In den vergangenen Jahren habe ich in diesem Blog immer nur auf Filme und Persönliches zurückgeblickt und mein musikalisches Jahr in andere Social-Media-Reiche verbannt. 2016 bin ich aber der Meinung: Wer dieses Blog regelmäßig liest, der verkraftet es auch, mit meinem Musikgeschmack konfrontiert zu werden.
Das Besondere am Jahr für mich war, dass ich es erstmals vollständig im Streamingland verbracht habe. Was das für mein Hörverhalten bedeutet hat, steht seit August im Techniktagebuch. Ich glaube außerdem, dass sich dieses Jahr endgültig mein Musikgeschmack so verändert hat, dass mich Bands, die ich vor zehn Jahren noch für die Krönung der Schöpfung hielt, mit ihren Alben nicht mehr begeistern können.
Stattdessen: dieses Mixtape. Die Reihenfolge ist nicht als Wertung, sondern als vorgeschlagene Hörreihenfolge zu verstehen.
A-SEITE
1. Bloc Party – The Love Within
Bloc Party zurück nach längerer Pause mit einem spirituellen Album, das nach wie vor die beiden Pole hymnenhaftigkeit (so heißt es auch, “Hymns”) und weirdness großartig miteinander verschränkt, wie dieser Track zeigt. The love within is moving upward / sweeter than any drug, das sollten wir uns merken.
2. Laura Mvula – Overcome (feat. Nile Rodgers)
When you’re heart is broken down / and your head don’t reach the sky / take your broken wings and fly, so beginnt dieser vielschichtige Song, nachdenklich-lieblich, aber mit Wumms, und definitiv zugänglicher als der Rest des Albums “The Dreaming Room”. Entdeckt durch die Nominierung für den Mercury Prize, jedes Jahr eine exzellente Quelle für neue Musik.
3. AURORA – Conqueror
“Running with the Wolves” ist wahrscheinlich der bekanntere Song der jungen Norwegerin, aber ich mag “Conqueror”, wie ich ja offene Lovesongs generell mag. I’ve been looking for a conqueror / but he don’t seem to come my way.
4. Paul Simon – The Werewolf
Paul Simons jüngere Alben hatten einen großen Klangcollagen-Faktor und “Stranger to Stranger”, dessen Opener “The Werewolf” ist, bildet keine Ausnahme. Im Interview erzählt Simon, aus wie vielen Komponenten dieser Werwolf zusammengesetzt ist. Die Kombination aus ironisch-leichten Texten (They eat all the nuggets, then they order extra fries) und einer sich zunehmend aufbauenden Drohkulisse gefällt mir an diesem Song.
5. Shearwater – A Long Time Away
Das Album “Jet Plane and Oxbow” ist vermutlich mein Lieblingsalbum des Jahres. Es lässt sich wunderbar von vorne bis hinten durchhören und findet genau die richtige Songmischung. “A Long Time Away” ist der dynamischste und besste Song des Albums.
6. Julien Baker – Sprained Ankle
Wenn es mal richtig richtig weinerlich werden darf, dann doch gerne so. Entdeckt in der “NPR Music Austin Top 100”.
7. Tiger Lou – You Town
Tiger Lou gehört zu den Bands, die ich Anfang der 2000er entdeckt habe, aber deren Werk für mich immer etwas im Vakuum hing. Dieses Jahr war ich dank Apple Musics “Neue Musik”-Playlist zur Stelle als ein neues Album erschien und konnte dann im Dezember sogar auf ein Konzert gehen. Das ganze Album lohnt sich sehr.
8. Archive – Driving in Nails
“False Foundation” ist wahrscheinlich Archives bisher düsterstes Album. So düster, dass ich es bisher noch nicht am Stück gehört habe. Die Vorabsingle “Driving in Nails” beweist das eindrücklich.
9. 65daysofstatic – Asimov
Vor zwei Jahren habe ich hier im Blog als einer der ersten berichtet, dass 65daysofstatic eventuell am Soundtrack zum Videospiel No Man’s Sky beteiligt sein könnten. Dieses Jahr sind Soundtrackalbum und Spiel endlich erschienen. Das Soundtrackalbum zumindest enttäuscht nicht.
B-SEITE
10. Ryley Walker – The Great and Undecided
Ryley Walker hat mich mit seinem Folk-Rock-Pop schon letztes Jahr begeistert, sein neues Album ist fast noch besser.
11. KT Tunstall – All or Nothing
KTs Album “KIN”, das im Herbst erschien, gehört zu den vergessbareren Releases des Jahres. Bei mir hat es bisher nicht einmal für einen zweiten Hördurchlauf gereicht. Aber auf der vorab erschienenen EP “Golden State” fand sich diese B-Seite, die an ihre besten Zeiten erinnert. Vor allem diese Woah-Yeah-Bridge zum Ende des Songs hat es in sich.
12. Coldplay – Up&Up
Dieses beeindruckende Video mag eine Rolle gespielt haben, aber in kleinen Dosen finde ich Coldplay nach wie vor sehr gut hörbar, auch wenn sie inzwischen als Schnulzenkönige gelten. “Up&Up” gibt Hörenden jederzeit eine Portion Optimismus zurück, wenn sie gebraucht wird: We’re gonna get it, get it together right now / get it together somehow / get it together and flow.
13. NAO – In the Morning
Als NAO erst im “All Songs Considered”-Podcast und dann in meinem “New Music”-Mix auftauchte, wusste ich, dass ich ihr eine Chance geben muss. Und ich wurde nicht enttäuscht: Das ganze Album “For All We Know” ist wunderbar greasy-sleazy R&B, garniert mit zerrenden Ausbrüchen, wie hier am Ende von “In the Morning”.
14. The Pretty Reckless – Take Me Down
“Take Me Down” erscheint mir wie ein Sequel zu “Sympathy with the Devil”. Die Instrumentierung, das Thema, alles passt zusammen. Nur eben all girls, wie bei Ghostbusters. Und mit der geilsten Triangel aller Zeiten.
15. Kula Shaker – 2 STYX
Ich mag Songs, die es erfolgreich schaffen, sehr unterschiedliche Refrains und Strophen miteinander zu verknüpfen. Kula Shaker gelingt das in “2 STYX” sehr gut – und wenn der Refrain dann endlich losbricht, knallt er doppelt.
16. Kishi Bashi – M’lover
Wenn Männer Falsett singen, ist es ja meist schon halb um mich geschehen. “M’Lover” ist definitiv der beste Song von Kishi Bashis neuem Album “Sonderlust” und gefällt mir in seinem operatischen Drama. Fast eine Antwort auf “Conqueror” 13 Songs zuvor.
17. Justin Timberlake – Can’t Stop the Feeling!
Switched On Pop hat sehr gut auseinanderdividiert, wo sich Justin Timberlake diesen Song überall zusammengeliehen hat, aber das macht nichts: er ist einfach gnadenlos catchy und man kann quasi nicht nicht dazu tanzen. Und bei der Tonartverschiebung auf dem Wort “Move” muss man dann immer das Gesicht auf eine bestimmte Art verziehen.
18. Aoife O’Donovan – Magic Hour
Dieser mir eher durch Zufall zugeflogene Track ist definitiv mein Song des Jahres. Er fängt einfach ganz wunderbar so eine bestimmte Stimmung zwischen Melancholie und innerer Ruhe ein, und er beschreibt in wenigen Worten die schönste Zeit des Tages: In the magic hour, when the moon is low / and the sky’s the kind of blue that you think you know / but you don’t know.
BONUSTRACK
19. Gipfeltreffen – Der aufrechte Gang
Im Herbst 2015, nach dem Umzug nach Berlin, war mir schnell klar, dass ich wieder ein Hobby brauchen würde. Ich fand Christian und Olli, die im Begriff waren, eine Band zu gründen und noch einen Schlagzeuger brauchten. Ein Jahr später haben wir bereits drei Demos aufgenommen, die zum Bestklingendsten gehören, was ich jemals auf virtuelles Tonband fixiert habe. Auf Soundcloud kann man reinhören.