Nach The Wolf of Wall Street habe ich mich schmutzig gefühlt

© Universal Pictures International

Nach geschätzt einer Stunde im Verlauf von The Wolf of Wall Street verlässt der von Leonardo DiCaprio gespielte Aktienbroker Jordan Belfort die Frau, die er hatte, bevor er reich wurde, für die blonde Sexbombe, die er in seinem Eröffnungsmonolog zu seinen Habseligkeiten zählt. So weit, so erwartbar. Doch Naomi – so heißt die von Margot Robbie verkörperte Schönheit – ist nicht nur sexy, wie uns der Voiceover verklickert, sie hat auch Geschmack, richtet die Wohnung neu ein und heuert sogar einen Butler an. Nein, einen “schwulen Butler”, so erklärt es Belfort aus dem Off.

Der stellt sich als sehr kultiviert heraus, bis die Belforts einmal zu früh von einer Reise zurückkehren und ihn mit all seinen nackten Freunden bei einer Orgie in ihrem Wohnzimmer ertappen. Außerdem fehlen 50.000 Dollar in Cash aus der Sockenschublade. Es folgt eine Verhörszene, in welcher der Butler schließlich kopfüber vom Balkon des Penthouses baumelt. Irgendwann wird er von der Polizei abgeführt.

Natürlich ist es dieser Butler, der später für den Untergang von Jordan Belfort sorgt. Nein Quatsch, er taucht nie wieder auf. Aber die Szene nimmt trotzdem gute zehn Minuten Zeit in Anspruch. Und es ist ein kurzer, überraschender Moment, als Naomi unerwartet in die Orgie hineinplatzt. Aber das war’s. Die 50.000 Dollar Cash dienen als Überleitung zu einer Erklärung von Belforts Schattengeschäften und warum er deshalb so viel Bargeld besitzt. Aber das hätte man auch anders machen können. Es ging hauptsächlich darum, noch ein bisschen mehr die Dekadenz zur Schau zu stellen, in der sich Jordan Belfort suhlt.

Zwergenwerfen und wilde Partys

Noch ein bisschen mehr als in der halben Stunde zuvor (seit er reich ist) und in rund zwei Dritteln der Zeit, die noch kommen werden. Martin Scorsese lässt nichts aus, wie der Trailer schon andeutet: Zwergenwerfen, Yachten, Häuser, belämmerte Gespräche, wilde Partys.

Und immer wieder Nutten, zumindest in der deutschen Synchronfassung, wahrscheinlich “hookers” im Original. The Wolf of Wall Street hat nicht umsonst den “Fuck”-Rekord geschlagen. Hier wird ordentlich gefickt. Immer und immer wieder. Das Schwelgen in Exzess ist das Thema des Films. Und in der Regel werden die Nutten gleich dutzendweise angekarrt, um sich mit den fleißigen Brokern zu vergnügen. Auch eine Klassifizierung gibt es – wer macht was für wieviel Geld und wie gut sehen die dazugehörigen Frauen in der Regel aus. Als ein Freund, der im Gefängnis saß, wieder rauskommt, wird er mit Nutten belohnt. Als Belfort versucht, den FBI-Agenten, der ihm auf den Fersen ist, auf seine Seite zu ziehen, bietet er ihm großzügig zwei Nutten an. Und natürlich ist da noch eine Szene relativ zu Anfang, in der DiCaprio einer Nutte Kokain in den Hintern pustet.

Drogen sind die andere Zeltstange des Exzesses. Mit Koks geht es natürlich los, aber Belfort und seine Kumpels stehen vor allem auf “Ludes”, eine Kurzform von “Quaalude”, dem Markennamen des Mitte der Achtziger verbotenen Schlafmittels Methaqualon. Der Drogenmissbrauch wird natürlich auch in seinen Schattenseiten gezeigt. In The Wolf of Wall Street bedeutet das: Slapstick. Nach einer Überdosis etwa versucht sich Belfort zu seinem Auto zu schleppen und nach Hause zu fahren, aber seine Beine tragen ihn nicht mehr. Also robbt er sich spastisch zuckend über den Teppich, bis er eine Treppe herunterkugeln muss. Was er dann auch tut. Ich weiß nicht, was mit mir los ist, aber während einige meiner Kritikerkollegen sich um mich herum vor Lachen bogen, war ich nur gelangweilt.

Himalajische Kokainberge

180 Minuten dauert The Wolf of Wall Street und für einen Film dieser Länge hat er irgendwie sehr wenig zu sagen. Klar, wir stecken im Kopf von Jordan Belfort fest und das ist nunmal seine Wahrnehmung der Welt, aber man bekommt doch den Eindruck, dass auch Scorsese diesen unfassbaren Exzess irgendwie geil findet. Er hat ihn schließlich in den 70ern selbst erlebt. Glaubt man “Easy Riders, Raging Bulls” liegen Filme wie New York, New York unter himalajischen Bergen von Kokain begraben. In Taxi Driver stecken wir ebenfalls im Kopf eines Unsympathen, aber hier schafft Scorsese den Absprung. Am Ende will doch niemand mehr ernsthaft Travis Bickle sein. Jordan Belfort hingegen hat gegen Ende von The Wolf of Wall Street sogar einen Gastauftritt. Er ist auf unserer Seite, der Seite des Zuschauers, der Seite der Filmemacher. Sein Leben war irgendwie zum Kotzen aber, hey, konnte der Mann feiern.

In Augenblicken blitzt der todernste Zynismus durch, der hinter all dem steckt. In der Figur von Mark Hanna etwa, brillant verkörpert von Matthew McConnaughey, der wie eine Art Mephisto den jungen Jordan Belfort in den ersten zwanzig Minuten auf die dunkle Seite der Macht zieht und dann nie wieder auftaucht. Oder in einer Rede, die Belfort vor seiner ihn anbetenden Belegschaft hält, und die so von bitterbösem Pathos trieft, dass es einem kalt den Rücken runterläuft im Kino. Aber lange hält sich der Film mit solch ambivalenten Momenten nicht auf. Kurze Zeit später gibt es wieder Titten oder Koks zu sehen, wahrscheinlich beides. Hurra!

Martin Scorseses The Wolf of Wall Street startet am 16. Januar in den deutschen Kinos.

Stuff I Learned this Week – #47/10

Mind over Meta!

Was denkt Stefan Höltgen eigentlich über Shutter Island?

Während meines Berlinale-Wochenendes entstand auch ein wenig Videomaterial. Unter anderem habe ich ein kurzes Gespräch mit meinem Kollegen Stefan Höltgen über Martin Scorseses neuen Film Shutter Island geführt, den ich leider verpasst habe, der aber nächste Woche in den deutschen Kinos startet.

Das Ergebnis ist das erste experimentelle Real Virtuality Vlog. Als Bonus gibt es einige Ansichten von Berlin und Berlinale.

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Eine Ausführlichere Meinung von Stefan im Gespräch mit Jörg Buttgereit gibt es im Podcast im epd Film-Blog.