Ich denke immer noch über den Algorithmus nach. Also, über das, was ich im September zum Entdecken neuer Musik geschrieben habe. Deswegen habe ich bei meiner diesjährigen Jahresplaylist mal geschaut, wie die 31 Lieder darauf eigentlich ihren Weg zu mir gefunden haben.
Und siehe da: für ganze sieben Tracks ist alleine der Algorithmus verantwortlich. Also: Das sind Songs und Künstler, von denen ich noch nie gehört hatte, bevor sie mir von Apple Music vorgeschlagen wurden. Darunter ist auch mein Lieblingssong des Jahres, “Wall St.” von Boys Go To Jupiter, einer saucoolen queer-forward New Yorker Band, von der ich dringend hoffe, dass sie bald berühmt genug sind, um auf Europatour zu gehen – vielleicht, wenn ihr erstes Album fertig ist. Außerdem mein zweiter Lieblingstrack des Jahres, “Echoes” vom Berliner DJ Redshape – wie bereits erwähnt taste ich mich dank PJ Vogt seit Mitte des Jahres langsam wieder an elektronische Musik heran und der Algo hat mir sehr dabei geholfen, auszusortieren, was mir gefällt und was nicht.
Seit Jahren unverändert
Von insgesamt zehn Songs habe ich allerdings auch durch klassischen Musikjournalismus erfahren. In meinem Fall sind das (seit Jahren unverändert) die Podcasts All Songs Considered von NPR, Song Exploder und Switched On Pop von Vox. Dort erfahre ich nicht nur von aktuellen Pop-Trends, die sich manchmal auch nur durch ihre reine Zeitgeist-Penetranz in mein Herz fressen (“Girl, so confusing”). Sondern ich entdecke auch einfach immer wieder neue Künstler:innen innerhalb (Bad Moves, Lainey Wilson) und außerhalb (Carlos Arres, Tyla) meines typischen musikalischen Horizonts.
Und genau aus diesem Vorgang speist sich die dritte Herkunfts-Kategorie dieser Liste: Zwölf Songs stammen schlicht von Künstler:innen, die ich schon kannte, und die 2024 neues Material veröffentlicht haben. Darunter solche, denen ich schon lange folge, wie Everything Everything und Gavin Castleton (der sich dieses Jahr sehr überraschend und erfreulich nach langer Zeit zurückmeldet hat). Aber auch solche, die ich vor ein paar Jahren über einen der ersten beiden Wege entdeckt habe, zum Beispiel Another Sky (fantastisches neues Album Beach Day) oder Hippo Campus (die mir erstaunlich gut dieses Frühe-2000er Indiepop/Garden State Soundtrack Gefühl zurückgeben).
Ein goldener Schnitt
Wenn man also ein bisschen Plusminus zulässt – natürlich kenne ich Billy Joel, aber hätte ich ohne meine Podcasts von seinem neuen Song erfahren? John Mark Nelsons viertes Album vor neun Jahren fand ich gut, aber ohne den Algo hätte ich nicht mitbekommen, dass er eine 70er-Softrock EP veröffentlich hat – sind wir also für eine solche Liste bei jeweils einem groben Drittel aus Bekanntem, Gelerntem und algorithmisch Empfohlenen. Es scheint quasi eine Art goldenen Schnitt beim Umgang mit Empfehlungsalgorithmen zu geben (oder es ist Zufall).
Einen weiteren Song muss ich vor diesem Hintergrund noch hervorheben, denn dieses Jahr gesellt sich in dieser Liste erstmals eine neue Herkunftsform hinzu: Auf Tebeys Country-Coverversion von The Weeknds “Blinding Lights” bin ich durch Instagram Reels gestoßen (ich bin nach wie vor zu faul, meinen Tiktok-Algorithmus zu trainieren und Instagram kennt mich halt schon seit 12 Jahren). Das ist für mich neu, auch wenn ich natürlich weiß, dass es für viele Menschen inzwischen sogar die dominante Form der Musikentdeckung geworden ist. Für mich ist das nächste Äquivalent davon, dass man einen Song aufschnappt, der zufällig irgendwo im Radio läuft.
Beinahe transzendent
Ich habe es dieses Jahr auf drei Konzerte geschafft, auch wenn ich öfter wollte. Jacob Colliers fantastisches viertes “Djesse”-Album hatte mich das Jahr über begleitet, das Konzert hat mich dann aber ein bisschen weniger begeistert als (vielleicht überhypt) erwartet. Das intime Konzert von Emily King solo allerdings war eine beinahe transzendente Erfahrung und ich habe einen wunderschönen Song über Kinder und Väter mitgenommen, der sich ebenfalls in dieser Liste findet.
Mit dem Eurovision Song Contest habe ich mich dieses Jahr (anders als 2023) nur am Rande beschäftigt, aber Kaleens “We will Rave” hat bei mir alle meine Eurodance-Knöpfe gedrückt. Und “Girl, so confusing” hat mich als vermutlich einziger Song dieses Jahr zuerst mit seiner Story gewonnen, bevor ich dann irgendwann auch musikalisch nachgegeben habe. Shoutout dafür an meine ehemalige Kulturindustrie-Kollegin Mihaela.
Die Liste mit ein paar ausgewählten Lieblingstextzeilen
- Super Sport – Room for Cream
- Boys Go To Jupiter – Wall St.
“Come on over. We’re at the part of this where you become my lover.”
- Redshape – Echoes
- Everything Everything – The Mad Stone
- Quiet Houses – What My Heart Is For
- Pouty – Bridge Burner
- Paramore – Burning Down the House
- Kacey Musgraves – Jade Green
- Billy Joel – Turn the Lights Back On
- Another Sky – Burn the Way
- Kaleen – We Will Rave
- Tyla – Safer
- Charli xcx & Lorde – Girl, so confusing featuring Lorde
“Let’s work it out on the remix.”
- Conan Gray – Lonely Dancers
- GIFT – Wish Me Away
- Emily King – Anyway I love you (Acoustic)
- Don’t Thank Me, Spank Me! – Dance
- Tebey – Blinding Lights (Country Version)
- Remi Wolf – Soup
- Hippo Campus – Tooth Fairy
- John Mark Nelson – Wishes
- Gavin Castleton – Layoffs
“I take full responsibility. We may not agree on what that means.” - fantasy of a broken heart – Ur Heart Stops
- Wunderhorse – Midas
- Carlos Arres – Cigarra
- Lainey Wilson – Hang Tight Honey
- Bad Moves – A Lapse In the Emptiness
- Beyoncé – Texas Hold ‘Em
- SOPHIE & Bibi Boureilly – Exhilirate
- Jacob Collier – Little Blue (feat. Brandi Carlile)
“Don’t be afraid of the dark. In your heart you’re gonna find a way to carry the weight of the world on your shoulders.”
- Beatenberg – Bath Towels
“I don’t know, she said, how you bear to live without flowers in your living room. It’s not so bad, I said. I see them, when I walk outside. Anyway, I get hay fever.”