Gefühlte Gemische

Nach einer Idee von Christoph Hochhäusler

Es liegt nicht auf der Hand, dass ich heute mit Film arbeite. Zwar bin ich nicht medienlos aufgewachsen, aber doch mit einem wohlkontrollierten Medienkonsum. Mehr als eine halbe Stunde “Die Sendung mit der Maus” war sehr lange nicht drin, einen eigenen Fernseher hatte ich erst mit 16. Ich habe jede Menge frühe Lese-Erinnerungen aber sehr wenige frühe Film-Erinnerungen.

Mein erster Kinobesuch muss The Jungle Book (USA 1967) gewesen sein, als der Film Weihnachten 1987 noch einmal ins Kino kam. Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, wirklich im Kino gesessen zu haben. Aber zu Fasching wollte ich auf jeden Fall King Louie sein. Meine Mutter bastelte mir ein Kostüm aus einem brauen Pullover und buntem Krepp-Papier.

Die ersten sechs Jahre meines Lebens wohnte ich mit meinen Eltern und meiner Schwester in einer Vier-Zimmer-Wohnung. Meine bevorzugte Abendbeschäftigung bestand darin, “Verlängerungstaktik” zu fahren, also nach dem Zu-Bett-Gehen wieder aufzustehen, ins Wohnzimmer zu stiefeln und nach einem Glas Wasser oder Ähnlichem zu verlangen. Der eigentliche Zweck war natürlich, an den “erwachsenen” Aktivitäten wie Fernsehen teilzunehmen.

Eines Abends wurde mir die Verlängerungstaktik zum Verhängnis, als ich just in dem Moment ins Zimmer kam, als die einzig gruselige Szene in Back to the Future (USA 1985) über die Mattscheibe flimmerte. Marty McFly erscheint seinem Vater im Strahlenschutzanzug, schockt ihn mit lauter Musik und erklärt, er sei “Darth Vader vom Planeten Vulkan”. Heute ein großartiger Geek-Witz, damals die Garantie für mehrere Wochen voller Albträume.

1991 zog meine Familie für fünf Jahre in die Niederlande, was mein Verhältnis zum Kino sowohl komplett veränderte, als auch nachhaltig prägte. Niederländer synchronisieren nicht. Bei Gängen ins Kino – anfangs noch mit Eltern, später zunehmend alleine, Mobilität war ja in einer Großstadt kein Problem mehr – lernte ich zwei Fremdsprachen gleichzeitig: Hollywood-Englisch und Untertitel-Niederländisch.

Ein Klassenkamerad hatte Terminator II – Judgment Day (USA 1991) auf VHS – seine Eltern waren in Sachen Medienkonsum wesentlich laxer als die der meisten anderen Freunde. Jedes Mal, wenn ihn jemand aus der Klasse besuchte, musste S. mit ihm Terminator gucken – auch mit mir. Vor der Szene mit der Milchtüte ließ ich mich aber von ihm warnen – und machte rechtzeitig die Augen zu.

Obwohl meine Kinolust mit zehn Jahren endgültig geweckt war, und ich zum Beispiel anfing, meine Kinokarten zu sammeln, war ich damals schon kein genauer Hingucker und bin es auch nie geworden. Kino war für mich immer ein Illusionsphänomen. Mich interessierten die Prozesse dahinter, über die ich vor allem in Zeitschriften wie “Limit” und “TV Movie” allerhand lernte. Mit der Video 8-Kamera meiner Eltern drehte ich eigene Stopptrickfilme und Flüge, in denen die Linse der Kamera den Blick aus dem Cockpit einfing.

Die Diskussion um Jurassic Park (USA 1993) war hart. Der Film hatte in Deutschland eine FSK 12, war aber in Holland ab 0 Jahren freigegeben. Ich war zehn und durfte nicht reingehen. Als der Film etwa ein Dreivierteljahr nach Kinostart noch einmal im “Rijksbioskoop” lief – einem Kino, das Filme kurz vor Heimvideostart noch einmal für kleinen Preis wiederaufführte – gaben meine Eltern nach und ließen mich gehen. Vom sense of wonder beim Anblick der Dinos, über deren Erschaffung im Computer ich längst alles wusste, zehre ich bis heute.

Wenn Bekannte davon berichten, dass Sie Filme immer und immer wieder gesehen haben, muss ich passen. Spätestens ab 1995 war ich zu sehr von diversen anderen Hobbies besessen, die meisten davon hatten mit Fantasy-Rollen- und Kartenspielen zu tun und verschlangen meine gesamte Freizeit.

The Lion King (USA 1995) war einer der wenigen Filme, den meine Eltern für uns auf VHS kauften. Statt ihn immer wieder zu gucken, überspielte ich mir nur den Ton auf eine Kassette und transkribierte sie, lernte dabei weiter Englisch. Daher bleibt Disneys Meisterwerk der silbernen Ära der einzige Film, den ich fast komplett mitsprechen kann.

Alle meine Kindheits-Filmerinnerungen drehen sich also um Trick-Filme. Und bis heute ist es wohl das Erlebnis-Gemisch als Durch-Schauer und Verzaubert-Werder, die Kino für mich nach wie vor zum Faszinosum macht.

Fortsetzung folgt – falls gewünscht