durchaus mutiger Move, was die Mythologie des “Marvel Cinematic Universe” angeht und als Kommentar auf die momentane Weltlage nicht zu unterschätzen.
Wäre da nicht die Begründung, die der Film für die Pläne von S.H.I.E.L.D. liefert.
HYDRA ist überall
Wie Cap und Black Widow nämlich in den Geheimräumen eines alten Bunkers erfahren müssen, ist S.H.I.E.L.D. nur deswegen so faschistisch geworden, weil es seit Ende des Zweiten Weltkrieges systematisch von Nazis unterwandert wurde. Nicht von Nazis im übertragenen Sinne, also von engstirnigen Menschen, sondern von echten, deutschen Weltkriegs-Nationalsozialisten mit Schurken-Akzent und “Heil”-Rufen, Mitgliedern des Nazi-Forschungstrupps HYDRA und deren Rekruten.
Nun könnte man den Filmemachern gegenüber gnädig sein, wie es einige Kritiker getan haben, und daraus schlussfolgern, dass sie die momentanen Methoden der US-Regierung und ihrer Geheimdienste in die Nähe von Nazi-Ideologien rücken. Man könnte aber auch sagen, dass sie sich genau mit diesem Nazi-Unterwanderungs-Plot aus der Verantwortung stehlen. “Wahre Amerikaner”, sagt der Film aus, “wären von sich aus nicht auf solche Teufeleien gekommen. Die Nazis haben es ihnen eingeflüstert.” Deportation nach Guantanamo Bay abgewendet. Doppelt zynisch: Sharon Carter wechselt am Ende des Films von S.H.I.E.L.D. zur C.I.A. – scheinbar den wahren good guys.
The Winter Soldier reiht sich damit ein in die Polonaise der Comicfilme, die irgendwie was zu sagen haben, aber eigentlich dann doch wieder nicht so richtig. Iron Man über Waffen. The Dark Knight Rises so insgesamt. In letzter Instanz ist es wichtiger, dass die großen Blockbuster-Zeltpfosten möglichst alle Teile des politischen und demografischen Spektrums zufriedenstellen, als dass sie eine klare Haltung zeigen. Das entspricht auch durchaus der Geschichte ihrer gezeichneten Vorbilder, die sich etwa durch die bewegten 60er Jahre ebenfalls mit einer vagen “Für Gutes, gegen Schlechtes”-Haltung hindurchlavierten, aber im Zweifelsfall lieber einem klassischen Comicschurken die Schuld gaben, als gesellschaftliche Übel zu benennen.
Es geht auch anders
Dabei ist das kein Muss. In den X-Men-Filmen von Bryan Singer ist die Parabelhaftigkeit, mit der “Mutanten” für quasi alle ausgegrenzten Minderheiten, insbesondere aber für Homosexuelle, einstehen, nicht zu übersehen und die Filme sind trotzdem unterhaltsam. Mit der Figur von General Stryker, der bereit ist, seinen eigenen mutierten Sohn zu quälen und zu opfern, um sein Bild von Reinrassigkeit aufrecht zu erhalten, gelingt Singer ein erschreckendes Bild für blinden Fanatismus, weit weg von den hämisch kichernden Schießbuden-Nazis aus dem Captain-America-Kosmos.
Ist das, was Marvel in The Winter Soldier wagt, schon mehr, als man eigentlich erwarten darf? Oder sollten sich Comic-Verfilmungen mit ihrer Leitkultur-Funktion, die sie mittlerweile fast wahrnehmen, noch stärker auf die soziale Verantwortung besinnen, die sie besitzen? Für Cap wird die Antwort darauf wohl erst Age of Ultron geben. Autor und Regisseur Joss Whedon ist ja gemeinhein nicht dafür bekannt, in gesellschaftlichen Dingen ein Blatt vor den Mund zu nehmen.