Real Virtualinks 12/16

Unbreakable Kimmy Schmidt – Season 2-Trailer ?

Wie Verbreitungskanäle Filmwerbung verändern, zeigt sich an den zwei unterschiedlichen Trailern für Staffel 2 von “Unbreakable Kimmy Schmidt”. Neben dem altbekannten Schnittrhytmus für YouTube, gibt es auch eine Facebook-Version, die in Listicle-Form mit Texteinblendungen arbeitet, damit das Video auch im Vorbeiscrollen auf dem Smartphone Aufmerksamkeit erheischt. Ist einer der beiden Trailer besser? Schwer zu sagen.

Cine Serie – BiTS S03E28

Matthias O. hat mir diese erste offizielle Real Virtualinks-Einreichung geschickt, die einmal ganz fluffig zusammenfasst, dass die Verschmelzung von Kino und Fernsehen nun wahrlich nichts Neues ist. Neidisch wurde ich aber vor allem auf die gesamte Machart des Formats “BiTS”, das ich noch nicht kannte. Als jemand, der selbst mal mitgeholfen hat, ein Kinomagazin ins Fernsehen zu bringen, bekam ich hier ganz feuchte Augen bezüglich der Freiheit, mit Ausschnitten umzugehen, Internet-Memes einzubauen und grundsätzlich modernes Fernsehen über Kino zu machen. Zeigt wieder mal: ARTE kann alles, was bei 3sat undenkbar wäre. Unbedingt bis zum Ende gucken für einen besonderen Moment of Zen.

A Hobbit is chubby, but is he pleasingly plump?

Kristin Thompson mit einem finalen Blogpost zur Hobbit-Trilogie und der Extended Edition von Battle of the Five Armies. Man kann aus jeder Zeile die Enttäuschung darüber herauslesen, dass eine Reise, die vor vielen Jahren mit Lord of the Rings anfing, so lauwarm enden musste. Aber gleichzeitig kann man sich auf ihre analytischen Fähigkeiten verlassen, wenn sie einige schöne Kompositionen und Ideen hervorhebt.

“Deadpool” Visual Effects Breakdown

Wie dreht man einen modernen Superhelden-Blockbuster für 58 Millionen Dollar? Man spart sich das Geld für teure Action-Dreharbeiten und stampft einfach alles aus dem Computer. Ich weiß nicht, ob ich das bewundernswert oder traurig finden soll. Beim Ansehen ist es mir in diesem Maß jedenfalls nicht aufgefallen.

Die Real Virtualinks schon unter der Woche lesen? Auf der Real Virtuality Facebookseite. Was gesehen, was es verdienen würde, hier zu stehen? Schreib mir an links@realvirtuality.info.

Content is King – Erfolgreiches Content Marketing für Kinofilme

Die größte Lektion, die er in der Herstellung seines ersten Films The Primary Instinct gelernt habe, sei, wie unfassbar schwierig es sei, Menschen dazu zu bekommen, den eigenen Film zu sehen, sagt David Chen in einem Interview. “Unsere Wettbewerber sind heutzutage nicht mehr nur andere Filme, sondern all die kostenlose Unterhaltung, die es im Internet gibt.” Chen muss es wissen. Er produziert selbst einen Teil davon, dreht YouTube-Videos und nimmt diverse recht erfolgreiche Podcasts auf. Im Hauptberuf war er allerdings bis vor kurzem auch noch in der Marketing-Abteilung von Microsoft tätig. So kam er auf die Idee, für The Primary Instinct kreatives “Content Marketing” zu verwenden.

Jeder Mensch, der diese Kolumne liest und in seinem Beruf nur entfernt etwas mit Marketing und PR zu tun hat, dürfte gerade aufgestöhnt haben. “Content Marketing” ist der Begriff, mit dem in Werbekreisen zurzeit so inflationär um sich geworfen wird wie mit Maskottchenpuppen nach Ende einer Fußball-WM. Kein Wunder, denn der Gedanke dahinter ist clever: Diejenigen, die den Film vermarkten wollen, schaffen Inhalte, die für sich gesehen interessant sind und deswegen ein Publikum finden, aber gleichzeitig indirekt für ein anderes Produkt, also den Film, werben. In Chens Fall bedeutet das zum Beispiel, den Schauspieler Stephen Tobolowsky, dessen Storytelling-Bühnenshow der Hauptinhalt von The Primary Instinct ist, andere Geschichten erzählen zu lassen, und diese über verschiedene Kanäle zu verbreiten. Man müsse sich überlegen, was andere Medien ihren Konsumenten normalerweise gerne anbieten, sagt Chen, und dann versuchen, dem in die Arme zu spielen.

Weiterlesen auf “kino-zeit.de” …

Real Virtualinks 11/16

Etwas mickrige Ausgabe. Ich bin zu wenig gekommen diese Woche und im Kino war ich auch nicht.

Red was beautiful

Zum Start von Trumbo diese Woche hat der österreichische Filmjournalist Michael Omasta einen guten Überblicksartikel über die Blacklist und den Aufstieg des Kommunismus in Hollywood geschrieben.

Vom Aufschaukeln und Zweifeln

Alle machen sie jetzt Podcasts, also warum nicht auch Stefan Niggemeier und Sascha Lobo. Das Ergebnis als Gespräch zu bezeichnen wäre etwas übertrieben, eigentlich interviewt Niggemeier Lobo eher, aber zuhören lohnt sich trotzdem (wenn man mit Sascha Lobo irgendwie was anfangen kann) und die Tonqualität wird in Zukunft sicher auch noch besser.

A Brief History of Zack Snyder Defending the End of Man of Steel

Der Anlass mag ja ein alberner sein, aber ich finde es großartig, wie Katharine Trendacosta hier in den Archiven wühlt und nachverfolgt, wie sich Zack Snyders Verteidigung einer umstrittenen Entscheidung immer mehr in Richtung Defensive und Arroganz entwickelt – fast wie bei einem Politiker, der mit vergangenen Äußerungen konfrontiert wird.

Why Deadpool in X-Men Origins: Wolverine is Actually Way Better Than The 2016 Deadpool

Die Argumentation hat sogar mich überrascht. Ziemlich prägnant.

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Real Virtualinks 10/16

Was würde Loki tun?

Jeder, der sagt, dass das Marvel Cinematic Universe außer Loki keine guten Bösewichter hervorgebracht hat, hat recht. Wie Loki und sein Darsteller Tom Hiddleston über den Kanon hinaus zu Symbolfiguren für Queerness in der Superheldenwelt wurden, hat Sabine Horst von “epd Film” jetzt für das “10 nach 8”-Blog von “Zeit Online” beleuchtet.

The Revenant Horse Sleeping Bag for Kids

Um seinen Oscar zu bekommen hat Leo sicher jede Nacht in seinem offiziellen The Revenant-Schlafsack geschlafen.

The Mind-Blowing Special Effects Used On ‘Carol’

Unglaublich wunderbares Parodie-VFX-Breakdown-Video von “Funny Or Die”, das perfekt sowohl die inzwischen etablierten Stilmittel dieses ganz speziellen Genres und die inzwischen fast “gewöhnlich” gewordenen Methoden moderner VFX auf die Schippe nimmt.

Paranoia: Ein (Bild-)Gedicht

Wegen solcher Kleinode schätze ich “Jugend ohne Film”. Sehr schön komponiertes Ganzes, das den Geist des Titels perfekt einfängt.

Unpacking the traveler: Authority and expertise in Lonely Planet and Parts Unknown

Ich habe immer schon ein wenig ganz persönliche Skepsis gegenüber den Narrativen gehabt, die im Reisejournalismus so gestaltet werden. In ihrem Artikel legt Stefanie Demetriades im Blog von Henry Jenkins recht gut dar, wo die Probleme liegen und welche medialen Auswege es vielleicht gibt.

“Raise the Stakes!” – Der Einsatz in Actionfilmen, 1981-2015

UPDATE: Ich habe auch die Jahre 1981-1990 eingefügt.
INFO: Working on an English version.

“Raise the stakes” is something that every executive must learn on the first day of executive school.
– Paul Wernick, Drehbuchautor von
Deadpool

Deadpool hat jede Menge Geld eingespielt. Und das obwohl er “R-Rated” war, obwohl Ryan Reynolds als Superheld bisher gefloppt war, obwohl er nur ein Budget von 58 Millionen Dollar hatte. Und, das wird auch immer wieder von den Fürsprechern lobend erwähnt, obwohl er nur einen so kleinen Konflikt im Zentrum hatte. Deadpool will den Menschen finden, der ihn entstellt und seine Freundin entführt hat. Dem Schicksal der Welt könnte das nicht egaler sein.

Im Interview mit Jeff Goldsmith sprechen die Autoren von Deadpool davon, dass ihnen wenig in ihr Drehbuch hineingequatscht worden wäre. Nur bei der Sache mit den “Stakes”, dem Einsatz des zentralen Konflikts, hätten sie ihre kleine Geschichte verteidigen müssen, weil es in Hollywood zurzeit so en vogue ist, dass immer mehr auf dem Spiel stehen muss, als nur die persönliche Genugtuung des Helden.

Diese Klage ist nicht neu, auch ich habe sie schon mal angestimmt, Damon Lindelof hat sie bestätigt. Heute muss es in großen, teuren Blockbustern immer gleich um alles gehen. Nicht wie früher, als auch kleinere Konflikte reichen.

Aber stimmt das überhaupt? Ich habe mir Blockbuster* zwischen 1991 und 2015 angesehen und danach bewertet, was dort jeweils der zentrale Einsatz ist. Geht es nur um einen persönlichen Konflikt? Steht das Schicksal einer Stadt auf dem Spiel? Eines Landes? Oder droht die Welt, wie wir sie kennen, unterzugehen?**

Das Ergebnis: Es stimmt. Während in den 90ern noch persönliche Konflikte oder die Bedrohung einer Stadt das Gros der Einsätze ausmachten, hat sich die Balance bis in die 2010er Jahre ins Gegenteil verschoben. Im weitaus größten Teil der Konflikte geht es heute um das Schicksal der ganzen Welt.

Nun sind die 2010er Jahre ja noch nicht vorbei, die Datenlage ist dort also kleiner. Aber auch wenn man die Daten in Fünf-Jahres-Schritten betrachtet, sieht man, dass die Weltbedrohung Stück für Stück an Boden gewinnt und kleinere Konflikte weniger werden.

Der Eindruck täuscht also nicht. Es geht heute tatsächlich größer zu als noch vor 20 Jahren. Wegweisende Filme auf diesem Weg scheinen Independence Day und Armageddon gewesen zu sein und dann die zweiten, dritten und vierten Teile der Franchises, die alle irgendwann in die Falle des Poochie Effekts treten: die Stadt haben wir letztes Mal schon gerettet, dieses Mal steht die Zivilisation auf dem Spiel. An den X-Men kann man diese Entwicklung in den vier Filmen mit der “Stammbesetzung” beispielhaft gut sehen. Mutanten gegen Mutanten, Mutanten gegen den Rest der Welt, Mutanten gegen das Ende der Welt, Mutanten gegen das Raum-Zeit-Kontinuum.

Drei Fragen bleiben: Wie lange kann dieser Trend noch anhalten? Gibt es bereits eine Rückkehr zu kleineren Geschichten à la Deadpool? (The Winter Soldier und Iron Man 3 werfen die Helden beide zunächst auf sich selbst zurück, nur um sie dann doch gegen große Bedrohnungen kämpfen zu lassen) Und wie war das ganze eigentlich vor 1991?

Letzteres wäre vor allem deswegen interessant, weil darin auch der Ursprung der Datensammlung lag. Fühlen wir uns heute wieder mehr wie in den 80ern? Ist das gesellschaftliche Narrativ einer bevorstehenden Apokalypse (vielleicht sogar der heimliche Wunsch danach) wieder gegenwärtiger geworden? Oder glauben wir längst, dass wir langsam zu Grunde gehen werden? Um das zu sagen, muss ich erst noch mehr Daten sammeln. Die Daten zeigen: In den 1980ern waren “kleinere” Geschichten auch deutlich prominenter als heute. Die Vermutung liegt also nah, dass die Steigerung weniger mit Zeitgeist und mehr mit den Möglichkeiten von Visual Effects zu tun hat.

Danke an Kathrin für die Idee


* Datengrundlage sind Filme, die in der IMDB im Genre “Action” eingeordnet sind, dort jeweils die zehn mit den höchsten US-Einspielergebnissen in jedem Jahr. (Beispiel) Eine bessere Metrik war schwer zu finden, da bei Sortierung nach Beliebtheit auch Serienfolgen angezeigt werden und das weltweite Box-Office nicht zur Verfügung stand. Einen gewissen Action-Anteil müssen die Filme meiner Ansicht nach haben, um eine solche Aufstellung überhaupt machen zu können.

** Natürlich steht nicht immer exakt eine Stadt oder ein Land auf dem Spiel. Auch das Leben von größeren Menschengruppen habe ich als “Stadt” erfasst und die Existenz von auf Landesebene operierenden Organisationen als “Land”. Es ging vor allem darum, ein ungefähres Gefühl für die Dimensionen der Bedrohung zu klassifizieren. Hier ist das Spreadsheet, meckern bitte in den Kommentaren.

Real Virtualinks 9/16

Deep inside Deadpool’s deadliest effects

Und noch einmal Deadpool. Eine der Besonderheiten des Films, auf die ich ohne eine Anmerkung von Jeff Cannata gar nicht gekommen wäre, ist, dass Deadpools Gesicht digital animiert ist, was der Maske eine viel größere Ausdrucksreichweite erlaubt als bei bisherigen maskierten Superhelden wie SpiderMan. Wie die VFX-Menschen das im Detail technisch umgesetzt haben sowie einige andere Effekte des Films wie Colossus und die Vorspannsequenz, steht wie immer bei “FX Guide”.

How The Coens Tricked You Into Thinking “Hail, Caesar!” Is About Nothing

Gee, I don’t know. Ich finde es ehrbar, dass Anne Helen Petersen die Coens verteidigt, deren Hail Caesar ich am letzten Wochenende auch gesehen habe und mochte aber nicht liebte. Aber kann man wirklich diese “Alle (außer mir) haben die wahre Tiefe verpasst”-Argumente machen? Petersen gibt es am Ende fast selbst zu und zieht sich dann auch ein “Time will tell” zurück. Drüber nachdenken ist auf jeden Fall nie falsch.

MPAA Adds New Rating To Warn Audiences Of Films Not Based On Existing Works

Soviel ich weiß, plant auch die FSK eine ähnliche Kennzeichnung für Deutschland. Allerdings ist es auch meine Erfahrung, dass satirische Meldungen selten mehr sind als eine Idee, die meistens in der Schlagzeile bereits umgesetzt ist und im Text dann nur noch plattgewalzt wird. Dieser Text ist keine Ausnahme.

The Secret Lives of Tumblr Teens

Wer ihn noch nicht kennt, dieser lange Beitrag von Elspeth Reeve über den Aufstieg und Fall einer losen Gruppe von Teenagern, die auf Tumblr großgeworden sind, ist äußerst lesenswert. Richtig viel Neues erfährt man gar nicht, wenn man schon mal selbst einen Blick auf Tumblr geworfen hat, aber Reeve strickt daraus eine gute Geschichte und endet mit ein paar provokanten Beobachtungen, die sich explizit an ihre Ü30-Leserschaft richten.

Apple iTunes und das Trauerspiel mit den deutschen Kino-Podcasts

Jede Menge rechtschaffene Wut von Patrick Lohmaier über die von iTunes kuratierte Filmpodcast-Auswahl, der ich leider nicht so ganz zustimmen kann. Das Argument “Öffentlich-rechtliche Sender haben eh genug Aufmerksamkeit, fördert die Unabhängigen” macht aus Sicht von Apple überhaupt keinen Sinn. Die wolllen doch nur, dass ihre Kunden zufrieden sind. Und das zeigt sich wiederum an den Abrufzahlen. Wo das ganze herkommt, kann denen doch egal sein. Kapitalismus, Baby.

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Fünf kanonische Filme, die meinen Blick auf das Kino verändert haben

“Klassiker sind nicht umsonst Klassiker” ist ein sehr nach Binsenweisheit klingender Satz, den ich nichtsdestotrotz immer wieder gerne sage. Denn manchmal scheint es mir, als sei er alles andere als selbstverständlich. In einer Zeit, in der wir das Überangebot der gesamten Kulturgeschichte irgendwo auf Abruf haben, neigen wir als Menschen trotzdem gerne dazu, uns dem einfachen, naheliegenden zuzuwenden.

Kanonische Filme, Klassiker aus der Zeit vor unserer Geburt hingegen haben – von einigen Ausnahmen abgesehen, die auf Ritualen beruhen wie Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, oder die “leicht” genug sind, um von uns in eine andere Schublade gesteckt zu werden, wie ein Laurel-und-Hardy- oder ein Disney-Film – den Ruf, grundsätzlich erstmal anstrengend zu sein. Sie sind alt, das heißt: sie sind irgendwie anders. Sie entsprechen nicht unseren antrainierten Sehgewohnheiten. Und dann sitzen wir vor unserem Netflix-Menü und wählen doch lieber eine Komödie von 1992 als eine von 1962, obwohl die von 1992 eine viel schlechtere Stern-Wertung hat und die von 1962 als absoluter Klassiker gilt.

Irgendwie wichtig

“Klassiker sind nicht umsonst Klassiker”, sage ich unter anderem immer dann, wenn mich jemand fragt, warum oder welche “alten” Filme ich mag. Denn gerade im Kino ist das eine Erfahrung, die ich immer wieder gemacht habe. Nur sehr wenige Filme sind in den Kanon der besten Filme aller Zeiten eingegangen, weil sie “irgendwie wichtig” aber ansonsten todlangweilig sind. Sicher, es gibt sie, die sperrigen, anstrengenden Kunstfilme, durch die man sich nur durchquält, weil man muss oder weil man sollte. Die meisten Klassiker aber haben sich ihren Namen deshalb verdient, weil sie ohne jede Einschränkung gute Filme sind. Sie sind spannend oder unterhaltsam, verstörend oder provozierend, angenehm rätselhaft oder saukomisch. Egal wie alt sie sind.

In meiner Beschäftigung mit Film, erst als interessierter Teenager, dann als Filmwissenschaftsstudent und schließlich als Autor und Journalist, bin ich immer wieder einzelnen Filmen begegnet, die wie kleine Erweckungserlebnisse waren. Nicht nur, weil sie gut waren, obwohl sie nicht mehr meinen aktuellen Sehgewohnheiten entsprachen, sondern weil mir, während ich sie sah, plötzlich irgendetwas klar wurde. Sie stellten meine Vorstellung von bestimmten, das Kino betreffenden Dingen auf den Kopf. Sie ließen mich etwas verstehen, was ich vorher immer nur geahnt hatte. Sie zeigten mir den Ursprung (oder zumindest einen Ursprung) von Elementen, die ich in neueren Filmen schon oft gesehen hatte – als Mutterschiff, das immer noch da draußen herumfliegt.

Fünf von diesen Filmen möchte ich heute mit euch teilen. Ich erlaube mir, ein bisschen gefühlte persönliche Weisheit weiterzugeben. Und wenn ihr zwar filmbegeistert seid, aber es eigentlich nicht so mit Klassikern habt. Oder nur Klassiker in bestimmten Sparten guckt, zum Beispiel Science-Fiction, dann tut mir den Gefallen. Guckt diese fünf Filme. Vielleicht öffnen sie euch genauso die Augen wie mir.

(Die Liste erfolgt in chronologischer Reihenfolge der Entstehung der Filme, nicht in der Reihenfolge, in der ich sie gesehen habe.)

1. Броненосец Потёмкин (Panzerkreuzer Potemkin), Sergei Eisenstein, 1925

Wer sich irgendwie mit Film beschäftigt, dem läuft dieser Titel irgendwann über den Weg. Vielleicht hat sie schon einmal von “Attraktionsmontage” gehört oder er hat Ausschnitte aus der oder Parodien auf die Sequenz auf den Stufen von Odessa gesehen. Als ich 2005 in meinem Erasmus-Semester in Edinburgh den Screeningraum betrat, hatte ich mit dem Stummfilmkino eigentlich innerlich schon abgeschlossen. Ich konnte selbst über Chaplin immer schon nur ein bisschen schmunzeln und so schön ich zum Beispiel Metropolis designt oder Nosferatu kadriert fand – Stummfilme verlangen einem schon eine echte Umstellung ab, vor allem, wenn man sie nicht im Kino sieht. Ohne die Tonebene, die einem immer wieder neue Reize bietet, mit einem Schauspielstil, der mit dem Tonfilmschauspiel nur wenig zu tun hat (einer der Gründe, warum moderne Stummfilmparodien oft so fake wirken, es braucht eben mehr als Texttafeln und Klimperpiano), sind die meisten Stummfilme schon eher Studienobjekte als Erlebnisse.

Aber dann kam Sergei Eisenstein und blies mich in nur knapp über einer Stunde Laufzeit völlig aus den Socken. Panzerkreuzer Potemkin widersprach allem, was ich bis dato über das Stummfilmkino zu wissen glaubte. Intellektuell schießt er vielleicht nicht immer genau in die Richtung, in die er zielt, aber dieser Film ist einfach ein Feuerwerk aus Eindrücken, Rhythmus, Bildern und Drama. Er zeigt, dass stummer Film viel viel mehr sein kann als abgefilmtes Theater. Und zum Glück gibt es noch viel mehr stumme Filme, die auch für heutige Augen noch reizvoll genug sind. Man muss sie nur finden.

2. The Big Sleep (Tote schlafen fest), Howard Hawks, 1946

“Film noir und Neo Noir” hieß das Seminar bei Marcus Stiglegger, das ich gleich im ersten Semester meines Filmwissenschafsstudiums in Mainz besuchte, und The Big Sleep war einer der ersten Filme, die ich dafür guckte. Das große Erweckungserlebnis hier war Humphrey Bogart, beziehungsweise nein: Es war Humphrey Bogart als Philip Marlowe. The Big Sleep führte mir mit einer unglaublichen Klarheit zwei Dinge gleichzeitig vor Augen: 1. Warum Humphrey Bogart einer jener Stars ist, die in keinem Bild mit dem Thema “Hollywoodstars” fehlt und 2. Woher mein inneres Bild von Privatdetektiven stammt.

Wer will, darf jetzt “Aber The Maltese Falcon!” brüllen, der ja schon einige Jahre zuvor ähnliche Elemente kombiniert. Und sicher stammt Bogarts Starruhm eher aus Casablanca, der auch älter ist. Aber keiner der beiden Filme hat Lauren Bacall, die zu diesem Zeitpunkt bereits mit Bogart liiert war, und die einfach Funken von der Leinwand sprühen lässt, wenn sie “You know how to whistle, don’t you?” mit ihm herumfrotzelt*. The Big Sleep hat mich verstehen lassen, warum manche Schauspieler Stars sind und andere nicht. Und das war damals für mich eine völlig neue Erkenntnis.

3. À Bout De Souffle (Außer Atem), Jean-Luc Godard, 1959

Ich wiederhole mein Geständnis: Vor Beginn meines Studiums hatte ich den Begriff “Nouvelle Vague” noch nie gehört. Kaum hatte ich mit dem Studium angefangen, flog er mir aber natürlich ständig um die Ohren. Und als ich À Bout de Souffle dann eines Tages endlich sah, jenen Film, der wie kein anderer als Startschuss der Bewegung gilt, wusste ich auch, warum alle Fiwis ständig davon sprachen. Auf irgendeine Weise repräsentiert Godards Debütfilm den unterschied zwischen “neu” und “alt” im Kino.

Geboren aus dem Willen eines Kritikers, bei seinem eigenen Film alles anders zu machen, rebelliert er gegen fast jede Konvention des Kinos. Nicht nur wegen seiner berüchtigten jump cuts sondern auch, weil er so tut als wäre er ein Genrefilm (die Haupthandlung dreht sich um einen Kleinganoven auf der Flucht), aber eigentlich keiner ist. Weil er zu großen Teilen aus der Hüfte gedreht wurde, ohne Sets und Lichtaufbauten. Weil er über weite Strecken nichts anderes zeigt, als das Herumalbern zweier Liebender. Weil er Figuren zeigt, die sich nach Filmstars der Vergangenheit modeln. Und er macht das alles ohne jeden schweren Kunst- oder Avantgarde-Gestus. Er ist witzig, frech, leichtfüßig und durchgeknallt sympathisch, der Pulp Fiction seiner Generation. Alle “neuen Wellen”, die danach kamen, egal wo auf der Welt, müssen sich für mich an À Bout de Souffle messen lassen – und kaum eine von ihnen hat jemals wieder diese anfängliche Leichtigkeit erreicht, als das Kino einfach mal so entschied, dass es fortan anders sein wollte.

4. Annie Hall (Der Stadtneurotiker), Woody Allen, 1977

Annie Hall ist tatsächlich der Film aus dieser Liste, den ich als erstes gesehen habe. Irgendwann zwischen meiner letzten Abiprüfung und meiner ersten Semesterwoche anderthalb Jahre später, als ich erstmals damit anfing, mich gezielt mit Filmklassikern zu beschäftigen und sie mir auf VHS-Kassette aufzunehmen. Ich kannte den Namen Woody Allen, ich hatte Ausschnitte aus Everything You Always Wanted to Know About Sex gesehen, und ich kannte dieses merkwürdige Wort “Stadtneurotiker”, aber viel mehr wusste ich nicht. Meine Güte, was habe ich gelacht.

Da steht dieser Typ ganz am Anfang des Films und spricht direkt in die Kamera. Später holt er einen bekannten Menschen (nein, ich wusste noch nicht, wer Marshall McLuhan war) plötzlich in die Szene, als er ihn braucht. Er redet mit einer Frau, in die er verknallt ist, und es erscheinen Untertitel, was die beiden wirklich sagen. Das ganze ist schrecklich albern und gleichzeitig schrecklich klug. Als jemand, der nie allzuviel mit körperlicher Komik anfangen konnte (siehe oben) und auf einer Diät aus Otto Waalkes und Jürgen von der Lippe großgeworden war, war diese Art von intellektuellem, sich selbst auf die Schippe nehmendem, Meta-Humor eine echte Erweckung. IN EINEM FILM, DER 25 JAHRE ALT WAR. Ich war so glücklich danach, einfach weil ich plötzlich wusste, dass es solche Filme gibt.

5. Festen (Das Fest), Thomas Vinterberg, 1997

Als einziger Film in dieser Aufstellung ist Festen nach meiner Geburt entstanden. Von meinen Hollywood-geprägten Mainstream-Sehgewohnheiten könnte er trotzdem nicht weiter entfernt sein. Obwohl er mit einigen seiner selbst auferlegten Dogma 95-Regeln direkt wieder bricht, ist er trotzdem wiederum der bewusste Versuch, das Vertraute zu verändern. Nicht unbedingt auf der Handlungsebene, denn Festen ist psychologisch stimmig und kalkuliert schockierend, aber doch vor allem durch eine völlig neu entfesselte Ästhetik, geprägt von Anthony Dod Mantles Handkamera und der fehlenden Ausleuchtung.

Festen findet kreative Lösungen für selbstgemachte Probleme und zwingt sich so seine eigene Frische auf, aber weil er sich genug Bodenständigkeit bewahrt, driftet er nie in kryptisches Kunstkino ab. Dass Filme das können – kunstvoll und ungewöhnlich sein ohne das im Zweifelsfall unerfahrene Publikum auszusperren – hat mich tief beeindruckt, damals Anfang der nuller Jahre. In vielen Filmen suche ich immer noch danach.

Aktuell und passend dazu: Lucas Barwenczik über die Frage “Altern Filme?”

* Peter “Noster” Schneider hat mich auf Twitter freundlicherweise darauf hingewiesen, dass die Pfeifzeile aus To Have and Have Not stammt, dem ersten Film, den Bogart und Bacall zusammen gemacht haben. Ich habe beide gesehen, aber durcheinandergebracht (weil ich auch beide mag). Schuld ist, glaube ich, Nik Kershaw mit dem Song “Bogart”, an den meine Erinnerung etwas frischer ist. Dort heißt es nämlich “Wish I could whistle like The Big Sleep‘s famous lover”. Shame on you, Nik und danke, Peter.

The Seven Year Itch

Heute vor sieben (SIEBEN!) Jahren habe ich den ersten Post auf “Real Virtuality” veröffentlicht. Es wird 2016 also Zeit für den “Seven Year Itch”, denn angeblich wird es nach sieben Jahren in einer Ehe oder Beziehung schwieriger, alles stabil und frisch zu halten. Wenn ich mir anschaue, wie laut ich schon vor einem halben Jahr darüber nachgedacht habe, “Real Virtuality” zu verändern (und hey! es gibt jetzt immerhin die “Real Virtualinks”), könnte das sogar stimmen. Bisher habe ich es noch nicht geschafft, meinen Hintern für ein ordentliches Podcast-Projekt hochzukriegen, aber vielleicht wird es ja doch noch was.

The Seven Year Itch ist natürlich auch der Titel eines schönen Films mit Marylin Monroe, der auf deutsch Das verflixte 7. Jahr heißt und das Titelbild dieses Posts inspiriert hat. Eine Million Dankeschöns an Owley, der mir dieses Bild gezaubert hat!

Andererseits wird 2016 aber allen Anzeichen nach auch das Jahr, in dem der Namensursprung meines Blogs, Virtual Reality, seinen großen Durchbruch haben könnte. Warum mich das vor allem im Filmbereich begeistert, habe ich an verschiedenen Stellen schon aufgeschrieben. Und gerade heute habe ich mir Tickets für ein VR-Event in Berlin gesichert, es wird also auch noch viel zu schreiben geben.

Wir werden sehen, was das nächste Jahr bereit hält. Bis dahin bin ich sehr dankbar, dass ich dieses Blog seit sieben Jahren führen kann, dass sich immer wieder Leute für meine Inhalte interessieren und dass es mir die Tür zu vielen tollen Begegnungen, Bekanntschaften und Freundschaften geöffnet hat. Dafür allein hoffe ich, dass es mindestens noch sieben Jahre so weiter geht.

Falls irgendjemand seit Jahren nach einer Möglichkeit sucht, mir etwas Gutes zu tun (am Mittwoch habe ich übrigens auch selbst Geburtstag), verlinke ich an dieser Stelle ausnahmsweise zusätzlich meinen Amazon-Wunschzettel.

Vielen Dank für sieben Jahre Treue, Kommentare und Kontakte. Auf bald!

Real Virtualinks 8/16

Thursday’s massive gravitational wave news was broken by a sheet cake (really)

Meine Lieblingsmedienmeldung der Woche. Dazu der Tweet von Chris Köver: “Opens up a whole new strand of investigative journalism: Call bakeries to find out what cakes have been ordered.”

The Grace of Keanu Reeves

Keanu Reeves wird gerne vorgeworfen, er könne nicht schauspielern. Anjelica Jade Bastién schreibt eindrucksvoll auf, wieso er es doch kann und dafür liebe ich sie. Denn irgendwie fand ich Keanu immer schon toll, vielleicht ist er auf eine merkwürdige Art sogar mein Lieblingsschauspieler.

30 Minutes on: “The Revenant”

Matt Zoller Seitz ist einer der besten Autoren, die sich im Internet (und im “New York Magazine”) herumtreiben. Seine Texte sind oft sehr persönlich, aber dennoch relevant – eine Qualität, nach der ich meist vergeblich strebe. Dieser Text zu The Revenant ist nicht ganz so persönlich, aber er ist trotzdem großartig. Seitz findet den (ungewollten) Humor in Inarritus Film und beschreibt dessen merkwürdig überbordende Männlichkeit, aber ohne den Film niederzumachen. “Werner Herzog by way of Looney Tunes”, indeed.

Inside the Over-the-Top Marketing Strategy for ‘Deadpool’

Ich habe Deadpool inzwischen gesehen und fand ihn zwar nicht so schlimm wie befürchtet, aber auch nicht besser. Eher langweiliger und vor allem nicht besonders lustig. Dass das großen Teilen der Bevölkerung anders ging, zeigt der Erfolg an den Kinokassen – und die vorausgehende Marketingstrategie war mit dafür verantwortlich. Eine kleine Zusammenfassung von “Adage”.

Zwischen Gott und Vader

Das “J. S. Magazin” hatte mich zum Start von Star Wars: The Force Awakens um einen Artikel zum Thema “Religion in der Science Fiction” gebeten. Es hat eine Weile gedauert, bis ich gemeinsam mit den Redakteurinnen den jungen Tonfall des Magazins getroffen hatte, aber nachdem das Stück im Januar im Print erschienen ist, kann man es jetzt auch unkompliziert online lesen.

Was gesehen, was es verdienen würde, hier zu stehen? links@realvirtuality.info.

Mit diesem einfachen Trick kannst du helfen, die Real Virtualinks besser zu machen

Ich war mir nicht sicher, wie viel Spaß mir das Kuratieren von Links hier im Blog machen würde, und jetzt weiß ich: eine Menge. Und weil ich auch das Gefühl habe, dass es niemanden stört, dass ich hier jeden Freitag Links poste, will ich, dass die Links besser werden.

Es gibt einige Online-Publikationen, die ich regelmäßig lese, außerdem verfolge ich verschiedene soziale Medienkanäle. Aber ich habe einen Brotjob und nicht unendlich viel Zeit und manchmal entkommen auch Beiträge einfach meiner Filterbubble. Aber vielleicht nicht deiner! Oder vielleicht hast du einen Text geschrieben, auf den du richtig stolz bist, aber du hast noch nicht genug Kontakte, um ihn wirkungsvoll unter’s Volk zu bringen.

Für diese Fälle richte ich hiermit eine offizielle Adresse für die “Real Virtualinks” ein. Unter

freue ich mich über Vorschläge für zukünftige Ausgaben der Real Virtualinks.

Danach suche ich:

  • Beiträge, die die Themen dieses Blogs – Film, Medien, Zukunft – zum Inhalt haben. Je mehr gleichzeitig, desto besser. Wenn sich ein Bezug zu meinen Lieblingsthemen – Filmtechnik, Franchising, Filmjournalismus, Zeitgeist – herstellen lässt, umso besser.
  • Beiträge, die eine starke Autor_innenstimme haben.
  • Beiträge, die einen neuen Aspekt eines bekannten Themas beleuchten
  • Beiträge, an denen man sich reiben kann

Danach suche ich NICHT

  • News (dafür gibt es andere Seiten)
  • Deine x-beliebige Kritik zu einem aktuellen Kinofilm
  • Texte, die schon überall durch die Social-Media-Sphären geistern
  • Spam

Das Wort “Beiträge” umfasst alle Mediengattungen: Texte, Videos, auch Podcasts. Ich freue mich auf eure Vorschläge.

Ich erlaube hiermit ausdrücklich auch kommerziellen Anbietern, mich unter dieser Adresse anzuschreiben, aber daran zu denken, was ich neulich zu Blogger Relations geschrieben habe.

Wer die “Real Virtualinks” übrigens lieber über die Woche verteilt lesen möchte, dem empfehle ich die “Real Virtuality”-Facebookseite. Dort erscheinen sie immer als erstes.