In unseren Köpfen existieren nach wie vor verschiedene Konzepte von Öffentlichkeit, die mehr aus einem vagen Bauchgefühl und weniger aus tatsächlicher Zugänglichkeit rühren. Die gesamte Debattensau um Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken, Google Street View und Verpixelungsrecht, die in Deutschland immer wieder durchs Mediendorf getrieben wird, dreht sich letztlich um nichts anderes. Wenn meine Hausfassade in der physischen Welt öffentlich ist, macht es dann einen Unterschied, wenn sie auch im Internet betrachtet werden kann?
Tag: Medienkunst
CYNETART Dresden – Mediale Entdeckungsreise
Ein Ton fällt. Hinab an der Fassade des Festspielhauses Hellerau und mit einem enormen Platsch in einen Teich aus schwarzem Wasser. Und das obwohl ein Ton doch eigentlich substanzlos ist. Fällt da etwa, gemeinsam mit dem Ton, doch noch etwas anderes in den dunklen Tümpel? Oder wird der Ton irgendwann so tief, dass seine Ultraschall Infraschallwellen das Wasser aus den Fugen heben? Die “Wahrheit” ist viel banaler (und wird hier nicht enthüllt werden), aber Anke Eckardts Installation “!”, die den Besucher des 14. Dresdner CyNetArt Festivals für Medienkunst vor dem Eingang begrüßt, ist das perfekte, weil unendlich einfache, Beispiel für die Verschmelzung von Wahrnehmung – und damit auch der Übertragung eines medialen Erlebnisses in eine andere mediale Ebene.
Der Besuch bei der CyNetArt war mein erster Ausflug in die Welt der Medienkunst, doch was ich gesehen habe, hat mich fasziniert. Nur wenige Exponate, doch jedes von ihnen ein Erlebnis, häufig interaktiv, und immer an der Grenze zwischen Technikspielerei und Kunstwerk, zwischen Sinnerlebnis eins und zwei, zwischen Realität und Virtualität.
Im Projekt “Mirror” von Matthias Härtig, Johanna Roggan, Frieder Weiß und Michael Lotz, wird die Entfernung zwischen Menschen in Bilder und Töne übersetzt. Zwei identische Aufbauten in angrenzenden Räumen erkennen die Position der jeweiligen Nutzer und geben den Schatten des jeweils anderen auf dem eigenen Boden wieder. Je näher sich die beiden in ihrer relativen Position kommen, umso mehr wird der Soundtrack auf den Kopfhörern mit Störgeräuschen infiziert und die weiße Streifenwelt der Umgebung mit digitalen Artefakten durchsetzt.
“Wir wollten ursprünglich stärkere Harmonie schaffen, je näher man sich kommt”, sagt Mitschöpfer Matthias Härtig und grinst. “Aber dann haben wir uns für das Gegenteil entschieden. Je enger man zusammenwächst, umso mehr Probleme gibt es.” Heißt das nicht, dass die vielbeklagte Isolation der digitalen Welt, in der man nur noch von Ferne miteinander kommuniziert, die perfekte Lösung für all unsere Probleme wäre? “Ja. Unsere Installation ist ein Plädoyer für Individualität.” Ich frage mich, ob nicht auch beides zusammen möglich ist.
Der “MoshpitAmp” der Kölner Gruppe fur sieht Harmonie vielmehr in Headbanging und Bewegung. Je aufgekratzter man sich vor dem sensorisch ausgestatteten Gitarrenverstärker bewegt, umso intensiver wird der prügelnde Metalsample, der in Höllenlautstärke aus den Boxen dringt. Wenn man sich in völlige Extase tanzt (hier demonstriert von Pressereferentin Julia Rülicke) nickt der Mosh-Master im Fronstpoiler des Amps anerkennend mit dem Kopf – bzw. bangt mit.
Ebenfalls mit der Übersetzung von menschlicher Nähe in Klang und Form spielt Sonia Cillaris Performance-Installation “Sensitive to Pleasure” (die ich leider nicht live erleben konnte). In einer Box in der Mitte des Raumes bewegt sich der Besucher um eine nackte Frau herum, berührt sie sogar. Seine Nähe oder Distanz wird nicht nur in Töne übersetzt, sondern auch in Lichtflackern auf dem Boden und elektrische Impulse auf dem Bodysuit der Künstlerin. Es gehe ihr dabei um die Identifikation des Künstlers mit seinem Kunstwerk, sagt Cillari. Von Augenzeugen hört man nur, der Besuch in der Box sei, gerade für Männer, durchaus verstörend. Auftrag erfüllt.
Das Übersetzen von einer Wirklichkeit in die andere ist auch das Thema von Verena Friedrichs Installation “Transducers”, die mit dem höchstdotierten Preis des Festivals, dem Förderpreis der Kunstministerin, ausgezeichnet wurde. Menschliche Haare schwingen in von der Decke hängenden Glasbehältern; die Schwingung wird in Töne übersetzt. Jedes Haar klingt anders. Der analoge Datensatz “Haar” lässt sich eben nicht nur in Attributen wie Länge, Dicke oder Farbe ausdrücken, sondern ist auf diese Weise auch hörbar, eigentlich nichts anderes als die Übersetzung von Zahlenkolonnen in Schaubilder. Der Raum ist von einem stetigen Summen erfüllt. “Irgendwann wird man schon ein bisschen wahnsinnig von dem Geräusch”, sagt Friedrich, “aber dann gewöhnt man sich auch wieder daran.”
Eine Attacke auf alle Sinne hat Ritchie Riediger mit seiner Installation “[oszo 34]TM” geschaffen. Wer sich traut, den Raum zu betreten, steht mitten im undurchdringbaren Theaternebel, verliert die Orientierung und fängt an zu husten. Erst nach einiger Zeit, wenn man bereit ist, sich auf die weiße, pink beleuchtete Welt einzulassen, gibt es Dinge zu entdecken. Ein Griffel an der Wand lädt zum Verewigen ein. Ein asiatisches Mädchen lächelt einem vom Videoscreen entgegen. Man möchte das als Metapher begreifen: Selbst im übelsten Dickicht lauern kleine Freuden.
Ohne Übersetzung, aber mit einer nicht weniger genialen Verknüpfung von Technik, Wissenschaft und Kunst, kommt Jannis Krefts Installation “Post Mortem” aus. Wer einen Arm auf den weißen Tisch legt, erfährt: “You are Dead” und bekommt im Zeitraffer die Verwesung des eigenen Gewebes vorgeführt. Eine Infrarotkamera erfasst den Umriss des Arms und setzt Algorithmen in Gang, die schon bald dafür sorgen, dass sich Fliegen auf dem Arm niederlassen, die Eier legen, aus denen Larven schlüpfen, die neue Fliegen gebären. Währenddessen setzt sich der Verfall des Fleisches, von oben per Beamer projiziert, stetig fort und nach 14 “Tagen” ist der Arm vollends verwest.
Hinter dem so unschuldig anmutenden Tisch steckt jede Menge Programmierarbeit (vier Wochen laut Kreft) und ein geschickter Einsatz von Formenerkennung, halbdurchlässiger Folie und biologischem Wissen. Das Ergebnis ist eine bizarr-spielerische Auseinandersetzung mit dem Thema Tod, einmal losgelöst von der metaphysischen Ebene, die in der Kunst sonst eher Vorrang hat. “Mann, du hast meinen Verwesungsprozess gestört”, sagen Gäste, die mit der Installation interagieren. Was Gunther von Hagens mit seinen Plastinaten nie wirklich erreicht hat, Kunst mit totem Gewebe, Jannis Kreft ist es bravourös gelungen. Dafür gab es dann auch den Cynetart-Preis der Dresdner Stiftung Kunst und Kultur. “Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden”, sagt der Künstler.
Eine Ausstellung in der Ausstellung hat Igor Sovij mit seinen Kollegen von Tac.ka geschaffen, den Art Zeppelin “Imaginary Pavillion of Bosnia and Herzegovina”. Mit einem Joystick kann sich der Besucher durch die weißen Wände einer virtuellen Kunstgalerie bewegen, in deren Räumen jeweils verschiedene Objekte das “National Imaginary” des geteilten und doch eins-seienden Staates Bosnien und Herzegowina illustrieren. Abgetrennt durch die digitalen Ebenbilder von tatsächlich existierenden Türen aus dem Kunstprojekt eines anderen bosnischen Künstlers, stößt man hier sowohl auf die Brücke über den Drina, verewigt im gleichnamigen Buch des Nobelpreisträgers Ivo Andric, als auch auf ein nie endendes Pacman-Spiel, in dem die Geister, gekleidet in die Flaggen der unterschiedlichen Ethnien, einen verzweifelt davonlaufenden, farblosen Pacman jagen. Ohne Wissen über das Land ist die Symbolik der Objekte kaum zu erkennen, doch Sovij gibt bereitwillig Auskunft.
Das Cynetart International Festival for Computer Based Art Dresden ist noch bis zum 17. November im Festspielhaus Hellerau zu sehen