Wie ich ganz alleine die deutsche Filmblogosphäre erschuf (Update: Mit Video)

Handyfoto: Christian Steiner, Second Unit

Den Folgenden “Lightning Talk” habe ich heute auf der re:publica-Konferenz im Rahmen der Media Convention gehalten. Nachhören kann man ihn bereits auf voicerepublic.com (ab Minute 11:30) ungefähr. Video folgt wahrscheinlich/hoffentlich bald gibt es auf YouTube. Gesprochen habe ich manche Sachen ein kleines bisschen anders ausgedrückt. Für die Folien suche ich mir noch einen Weg, sie zur Verfügung zu stellen. Überhaupt werde ich diesen Post in den nächsten Tagen noch “hübsch” machen.

Hallo. Als ich letztes Jahr hier war, hat mir mein Kollege Jannis Kucharz vom „Netzfeuilleton“ gesagt, die Essenz eines guten re:publica-Vortrags sei „Overpromise and Underdeliver“. Am Titel meines Talks könnt ihr sehen: Ich habe mir mindestens mal den ersten Teil zu Herzen genommen. Was den Rest angeht – das dürft ihr dann gleich beurteilen.

Die re:publica ist daran schuld, dass ich heute hier bin. Nicht nur, weil sie mich eingeladen haben, hier zu sprechen. Sondern weil ich in den letzten Jahren immer neidisch drauf geguckt habe. Auch auf die Menschen, die sich hier treffen. Die Netzgemeinde. Die Blogosphäre. Oder wie immer man das nennen will.

Von der re:publica ging immer so ein Gefühl von Gemeinschaft aus, das ich an meinem Ende des Internets nie so richtig gespürt habe. Ich habe in meinem Blog „Real Virtuality“ über Film gebloggt und ich wusste, dass es andere Menschen gibt, die auch über Film bloggen. Aber ich kannte diese Menschen nicht. Und ich fühlte mich nicht als Teil einer Gemeinschaft.

Wenn ich in die USA geschaut habe, hab ich gesehen, wie sich dort die Filmbloggerinnen und Blogger – die natürlich auch allesamt Nerds sind – alle gegenseitig zu kennen schienen. Sie machten Podcasts miteinander. Sie treffen sich auf Festivals. Sie sind sogar Teil einer „Online Film Critics Society“.

Und auch in Deutschland, zum Beispiel bei den Foodbloggerinnen, bei den Elternbloggern oder bei den Medienbloggerinnen, hatte ich immer das Gefühl, dass diese Menschen jeder für sich arbeiten, aber auch Teil einer Gemeinschaft sind. Und zwar einer Gemeinschaft, die sehr netzkulturspezifisch ist – durchaus auch in Abgrenzung von den Printschreibern, worüber ich jetzt hier gar nicht urteilen will.

Ich habe nicht nur Filmwissenschaft, sondern auch Publizistik studiert, also war mir klar, dass ich mich dem ganzen nur über eine Art Studie nähern kann. Ich hab deswegen vor zweieinhalb Jahren zehn Filmblogger interviewt und nach ihrem Zugehörigkeitsgefühl gefragt. Das ganze habe ich dann in einem Artikel zusammengefasst, der als erste These hatte: Es gibt keine deutsche Filmblogosphäre.

Die Resonanz hat mich völlig überrollt. Am erstaunlichsten fand ich, dass die meisten mir zustimmten. Ich hatte unter anderem behauptet, dass es keine Leitmedien gibt, die von allen gelesen werden. Und dass es keine guten Aggregatoren gibt, mit denen man aufeinander aufmerksam gemacht werden kann. So bleibt jeder in einer sehr kleinen Blase gefangen. Wir interessieren uns nicht genug füreinander. Was auch bedeutet: Es interessiert sich auch sonst keiner für uns.

Unter anderem kam in der Diskussion auch auf, dass Deutschland einfach kein Filmland sei. Ich hatte das etwas anders ausgedrückt, und meine Vermutungen haben sich seitdem eigentlich nur bestätigt. Ich glaube, dass es unter den Menschen, die über Film bloggen, ein paar Grenzlinien gibt, die sie voneinander trennen. Es gibt nämlich manche, die Film sehr ernst nehmen. Die Film eher als Kunst wahrnehmen, die man auch so behandeln sollte. Und die deswegen auch eher abseits vom Mainstream ihr Futter suchen und den Mainstream auch so ein bisschen verachten. Und dann gibt es viele, die Film eher als Unterhaltung sehen. Die gerade den Mainstream feiern und bevorzugt bei großen Blockbustern ihren inneren Geek loslassen. Und denen die erste Gruppe ziemlich versnobt vorkommt.

Auf der anderen Seite gibt es jene, die das Bloggen nur zum Spaß betreiben, weil sie ein Ventil für ihre Gedanken gefunden haben. Und es gibt jene, die mit Film auch irgendwie ihr Geld verdienen und einen entsprechenden Professionalitätsgrad haben. Diese Profi-Amateur-Linie gibt es, glaube ich, nicht nur bei Filmblogs.

Gemeinsam führen die beiden Linien zu einem Koordinatensystem. Und in diesem Koordinatensystem kann man eigentlich jedes Filmblog in Deutschland ganz gut verorten.

Das hier sind nur die Blogs, die ich regelmäßig lese – woran man gut sieht, wo meine Interessen tendenziell liegen. Aber das alles bedeutet auch, dass Film – anders vielleicht als Essen oder Autos oder Social Media – selbst von Menschen, die sich damit befassen, sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Einmal bitte Hand heben, wer in seinem Teil der Blogosphäre so ähnliche Linien wahrnimmt.

Foto: Thomas Wiegold, Augengeradeaus, CC-BY-NC 2.0

Jedenfalls: Nachdem ich alle Rückmeldungen gelesen hatte, fiel mir einer meiner Lieblingsaufsätze wieder ein, von dem bestimmt viele hier schon mal gehört haben. „The Strength of Weak Ties“ von Mark Granovetter, in dem im Grunde erklärt wird, warum lose Verbindungen zwischen Menschen für das Entstehen von Netzwerken so wichtig sind. Diese Weak Ties bilden nämlich die Brücke zwischen verschiedenen kleinen Gruppen mit Strong Ties und sorgen dadurch dafür, dass Informationen von außen leichter hineinfließen können.

Und plötzlich wurde mir klar, dass ich jetzt all diese Weak Ties besaß, weil fast jeder und jede meinen Artikel gelesen hatte. Es meldeten sich Menschen bei mir aus Filmblog-Ecken, die ich trotz meiner vorherigen Suche noch gar nicht wahrgenommen hatte.

Einzelne Bloggerinnen und Blogger fingen an, aktiv Orte zu schaffen, an denen sich Über-Film-im-Netz-Schreibende treffen konnten. Und weil persönliche Kontakte Zusammenhalt immer noch mal besser zementieren als Facebook-Gruppen – siehe re:publica – gab es auf der Berlinale 2013 auch das erste Filmblog-Treffen.

Immer wieder bekomme ich auch Rückmeldungen von Leuten die sagen:
„Bäh, Blogosphäre, brauche ich alles nicht.“
„Ich will nicht Teil einer Bewegung sein.“
„Wollt ihr mir vorschreiben, was ich zu tun habe?“
„Leitmedium? Das klingt irgendwie nach Leitkultur.“
Und dann denke ich immer: Menno – ich will euch doch gar nichts vorschreiben, ich will doch nur, dass eure guten Texte gelesen werden. Aber ich habe auch einige Male ernsthaft daran gezweifelt, ob ich überhaupt das richtige will. Ob meine Vorstellung von Gemeinschaft vielleicht doch etwas zu sehr zu Gleichmacherei führen könnte.

Das geile ist aber, dass es gar nicht mehr an meinen Vorstellungen hängt. Das ganze Projekt hat längst eine Eigendynamik bekommen. Filmblogtreffen werden jetzt auch organisiert, ohne dass ich dabei bin, wie hier unten rechts auf dem Filmfest in München.

Eine Gruppe von Filmbloggern hier aus Berlin hat Themenmonate wie den #Horrorctober ausgerufen, denen sich inzwischen auch ganz viele Leute anschließen. Bei denen sie sogar von größeren Websites wie der VOD-Community MUBI unterstützt werden. Es springen zum Teil neue Aggregatoren aus dem Boden und alte werden neu wahrgenommen.

Trotzdem braucht die Filmblogosphäre weiter Pflege. Es braucht Zeit, bis die Linien nicht mehr als Grenzen verstanden werden, sondern als Achsen dieses Koordinatensystems, in dem wir uns alle bewegen. Ich bemühe mich deswegen, meine Weak Ties weiter zu knüpfen. Ich stelle in meinem Blog regelmäßig andere Ecken der Filmblogosphäre vor. Und an Orten wie hier werbe ich für uns Filmbloggerinnen. In der Hoffnung, dass ihr uns wahrnehmt. Und in der Hoffnung, dass wir uns öfter zusammentun, um mehr Einfluss zu haben.

Für mich hat in alledem aber eine wichtige Erfahrung gesteckt. Wer Gemeinschaft will, darf nicht darauf warten, dass sie von selbst entsteht. Wir müssen selbst diejenigen sein, die in der Blogosphäre, dier Netzgemeinde, wie immer man uns nennen will, die einzelnen Blasen zusammenfügen. Je größer wir unsere Blasen machen, desto besser. Und falls sich einer oder zwei, drei von euch mal in eurer Ecke des Netzes irgendwie isoliert fühlen, kann ich euch auch nur raten, eure eigene Blogosphäre zu schaffen. Für mich war es das beste, was ich bisher gemacht habe.

Und weil ich‘s versprochen habe. Als Finaler Twist hier meine Meinung zu Spoilern. Ja, man kann. Aber man muss nicht, wenn man seine Mitmenschen gern hat.

Ich bitte darum, die Position der einzelnen Blogs im Diagramm nicht überzubewerten. Danke.

Nachtrag, 8.5., 14.30: Mein T-Shirt stammt aus dem Merch-Store der Band 65daysofstatic, die zum Filmklassiker Silent Running vor drei Jahren einen neuen Soundtrack geschrieben haben (daher die Drohne aus dem Film mit der Zahl 65). Ich habe Keyboarder Paul Wolinski zu seiner Beziehung zur Science Ficion letzten Herbst interviewt.

10 thoughts on “Wie ich ganz alleine die deutsche Filmblogosphäre erschuf (Update: Mit Video)”

  1. Wie heißt denn der Name des Posts mit den Interviews der 10 Filmblogger und die daraus resultierende These, dass es keine Filmblogsphäre gibt? Kannst du das hier vielleicht noch verlinken?

    LG, Franzi

  2. Habe mir den Vortrag nun auch noch nach dem ersten Mal hören und lesen, also auch ein drittes Mal – nun – angesehen und lobe dich einfach noch einmal dafür. Ich denke, dass ich mir deine gebündelten Gedanken und auch ersten Ergebnisse mit dem Beobachten, (Mit-)Erschaffen der Filmblogosphäre mehrfach zu Gemüte geführt habe, spricht für die Qualität des Vortrags.

    Natürlich besonders schön, wenn eine eigene Grafik (und noch zusätzlich ein Foto) von mir so prominent abseits meiner Anwesenheit präsentiert werden :)

    1. Danke. Ich glaube aber auch, dass jetzt gut ist. Für die Öffentlichkeit muss ich mir mal ein neues Thema suchen.

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