Vom auf die Schnauze fallen

Es ist etwas mehr als vier Jahre her, dass sich mir eine Gelegenheit bot, für das Online-Portal einer großen deutschen Zeitung Filmkritiken zu verfassen. Die Gelegenheit war entstanden, weil mich eine Kollegin empfohlen hatte und ich fühlte mich sehr geehrt.

Der erste Kontakt mit der Redaktion war gut, allerdings war ich zu dieser Zeit, genau wie jetzt auch, voll berufstätig außerhalb des Filmbereichs und hatte keine Gelegenheit, Pressevorführungen zu besuchen. Also einigte ich mich mit der Redakteurin darauf, den zu besprechenden Film in einer Mitternachtspreview zu sehen und die Kritik noch in der gleichen Nacht zu schreiben, damit sie ihn am nächsten Morgen auf ihrem Schreibtisch hatte.

Ein hässlicher Bastard

Das Ergebnis war ein Desaster. In der Mittagspause bekam ich einen Anruf, dass meine Kritik nicht dem Niveau entspreche, dass sich die Redakteurin erwartet hatte. Ich wusste sofort, was passiert war: Ich hatte mich so sehr bemüht, für diese Zeitung besonders klug zu klingen, dass ich meine eigene Stimme verloren und stattdessen einen hässlichen Bastard geboren hatte. Die Kritik las sich genauso, wie sich manchmal Briefe von Menschen lesen, die im Alltag wenig mit Schriftsprache zu tun haben, und sich nun Mühe geben, besonders “offiziell” zu klingen.

Weil die Zeit drängte, hatte ich keine Möglichkeit mehr, den Text zu überarbeiten und das Online-Portal veröffentlichte stattdessen eine Kritik aus einer anderen Zeitung. Ich bekam ein Ausfallhonorar (keine Selbstverständlichkeit) und einen Monat später auch eine zweite Chance, deren Ergebnis dann auch veröffentlicht wurde. Aber es war danach klar, dass sich keine erneute Zusammenarbeit ergeben würde.

Im Frühjahr des letzten Jahres durfte ich einen Vortrag auf einem Symposium halten. Wieder fühlte ich mich sehr geehrt, besonders, als sich anschließend die Möglichkeit bot, den Vortrag für die Veröffentlichung in einer akademischen Zeitschrift umzuarbeiten. Ich bin ja inzwischen seit acht Jahren nicht mehr an der Uni, aber ich interessiere mich nach wie vor für die akademische Welt und auf eine wissenschaftliche Veröffentlichung würde ich sehr stolz sein.

Die erste Fassung des Artikels bekam ich von meinem Betreuer mit viel konstruktivem Feedback zurück. Unter anderem bat er mich, stärker auf den Fokus der Zeitschrift einzugehen. Ich überarbeitete den Artikel und er wanderte in den Review-Prozess.

Die Peer Reviewer schlagen zurück

Heute, ein gutes halbes Jahr nach der Einreichung, habe ich erfahren, dass die Peer Reviewer ihn nicht gut genug finden. Einige Kritik, vor allem zu fehlenden Hintergrundinformationen und Literatur, die ich vielleicht noch in Betracht ziehen sollte, hat sich mir erschlossen. Allerdings wurde auch mehrfach darauf hingewiesen, dass Stil und Struktur nicht akademisch genug seien und sich der Artikel “eher wie ein Blog” lese. Sie fanden das Thema interessant, aber ich hätte den Text noch einmal grundlegend überarbeiten müssen. Im Grunde wäre ich wohl nicht umhin gekommen, ihn neu zu schreiben und erheblich zu erweitern.

Was passiert, wenn ich so tue, als wäre ich jemand anderes, habe ich vor vier Jahren erlebt, als ich das erste Mal auf die Schnauze gefallen bin. Ich habe damals eine Weile mit mir gerungen, ob ich vielleicht einfach nicht gut genug für bestimmte Aufgaben bin, stattdessen habe ich mich aber entschieden, dass ich schreibe, wie ich schreibe. Das heißt nicht, dass ich der Meinung bin, es sei alles gut so, wie es ist und dass ich nicht an mir arbeiten muss. Aber ich möchte dabei “meine Stimme” nicht verlieren, von der ich weiß, dass manche Menschen sie auch schätzen. Es schien mir verlorene Lebenszeit, daran zu arbeiten, mehr so zu klingen, wie ich glaube, dass andere Leute gerne hätten, dass ich klinge.

Daher war ich heute zwar enttäuscht, dass mein Artikel nicht genommen wurde, aber ich habe mich auch sehr schnell dagegen entschieden, die große Emulationsmaschine im Keller anzuwerfen und mich in den nächsten Wochen damit abzustrampeln, so zu tun, als wäre ich ein Vollzeitakademiker. Ich habe den Luxus, dass ich meistens aus Spaß am Schreiben schreiben kann. Und vor allem dann, wenn ich nicht dafür bezahlt werde, möchte ich mir diesen Spaß erhalten. Dafür bin ich auch bereit, manchmal auf die Schnauze zu fallen.

7 thoughts on “Vom auf die Schnauze fallen”

  1. IIrgendwie fehlt da doch was? Der letzte Satz ist abgeschnitten und die info fehlt. ;-)

    1. Danke für den Hinweis. Da waren ein paar Anführunsgzeichen im Code falsch gesetzt.

  2. Ich kann das Problem sehr gut nachvollziehen. Trotzdem sollte man aber auch immer an die Zielgruppe und die Art der Publikation denken, für die man schreibt. Da muss man sich definitiv anpassen und seine Texte quasi modulieren. Das geht aber auch, ohne sich dabei zu verbiegen – ist allerdings relativ aufwändig. Im Journalismus zählt ja das “nüchterne” Schreiben durchaus sogar zur Basis des Handwerks, wobei man feuilletonistischen Texten genrebedingt mehr literarische Eigenarten zugesteht als anderen und speziell Kulturkritiken auch stilistisch ein bisschen aus dem Rahmen fallen dürfen. Ein erkennbar eigener Stil wird aber eigentlich nur Kolumnisten zugestanden, und das sind in der Regel VIP-Journalisten oder Promis. Die Frage ist halt immer, ob man mit der formal-stilistischen “Anpassung” leben kann oder sie als Selbstzensur empfindet. Wer Letzteres denkt, sollte aber wohl tatsächlich lieber die Konsequenzen daraus ziehen.

    1. Das ist mir alles bewusst und natürlich tue ich das auch, wenn ich beruflich schreibe. Aber es besteht ja ein Unterschied dazwischen, ob man seinen Stil dem Medium anpasst oder ob man versucht, einen bestimmten Stil mehr schlecht als recht nachzuahmen, um dann festzustellen, dass es nicht funktioniert.

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