Ich habe in der ersten Jahreshälfte die ersten vier Bände von Martha Wells’ Murderbot-Buchreihe gelesen. Angeregt natürlich durch die Serienadaption, die auf Apple TV+ läuft, die ich aber noch nicht gesehen habe. Die Bücher sind so gut wie ihr Ruf, insbesondere das erste, All Systems Red. Murderbot ist eine neue und gut eingefangene Erzählstimme einer introvertierten Mensch-Maschine, die nach Persönlichkeit jenseits von Pinocchio-Klischees sucht, wie im Laufe der Reihe auch immer klarer wird.
Ein in der Kritik eher unterbelichteten Aspekt, den ich faszinierend finde, ist die Art und Weise, wie die Handlung der Murderbot-Bücher eigentlich pausenlos in zwei Sphären stattfindet. Murderbot hat einen Körper, mit dem sich die SecUnit durch die Welt bewegt und der Dinge tut wie kämpfen, gucken oder sprechen. Die meiste Action der komplexen Situationen, in die Murderbot sich immer wieder hineinmanövriert, findet aber virtuell statt. In einem Podcast habe ich gehört, dass Autorin Martha Wells von Ann Leckres Roman Ancillary Justice inspiriert wurde, den ich ebenfalls vor einigen Jahren gelesen habe und dessen Hauptfigur eine virtuelle Intelligenz ist, die anfangs sowohl ein Raumschiff als auch mehrere Bot-Körper besitzt.
Murderbot hackt sich pausenlos in Sicherheitssysteme und Datenstreams, beobachtet die Welt durch Kameras und Drohnen, kommuniziert per Text und mit Dateien, sowohl mit Menschen als auch mit anderen Maschinen. Er schreibt im Hintergrund Code, den er zu geeigneten Zeiten deployt und bevorzugt in der Regel sogar die virtuelle Interaktion gegenüber dem Meatspace. Die virtuellen Handlungen benötigen allerdings keinerlei räumliche Repräsentationen, wie sie etwa im Cyberpunk üblich sind. Murderbot muss sich nicht „in die Matrix“ begeben und von Knoten zu Knoten reisen, um mit Daten zu interagieren. Die SecUnit macht es einfach, während sie parallel andere Dinge in der physischen Welt tut. Dies entspricht ja längst unserer Realität, wenn wir Textnachrichten schreiben, während wir durch die Stadt laufen, beim Putzen einen Podcast hören, oder die Kollegen in der Zoom-Konferenz anlächeln, während wir parallel eine Slack-Nachricht beantworten.
Zugegeben: In manchen Bänden nimmt die schiere Menge an Datenmanipulation, die den Vorteil hat, das sie nicht plausibel erklärt werden muss (Murderbot „hackt“ einfach drauflos) etwas überhand. Sie erlaubt Murderbot, ständig überall seine Spuren zu verwischen, Systeme nach Belieben zu verwirren und zu deaktivieren und so die Regeln der Welt, in der sich die SecUnit bewegt, so zu verändern, wie es am besten zum Plot passt. Am besten funktioniert die „Second Screen“-Action in relativ isolierten Settings, etwa auf einer verlassenen Raumstation in Band 3.
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Aktuell lese ich Sunrise on the Reaping, den fünften Band und das zweite Prequel der Hunger Games/Tribute von Panem-Reihe von Suzanne Collins. Collins’ Young-Adult-Dystopien waren von Anfang an immer auch große Kommentare auf die Medienwelt, besonders auf Reality TV und Propaganda, und auch wenn Collins darin nie sehr subtil war, fand ich das immer gut.
Sunrise on the Reaping ist 17 Jahre nach dem ursprünglichen Roman The Hunger Games erschienen, spielt aber 24 Jahre vor dessen Zeit. Die gesamte Welt von Panem liegt so weit in der Zukunft, dass diese Verschiebungen kaum einen Unterschied machen sollten. Trotzdem scheint Collins mitten im Buch das Bedürfnis zu haben, die Tatsache anzusprechen, dass die reale technische Entwicklung seit ihrer ersten Buchtrilogie ein paar Sprünge gemacht hat. In einer Szene, in der die Hauptcharaktere kleine Propaganda-Videos drehen, heißt es plötzlich:
He sighs when he [der Kameramann/Regisseur Plutarch Heavensbee] mentions the tools that were abolished and incapacitated in the past, ones deemed fated to destroy humanity because of their ability to replicate any scenario using any person. “And in mere seconds!” He snaps his fingers to emphasize their speed. “I guess it was the right thing to do, given our natures. We almost wiped ourselves out even without them, so you can imagine. But oh, the possibilities!”
Soso. Auch in Panem gab es also irgendwann mal generative KI. Die wurde aber wieder abgeschafft. Weird retcon, but ok.
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Es sind wieder mal Superheldenfilme im Kino, James Gunns Superman und The Fantastic Four: First Steps. Ich habe nicht das geringste bisschen Lust, einen dieser Filme zu sehen, auch nicht den viel diskutierten Superman. Ich bin dieses Genres nach fast 30 Jahren Dauerbombardement etwa genauso müde, wie ich einst von ihm fasziniert war (wie dieses Blog beweist).
Was ich dabei eigentlich am traurigsten finde: Keiner der Filme, die insbesondere seit dem Start des MCU hoch- und runtergehypt wurden, wird jemals wieder irgendeine Relevanz haben, so wie wir etwa dieses Jahr 50 Jahre Jaws feiern. Die ganze Franchise-Brühe, die ja durchaus eine erzählerische Innovation ins Kino gebracht hat, ist jetzt schon und wird in Zukunft noch viel mehr höchstens noch generische Zeitgeisttapete sein – genau wie es die Mainstream-Erfolge rund um Jaws aus den 1970ern (etwa The Towering Inferno) heute sind.
Oder gibt es irgendeinen Superhelden-Film, der wirklich noch in zwanzig bis dreißig Jahren als herausragender Film gelten könnte? The Dark Knight natürlich. Spider-Man 2 vielleicht. Aber ich würde mein Geld weder auf The Avengers noch auf Guardians of the Galaxy setzen, obwohl das vielleicht die besten MCU-Filme sind. Schade eigentlich.
Sollte ich diese Einträge zu mehreren Themen lieber in einzelne Blogposts gießen?
Foto von Olivier Miche auf Unsplash