Getestet: EXIT VR Live Adventure in Berlin

Nachdem ich vor kurzem die “VR Nation” Virtual-Reality-Arena ausprobieren durfte, wurde ich auch eingeladen, den bereits seit Juni 2017 existierenden Berliner Platzhirsch “Exit VR” zu testen. Ich spare euch diesmal hier die Vorrede zu meinen Erwartungen und Vorerfahrungen mit Virtual Reality und komme direkt zu den Fakten.

Ort

“Exit VR” liegt in Mitte, direkt an der U-Bahn-Haltestelle Klosterstraße, und ist ein Teil der “Exit” Escape Rooms. Um zur eigentlichen VR-Location zu kommen, geht es (mit Begleitung) kreuz und quer durch das Gebäude, durch diverse Gänge, bis man endlich im korrekten Heizungskeller (so sieht es in etwa aus) angekommen ist.

Technik

“Exit VR” läuft mit der HTC Vive Brille und den dazugehörigen Handmodulen, die ein bisschen an Wii-Motes erinnern und die ich vom Kaleidoscope Showcase kannte. Eine Powerbank, die dafür sorgt, dass die Brille zwischendurch nicht den Geist aufgibt, trägt man in einem Turnbeutel auf dem Rücken. Die Daten werden auf stationären Maschinen berechnet und per W-LAN oder Bluetooth übertragen.

Leider war die Technik bei unseren Besuch ziemlich fehleranfällig. Es dauerte eine ganze Weile, bis alle vier Spieler*innen korrekt in der virtuellen Welt “angekommen” waren und bei allen auch alle Handmodule funktionierten. Selbst während des Spiels fielen bei manchen aus der Gruppe immer mal wieder Teile der Apparatur aus und mussten von unserer Spielleiterin ausgetauscht oder neu kalibriert werden. Das nervte ein bisschen.

Bild: Kathrin Passig

Schräg, aber auch irgendwie faszinierend – und technisch sehr clever – fand ich die Art, wie bei Exit VR mit dem nicht-virtuellen Raum umgegangen wird. Statt alle Spieler im gleichen Raum zu platzieren, wo sie von den gleichen Sensoren erfasst und berechnet werden müssen, teil sich die Gruppe in mehrere Räume auf, die dann im Spiel zu einem Raum zusammengelegt werden. Als Spieler*in kann man auf diese Weise auch nur mit einer anderen Person zusammenstoßen, durch die anderen kann man einfach durchlaufen. Ein bisschen fühlte ich mich an The Hobbit und die dort eingesetzten Master-Slave-Kamerasysteme erinnert, die Ian McKellen in den Wahnsinn getrieben haben. Zum Glück mussten wir ja nicht schauspielern und konnten über die Brillen ja sehen, was die Kamera sieht, sozusagen.

Spielerfahrung

Ich muss ehrlich sein: Meine Erfahrung mit Exit VR war sehr gemischt. Ich konnte einfach nicht aufhören, das Spiel mit VR Nation zu vergleichen, das für mich ja ein fast schon transformatives Erlebnis zu den Möglichkeiten von Virtual Reality war – vollständig in eine fremde Welt transportiert zu werden. Exit VR fühlte sich eher so an, wie ich es von VR-Systemen der Gegenwart erwartet hätte. Es gibt immer einen gewissen disconnect, der einen nie vergessen lässt, dass man nur ein Spiel spielt und Knöpfe auf Fernbedienungen drückt, um die eigenen Hände zu öffnen und zu schließen. Ein Teil meiner Probleme rührt sicher auch von meinem generellen Hadern mit Escape Rooms her, in denen ein lineares und, wie die Game-Studies-Leute sagen, “ludisches” Handeln im Zweifelsfall immer schwerer wiegt, als die reine Erfahrung. (Warum das auch Interactive Fiction immer wieder an Grenzen führt, habe ich neulich für “epd medien” aufgeschrieben und im “Lexpod” besprochen). 

Während wir also bei VR Nation theoretisch auch ständig Rätsel hätten lösen müssen, waren wir eher damit beschäftigt, einfach umherzustreifen und die Umgebung zu bestaunen. Hier war die Situation von Anfang an ganz anders. “Huxley – Save the Future”, die mehrfach preisgekrönte Experience, die wir spielen konnten, setzt einem gleich zu Anfang eine klare Aufgabe und ein Zeitlimit, so dass man sofort stärker in einen Videospiel- als in einen Erkundungs-Modus rutscht. Stark ist, dass man insgesamt 44 Minuten Spielzeit zur Verfügung hat, fast doppelt so lang wie bei der Konkurrenz.

Mein oben erwähntes Escape-Room-Problem äußerte sich vor allem in der merkwürdigen Lücke zwischen Story und Gameplay. Angeblich geht es bei “Huxley” darum, die von den Menschen zurückgelassene Erde vor der endgültigen Zerstörung zu retten. So wird es einem am Anfang der Mission erzählt, und so erklärt es auch der fliegende Roboter, der dem Spiel seinen Namen gibt, und den man mit dem ersten Rätsel befreit.

Dieser erzählerische Rahmen hat aber wenig bis gar nichts mit dem Rest des Spiels zu tun. Weder mit der Umgebung, in der man sich bewegt (Metallplattformen in einer Techno-Kathedrale), noch den Rätseln, die man lösen muss – allesamt klassische Zuordnungs- und Baurätsel, bei denen Lichtstrahlen umgelenkt, Farben gemischt, und Röhren verbunden werden müssen. Am Ende schrumpfen alle Spieler*innen und müssen sich kooperativ durch das Labyrinth eines Mikrochips navigieren. Alle Spiele waren herausfordernd, haben Spaß gemacht und den Problemlösungs-Teil meines Hirns hervorragend gekitzelt. Aber sie hatten für mich ähnlich viel mit Weltrettung zu tun, wie das Bonuslevel, in dem wir am Schluss in einer Tikibar mit Pfeilen auf Ballons schießen durften.

Ich würde “Exit VR” jedem empfehlen, der gerne spielt und Rätsel löst, und VR mal niedrigschwellig ausprobieren möchte. Mit 75 Euro für zwei, 105 Euro für vier Spieler*innen und Skalierbarkeit auf bis zu acht Personen für eine gute Stunde Spaß ist “Exit VR” auch bezahlbar und eignet sich sicher gut für Geburtstage, kleine Betriebsausflüge und Junggesell*innenabschiede. Außer der “Huxley”-Experience, die wir gespielt haben, gibt es noch drei weitere Optionen, eine davon ist “Huxley II”.

Hintergrund und Zukunft

Wie spannend und wildwestig die gesamte VR-Landschaft nach wie vor ist, zeigte sich in dem Hintergrundgespräch, dass wir vor dem Spiel noch mit Sven Haeberlein führen durften und das für mich fast das größere Highlight des Besuchs war. Sven ist einer der Gründer des VR-Studios Trotzkind, das “Exit VR” und die beiden “Huxley”-Teile komplett eigenständig in Deutschland entwickelt hat. Er zeigte sich im Gespräch im besten Sinn als echter Nerd für alles, was diese Art von interaktiver Freizeitgestaltung hervorgebracht hat – einerseits Escape Rooms mit Verbindungen zu Adventure Games, LARP und Interactive Theatre, andererseits die filmischen und Videospiel-Wurzeln von VR.

Während er erzählte, wurde klar, dass in diesem Bereich wirklich noch kaum etwas gesetzt ist, nach wie vor viel ausprobiert wird, und es vor allem Leute wie Sven braucht, um die unterschiedlichen Gestaltungselemente – am besten noch mit Geschäftssinn – zusammenzubringen. Vergleicht man VR Experiences mit der Geschichte des Kinos, bewegen wir uns bei VR nach meinem Gefühl etwa mit einer Differenz von hundert Jahren, also im Kino wären wir jetzt etwa Ende der 1910er Jahre. Mit anderen Worten: sowohl die Standards der Form und ihre größten Ausdrucksmöglichkeiten stehen uns noch bevor. Vielleicht kann ich das Gespräch mit Sven ja irgendwann einmal hier oder an anderer Stelle öffentlich fortsetzen. Für den Anfang ist hier ein Gespräch mit ihm von der re:publica 2018.

Üblicher Hinweis zum Schluss: Mir und meinen drei Begleiter*innen entstanden dank der Einladung keine Kosten. Vorgaben für diesen Artikel wurden mir nicht gemacht.

Was “Live Escape Room” Games fehlt

Die junge akademische Disziplin der Game Studies teilte sich in ihren Gründungsjahren in zwei Lager auf. Die “Narratologen” entschieden, Spiele als einen Text wie jeden anderen zu betrachten, der mit den erprobten Mitteln der Literaturwissenschaft auf die Geschichte hin analysiert werden kann, die er erzählt. Ein Schachspiel, etwa, erzählt die Geschichte zweier Völker, die gegeneinender Krieg führen.

Gegen diese Sichtweise rebellierte die Schule der “Ludologen” (von lat. “ludos”, Spiel). Ihrer Ansicht nach muss man zur Analyse von Spielen ein neues Instrumentarium anlegen, das sich rein auf die spielerischen Aspekte wie Regeln und ihre Anwendung bezieht. Spiele sind nach Ansicht der Ludologen “Simulationen”, in denen Sinn von den Spielern und nicht von einem Autor erzeugt wird. Die Geschichte ist höchstens Beiwerk, Ausschmückung der Spielprinzipien.

Hauptdarsteller sein

Die junge Freizeitgestaltung der “Escape Room”-Spiele hat sich in seiner Vermarktung für das Lager der Narratologen entschieden. Als ich vor zwei Wochen angeschrieben und gefragt wurde, ob ich als Blogger Lust hätte, einen neuen Escape Room-Anbieter namens Claustrophobia in Berlin zu testen, wurde mir angekündigt, ich könnte dort “selbst die Hauptrolle in einer filmreifen Kulisse” spielen. Und auch auf der Website heißt es: “Warum also Filme nur anschauen, wenn Du der Hauptdarsteller sein kannst?” und “Du schreibst eine einzigartige Geschichte”.

Und tatsächlich sind die “Live Escape Rooms” bei Claustrophobia mit einem gewissen narrativen Anstrich versehen. Der von mir ausgewählte “Quest” namens “Schutzraum 13” spielt in einer apokalyptischen Zukunft des Jahres 2077. Die Welt ist atomar verseucht, meine drei Begleiter_innen und ich gehören zu den letzten Überlebenden, die unter der Erde Schutz gesucht haben. Doch nun ist die Zeit gekommen: Wir wollen mal wieder an die Oberfläche, um zu gucken, ob die Sonne scheint, wie unsere Game Masterin Marina erklärt. Dafür haben wir 60 Minuten Zeit und müssen uns durch eine Reihe von Puzzles quizzen. Wir können im Escape Room alles machen, manipulieren und anwenden – außer all den Dingen, die wir nicht machen können, wie wir ebenfalls erklärt bekommen.

Liebe in der Gestaltung

Die Tür fällt ins Schloss und los geht’s. Als erstes fällt auf, wie viel Liebe in die Gestaltung des Raums geflossen ist. Von der atmosphärischen Beleuchtung, über das geschickte Verstecken von nicht zur Spielwelt gehörenden Elementen bis zum stimmigen Gesamtdesign aller Requisiten und Bauten. Schon nach kurzer Zeit fühlt man sich wirklich wie in einem postapokalyptischen Bunker, komplett mit “Nuclear Cola” und allem.

Nachdem wir zehn bis 15 Minuten unsere Umgebung erkundet, diverse Gegenstände gefunden und mehrfach über die Laustsprecheranlage ermahnt wurden, dass wir bitte das ein oder andere Ding in Ruhe lassen sollen, scheinen wir unserem Ziel, die erste Tür zu öffnen, noch nicht wirklich näher gekommen. Also holen wir uns nach etwas Debatte zähneknirschend über einen Klingelknopf einen Hinweis von unserer Game Masterin. Der ist so einleuchtend, das wir alle ein bisschen aufstöhnen. Die gleiche Situation ereilt uns rund 15 Minuten später wieder. Wir kommen nicht weiter und der rettende Hinweis erscheint unfassbar banal. Am Ende schaffen wir es ganz knapp, die letzte Tür zu öffnen, nicht ohne Marina zwei weiter Male um Hilfe zu bitten. Die Erleichterung, als das Rolltor in die Höhe fährt und Tageslicht erkennen lässt, ist echt. Mein Frust aber ist es auch.

Escape Rooms als LARPs?

Ich habe mit 16 Jahren angefangen, Liverollenspiele (LARPs) zu spielen und habe sie auch schon selbst geplant und geleitet. Ich bin kein Hardcore-Larper, der im Sommer jedes Wochenende woanders sein Latex-Breitschwert auspackt, sondern spiele vor allem mit einer kleinen Gruppe von Freunden einmal im Jahr in wechselnden Settings. Nach der Spielertypologie von Robin D. Laws bin ich ganz klar ein “Storyteller”. An LARPs, die ja auch häufig als eine Reihe von zu lösenden Aufgaben auftreten, begeistert es mich, Teil einer vielleicht sogar transmedial erzählten Geschichte zu sein. Dafür bin ich, genau wie Laws beschreibt, oft auch schnell bereit, meinen gewählten Charakter etwas zu vernachlässigen und bin “quick to compromise if it moves the story forward”. Ideale Voraussetzungen für ein Escape Game, dachte ich.

Aber Escape Rooms sind keine LARPs – und deswegen ist es auch egal, welcher Spielertyp man ist. Sie folgen trotz ihren narratologischen Marketings knallhart ludologischen Prinzipien. Es mag schön aussehen, dass nukleare Cola in einem verbeulten Verkaufsautomaten steht, für das Gewinnen des Spiels ist es aber völlig irrelevant. Auch kreatives und originelles Denken wird, anders als in einem LARP mit guter Spielleitung, nicht belohnt. Obwohl das Setting mit seiner Bewegungsfreiheit und Atmosphäre eine alternative Realität suggeriert, ist es in Wirklichkeit ein Spiel mit sehr engen Regeln.

Point and Click

Der beste Vergleich sind die Point-and-Click-Adventures, die in den 80er und 90er Jahren ihre Blütezeit hatten. Zumindest in unserem Escape Room folgte das Spiel einem klaren Prinzip. Finde Objekt A, benutze Objekt A mit Objekt B, um Objekt C zu erhalten, wende Objekt C an Objekt D an, um Zugang zu Objekt E zu bekommen. Um dieses Prinzip am effektivsten anzuwenden, sind Atmosphäre und suggerierter Hintergrund sogar eher hinderlich, denn je nüchterner man die Objekte als Mittel zum Zweck betrachtet und je weniger man versucht, vom Setting auf die Problemlösungen zu schließen, umso schneller kommt man voran. Genau wie in Point-and-Click-Adventures ist der eigentliche Pfad durch das atmosphärische Dickicht ein sehr schmaler – als Spieler_in kann man eben doch nur auf die Punkte im Bild klicken, bei denen der Mauszeiger seine Farbe verändert. Denn Sinn erschafft man selbst. Der Autor hat nur die Regeln festgelegt, nicht die Geschichte.

Wenn ich das nächste Mal ein Escape Room Game spiele, und das werde ich mit Sicherheit, denn es hat trotz allem Frust auch wirklich Spaß gemacht, werde ich das im Hinterkopf behalten. Vielleicht könnte mir das Spiel aber auch etwas entgegen kommen, indem es seine Rätsel etwas mehr durch die anfangs suggerierte Story motiviert. Wenn wir seit der nuklearen Apokalypse in diesem Schutzraum sind, warum kennen wir ihn nicht besser? Wer hat uns diese Schnitzeljagd hinterlassen? Warum wurde sie so schwierig gemacht? Gibt es einen Gegner? Zeigt uns irgendwas an diesen Pflanzen, dass es sicher ist, an die Oberfläche zu gehen? Und vor allem: was kann die Kenntnis dieser Geschichte dazu beitragen, die Rätsel zu lösen? Das wären Fragen, die ich am liebsten beantworten können würde, während ich spiele.

Claustrophobia Berlin befindet sich im 3. Stock des Alexa-Einkaufszentrums am Alexanderplatz. Neben dem Schutzraum-Szenario gibt es noch ein zweites, bei dem die Spieler_innen ein Kunstwerk aus einem Museum stehlen müssen. Ein 60-minütiges Spiel für bis zu vier Personen kostet je nach Wochentag und Uhrzeit 80 oder 100 Euro, unabhängig von der Anzahl der Spieler_innen.

Offenlegung: Weil ich eingeladen wurde, musste ich mein Spiel nicht bezahlen. Darüber hinaus habe ich, soweit ich das beurteilen konnte, keine Sonderbehandlung bekommen. Mir wurden keinerlei Vorgaben darüber gemacht, was ich schreiben soll. Weil es leider die erste wirklich gute Erfahrung mit Blogger Relations war, die ich bisher gemacht habe, möchte ich gerne die Firma Schlösser PR, die mich ursprünglich kontaktierte, positiv erwähnen.