Höreindrücke: Tech Bro Topia, Vier Töne gegen Stalin, Nicht mehr mein Land, Azizam

Tech Bro Topia (DLF)

Es muss nicht immer Storytelling mit Reporter-Protagonist sein. „Tech Bro Topia“ hört sich, als würde man ein Sachbuch lesen, das einen kompakten Überblick über die ideologischen Hintergründe einer ganzen Kaste an Personen gibt. Expert:innen, Fakten, Erklärungen. Hinterlegt allerdings mit bombastischem Sounddesign, das mir anfangs etwas zu grandios war, das ich im Laufe der Folgen aber zu schätzen gelernt habe. Bisher einer meiner Lieblingspodcasts des Jahres.

Vier Töne gegen Stalin – Der Fall Schostakowitsch (SWR)

Dass Musikanalyse im Podcast gut funktioniert, beweist Malte Hemmerich seit Jahren in den von mir sehr geschätzten „Score Snacks“. Hier kombiniert er diese Elemente mit einer historischen Nacherzählung und Reflexionen aus heutiger Sicht, die sich sehr organisch in die Gesamt-Story einfügen. Enttäuschend fand ich, dass der am Anfang von Folge 3 erwähnte Sample aus Peter Fox’ „Alles Neu“ später nicht mehr kontextualisiert wird.

Nicht mehr mein Land (BR)

Was Alexander Gutsfeld auszeichnet, ist, dass er Reportage nicht nur perfomt, um Ton-Elemente für die Verknüpfung seiner Storyblöcke zu haben. Sein Podcast ist gut, weil er sich wirklich anfühlt, als wäre hier jemand rausgegangen und hätte mit Menschen in lebendigen Settings gesprochen. Die persönliche Ebene des Identitäts-Switchens ist ein guter Hook und die herausgearbeiteten Thesen erscheinen relevant. Ich stecke derzeit in Folge 4 und bin gespannt, welche Bilanz am Ende rauskommt.

Azizam – Die Revolution meiner Mutter (ACB Stories/funk)

Aida Amini gelingt es enorm gut, ihre persönliche Geschichte so zielgruppengerecht und ehrlich zu erzählen, dass die größere, gesellschaftliche Geschichte, die sich darin spiegelt, ganz ohne Didaktik mittransportiert wird. Mehr dazu in der nächsten Folge von LÄUFT am 9. September.

Wer? Wie? Buzz?, I Will Survive, Systemeinstellungen, Milli Vanilli – Vier Podcast-Kurzkritiken

Ein neuer Kinderpodcasts. Drei neue Dokus aus ganz unterschiedlichen Häusern.

Wer? Wie? Buzz! (Spiegel)

Total super finde ich die Idee, die Zielgruppe (Kinder im Mittelschulalter) selbst an den Drücker zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Themen abzuwählen oder Nachfragen zu stellen. Merkwürdiger finde ich den Wettstreit zwischen den Moderator:innen um Redezeit (mit reinrufendem Schiedsrichter und sehr dehnbaren, unsichtbaren Regeln) – aber eventuell ist genau sowas ein Feature, was langfristig die parasoziale Beziehung zum Podcast sicherstellt. Wer gewinnt wohl diese Woche? Was ist der Wetteinsatz? Zu lernen gibt es, wie immer, auch viel für Erwachsene. In meinem Fall hat es außerdem zwei Tage gedauert, bis ich das Wortspiel im Titel kapiert habe.

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I Will Survive – Der Kampf gegen die AIDS-Krise (BR)

Was gibt es hier noch zu erzählen, möchte man meinen. Doch das Team hat mehrere sehr gute Protagonisten gefunden, einen starken, sogar regionalen Hook (Freundschaft mit Freddie Mercury in seiner Münchner Zeit) für den Anfang und eine klar formulierte Haltung des Hosts Phillip Syvarth, der selbst zu wenig weiß und erfahren will, auf wessen Schultern er als schwuler Mann heute steht. Durch die persönlichen Geschichten wird das ganze Grauen und die Angst der Zeit gut erlebbar ohne in übermäßige Betroffenheit abzudriften. 

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Systemeinstellungen (netzpolitik.org)

Grundsätzlich erstmal genial, dass auch ein Indiemedium wie Netzpolitik.org einen solchen Podcast produzieren kann. Die Fälle sind gut strukturiert und lebendig geschildert, dabei bordet das Scoring vielleicht manchmal ein bisschen über, aber das kann auch Geschmackssache sein. Was ich mich frage: Führt die Beschreibung der Fälle am Ende noch irgendwohin? Gibt es Lösungsvorschläge oder einen klaren Appell, etwas zu ändern? Oder bleibt es bei der reinen Benennung von (aus Sicht der Autoren) Missständen?

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Milli Vanilli: Ein Popskandal/Blame It On The Fame (Wondery)

Wenn ich eine Dokumentation auf einem Privatsender sehe, erwarte ich etwas anderes, als im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, und im Podcast dividiert es sich langsam ähnlich aus. “Blame it on the Fame” ist gewissermaßen die Podcast-Version einer RTL-Doku. Viel Drive, viel Production Value (nicht zuletzt: zwei Sprachen), aber auch viel Oberfläche. Auf keinen Fall schlecht, aber auch nichts für Nerds. Und: Was es für einen Unterschied in der Wirkung macht, ob eine Reporterin mit einer Mission ihre eigene Recherche hostet, wie in der Originalfassung, oder eine dazugeholte Person, die zwar vom Profil her passt, aber halt doch mit der Geschichte nichts zu tun hat. Mutig und gut finde ich die Entscheidung, in der deutschen Fassung alle englischen O-Töne stehenzulassen und nur zusammenfassend zu übersetzen.

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