Erinnert sich noch jemand an Fappygate? Ein völlig bescheuerter und unnötig eskalierter Netzstreit von vor einem Jahr, in dem Sascha Pallenberg und Yasmina Banaszczuk auf Twitter aneinander gerieten und der darin endete, dass Yasmina sich vollständig aus Twitter zurückzog?
Weil der ausufernde, ätzende Sexismus am Ende das wahre Problem war, kann sich wahrscheinlich kaum noch jemand erinnern, worüber die beiden gestritten hatten. Banaszczuk hatte vermutet, dass sich Andreas Rickmann in einem Blogpost an einer ihrer Thesen bedient hatte, ohne sie zu erwähnen. Die These: Bei YouTube passiert Personality-Zeugs, das wir als erste Netzgeneration gar nicht wirklich mitbekommen und das wir nicht ernst genug nehmen.
LeFloid ist ihr Sascha Lobo
Das war vor einem Jahr. Seitdem ist viel passiert. Eine größere Gruppe YouTuber hat sich von ihrem Management losgesagt. Der YouTuber LeFloid hat die Kanzlerin interviewt und bekommt eine eigene Fernsehsendung. YouTube fährt derzeit eine riesige Werbekampagne in Deutschland, in der zwei Gesichter im Vordergrund stehen und nicht das Medium. Kurz: Was Rickmann und Banaszczuk vor einem Jahr noch beklagt haben, dürfte im kollektiven Gedächtnis angekommen sein. YouTuber sind die neuen Blogger. LeFloid ist ihr Sascha Lobo.
Lucas Barwenczik hat auf kino-zeit.de gerade darüber geschrieben, wie YouTuber Filmkritik machen. So, wie sie alles andere auch machen. Sie setzen sich vor eine Kamera und reden drauflos. Und weil Filmkritik für die meisten Menschen nicht gerade Kulturpraxis ist, wie Lucas kurz zuvor in einem anderen Artikel beschrieben hat, besteht diese Kritik vor allem aus der heiligen Dreifaltigkeit Inhaltsangabe, Bewertung, Konsumempfehlung.
Lucas kritisiert, dass die Kritiker auf YouTube ihr Medium nicht besser nutzen. Da haben sie schon Video zur Verfügung, könnten den Film zeigen, statt ihn wie wir Textknechte nur zu beschreiben, und sie machen es nicht. Stattdessen filmen sie sich beim Labern, ergeben zusammen ein “visuelles Vuvuzela-Konzert” – Flachheit, wo Tiefe möglich wäre. (Ich spare den Punkt, dass es in Deutschland keine Fair use-Gesetzgebung gibt und daher das Arbeiten mit Ausschnitten, zum Beispiel für Essay-Kritiken, immer mit deutlich mehr Abmahn-Risiko verbunden ist als anderswo, hier mal bewusst aus.)
Ich kann doch auch nichts damit anfangen
Es ist nicht so, dass ich Lucas’ Sorgen nicht nachvollziehen könnte. Nicht nur, was die Qualität der Filmkritik angeht, obwohl er dort ja nur in einen Chor einstimmt, dem ich als Wiederholer des Mantras “Wenn ihr gute Filmkritik wollt, macht sie selber, aber erhebt keinen Anspruch darauf, dass euch jemand dafür bezahlt” nur bedingt zuhören möchte. Aber ich kann mit YouTube-Vlogging auch überhaupt nichts anfangen.
Und zwar ebenfalls, weil ich es für eine schrecklich inneffiziente Nutzung eines visuellen Mediums halte, sich selbst beim Reden zu filmen. Einen Blogpost kann ich auf dem Handy lesen, während ich im Bus sitze. Einen Podcast kann ich hören, während ich zur Bushaltestelle laufe. Aber um ein YouTube-Video zu sehen, brauche ich sowohl eine Internetverbindung als auch ungeteilte Aufmerksamkeit. Und wenn der Informationsgehalt dann der gleiche wie bei einem Audio- oder Textformat ist, frage auch ich mich: Lesen geht schneller, Hören erlaubt Multitasking. Wann und warum soll ich das gucken?
Beautiful Faces statt Beautiful Minds
Mal ganz abgesehen davon, dass ich alter Sack natürlich keinen Bezug zu den Personen habe, die da reden. Aber in mir glüht auch noch dieser Funke des Blogzeitalters, der mir sagt: Ja ja, damals, als Blogs noch die Revolution waren, da standen noch die Texte im Vordergrund und eben nicht die Persönlichkeiten. Ich lese Blogtexte von Leuten, zu denen ich auch keinen vorherigen Bezug habe oder die hinter einem Pseudonym verschwinden, und ich finde sie trotzdem interessant, weil mich die Argumentation oder der Schreibstil überzeugt. Auf YouTube muss man jetzt plötzlich doch wieder irgendwie attraktiv sein. Statt “beautiful minds” sind jetzt doch wieder oberflächliche “beautiful faces” ein Kriterium.
Doch zum Glück hat das Altesacktum auch Vorteile. Zum Beispiel, dass es einen hoffentlich vor bestimmten Fallstricken bewahrt, über die man zuvor schon mal gestolpert ist. Und es sind diese Fallstricke, die in meinem Denken über YouTube plötzlich in meiner Erinnerung wieder laute Signaltöne abgeben und mich bitten, sie zu beachten.
Kids these Days
Da wäre einmal das “Kids these days”-Phänomen. Jede Generation beschwert sich über diejenige, die ihr nachfolgt. Jede ist der Meinung, dass sie alles selbst besser konnte und dass das, was nachkommt eine verwässerte/pervertierte Version dessen ist, wofür sie noch kämpfen musste/das hart Erarbeitete wieder zunichte macht/die Dinge, die bei uns ja noch einen Sinn hatten, jetzt ins Absurde weiterentwickelt. Manchmal reichen schon zehn Jahre Altersunterschied, um sich so zu fühlen – wie ich immer wieder feststelle, wenn ich Menschen Anfang 20 gegenüberstehe (Als Jahrgang 1983 gehöre ich zu denen, die als letzte in Deutschland noch einen Magister-Abschluss machen konnten, zum Beispiel).
Aber eben weil es ausnahmslos jeder Generation so geht, ist es Quatsch zu denken, dass es genau dieses Mal anders ist (obwohl es immer wieder auch gute Argumente genau dafür gibt). Wer bin ich, dass ich heutigen Jugendlichen vorwerfen darf, dass sie ihr ureigenstens Medium nicht so nutzen, wie ich das gerne hätte? Was unterscheidet mich von den Leuten, die zehn, zwanzig Jahre älter sind als ich und behaupten, Filmkritik in Blogs wäre keine echte Filmkritik? Leuten, die ich gerne zum Ice Bucket Challenge zwangsnachverpflichten würde.
Der zweite Fallstrick ist die Gefahr des Essentialismus. Ich habe eine Magisterarbeit darüber geschrieben, dass manche Filme, die im Computer erschaffene und bearbeitete Bilder nutzen, irgendwie interessanter sind als andere, weil sie die Möglichkeiten der Technologie stärker ausnutzen. Ich persönlich finde diese Filme auch heute noch interessanter, weil ich mich an den Beziehungen zwischen Kunst, Welt und Technik totfaszinieren könnte, aber ich würde nie wieder behaupten, dass sie anderen Filmen überlegen sind. Wenn man einmal damit anfängt, zu glauben, dass man weiß, welche essenziellem Eigenschaften ein Medium, eine Technik, ein Mensch, eine Nation hat, ist man ganz schnell am Rand von sehr tiefen normativen Abgründen, manche von ihnen durchaus gefährlich.
Eigenschaften, die wir gar nicht sehen
Könnte es nicht zum Beispiel sein, dass die Abgefilmter-Rant-Filmkritiken auf YouTube eine Eigenschaft aufweisen, die andere Medien nicht haben? Nämlich dass ich demjeningen, der mir da etwas erzählt, dabei in die Augen sehen kann? “Authentisch” ist das schlimme Wort, das jeder benutzt, wenn er über diese neue Generation von Nischenstars spricht oder schreibt, aber es muss irgendwas dran sein.
In einer wahnsinnig tollen Kritik eines Helene-Fischer-Konzertes tauchte mir mal dieser Gedanke auf, dass die Art von neuartiger Authentizität dazu führt, dass wir als Kulturkritiker diese Gebilde nicht mehr dekonstruieren können. Sie sind so echt und so roh, dass sie sich eigentlich jeder Kritik entziehen. Jede Kritik der Inszenierung wäre eine unfaire Ad-Hominem-Kritik. Und vielleicht ist genau das, was uns so unruhig macht, was uns sagen lässt “Was tun die da eigentlich und warum finden wir keine Maßstäbe dafür?” genau jenes, was ihre Fans mögen. Wir sind nicht diese Fans. Das müssen wir aber auch nicht sein.
“Ich spare den Punkt, dass es in Deutschland keine Fair use-Gesetzgebung gibt und daher das Arbeiten mit Ausschnitten, zum Beispiel für Essay-Kritiken, immer mit deutlich mehr Abmahn-Risiko verbunden ist als anderswo, hier mal bewusst aus.”
Damit sparst Du aber genau den springenden Punkt aus, der hierzulande für diese Kreativitätsarmut sorgt.
Das jedenfalls ist ganz klar meine Sicht auf diese Debatte. Ich war selbst schon mehr als einmal in der Situation, dass ich mit Leuten in Redaktionen rumsaß und mir die Hirnlappen wund gebrainstormt habe zum Thema “Was kann man witziges und kreatives auf YouTube machen?”.
Und besonders wenn es eben ums Thema “Film & TV” geht, landest Du dann innerhalb von wenigen Minuten nicht bei der Frage: “Was können wir machen?” sondern “Was DÜRFEN wir eigentlich machen?”
Denn glaub mir, an lustigen Ideen mangelt es nicht. Aber die ersticken zu 99% in der “das ist rechtemäßig schwierig und wir wollen uns doch keine sauteure Abmahung einfangen”-Falle.
Die Rechtelage in Deutschland ist bei dem Thema einfach der Tod der Kreativität. Gerade Filmkritik ist nunmal per se ein referenzielles Medium, wenn Du nichts zeigen darfst, kannst Du eben nur drüber reden. Und deswegen läuft es so oft auf “Leute reden vor statischem Bild über etwas” heraus. Weil da biste auf der sicheren Seite.
Nimm das epische “Moulin Rouge”-Review des Nostalgia Critic als Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=Y3rnBwXmvU4
Könntest Du in Deutschland nicht machen. Jedenfalls nicht, ohne befürchten zu müssen, für tausende Euro wegen Film u. Musik abgemahnt zu werden. Das erlaubt dir kein Chef, wenn Du in einer Redaktion arbeitest. Und als Privatmensch musst Du das Risiko erstmal eingehen wollen. Im Zweifelsfall brauchts nichtmal eine Geldstrafe. Die Rechteinhaber können Dein Video einfach sperren lassen (was die auch ohne mit der Wimper zu zucken tun) und dann ist deine ganze harte Arbeit für nix gewesen.
Solche Meisterwerke wie das MoulinRougeReview oder die StarWarsPrequels Reihe von Red Letter Media sind hierzulande einfach nicht möglich.
Denn um das Prinzip “Zeigen, statt drüber reden”, zu etablieren, müsste man es eben erstmal zeigen dürfen.