Bettina Schausten und die ewig alte Leier

Auf der Abschlussrunde des Mainzer Mediendisputs unterhielten sich gestern mal wieder Leute mit vergleichsweise wenig Ahnung aber dafür umso mehr Meinung über das Internet. Erstaunlicherweise kam dabei am sympathischsten (außer dem über allen thronenden Nils Minkmar von der FAS) der einzige Politiker der Runde, SPD-Landesvorsitzender aus Schleswig-Holstein Ralf Stegner, an, der wenigstens ehrlich war mit dem, was er sagte: Twitter mach ich selbst, Facebook mach ich selbst, den restlichen Internet-Kram mache ich ja nicht so regelmäßig aber dafür finde ich auch schon immer die Zeit. Sehr schön auch die Formulierung: “Ich verbringe mit Twittern am Tag etwa so viel Zeit wie mit Händewaschen.”

Von den zwei Polterköppen der Runde, Hugo Müller-Vogg (“Die Politiker twittern doch eh alle nicht selbst” – wenn das Kurt Beck wüsste) und Sascha Langenbach (Berliner Kurier, Twitternde Politiker sind “totaler Kokolores”) hatte ich ehrlich gesagt eh nicht viel erwartet, aber dann war da ja noch Bettina Schausten, die ein wenig öffentlich-rechtliche Kompetenz und Ruhe ausstrahlen sollte (offensichtlich).

Und was sagte Frau Schausten: Erstens, es sei nicht primär Aufgabe eines Fernsehjournalisten, sich im Internet “freizuschreiben” mit den Dingen die er im Fernsehen nicht machen könne (in seiner Freizeit, okay, aber sonst bitte keine multimedialen TV-Journalisten). Zweitens: Im Internet steht ja eine ganze Menge Mist.

Ich kann es nicht mehr hören. Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Wenn das noch einmal jemand als Argument gegen das Internet und gegen das Publizieren im Internet vorbringt, ziehe ich in eine einsame Hütte in den Karpaten. Echt jetzt.

Ich erinnere kurz an das Internet-Manifest, so einiges Kluges steht ja doch drin: Das Internet ist die Gesellschaft ist das Internet. Oder wie Peter Kruse letzte Woche auf dem Zukunftsforum der LPR sagte: Ist doch klar, dass im Netz auch die Gauss’sche Normalverteilung gilt. Das Web spiegelt das “echte Leben” wieder. Und im “echten Leben” sagen Leute eine ganze Menge Mist. So viel Mist sogar, dass die Zeitungen und das Fernsehen gar nicht alles berichten, was Leute sagen, man stelle sich das vor. Also “sagen” (d.h. schreiben, denn so funktioniert das Medium nun mal) die Leute auch im Internet eine ganze Menge Mist. Ja, auch in Blogs. Denn nicht jedes Blog sieht sich selbst als journalistische Plattform.

Aber: Erstaunlicherweise ist die Menschheit in der Lage, im echten Leben wie im Netz, aus dem ganzen Blödsinn, der rund um sie geredet wird, die interesssanten Dinge herauszufiltern. Die Dinge, die alle betreffen. Die Dinge, die vielleicht wirklich Bedeutung haben. Wenn zum Beispiel immer mehr Leute in der DDR ihren Unmut über das System äußern, in dem sie leben, fällt irgendwann die Mauer. Wenn immer mehr Leute sich darüber ärgern, dass die Politik sich nicht um Umweltschutz kümmert, entstehen die Grünen und schaffen es irgendwann sogar in Parlamente.

Umgekehrt bleiben die Minderheitenmeinungen eher unter sich: An Stammtischen, in Freundeskreisen und Vereinen – und eben auch in den modernen Äquivalenten davon: In Internet-Foren, Blogs und anderen Social-Web-Formen. Ja, da steht viel Mist, aber das interessiert auch so gut wie keinen.

Also noch mal zum Mitschreiben in Fettdruck für Frau Schausten: Im Internet steht in der Tat viel Blödsinn, aber an eine relevante Oberfläche schafft es in der Regel nur das, was auch interessant ist, genau wie in der Gesellschaft. Gute Blogs (oder: Polarisierende Blogs) lesen viele Leute, weniger gute oder weniger profilierte Blogs lesen wenige Leute.

Ach so, die Schlussfolgerung von Frau Schausten war übrigens, dass es deswegen Journalisten braucht, die das Internet sortieren und bewerten. Zu einem gewissen Grad mag das sogar stimmen, denn Sortierer sind immer gut, sie müssen aber nicht unbedingt klassisch ausgebildete Journalisten sein, die die Meinungshoheit darüber haben, was wichtig ist und was nicht. Im Grunde ist diese ebenfalls schon häufig geäußerte Meinung aber doch nur eine relativ traurige Selbstrechtfertigung der Journalisten, die sich selbst auf einem sinkenden Schiff sehen.