Real Virtuality 2017 – Persönliche Höhepunkte

Don’t look back in anger

Ich warte ja noch auf das Jahr, an dessen Ende ich nicht sagen kann, dass es aber mal wieder ein ganz schön aufregendes Jahr war. Wer weiß, ob das überhaupt jemals passieren wird? 2017 war es jedenfalls noch nicht so weit – es war ein Jahr, an dessen Ende ich nicht nur einen anderen Job habe als an seinem Anfang, sondern auch kurz davor stehe, eine neue Lebensrolle anzunehmen.

Dies sind ein paar Dinge, die mich dieses Jahr bewegt oder begeistert haben:

Deutscher Evangelischer Kirchentag

2017, mit einem Land im Luther-Wahn, haben wohl auch Menschen etwas vom Kirchentag mitbekommen, denen er sonst egal ist. Ich steckte mittendrin. Wie schon bei den zwei Kirchentagen zuvor, bei denen ich hauptamtlich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht habe, war es auch diesmal wieder sehr anstrengend (das erste Halbjahr 2017 bestand zu großen Teilen aus Arbeit), aber wegen der involvierten Menschen und Themen auch sehr spannend und schön. Wer kann sonst schon von sich behaupten, dass er sich mal mit Barack Obamas Social-Media-Team abgestimmt hat? Auch der finale Gottesdienst vor den Toren Wittenbergs, bei über 30 Grad ohne einen Hauch von Schatten – das war schon was. Warum ich der Unternehmung, die mir so lange zweites Zuhause war, anschließend trotzdem den Rücken gekehrt habe, habe ich hier im Blog aufgeschrieben.

Yoga with Adriene

Um den Kirchentags-Stress etwas auszugleichen habe ich schon vor zwei Jahren in Stuttgart mal etwas Yoga gemacht. Auch dieses Jahr wollte ich das gerne wieder tun, aber anders als vor zwei Jahren gab es kein vertrauenserweckendes Yoga-Studio in der Nähe meines Büros oder Wohnorts. Also habe ich, was ich sonst viel zu selten mache, einfach mal nach YouTube-Videos gesucht und bin auf den Channel von Adriene Mishler gestoßen. Auf “Yoga with Adriene” bietet die Texanerin Yogastunden zu allen möglichen Themen an, unter anderem mehrere “30-Day-Challenges” für die tägliche Praxis. Ihr Charme, Witz und ihre Empathie für das Publikum hat mich so überzeugt, dass ich immer noch fast täglich mit Adriene Yoga mache, was mein Körpergefühl insgesamt doch ziemlich verbessert hat.

Firth of Forth mit der Forth Rail Bridge

Fife Coastal Path

Im großen Sommerurlaub ging es dieses Jahr zum Wandern nach Schottland, freilich in der Yuppie-Variante ohne Zelt und mit Gepäck, das von Ort zu Ort gebracht wird, während man läuft. Der Fife Coastal Path verläuft zwischen den Forth Bridges und der Tay Bridge, die meisten (wir auch) liefen ihn aber nur bis St. Andrews, mit stetigem Blick auf den Firth of Forth, vorbei an Küstenstädtchen und Robbenpopulationen, dem Elie Chain Walk und steinigen Stränden – insgesamt rund 120 km. Sämtliche Logistik lief absolut reibungslos, die Bed-and-Breakfast-Wirtinnen und -Wirte waren allesamt sehr angenehme Menschen, und dieses Gefühl, jeden Tag woanders einzuschlafen als man aufgewacht ist und die Strecke dazwischen selbst zurückgelegt zu haben, empfand ich als sehr befreiend. Die Buchung über EasyWays kann ich also sehr empfehlen. (Davor und danach waren wir außerdem in meiner alten Erasmus-Stadt Edinburgh zu Gast, was noch einmal eine ganz andere Reihe von Erinnerungen aufwirbelte und mein erstes Filmtourismus-Bild produzierte.)

Kulturindustrie

Ich habe schon genug dazu geschrieben, warum es zu meinem eigenen Podcast ein langer Weg war. Aber ich bin nach wie vor sehr froh und stolz, dass ich ihn zu Ende gegangen bin. Dass ich mich alle zwei Wochen mit Lucas, Mihaela und Sascha, drei klugen Menschen, zum Quatschen treffen kann, und dass das dann regelmäßig über 600 Leute hören, ist ein großes Privileg. Und da wir die Themen, über die wir sprechen, relativ demokratisch gemeinsam überlegen, beschäftige ich auch durch den Podcast immer wieder mit Dingen, die ich ohne ihn vermutlich gar nicht kennengelernt hätte, dieses Jahr zum Beispiel der Roman Menschenwerk von Han Kang, das Rapduo Zugezogen Maskulin oder Bryan Lee O’Malleys Comic Snotgirl. Auch die Videospiel-Software Steam hatte ich tatsächlich vor unserer Sendung über The Last Tree noch nie benutzt. Ich bin sehr dankbar für die ständige Horizonterweiterung und gespannt, wohin wir Kulturindustrie nächstes Jahr noch führen können.

Magic: The Gathering

In meinen Entwürfen schlummert ein halbfertiger Artikel über meine Wiederentdeckung des Kartenspiels, das meine Jugend dominiert hat, den ich vielleicht in den nächsten Tagen noch beenden kann. Nur so viel: Es ist vor allem die verdammt gute Medienarbeit von Wizards of the Coast auf ihrer Website, durch die ich festgestellt habe: Ja, es ist möglich, dieses Spiel nicht auf Turnierlevel zu spielen und trotzdem am Ball zu bleiben, auch oder gerade wenn man ein Vorthos ist, wie ich. So viel Spaß wie beim Prerelease von Ixalan hatte ich mit Magic seit langem nicht mehr und ich bin wirklich glücklich, dass die lange Geschichte der Entfremdung mit etwas, was ich mal sehr geliebt habe, 2017 ein gutes Ende genommen hat.

© Wizard of the Coast

Dinosaurier-Reiter, Piraten und eine Gorgonin mit einer Mission: Ixalan | © Wizard of the Coast

Babylon Berlin

Der Nationalstolz-Aspekt des ganzen Diskussions-Phänomens “deutsche Serie” lässt mich kalt, aber ich finde es natürlich trotzdem immer spannend, die Dynamik der Medienlandschaft zu beobachten. Schon bei der Bekanntgabe des Projekts vor anderthalb Jahren hatte ich die Hoffnung, dass die Mischung der beteiligten Player und Ideen tatsächlich zu einem guten Ergebnis führen könnte, und ich wurde nicht enttäuscht. “Babylon Berlin” ist definitiv mein Serienhighlight des Jahres, obwohl ich noch nicht einmal die zweite Staffel gesehen habe. Ich freue mich schon, noch einmal dafür zu trommeln, wenn es nächsten Herbst im Free-TV zu sehen ist.

Star Wars: From a Certain Point of View

Während die “Kontroverse” um The Last Jedi noch tobt, möchte ich ein anderes Star-Wars-Produkt preisen. Star Wars: From a Certain Point of View, in dem Ereignisse aus dem ursprünglichen Star-Wars-Film aus der Perspektive von Hintergrundfiguren erzählt werden, war eins der besten Lese-Erlebnisse meines Jahres – wahrscheinlich irgendwie logisch für jemanden, dem operationelle Ästhetik nach wie vor einen Kick gibt. Ganz abgesehen davon, dass die einzelnen Geschichten teilweise richtig gut und herzerwärmend waren, hat es mich auch begeistert, zu sehen, dass das Star-Wars-Universum gleichzeitig so gut ausdefiniert und so offen ist, dass es diese Art von Projekt erlaubt. Alle Autor*innen können sich individuell austoben und am Ende passt trotzdem alles zusammen, weil die Grundregeln der Welt klar sind. Spannend war es auch, zu beobachten, wie schnell die Ereignisse aus Rogue One in den Kanon übergegangen sind, so regelmäßig wie auf sie Bezug genommen wurde. Ich muss mich nicht genieren, dass ich solche Dinge nach wie vor wahnsinnig faszinierend finde, oder?

Doch noch Kritiker

Gegen die Bezeichnung “Kritiker” habe ich mich lange aus unterschiedlichen Gründen gewehrt. Zum Einen fühle ich mich wirklich mit dem, was ich so tue, immer noch mehr als Journalist, der analysiert und erzählt, denn als Kritiker, der zu einem gewissen Grad auch immer bewertet. Das obwohl die Unterscheidung im Kulturjournalismus kaum zu treffen ist. Zum anderen bin ich vor einigen Jahren mit dem Versuch, Filmkritiken zu schreiben mal ziemlich schmerzhaft gescheitert, was mich zu dem vielleicht etwas feigen Schluss gebracht hat, dass die klassische Form der Kritik einfach “nichts für mich ist”. Über die Jahre habe ich allerdings im Blog immer wieder mit Formen experimentiert und habe dabei anscheinend irgendwie doch eine kritische Stimme gefunden, mit der ich selbst zufrieden bin, und die auch andere Menschen gerne lesen. Ich schreibe inzwischen regelmäßig Hörfunk-Kritiken für epd medien und im Oktober habe ich sogar seit langem mal wieder eine bezahlte Filmkritik geschrieben und darauf viele positive Rückmeldungen bekommen (es hat eher logistische Gründe, dass es bisher bei der einen geblieben ist). Am Ende des Jahres 2017 kann ich also nicht nur nicht mehr so tun, als wäre ich kein Kritiker. Ich habe auch gelernt, dass es manchmal nicht an “können” oder “nicht können” liegt, sondern auch am eigenen Ansatz, und dass es sich lohnt, verschiedene Ansätze zu versuchen.

Cinematic Smash Champion

Als mich Henning im Sommer anschrieb und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mal bei seinem filmischen Debattier-Podcast mitzumachen, habe ich natürlich ja gesagt. Inzwischen aber sind die Cinematic Smash Bros so viel mehr als nur ein Podcast. Daran hängt eine Gemeinschaft von interessanten, filmverliebten Menschen hier aus Berlin und jede Menge Herzblut des Moderators und Organisators. Ein Highlight war deswegen auf jeden Fall das Cinematic Deathmatch Ende November, in dem alle Kandidaten noch einmal zusammenkamen, um gegeneinander zu spielen. Und obwohl ich es selbst nicht für möglich gehalten hätte, ich habe das “Goldene Flaschenmikrofon” mit nach Hause nehmen können. Ein bombastisches Erlebnis.

© Cinematic Smash Bros

Puffling

Eins der Highlights des Urlaubs in Schottland war der Besuch der Isle of May, einer kleinen Insel im Firth of Forth, die vor allem von Vögeln und den Menschen, die sie studieren, bewohnt ist. Unter anderem brüten dort, ähnlich wie auf Skellig Michael, Papageientaucher, englisch Puffins, die sich mit ihren scheinbar viel zu kurzen Flügeln von den Klippen stürzen und wie Hummeln durch die Luft schwirren. Ihre Nester bauen sie in Höhlen dicht unter der Erdoberfläche und nachdem ihre Küken diese Nester verlassen haben, leben diese drei Jahre auf dem Meer und beginnen erst danach selbst zu nisten. Eins dieser fast ausgewachsenen Küken hatte der begleitende Ornithologe auf der Rückfahrt mit ins Schiff gebracht, eine kleinere, grauere Version seiner Eltern. Jeder durfte mal einen Blick drauf werfen und dann entließ er den Puffling in die Winde.

Drei Tage vorher hatten meine Frau und ich festgestellt, dass sie schwanger ist. Nach diesem Erlebnis war klar, wie wir unser ungeborenes Kind fortan nennen würden. Inzwischen ist unser Puffling schon über sechs Monate alt, wir kennen auch schon ihr (zugewiesenes) Geschlecht und blicken gespannt auf den Geburtstermin im April. Eins dürfte damit aber klar sein: Auch 2018 wird wahrscheinlich wieder ein aufregendes Jahr.

Was mache ich nur mit so viel Aufregung? Am liebsten stecke ich sie in Dankbarkeit, denn wie immer wären alle genannten Highlights ohne die Hilfe von sehr vielen tollen Menschen gar nicht möglich gewesen. Ich hoffe, euch geht es am Ende dieses Jahres so gut wie mir und wenn nicht, dann wünsche ich euch, dass es euch bald besser geht. Frohe Weihnachten und alles Gute für 2018!

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