Casting Couch

Nicht genug damit, dass RTL ernsthaft meint, mit einer Sendung wie Mission Hollywood jetzt auch noch für äh… Schauspieler eine Castingshow anbieten zu müssen. Geradezu besorgt war ich darüber, heute zu lesen wie Silke Burmester, die ich für eine sehr gute Kritikerin halte, das alberne Machogehabe der Sendung, in der die Kandidatinnen als erste Bewährungsprobe erstmal Orgasmen (When Harry Meets Sally), lesbische Küsse (Cruel Intentions) und Striptease (9 1/2 Weeks) nachspielen mussten, bei Spiegel Online auf auch noch zynisch gutheißt:

Es wäre naiv, sich über diese Darstellung aufzuregen. Im Gegenteil, es ist lobenswert, wenn das Fernsehen die Realität so klar und wahrhaftig abbildet: Die gönnerhafte Pose bleibt ein gesellschaftlich anerkanntes Erfolgsmodell. Und wahr bleibt auch: Männer können einen groß rausbringen. Man muss ihnen nur das richtige Fleisch zeigen.

Sie mag mit den letzten drei Sätzen voll und ganz recht haben. Nur das mit der Naivität verstehe ich nicht. Aufregung über solche Darstellung, selbst wenn sie der Realität entspricht, sollte meiner Meinung nach absolute Pflicht sein. Es mag wie ein Allgemeinplatz klingen, aber ist nicht Aufregung – immer, immer und immer wieder – der erste Schritt, um die mediale Verhökerung und Degradierung von Frauen zu sexuellen Objekten vielleicht irgendwann in ferner Zukunft mal zu verändern? Oder müssen wir erst warten bis die nächste Castingshow Germany’s Next Top-Hooker sucht?

Innere Uhr: Warum das Filmjahr von Mai bis Februar geht

Unternehmen rechnen in Geschäftsjahren, die nicht unbedingt etwas mit Kalenderjahren zu tun haben müssen, sondern häufig um ein bis drei Quartale verschoben sind. Ähnlich ist es mit dem großen, weltumspannenden Unternehmen Kino. Dort geht das Jahr, vor allem in Deutschland und Resteuropa, eigentlich nicht von Januar bis Dezember, sondern von Mai bis Februar. Das fällt mir immer mehr auf, jedes Mal wieder, wenn ich versuche, in der letzten Dezemberwoche meine besten Filme des Jahres zu küren und dann denke: Eigentlich müsstest du noch eine Weile warten.

Warum Mai? Im Mai (morgen) starten die Filmfestspiele in Cannes. Sie sind der erste Indikator dafür, welche Filme im Filmjahr 2009 eine Rolle spielen könnten. Beispielsweise wäre da der Eröffnungsfilm, Pixars neues Abenteur Up, der in Deutschland im Juli startet, ein Sommererfolg werden und pünktlich zur Weihnachtszeit in den USA in den DVD-Regalen liegen wird. Auch andere bekannte und preisträchtige (vor allem nichtamerikanische) Regisseure warten in de Regel bis Cannes ab, um ihre neuen Filme vorzustellen. Dieses Jahr sind das beispielsweise Pedro Almodóvar, Jane Campion, Michael Haneke, Ken Loach, Lars von Trier, Michel Gondry und Quentin Tarantino. Cannes ist der Vor-Fühler für Industrie und Journalismus. Nicht selten höre ich im Gespräch mit Kollegen Ende des Jahres den Satz “Ich kann mich nicht mehr gut dran erinnern, den habe ich damals in Cannes gesehen.” Was hier hinterher hochgeschrieben und verkauft wird hat danach eine gute Chance, weiterhin mitspielen zu können. Was nicht so gut wegkommt startet gerne auch erst ein bis mehrere Jahre später (z. B. Steven Soderberghs Che).

Nach Cannes kommt noch Venedig. Dann kommt der langweilige Sommer, der hauptsächlich mit großen Blockbustern bevölkert wird, die zwar viele Leute gucken, die aber Filmkritiker (meistens) eher die Nase rümpfen lassen. Ungefähr im Oktober beginnt dann die “Awards Season”. Jetzt fängt Hollywood an, noch schnell vor Ende des Jahres seine Filme rauszuhauen – natürlich nicht in Europa, sondern meist erstmal in wenigen ausgewählten Kinos in New York und L.A. Trotzdem sind dies dann die Filme, die bei den Kritikern am Ende des Jahres auf den Bestenlisten auftauchen – denn wer erinnert sich noch an die verzögerten Starts aus Januar bis April des Jahres, von denen die meisten längst in unzähligen Preiszeremonien abgefeiert wurden (weil diese ja, wiederum, eigentlich schon im limited release oder auf Festivals Premiere hatten). Dann kommt der Januar, die Golden Globe Verleihung und die Awards all der Gilden in Amerika. Der Februar bringt die Berlinale mit sich, auf der jene Filme gezeigt werden, die irgendwie auch ganz nett sind, sich aber nie Chancen auf die Spitzenplätze am Ende des Jahres erhoffen würden. Und Ende Februar ist dann die Oscarverleihung, Hollywood klopft sich und dem Rest der Welt auf die Schultern und die Filmbranche fällt in einen erschöpften, kurzen Schlaf. Eine Art Power-Nap.

Februar, März und April sind die Monate, in denen es sich in Deutschland häufig am meisten lohnt, ins Kino zu gehen. Dann nämlich hieven die deutschen Verleiher all die Filme ins Kino, die in Hollywood ausgezeichnet wurden. Deren lächelnde Vertreter man mit Statuetten in der Hand anblickte, ohne zu wissen, ob sie den Preis verdient haben, weil man den Film noch nicht gesehen hat. Und hinzu kommen einige der ersten “echten” Filme des neuen Jahres, hauptsächlich die, denen das Zeug zum Sommerblockbuster irgendwie fehlt, weil sie nicht genug Massen-Appeal haben – dieses Jahr zum Beispiel Watchmen und Star Trek.

Und dann, gerade wenn man alles gesehen und verdaut hat und endlich weiß, welche Filme im Vorjahr tatsächlich gut waren, geht das neue Filmjahr los und alle Augen richten sich nach Cannes. In diesem Sinne: Prost! Auf ein neues Filmjahr.

Was taugen Reboots wirklich?

Der Blogger Benjamin Kausch aka Bekay war so freundlich, auf meinen Reboot-Artikel in epd-Film hinzuweisen und sich kurz damit auseinanderzusetzen. Er zeigt “eine gewisse Paradoxie” darin auf, dass die von mir im Artikel konstatierte Ursprungs-Sinnsuche bei Reboots “gerade an sattsam bekannten Franchises (Batman, Bond, Star Trek etc.) umgesetzt und befriedigt” wird. Er schließt damit, dass ich die Hollywood-Reboot-Schwemme für kritikwürdig halte.

Und in der Tat endet mein Artikel mit den Worten:

Dann stellt sich allerdings die Frage, ob es auf Dauer reichen wird, die Popkultur der letzten fünfzig Jahre aufzurühren und umzuschichten. Statt die abgehangensten Heldenepen rückwärts zu lesen, wäre es vielleicht doch eher an der Zeit, neue Helden zu schaffen, die das Kino erobern können. Sie müssen ja nicht aus dem luftleeren Raum stammen, erfolgreiche Buchvorlagen gibt es genug – siehe Twilight. Auf jeden Fall aber kann man sie auf die Leinwand bringen, ohne dass sie allzu viel Gepäck mit sich herumschleppen.

Ein feuriges Plädoyer für neue Stoffe also, dass ich jederzeit wieder so schreiben würde. Dennoch hat mich Bekays Anmerkung nachdenklich gemacht. In erster Linie sollte mein Artikel den momentanen Reboot-Wahn in Hollywood feststellen und darüber nachdenken, was dahinter steckt. Doch obwohl ich ein großer Freund von Originalstoffen bin, und tatsächlich der Meinung bin, dass man nicht ständig nur auf Bewährtes setzen sollte, haben Reboots, Remakes und die ihnen verwandten (und im Artikel ebenfalls behandelten) Prequels durchaus ihre Daseinsberechtigung, ebenso wie Neuinszenierungen am Theater.

Wichtig, so würde ich argumentieren, ist, dass sich im neuen Film die wirtschaftliche Ausbeutung einer etablierten Marke mit so etwas wie einer künstlerischen Vision die Waage hält. Einfacher formuliert: Für den Rückgriff auf Reboot oder Prequel innerhalb eines Franchises sollten sich triftige Gründe finden lassen. Ich will versuchen, diese These an einigen Beispielen zu erläutern.

Als Christopher Nolan 2005 die Batman-Serie übernahm, steckte die Batman-Figur wirklich knietief im Kaugummi. Ehrlich zugegeben habe ich Joel Schumachers Batman and Robin nie gesehen, aber ich habe bis heute noch niemanden getroffen, der sich positiv über den Film geäußert hat. Nimmt man den von mir gesehenen Vorgängerfilm Batman Forever (ebenfalls von Schumacher) als Vorbild, ist nachvollziehbar, warum Nolan gut zehn Jahre später die Notwendigkeit sah, Batman neu zu erfinden: Härter, gröber und zerrissener. In einer Post-9/11-Welt, die sich von der Jubilierung über den Fall des Eisernen Vorhangs in den Neunzigern erholt hat, die Erde erneut in zwei Lager eingeteilt hat, sich in diesem Antagonismus aber wesentlich unsicherer ist, erscheint es sinnvoll, Gotham City von seinem Fantasy-Image zu befreien und ihm den Charakter eines übersteigerten New York (wie ursprünglich) zurückzugeben. Mit The Dark Knight, der ein in jeder Hinsicht perfekt ausgeführter Action-Thriller ist – ob man ihn mag oder nicht, hat Nolan bewiesen, dass sein Reboot zu etwas führt, nämlich zu einer zeitgenössischen und brutalen Spiegelung von politischen und gesellschaftlichen Vorgängen in der überzogenen Welt des Comichelden-Films.

An einem ähnlichen Konzept versucht sich seit einigen Jahren auch das James-Bond-Franchise. Seit Casino Royale ist Bond in einer härteren Origin-Story zu neuem Leben erwacht, immer noch cool, aber nicht mehr lässig-leicht, sondern äußerst verletzbar und als kleines Zahnrad in einer Verstrickung von weltpolitischem und -kapitalistischem Machtgeklüngel. Doch auch wenn Casino Royale wegen seinem Neuigkeitswert, seinen gewissen ironischen Referenzen zum Neustart (“Sehe ich so aus, als würde mich das interessieren?”) und vor allem wegen seiner grandiosen Actionszenen einen gewissen Reiz hatte, so hat sich spätestens mit dem Nachfolger Quantum of Solace bewiesen, dass die Figur aus den neuen Filmen kaum noch als Bond durchgehen kann. Hatte sich James Bond nicht immer und von Anfang an dadurch ausgezeichnet, dass er mit einem Lächeln durch die Welt geht und eben der ist, der am Ende siegt? Der nicht in einem Schwall von schnell geschnittenen Szenen ohne Übersicht untergeht, alles verliert was er liebt und ihm in einem Blutrausch hinterher jagt? Der neue Bond mag etwas näher an Ian Flemings Romanen sein, als Film-Reboot ist er gescheitert. Denn im Endeffekt verraten die neuen Filme die Figur und die über zwanzig Filme umfassende Tradition für eine relativ beliebig wirkende Zeitgeist-Aufbesserung. Und gerade Mark Forster macht es in Quantum of Solace nichtmal besonders gut. Da die Bond-Figur sowieso verschiedene Permutationen durchlaufen darf (ähnlich eines Dr. Who) hätte man mehr Effekt auch ohne Reboot erreichen können.

Dickstes Beispiel für einen überflüssigen Reboot ist wohl The Incredible Hulk. Weil den Marvel-Studios (die fleißig an ihren Avengers puzzeln) Ang Lees Film Hulk zu künstlerisch war, gaben sie kurzerhand einen Reboot in Auftrag, die den Hulk stärker in das neue Marvel-Universum eingliedern soll. Der entstandene Film ist nicht an sich schlecht, so etwas wie eine filmemacherische Vision fehlt ihm aber völlig, er ist weitgehend langweilig und folgt einem Dramaturgieschema F.

Wolverine habe ich noch nicht gesehen, die Kritiken überschlagen sich nicht unbedingt mit Lob. Da der Film aber doch irgendwo außerhalb der bisherigen X-Men-Filme steht und seinen größten Reiz daraus zieht, dass Hugh Jackman in der Filmtrilogie zu der Repräsentation des unverwundbaren Mutanten geworden ist, sehe ich für ein solches Spin-Off immerhin einen triftigen Grund: Die Figur gibt tatsächlich mehr her, als in einem Ensemblefilm herumzuspuken, vor allem wenn man einen so guten Schauspieler hat, der ihr Leben verleihen kann. (Da Wolverine nicht den bisherigen Kanon über den Haufen wirft, zählt er übrigens – genau wie Star Trek – streng genommen nicht als Reboot, sondern als Prequel).

Wie auch schon im Artikel erwähnt, spielen die Terminator-Filme innerhalb des filmischen Markengeflechts eine besondere Rolle, da sie sich durch ihre Zeitmanipulation quasi mit jedem Film automatisch Rebooten. Jeder Film schafft sich selbst eine neue Zukunft, was dem Nachfolger absolute Interpretationsfreiheit für alle Ereignisse auf der Timeline in beide Richtungen gibt. Propagierte Teil II noch “No Fate” – die Zukunft ist noch nicht geschrieben – so wirkte Teil III zwar insgesamt extrem beliebig, endete aber immerhin mit einer erstaunlich konsequenten apokalyptischen Vision. Wie sich Terminator: Salvation aus dem Dickicht befreien will, bleibt abzuwarten, aber immerhin versucht er nicht noch ein viertes Mal die Storyline der ersten drei Filme neu aufzugießen und betritt neuen Boden innerhalb des Kanons. Regisseur McG ist immer für eine Überasschung gut, ich habe also Hoffnungen.

Mit Star Trek neu anzufangen halte ich grundsätzlich auch für eine gute Idee, da die Next Generation-Filme zuletzt auch nichts mehr zu bieten hatten. Der nun startende Film läuft allerdings natürlich ebenso wie die Star Wars-Prequels Gefahr, in die Retcon-Falle zu treten, also ständig die noch nicht geschehene Zukunft neu erklären zu wollen. Die Lektüre einiger Interviews mit den Drehbuchautoren hat mich bisher davon überzeugt, dass man sich im Filmteam über die Stolperfallen von Zeitreise und Co sehr bewusst ist – meine Erwartungen sind also positiv. Trotzdem hätte es gerade Star Trek vielleicht eher gut getan, seine Geschichte weit in die Zukunft der drei 90er-Serien zu verlegen, als sich in den Hollywood-Sinnsuch-Trek einzureihen und mit dem Glitzer des 21. Jahrhunderts eine Serie aus den Sechzigern zu torpedieren. Die Hoffnung hängt zuletzt an JJ Abrams, auf dessen Gespür für interessanten Zeitgeist man sich bisher recht gut verlassen konnte.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass sich bei den momentanen Reboots Hits und Misses so ziemlich die Waage halten. Einige Filme (besonders auch solche aus der Prequel-Maschine wie Hannibal Rising) haben keine wirkliche Daseinsberechtigung, denn sie dienen wirklich nur einer überflüssigen Markenausschlachtung. Andere bieten tatsächlich einen neuen, zeitgemäßen Blick auf eine Figur, die es wert ist, am Leben erhalten zu werden.

Diese Figuren jedoch, dabei bleibe ich, müssen ergänzt werden durch neue Helden, die nicht nur an die Zeit und den filmemacherischen Trend angepasst werden, sondern die ihr tatsächlich entspringen. Die jüngste der hier diskutierten Figuren ist der Terminator, und selbst der hat inzwischen 25 Jahre auf dem Buckel. Hancock ist ein Beispiel für einen originären Kinosuperhelden, der vielleicht nicht der große Wurf ist, aber immerhin – wie oben beschrieben – kein altes Gepäck mit sich herumträgt.