Growing Up Nerd

In wenigen Tagen werde ich 42 Jahre alt. Ich habe mich entschieden, diesen Geburtstag endlich mal wieder groß zu feiern. Nicht nur, weil ich meinen runden 40. Geburtstag nicht feiern konnte, da damals immer noch zu viel Pandemie herrschte. Sondern natürlich auch, weil 42 eine besondere Zahl ist. Wer, wie ich, eine ganz bestimmte Art von Sozialisation genossen hat, weiß sofort, warum. Die Zahl 42 spielt in Douglas Adams’ Roman The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy eine zentrale Rolle.

Im Roman baut ein Volk auf einem entfernten Planeten einen gigantischen Computer namens Deep Thought, den es daran setzt, die Antwort auf die entscheidende Frage nach dem Leben, dem Universum und Allem herauszufinden. Deep Thought rechnet über Zeitalter und Generationen und rückt irgendwann mit der Antwort heraus – auch wenn er vorher sagt: “Ihr werdet sie nicht mögen.” Sie lautet “42”, aber Deep Thought hat dafür so lange gebraucht, dass die eigentliche Frage in Vergessenheit geraten ist. Also baut das Volk einen neuen Computer, der die Frage herausfinden soll. Dieser Computer, so stellt sich heraus, ist unsere Erde.

Diese ganze Hintergrundgeschichte aus dem Buch dürfte den meisten Menschen nicht auf der Zunge liegen. Auch ich musste sie nochmal nachlesen. Übrig geblieben ist meist nur, ähnlich wie bei Deep Thought selbst, dass “42” die entscheidende Zahl ist. Die Antwort. Gerne mal formuliert auch als “Die Antwort auf alle Fragen”, was nicht stimmt. “42” ist also in der Sozialisation, die ich eben erwähnt habe, eine Art Meme gewesen, bevor der Begriff in breitem Gebrauch war. Und sein Ursprung, Per Anhalter durch die Galaxis, gehört zu einer kleinen Gesellschaft an Ur-Texten für diese Sozialisation. Und damit meine ich natürlich die Sozialisation als Nerd.

Ich “gönne” mir in meinem Blog immer mal wieder, zu meinem Geburtstag, einen Text, der von mir selbst handelt, und in dem ich meine eigenen kulturellen und medialen Gewohnheiten aufschreibe und reflektiere. Vor zwei Jahren, zum Beispiel, zum 40., habe ich 40 Kulturerzeugnisse aufgelistet, die mich geprägt haben. Adams’ Roman ist nicht darunter, hätte es aber gut sein können. Ich habe ihn als etwa 10-Jähriger von einem einige Jahre älteren Freund empfohlen bekommen, der Informatik studierte. Einen prägenden Eindruck hat er nicht hinterlassen. Aber die Lektüre war entscheidend, um mich dem Nerd-Kosmos zugehörig zu fühlen.

Coming of Age

Ich bin 1983 geboren. Das heißt: Ich bin, wenn man nach generationellen Zuschreibungen geht, ein “alter Millennial” oder sogar ein “X-Ennial”, also auf der Grenze zwischen Generation X und Millennials. Was das für mich vor allem bedeutet, ist: Ich habe meine frühe Kindheit in den 80ern verbracht, hatte mein “Coming of Age” in den 90ern, und bin mit dem Ende des Jahrtausends erwachsen geworden. Ich kenne eine Welt ohne eigenen Computer (meine Familie gehörte nicht zu denen, die früh Commodores zu Hause hatten), eine Welt mit Computern, aber ohne weit verbreitetes Internet, und eine Welt mit Internet zu Hause – alles in derselben Kindheit und Jugend.

Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuerst mit dem Begriff des Nerd und der dazugehörigen Kultur in Verbindung gekommen bin, aber es muss ungefähr um die Zeit gewesen sein, als ich Per Anhalter durch die Galaxis gelesen habe. Um die gleiche Zeit bin ich von einem vagen Interesse für phantastische Geschichten in meiner Kindheit, wie Michael Endes Die unendliche Geschichte oder den Narnia-Romanen von C. S. Lewis, zu einer konzentrierten Leidenschaft für Fantasy und Science-Fiction als definiertes Genre umgeschwenkt. 

Angefangen natürlich mit Tolkiens Der Herr der Ringe, aber bald in allen seinen Ausprägungen, über die ich hier im Blog auch schon öfter geschrieben habe. Parallel dazu fing ich an, selbst in QBASIC zu programmieren (meistens Textadventure) und irgendwann meine ersten Websites zu bauen und dafür HTML zu lernen. Und irgendwann in dieser Zeit begann ich, mich selbst als Nerd zu identifizieren.

Ich will den Begriff an dieser Stelle nicht herleiten, sondern nur kurz beschreiben, was ich darunter verstand: Ein Nerd war für mich jemand, der sich für Nischenthemen interessiert, die in der Gesellschaft gemeinhin nicht als “relevant” oder “beliebt” wahrgenommen waren. Das waren für mich eben Phantastik und Computer. Ich war gut in der Schule, aber nicht gut in Sport. Ich fand, dass ich nicht gut aussah, hielt mich aber für sehr intelligent. Ich machte Witze über Microsoft Windows und wiederholte Zitate aus Das Leben des Brian.

Bestätigende Literatur

Zu dieser Selbstidentifikation gab es genug bestätigende Literatur. Für mich war hier vor allem die Zeitschrift InQuest prägend, in der es primär um Karten- und Rollenspiele ging, aber auch um alles andere, aus dem sich die Nerdkultur zu dieser Zeit speiste. In den Seiten von InQuest, würde ich heute sagen, habe ich Nerd-Selbstverständnis absorbiert: der selbstreferentielle Humor, das Hochhalten von arkanem Wissen, aber auch die Obsession mit dem Ranking von Kulturerzeugnissen: das Festlegen darauf, was in einer bestimmten Kategorie das “Beste” ist und das pseudo-wissenschaftliche Überführen von Meinungen in Statistiken (siehe auch: Computerspiele-Zeitschriften aus der gleichen Zeit). 

Was auch dazu gehörte: Jede Menge Misogynie. Nerdkultur war, ohne dass ich darüber nachdachte, ein fast ausschließlich weißer, männlicher Raum, der einem weißen, männlichen Kulturkanon huldigte. Frauen kamen vor, aber nur in einem sehr begrenzten Rollenspektrum: Als fernes Objekt der Begierde, als ultrakompetente Amazonen-Projektion oder als “one of the guys” Cool Girl, das gar nicht so richtig als weibliches Wesen zählte.

Das Absurde an meinem Selbstbild aus dieser Zeit ist, dass es eigentlich hinten und vorne nicht stimmte. Ich mag ein unsportlicher Junge mit schiefer Frisur und Nischeninteressen gewesen sein, aber ich war halt auch erst 13 Jahre alt. Ich war extrovertiert und hatte viele Freunde aus allen typischen Schulclans, darunter auch immer viele Mädchen. Ich habe kurze Zeit später angefangen, Theater zu spielen. Ich hatte mit 15 meine erste Freundin. Ich habe irgendwann Metal gehört, aber auch viel populäre Mainstream-Musik. Ich habe einige Jahre später viel im Internet mit anderen Leuten rumgehangen, die sich auch für Nischenthemen interessiert haben, aber ich war auch regelmäßig auf Partys, habe Alkohol getrunken und geraucht. In der 10. Klasse wurde ich zum Klassensprecher gewählt.

Ich will damit auf gar keinen Fall sagen, dass meine Erfahrung typisch ist. Ich hatte einige Freunde, die sozial scheuer waren als ich, die sich nicht so einfach in alle möglichen Gruppen integrieren konnten, die vielleicht dick oder anders äußerlich als “konventionell unattraktiv” markiert waren, und die entsprechend nicht so eine ausgelassene Teenagerzeit hatten, wie ich (was ich aber nicht sicher weiß). Entscheidend finde ich, als wie sticky sich trotzdem das Selbstverständnis vom Nerd, vom sozialen Außenseiter, der sich seiner Umwelt gleichzeitig überlegen fühlt, auch bei mir erwies. Es war ein Bild, in dem ich mich in meinen Teenagerjahren sehr zu Hause fühlte, auch wenn so vieles von außen dagegen sprach, und dass ich sicher noch bis weit in meine 20er für mich selbst in Anspruch genommen habe. Sicher auch, weil es im Zweifelsfall eine perfekte Passung zu den universellen Gefühlen dieser Zeit im Leben, von “verloren” bis “unverstanden”, bot.

Marktreife

Ich muss dabei immer an die weitreichende Kritik an “Nerdkultur” denken, die rund 20 Jahre später von Menschen wie Michael Seemann formuliert wurde. Denn natürlich besteht darin das zweite Kapitel meiner spezifischen Geburtenkohorte. Parallel zum Coming of Age von mir und den Jugendlichen um mich herum, wurde auch die vermeintliche Außenseiterkultur zunehmend zum Mainstream. Streng genommen begann diese Entwicklung schon in meiner Kindheit. Viele der kulturellen Produkte, die ich noch als “nischig” wahrgenommen habe, wurden bereits auf dem Massenmarkt ausgetestet. Das Schwarze Auge etwa wurde mit großem Marketing-Tamtam von Schmidt Spiele vertrieben. Superhelden-Comics durchlebten in den 90ern eine gigantische Spekulations-Blase.

Doch die große Wende kam in meinen Augen um die Jahrtausendwende. Während ich “echte” Fantasy-Filme als 12-Jähriger noch mühsam zwischen Ray Harryhausen und Ridley Scotts Legend im Osterprogramm der Privatsender suchen musste, sorgte die Marktreife von CGI-Technologie am Ende der 90er Jahre dafür, dass viele Nerd-Urtexte für den Mainstream verfilmt wurden. Es begann mit den X-Men-Filmen und The Matrix, der entscheidende Moment für mich aber war Peter Jacksons Lord of the Rings-Trilogie ab 2001, mit der mein persönlicher Nerd-Kosmos plötzlich für alle lebendig wurde. Ich konnte ihn zum Beispiel mit meinen Eltern teilen. The Return of the King gewann so viele Oscars wie Titanic oder Ben Hur. Fünf Jahre später startete das MCU und schleifte uns gemeinschaftlich in eine Welt, in der scheinbar jeder große Blockbuster auf einer Vorlage basiert, die zwanzig bis vierzig Jahre zuvor noch als genauso nerdig galt wie Hornbrillen und Karohemden. 

Ich muss irgendwann eingesehen haben, dass ich eigentlich nicht wirklich ein Nerd war, auch wenn ich mich oft so fühlte. Deswegen bin ich zu gegebener Zeit zur Selbstbezeichnung “Geek” umgeschwenkt, die weniger nach programmierten Taschenrechnern und Hosenträgern roch, und mehr nach popkulturellem Spezialwissen und extrovertierten kulturellen Kapital schmeckte. Geeks würden auch niemals als Hauptdarsteller in der romantischen Komödie des Lebens gecastet werden, aber ihre Macht war vielleicht sogar eine größere: Sie hatten höchstwahrscheinlich das Drehbuch dazu geschrieben.

Über den toxischen Umschlag der Nerds im Zeitalter ihrer kulturellen Dominanz ist viel geschrieben und produziert worden, sowohl im Rahmen von Ereignissen wie Gamergate, als auch mit Blick auf die Entwicklung der Techbranche, in der die Nerds plötzlich auch wirtschaftlich die Weltherrschaft übernahmen und dem Rest der Welt ihre eigene Sicht auf soziale Beziehungen überstülpten. So zumindest die gängige Erzählung in Filmen wie The Social Network. Dass die Entwicklung der “Manosphere”, die jetzt sogar irgendwie Teil von Donald Trumps MAGA-Bewegung ist, auch damit zusammenhängt, lässt sich argumentieren. Das alles hat mich immer irgendwie traurig und wütend gemacht, aber ich fühlte mich gleichzeitig innerlich immer weit genug davon entfernt, um mich als Teil der agierenden Gruppe zu begreifen.

Die obersten Geeks

Viel mehr erschüttert hat mich über die letzten Jahre, dass sich immer wieder zeigte, dass auch die obersten Geeks, also der sozial und kulturell vermeintlich kompetenteren Nerds, nicht in der Lage sind, ihr einstmaliges Außenseitertum (ob wahrgenommen oder real) nach ihrem Siegeszug in dauerhafte Reflexion und Empathie umzumünzen. Als prominentes weibliches Beispiel sticht Joanne K. Rowling hervor, die einen Romanzyklus über einen gepiesackten Jungen geschrieben hat, der anders ist als alle anderen, und die sich lange als “Ally” von queeren Menschen inszeniert hat, nur um in einen grauenhaften Kreuzzug gegen Trans Personen abzurutschen, die zu den sozial verwundbarsten Mitgliedern der Gesellschaft gehören.

Viel näher aber sind mir natürlich die Geschichten der Männer. Als ans Licht kam, dass Joss Whedon, vermeintlicher Vorkämpfer des Feminismus und ultrareflektierter Geschichten-Erklärer, quasi sofort nach seinem Erfolg zum missbräuchlichen Arschloch insbesondere gegenüber Kolleginnen mutierte, ist in mir schon ein bisschen Glaube an die Menschheit gestorben, auch wenn ich nie ein Anhänger des “Cult of Whedon” war, weil er mir immer schon ein bisschen zu glatt erschien. Aber zumindest erschien er mir einer von “den Guten” zu sein, ebenso wie Neil Gaiman, den ich zwar immer für literarisch überschätzt hielt, aber als kulturelle Identifikationsfigur eines nahbaren Autors durchaus wertvoll fand. Dass er mutmaßlich über Jahrzehnte seine kulturelle Macht genutzt hat, um Frauen Gewalt anzutun, überrascht mich nicht mehr wirklich, aber es stimmt mich doch sehr trübsinnig. Die Vorwürfe gegen jemand wie Chris Hardwick, den Gründer einer Website namens “Nerdist”, wurden zwar nie juristisch bestätigt, aber sie würden ins gleiche Muster passen. Genau wie die gegen Jonah Hill.

Ich ertrage sie schlicht nicht mehr, diese Geschichten vom vermeintlichen Außenseitertum missverstandener Teenager, die aber in sich eine Gabe tragen, die die Außenwelt nur noch nicht wahrhaben will, sei es überragende Intelligenz oder kulturelle Brillanz. Gerade weil ich mich als Teenager selbst damit identifiziert habe und sie auch in der auf mich zugeschnittenen Nerdkultur gespiegelt bekommen habe. 

Und obwohl dieser ganze Komplex natürlich sehr alt ist (siehe auch Nanette), ertrage ich sie ganz besonders nicht mehr in diesem kulturellen Moment, in dem die Nerds und Geeks meiner Generation eigentlich gewonnen haben, weil ihre Nischenkultur zur Massenkultur geworden ist. In der gleichzeitig “mental health” so prominent ist wie nie – die Werkzeuge, um aus den eigenen Erfahrungen zu lernen, also scheinbar bereitliegen, insbesondere für Menschen, die Geld genug haben, um sie zu bezahlen. Wahrscheinlich zeigt sich darin nur mal wieder, dass Macht korrumpiert. Auch oder gerade die, die sich selbst zuvor als machtlos empfunden haben.

Keine Monokultur

Das Gute ist, dass Nerdkultur keine Monokultur ist – auch wenn sie sich in meiner Kindheit noch so angefühlt hat. Innerhalb der Nerdszene, immerhin, habe ich das Gefühl, dass die Deutungshoheit beanspruchenden Nerds meiner Generation leiser werden, zugunsten eines sehr diversen Feldes von phantastischer Literatur und Kultur, die gerade dadurch ermöglicht wurde, dass die Monokultur in den Mainstream abgewandert ist. Und eine Biografie wie meine zeigt hoffentlich, dass es unendlich viele Möglichkeiten gibt, die Selbstidentifikation als Nerd auszugestalten. Und deswegen kann ich zum Glück trotzdem meinen 42. Geburtstag als stolzen Nerdgeburtstag feiern. 

Douglas Adams, zumindest, scheint bis zu seinem viel zu frühen Tod, nach allem was man weiß, ein ziemlich netter Mensch gewesen zu sein. Adams starb übrigens im Mai 2001, also zufällig kurz vor dem von mir wahrgenommenen Kipppunkt der Phantastik im Mainstream. Die große (und nicht sehr erfolgreiche) Verfilmung seines eigenen Romans hat er nicht mehr erlebt.

Die Geschichte des V – Warum wir Helden gegeneinander antreten lassen

© Warner Bros.

Als Batz das Zitat twitterte, konnte ich es kaum glauben: David Goyer hat 2005 in der “L.A. Times” gesagt: “‘Batman Vs. Superman’ is where you go when you admit to yourself that you’ve exhausted all possibilities.” Heute, elf Jahre später, steht er als Koautor auf dem Plakat von Batman v Superman: Dawn of Justice.

Das Zitat stammt natürlich aus einer Zeit als der moderne Superheldenfilm noch am Anfang stand. Damals gab es noch kein Marvel Cinematic Universe, keinen Avengers-Film, keine zwei einander treffenden X-Men-Generationen in Days of Future Past. Das Superheldenkino hatte noch nicht angefangen, die Erzählmechanismen von Comics für sich zu apropriieren. Ist an Goyers Satz trotzdem etwas dran? Immerhin ist “Batman vs. Superman” ja doch ein bisschen was anderes als die Superhelden-Teams, die wir inzwischen aus Marvelfilmen kennen, und die wir mit Suicide Squad und Justice League bald auch von DC bekommen werden. Hier tun sich – zumindest laut Titel – nicht zwei Helden zusammen, um gemeinsam einen Big Bad zu bekämpfen, sondern sie treten gegeneinander an.

A Bit of Circus Hoopla

“It’s somewhat of an admission that this franchise is on its last gasp”, sagt Goyer in dem “L.A. Times”-Artikel weiter – und tatsächlich scheint das eine populäre Meinung zu sein. Filme mit einer Konfrontation zweier bekannter Charaktere im Titel sind der letzte Strohhalm, wenn einem nichts Besseres mehr einfällt. Auch Tim Robey vertritt diese Ansicht im “Telegraph”: “Traditionally, these face-offs are devised when both brands are at something of a low ebb, and need a bit of circus hoopla drummed up to get bums back on seats.”

Als Beispiele führt Robey die gesamte Filmgeschichte an. Von den ersten “Meets” Filmen aus dem Hause Warner Bros., die ihre Horror-Ikonen gegeneinander antreten ließen (Frankenstein Meets the Wolfman) über King Kongs diverse Gegner in den 60er Jahren bis zu moderneren Hahnenkämpfen wie Alien vs Predator oder Freddy vs Jason. Die Kraft der zwei Franchises wird beschworen, wenn eine alleine nicht mehr trägt. Das neueste Beispiel heißt The Ring vs. The Grudge.

Ultimate Showdown of Ultimate Destiny

Aus rein wirtschaftlicher Sicht also alles klar. Aber man muss sich nur mal umsehen, um festzustellen, dass Geldüberlegungen auf keinen Fall der einzige Grund dafür sind, dass es Filme mit “Vs” im Titel gibt. Die Nerdkultur ist voll mit Debatten darüber, wer in einem hypothetischen Kampf gewinnen würde. Und nicht nur die Fantasy-SciFi-Nerdkultur. Der YouTube-Kanal Epic Rap Battles of History hat das Konzept mit dem Battle-Rap-Element der Hip-Hop-Kultur kombiniert. Der Film Rocky Balboa beginnt damit, dass Sportkommentatoren einen Computer einen ebensolchen hypothetischen Kampf simulieren lassen, was vor allem in der US-Sportwelt heutzutage ständig passiert. Ultimate Showdowns of Ultimate Destiny sind überall.

Der Ursprung liegt natürlich im Fandom, und deswegen ist es auch kein Wunder, dass Sport neben Nerdkultur das zweite große Spielfeld für Vs-Kämpfe ist. Schon im sprichwörtlichen Sandkasten haben wir als Kinder unsere Actionfiguren gegeneinander gehauen oder mit Quartett-Karten Autos und andere Dinge verglichen. Wer ein “echter” Fan ist, entscheidet sich aber irgendwann für einen Verein oder für eine Figur und verteidigt deren Ehre bis aufs Blut. “Superman ist besser!” – “Batman ist besser!” – “Anscheinend gibt es nur einen Weg, herauszufinden, wer recht hat.” Und schon haben wir einen Vs.-Film.

Hinzu kommt, davon bin ich noch immer fest überzeugt, unsere Sehnsucht nach einem alles verbindenden fiktionalen Universum. Eigentlich kann Superman Batman nicht treffen, weil beide in unterschiedlichen Comicreihen zu Hause sind. Aber wäre es nicht cool, wenn sie sich treffen könnten? Dann könnten sie auch gegeneinander kämpfen … und schwupps haben wir Crossovers und fiktionale Universen.

Der salomonische Kanon

Das wichtigste Element des letzten Punktes ist die Verbindlichkeit. Schafft der Verlag, das Filmstudio, der TV-Sender den Crossover selbst, dann ist das Ergebnis des Kampfes mehr als nur eine hypothetische Nummernspielerei oder eine epische Fanfiction. Es ist Kanon, mit offiziellem Siegel: So würde der Kampf ausgehen. Für fanatische Anhänger gibt es nichts, was vermeintlich befriedigender ist, in letzter Instanz aber immer zu Frust führen muss.

Denn natürlich, und das ist das letzte interessante Element, wird sich niemals eine offizielle Stelle dazu bringen, einen Vs-Kampf endgültig zu entscheiden. Die Mächte des Kanons wären schön blöd, wenn sie eins der beiden miteinander konfrontierten Franchises erst durch eine endgültige Niederlage beleidigen und dann durch Nicht-Fortsetzung verlieren würden. Und deshalb gehen titanische Vs-Kämpfe am Ende immer zu einem gewissen Grad unentschieden aus. (Es folgen Spoiler bis zum Ende des Absatzes) Der Kampf zwischen Godzilla und King Kong wird von einem plötzlichen Erdbeben unterbrochen und Godzilla stürzt zwar ins Meer, aber tot ist er nicht (wie dutzende Fortsetzungen beweisen). Jason hat Freddy den Kopf abgeschlagen, dieser zwinkert aber noch. Die Predators gewinnen den Kampf, aber einer von ihnen ist der nächste Wirt für eine neue Alien-Generation. Thors Hammer trifft Captain Americas Schild, aber beide werden zurückgeschleudert. Und so weiter und so weiter.

Das ist alles sehr salomonisch und es scheint die einzige Art zu sein, diese Konflikte, nach denen nicht nur geldgierige Studioheinis sich sehnen, auszufechten. Am Ende wollen wir nämlich gar nicht wissen, wer gewinnt. Wir wollen nur den Kampf sehen. Und wir wollen die Option, ihn jederzeit zu wiederholen.

Danke an Denis Krick und Jörg Buttgereit für die Vorgespräche.