Alternde Filmstars, die zum ersten Mal Regie führen, wählen sich gerne Projekte, in denen sie ihren Messias-Komplex mal so richtig ausleben können. Es reicht ihnen nicht, die Hauptrolle in einem Film zu spielen, den sie selbst inszeniert haben und produziert haben. Sie müssen darin auch noch jene versöhnende Rolle einnehmen, die ihnen die Welt sonst anscheinend versagt. Es muss an ihnen hängen, dass die Menschen sich endlich wieder lieb haben.
The Water Diviner ist Russell Crowes Variante von Dances with Wolves. Nicht unbedingt im Plot, aber doch im grundsätzlichen Gestus des “Stoischer weißer Mann treibt die Völkerverständigung voran und lernt dabei etwas über sich selbst”. Russell Crowe inszeniert sich selbst als einen australischen Brunnenbuddler, der am Ende des ersten Weltkriegs in die Türkei reist, um seine drei in Gallipoli gefallenen Söhne nach Hause zu holen und in geweihter Erde zu begraben. Er hat es seiner toten Frau versprochen. In der politisch zerrissenen Türkei findet er nicht nur zu sich selbst zurück, er stellt außerdem fest, dass einer seiner Söhne noch am Leben sein könnte und entdeckt vielleicht neues Liebesglück (Olga Kurylenko).
Das Versprechen eines Lebens
In Deutschland startet die türkisch-australische Koproduktion als Das Versprechen eines Lebens erst im Mai, aber wegen des starken lokalen Bezugs war sie in Istanbul schon zur Weihnachtszeit zu sehen. Son Umut (Letzte Hoffnung) lautet der türkische Titel. Weil sonst nichts Interessantes lief und man den hunderten Postern für Son Umut in allen Metro-Stationen sowieso nicht entkommen konnte, schoben sich meine Frau und ich also am zweiten Weihnachtsfeiertag in ein ausverkauftes türkisches “Cinemaxximum”, um Russell Crowe – den ich nicht ausstehen kann, meine Frau aber einigermaßen attraktiv findet – beim Brunnenbuddeln zuzugucken.
Wir stellten fest: Russell Crowe gräbt in seinem Film genau einen Brunnen. Ganz am Anfang. Ich hatte fest damit gerechnet, dass ein Film mit dem Titel The Water Diviner (wörtlich “Der Wasser-Wahrsager”, übersetzt “Der Wünschelrutengänger”) irgendwann darin münden würde, dass Russell Crowe seine Wasser-Such-Skills einsetzt, um den rettenden Brunnen für ein paar verlorene Türken zu graben, die ihn daraufhin in guter Hollywood-Völkerverständigungstradition in ihren Stamm aufnehmen. Aber nicht einmal Olga Kurylenko bekommt Russells Wünschelrute zu sehen, das Prinzip wird eher auf eine vage, nicht-konfessionelle Spiritualität übertragen.
Who are they toasting?
Um seinen verschleppten Sohn zu finden, schließt sich Crowe einer Truppe von republikanischen Milizen an, die in jene Richtung ziehen, wo sich die Spur des Sohns verliert. Am Abend vor dem Aufbruch sitzen sie in ihrem Versteck irgendwo in den Katakomben Istanbuls, trinken, feiern und singen. Ein türkischer Soldat hebt sein Glas auf einen abwesenden Mann namens Kemal. “Who are they toasting?”, fragt Crowe seinen neuen Freund Major Hasan (Yilmaz Erdoğan). “Turkey’s future”, antwortet dieser.
Die feierliche Stimmung im Kinosaal war spürbar. Mustafa Kemal Atatürk, der türkische Republiksgründer, wird in der Türkei wie ein Heiliger verehrt. Man sagt nichts Schlechtes über ihn. Am Nationalfeiertag, dem 29. Oktober, zieren zehn Etagen hohe Porträts von ihm die Hauswände. Es wird sich ständig auf ihn berufen, um Alles und Nichts zu rechtfertigen.
Das kann man albern finden, oder sogar gefährlich. In diesem Moment – als Deutscher zu Gast in der Türkei, in einem Kino voller Türken, im Angesicht eines sentimentalen australischen Films über die Türkei – war ich gerührt. Ich wünschte mir einen eigenen Gründungsmythos, auf den ich mich bei Gelegenheit berufen kann, und der nicht nur darin besteht, dass mein Volk nicht in der Lage war, seinen wahnsinnigen Diktator selbst zu stürzen, sondern ihm jubelnd ins Verderben folgte. Das Gefühl wurde ich eine Weile nicht los, auch nachdem der Film vorbei war.
Völkerverständigung für Dummies
In The Water Diviner wird allerdings auch klar, dass Völkerverständigung nach dem filmepischen Modell immer nur zwischen zwei Völkern stattfinden kann. Crowe kommt als Australier nach Gallipoli und seine ursprüngliche Wut gegen die Türken, die seine Söhne umgebracht haben, schwenkt bald um in Sympathie gegenüber dieser alten Zivilisation, die mitten im Umbruch steckt und deren Vertreter Hasan ein echter Ehrenmann ist.
Das hindert ihn natürlich nicht daran, sowohl die ausnahmslos arroganten und ignoranten englischen Besatzer, als auch die ungewaschenen barbarischen Griechen, die Anatolien unsicher machen, weiterhin zu hassen. Sie haben ja schließlich auch kein Geld in seinen Film investiert.