Jeden Dezember begeistern uns findige Menschen aufs Neue mit ihren Video-Rückblicken auf das vergangene Filmjahr. Egal ob David Ehrlich mit seinem Countdown, JoBlos “Final Cut” oder Ben Zuks “Salute to Cinema” – das Ergebnis ist immer das gleiche. In nur wenigen Minuten können wir das komplette Jahr noch einmal erleben, uns an die Filme erinnern, die wir gesehen haben und die wir noch sehen müssen, und wir haben Gelegenheit “to feel all the feels”, wie sie im Meme-Land wohl sagen würden.
Dieses Jahr hat sich auch Filmblogger und “Real Virtuality”-Freund Matthias Hopf vom “Film Feuilleton” an einen visuellen Jahresrückblick gewagt. Sein wunderbares Video “The Beauty of Cinema 2015” dauert satte acht Minuten und zeigt alles von Carol bis Victoria, was wir 2015 sehen durften.
Ich wollte gerne wissen, wie Matthias als Laie an diese Mammutaufgabe herangegangen ist und habe ihn deswegen schriftlich interviewt.
Ich erinnere mich, dass du vor einem Jahr schon mal einen Marvel-Supercut gemacht hast. Wie lange verfolgst du das Thema schon?
Puh, das ist eine gute Frage. Ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht genau daran erinnern, wann ich den ersten Supercut meines Lebens gesehen habe. Ich weiß nur, dass es damals auch ein Zusammenschnitt war, der die besten Filme des entsprechenden Jahres Revue passieren ließ und “Nostrand” von Ratatat im Hintergrund zu hören war. Das waren vielleicht nur ein paar Sekunden, aber diese paar Sekunden waren von ihrer Dynamik das Perfekteste, was ich bis dahin im Internet gesehen habe. In dieser Erinnerung liegt vermutlich der Großteil meiner Faszination für derartige Video begründet, die dann allerdings erst mal für eine gewisse Zeit abgeflacht ist, bis ich durch meinen Blog wieder einen neuen Zugang zu Supercuts gefunden habe.
Wie bist du an den diesjährigen rangegangen? Wann hast du angefangen Material zu sammeln, wieviel Zeit hast du dir für den Schnitt eingeplant?
Nachdem ich letztes Jahr, auch im Dezember, den Marvel-Supercut geschnitten hatte, war ich eigentlich ziemlich demotiviert, überhaupt noch einmal so ein Video zu machen, weil ich mit dem Ergebnis nur sehr bedingt zufrieden war und das Video bis heute keine 300 Mal aufgerufen wurde. Erst, als ich dieses Jahr ein paar kleinere Video-Ideen umgesetzt hatte, konnte ich mich wieder für einen größeren Supercut begeistert – und da fangen die Probleme an. Tausend Fragen schwirren da in meinem Kopf herum: Gehe ich nach US-Starts oder deutschen Veröffentlichungsterminen? Werden Festivalfilme mit eingeschlossen und haben Serien auch ihren Platz? Gibt es ein bestimmtes Thema oder verfolge ich eine Top-Liste? Welche Filme will ich überhaupt erwähnen – und vor allem: welche Musik?
Gerade in puncto Musik kommen zehntausendfünfhundertmillionen weitere Probleme dazu: Welche Songs kommen für so einen Supercut überhaupt in Frage? Wie kann ich sie miteinander kombinieren? Müssen sie etwas mit den Filmen zu tun haben? Oder reicht ein ordentlicher Rhythmus aus und den Rest erledigen die Bilder? Und noch viel schlimmer: Darf ich überhaupt die Stücke verwenden, die ich verwenden will? Die Fragen in meinem Kopf nehmen kein Ende und dann gelange ich ziemlich schnell an den Punkt, wo ich aufgebe, weil ich aufgrund der vielen Einschränkungen irgendwann in einem schwarzen Loch versinke, wo ich nur noch versuche, bestimmte Parameter zu erfüllen und keinen kreativen Freiraum mehr habe.
Also habe ich irgendwann alle Planungen über Bord geworfen und mich von der Idee verabschiedet, einen zweiten Supercut zu basteln – und dann hat David Ehrlich seinen Video-Countdown der 25 besten Filme des Jahres veröffentlicht, der den Funken der Motivation wieder entfacht hat. Daraufhin habe ich eine Liste mit allen Dingen dieses Filmjahres angefangen, die ich gerne erwähnen wollte. Gleichzeitig habe ich unzählige Trailer und Clips angeschaut, diese heruntergeladen und noch mehr Notizen gemacht. Was ich am Ende wirklich zeigen wollte, wusste ich allerdings nicht. Ablenkung habe ich in meiner Spotify-Playlist gefunden, die ich seit fast zwei Jahren beständig um Titel erweitere, die in dieser Zeit aus den unterschiedlichsten Gründen eine besondere Bedeutung für mich erlangt haben. Daraus ist schließlich die Tonspur entstanden, wie sie jetzt im Video zu hören ist, das erste Grundgerüst sozusagen.
Welche Songs hast du genommen und warum gerade die?
Mein Einstieg stand überraschend schnell fest: “You Got the Love” von The Retrosettes. Das habe ich erst vor ein paar Wochen im Opening von Youth gehört. Wenngleich mich der Rest des Films doch eher enttäuscht zurückgelassen hatte, war ich von dieser Eröffnungssequenz sehr begeistert, denn sie hat mich genau in den Film katapultiert, den ich eigentlich sehen wollte. Genau dieses Gefühl wollte ich mitnehmen, habe allerdings beim ersten Anschwellen der Musik einen harten Schnitt gemacht, die Pause mit einen Soundfetzen aus Guy Maddins The Forbidden Room überbrückt und im Anschluss “Runaway” von Kanye West eingesetzt, das direkt von David Ehrlich stammt: Während er die ersten Takte des Stücks, die nur aus einzelnen Klaviertönen bestehen, für den Anfang seines Video verwendet, setzt “Runaway” bei mir genau an der Stelle ein, an der es bei David Ehrlich abreißt.
Da sich das Motiv der einzelnen Klaviertöne des Stücks zieht, habe ich gewaltig im Mittelteil gekürzt und eine Passage vom Ende vorgezogen, die langsam ausgeblendet wird. Was bleibt, sind die Klaviertöne, die in “Bundle of Joy” aus dem Inside Out-Score von Michael Giacchino aufgegriffen werden. Ein praktischer Nebeneffekt war, dass ich so von der rhythmischen Komposition problemlos in eine ruhige, verträumte Atmosphäre wechseln konnte, der sich danach – auch wieder mit einem Klavieranschlag – in der epischen Musik des The Force Awakens-Trailers verliert. Als nächstes stand “Uptown Girl” von Billy Joel auf dem Plan, das ich dieses Jahr durch Trainwreck kennengelernt habe. Zwar habe ich in Erinnerung, dass er im Film selbst nicht gerade gut wegkommt (sagt Amy Schumer nicht sogar, es sei der langweiligste Song von Billy Joel?), habe ich mich komplett in das Stück verliebt, so lebendig ist es.
Für den Abschluss habe ich dann das wundervoll zerbrechliche “Them” von Nils Frahm genommen, das mich seit der Berlinale, wo ich Victoria zum ersten Mal gesehen habe, verfolgt. Das könnte ich stundenlang hören, so einen intimen Sog entwickelt es. Gerne hätte ich auch einen Auszug aus dem Jurassic World-Soundtrack integriert oder die Musik, die It Follows untermalt. Auch von Iggy Azalea, den Sleigh Bells und M83 habe ich Songs ausprobiert, ebenso Kompositionen von Daniel Pemberton (Steve Jobs, Man from U.N.C.L.E.) und Dan Romer (Digging for Fire, Beasts of No Nation). Ach ja, und dann wäre da noch Taylor Swift, die ich leider streichen musste, in einer sehr frühen Version aber zusammen mit Hailee Steinfeld zu hören gewesen wäre.
Kannst du beschreiben, wie der Montageprozess war? Hast du die Momente gruppiert oder dich Stück für Stück vorgetastet? Warum tauchen manche Filme öfter auf als andere?
Ich habe dieses Mal mit iMovie gearbeitet, ein Programm, das noch ziemlich neu für mich ist, aber zumindest hundert Mal besser als der Windows Movie Maker, mit dem ich zuvor das Marvel-Video geschnitten hatte. Insofern war im Montageprozess noch viel Ausprobieren dabei, was zur Folge hatte, dass ich mehr oder weniger unstrukturiert dabei vorgegangen bin. Klar, ein paar Kombination und Bewegungen hatte ich im Kopf, letzten Endes habe ich aber immer und immer wieder einzelne Clips nur hin und hergeschoben, um auszuprobieren, was passiert. Vieles ist dann auch ganz intuitiv zusammengekommen, so richtig beschreiben kann ich den Prozess nicht. Es ist vielleicht am ehesten so wie früher beim LEGO-Bauen: Da sitzt du mitten in deinem Zimmer auf den Boden, hast eine Kiste voller Steine und fängst dann einfach an, dich durch die ganzen Einzelteile zu wühlen, bis du was Passendes für die Raumstation gefunden hast, die du gerade aufbauen willst.
Warum jetzt manche Filme öfter auftauchen als andere? Hm, von Filmen wie Carol, Victoria, Knight of Cups, The Assassin und Cemetery of Splendour war ich dieses Jahr so begeistert, dass ich so viele Aufnahmen wie möglich einbringen wollte. Andere Filme wie The Force Awakens, The Hateful Eight und Joy habe ich noch gar nicht gesehen, trotzdem sind sie sehr dominant vertreten. Das liegt dann an meiner Vorfreude und den sagenhaften Bildern, die schon in den jeweiligen Trailern versteckt waren. Ich glaube, am meisten hat mich selbst überrascht, dass so viele Ausschnitte aus Meadowlands, Alice of Venice und Queen of Earth ihren Weg in den Supercut gefunden haben. Aber das ist vielleicht auch eine schöne Begleiterscheinung der umfangreichen Materialsichtung: Man entdeckt Filme wieder völlig neu, die vorher im Eifer des Gefechts des Kinojahres ein bisschen untergegangen sind. Gerade im Fall von Queen of Earth bin ich unglaublich froh, noch einmal einen zweiten Blick gewagt zu haben, da er – entgegen meiner übermüdeten Berlinale-Erinnerung – wirklich richtig toll ist.
Letzte Frage: Wenn du die das fertige Video anschaust, was würdest du nächstes Jahr anders machen?
Hehe, je öfter ich das fertige Video anschaue, desto weniger gefällt es mir. Insofern gibt es mittlerweile vieles, das ich das nächste Mal – sollte ich überhaupt noch mal die Zeit und Motivation finden – anders machen würde. Einen Punkt, den ich jetzt mehrmals aus dem Feedback, das ich bekommen habe, herausgehört habe, war die Länge. Das ist sicherlich ein Punkt, den man ganz einfach verbessern kann. Das grundlegendere Problem ist allerdings ein anderes: In den letzten Tagen habe ich gemerkt, dass sich Perfektionismus und Ungeduld überhaupt nicht vertragen. Mit dem Schneiden hatte ich – überstürzt vor Tatendrang – angefangen, obwohl ich noch nicht einmal das komplette Material gesammelt hatte. Zwischenzeitlich war ich dann sehr frustriert, weil einfach gar nichts so funktioniert hat, wie ich es mir vorgestellt hatte. Gerne würde ich mir da mehr Zeit nehmen, nicht alles auf einen Schlag machen, sondern in Ruhe überlegen und Ideen zusammentragen – und dadurch schlussendlich auch mehr Distanz zum eigentlichen Projekt bekommen.
Am Ende der zwei Tage, an denen ich geschnitten hatte, war ich der Meinung, dass keine Sekunde zu viel ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich jedoch bereits jeglichen Überblick verloren, obwohl ich die Schnittfolgen längst auswendig kannte. Trotzdem fehlte irgendwie der Blick fürs Ganze. Da hätte ich gerne mehr Ordnung gehabt. Womöglich muss ich mich das nächste Mal einfach nur darauf einlassen, dass ein Supercut kein Zwei-Tages-Projekt ist, sondern tatsächlich ein langwieriger Prozess, der viele Nerven kostet. Die Aufregung, wenn man zum Schluss auf den Upload-Button drückt und nicht genau weiß, was passieren wird, ist trotzdem unvergleichlich und entschädigt alle Anstrengungen zuvor. Ich glaube, das kannst du als Blogger ziemlich gut nachvollziehen: Den Moment, wenn man etwas, an dem man lange gesessen und gefeilt hat, endlich mit der Welt teilen kann.
Danke an Matthias, dass er seine Erfahrungen mit mir geteilt hat!
Grmpf. Was mich an den meisten Best-of-Montagen stört ist ihre Beliebigkeit, ihr fehlender innerer Rhythmus, die Austauschbarkeit des Materials. Eine angenehme Ausnahme stellt hier tatsächlich noch der Rückblick von David Ehrlich dar, da er immerhin inhaltlich ähnliche Bilder zu “Clustern” zusammenfügt (von Sequenzen zu sprechen verbietet sich – aus Gründen): Blicke zum Beispiel, dann Vorführung/Präsentation, geschickt zusammengehalten von einer(!) Szene, jener geschickt gewählten aus MAGIC MIKE XXL – trotzdem schalte ich solche Montagen meistens entnervt nach spätestens 2 Minuten ab.
Was mir fehlt ist das, was Peter Wuss in “Filmanalyse und Psychologie” perzeptive Strukturen (bzw. Topik-Reihen – http://www.montage-av.de/pdf/01_01_1992/01_01_1992_Peter_Wuss_Der_rote_Faden_der_Filmgeschichten.pdf ) genannt hat, also sich thematisch wiederholende Handlungselemente. Damit kann man was erzählen. Oder noch besser, sie bauen aufeinander auf: Bälle, die in einem Film geworfen werden, fängt jemand im nächsten auf, oder auf einen Filmkuss folgt eine Ohrfeige und es ergibt sich eine übergreifende Filmerzählung, die ihr Eigenleben annimmt, die das Material organisiert und dem Jahr ein Thema, einen Stempel aufdrückt. Derlei fehlt mir.
Das nächste ist dann der Mut Material im Schnitt Raum zum Atmen zu geben – was schwer fällt, wenn man oft nur den Trailer zur Verfügung hat. Es gibt keine Frames davor oder danach, auf die man zurückgreifen könnte, mit der fatalen Folge, das alles viel zu schnell wird, kaum eine Einstellung zu ihrem Recht kommt. Schlimmer noch – meistens wird alles der unterlegten Musik untergeordnet. Wie der Bildrhythmus(!) ist erkennt man, wenn man sich so einen Supercut mal stummschaltet und dann ansieht. Dann verlieren die meisten von ihnen ihre Wirkung und es ist alles noch egaler, als mit.
Damit meine ich jetzt nicht den Kollegen hier, sondern Supercuts und andere kurze Formen (auch Trailer) an sich, die handwerklich meistens für den Arsch sind. Mit der Meinung stehe ich übrigens nicht alleine und habe in einem in kürze erscheinenden Interview mit Walter Murch unter anderem genau darüber geredet.
Was ich begrüße ist das Experimentieren mit Schnitt an sich, selbst wenn sich mir bei der Nennung von iMovie und Moviemaker die Nägel aufrollen – hab ja selber auch mal mit zwei VHS Rekordern angefangen und nichts schlägt “learning by doing”.
Wie schneidet man also einen Filmjahresrückblick? Es gibt sicher nicht nur ein Rezept, mein Vorschlag wäre jedoch, sich von Material selbst leiten zu lassen. Welche Szene aus dem Filmjahr hat einen am stärksten berührt? Was daran ist es, das etwas in einem zum Schwingen bringt? Welche anderen Szenen aus anderen Filmen scheinen damit zu sprechen, sind wie eine Weiterführung dessen, oder deren Vorlauf? So entstehen erste Cluster, die dann fast wie von selbst, wie eine Playlist oder Album-Tracklist eine innere Ordnung zu haben scheinen, die schon vorher da war und nur darauf gewartet hat von uns entdeckt zu werden. Dann entsteht Magie, dann emanzipiert sich das Material von sich selbst und es entsteht das, was Schnitt zum schönsten Filmberuf macht, den es gibt.