Für den ersten Teil der Interview-Serie “Erfolgsstory Internet” habe ich mit Hardy Prothmann gesprochen. Hardy betreibt seit April 2009 das heddesheimblog, ein lokaljournalistisches Blog für den Ort Heddesheim in der Nähe von Mannheim. Das Aufkommen des Blogs hat nicht nur vor Ort, wo der “Mannheimer Morgen” zuvor die einzige Zeitung war, für Aufsehen gesorgt, auch durch die Welt des Journalismus ging ein Raunen.
Das heddesheimblog, und die inzwischen hinzugekommenen Schwestern hirschbergblog und ladenburgblog sind untrennbar verknüpft mit der Person Hardy Prothmann. Er ist ein streitbarer Charakter, stellt mit Vorliebe steile Thesen in den Raum (“Ich bin die Zukunft des Lokaljournalismus!”) und poltert auch gerne mal gegen die anderen. Diese Art hat ihm auch Kritik eingebracht, ebenso wie beispielsweise die Tatsache, dass er in Heddesheim nicht nur Journalist ist, sondern auch im Stadtrat sitzt – womit er aber selbstbewusst umgeht.
Ich habe mit Hardy weniger über seine Arbeit an den Blogs gesprochen, als über seine Haltung zum Internet als Medium – und genau die oben erwähnte Verknüpfung zwischen seiner Person und seinem Produkt. Das Interview wurde per E-Mail geführt.
Offenlegung: Ich habe Hardy und sein Blog in einem Artikel für epd medien im Herbst 2009 poträtiert und ihn anschließend auch mal persönlich kennengelernt. Deswegen duze ich ihn in dem Interview.
Real Virtuality: Würdest du sagen, dass das heddesheimblog eine Erfolgsstory ist?
Hardy Prothmann: Gemessen an den Besucherzahlen und an der Aufmerksamkeit und in Bezug auf Lokaljournalismus ist es wahrscheinlich „die“ Erfolgsstory zurzeit. Was noch fehlt, ist der wirtschaftliche Erfolg. Aber der entwickelt sich zunehmend, und in einigen Monaten wird unterm Strich eine schwarze Null stehen.
Wie entwickelt sich der Gesamtbetrieb, jetzt wo auch die Schwesterblogs am Start sind?
Stressig: Zu wenig Geld, zu wenig Leute und so viele Themen. Das heddesheimblog wird im Februar deutlich über 3500 Besucher am Tag haben, das hirschbergblog nach zehn Wochen über 600, das landenburgblog hat in den ersten Tagen nach dem Start gut 300 Besucher täglich.
Du kommst aus dem klassischen Printjournalismus. Was hat sich durch die Arbeit im Internet für dich verändert?
Das Internet macht diese Arbeit erst möglich. Recherche, Kommunikation, Distribution, Dokumentation, Community – alles ist einfacher durch das Internet und in meinen Augen viel besser, als in Zeiten der Print-Ära. Ich habe noch den Spiegel und die c’t abonniert. Ab und an kaufe ich die eine oder andere Zeitung. Für den Zug oder andere Situationen, in denen das praktischer ist. Die räumlich und zeitliche Grenzenlosigkeit des Internets ist allen Printprodukten aber haushoch überlegen.
Warst du immer schon internet-affin?
Ich bin 1990 mit einem 14.4-Modem das erste Mal online gegangen. Beantwortet das die Frage?
Achtest du darauf, dass du besonders Internet-gerecht arbeitest?
Ich schreibe kurze Texte, aber auch richtig lange Riemen, weil ich überzeugt bin, dass die Leser draußen nicht doof sind und sich interessieren. Auch das unterscheidet meine Blogs von der Tageszeitung. Ansonsten bemühe ich mich um eine umfangreiche Verlinkung. Damit schicke ich die Leser zwar weg von meinem Angebot – aber ich bin sicher, sie kommen dahin zurück, wo sie gut informiert wurden. Außerdem werden Facebook und Twitter immer wichtiger für die tägliche Arbeit.
Wie gehen deine Leser und deine Anzeigenkunden mit der Tatsache um, dass dein Produkt nur im Netz stattfindet?
Es gibt jede Menge Leser, die mir sagen: Mittlerweile trinke ich meinen Morgenkaffee vor dem Computer und nicht vor der Zeitung, denn die ist abbestellt. Die Anzeigenkunden muss man noch davon überzeugen, dass ihre Werbung im Internet mehr bringt als in der Zeitung oder in irgendwelchen Wochenblättern. Da gibt es noch zu viel traditionelles Denken. Aber das ändert sich zunehmend.
Was bedeutet dir die Tatsache, dass deine eigenen Texte jetzt nicht mehr gedruckt vorliegen?
Da ich auch genug Radio- und Fernseherfahrung habe, kenne ich auch die „flüchtige“ Berichterstattung. Gedruckt bedeutet einzig eine begrenzte Auflage und damit auch begrenztes Wissen. Das Internet bedeutet eine unbegrenzte Verteilung und ein schier unbegrenztes Wissen.
Du hast schon öfter in den Raum gestellt, dass Seiten wie das heddesheimblog die Zukunft des Lokaljournalismus sind. Erklär bitte mal, warum.
Die Verlagshäuser produzieren mit enormen Aufwand ein teures Produkt, dass auch noch teuer verteilt werden muss und ein One-Way-Produkt ist. Und obwohl alles so teuer ist, füllen sie dieses Produkt mit billigen und schlecht bezahlten Inhalten.
Die Produktion fürs Internet ist im Vergleich ultra-kostengünstig, die Verteilung kostet nichts und der Inhalt ist vielfältig verknüpft. Um jetzt mal den Lateiner rauszuhängen: „Textum“ heißt nicht das Gedruckte, sondern das Gewebe. Und hier noch ein bisschen Futter für die Philosophen: Das Internet gibt einem Text erstmals die Möglichkeit, das zu sein, was er ist: Verwobene Informationen.
Inhaltlich ist das Internet wie gemacht für das Lokale. Die großen Portale buhlen um „Online-Communities“. Die sind virtuell. Die Community des Lokalen ist real. Hier ist die Kommune, die Gemeinde. Zudem ist das Internet umfassender, schneller, aktueller als alles, was die Zeitung bieten kann.
Du hast das heddesheimblog auch überregional bekannt gemacht. Wie bist du vorgegangen?
Thomas Mrazek vom BJV hat im August ein Interview mit mir gemacht und bei onlinejournalismus.de veröffentlicht. Den Rest hat das Internet erledigt. Bundesweit haben viele Kollegen auf das heddesheimblog geschaut und gemerkt: Hey, hier geht was.
Dann kamen weitere Interviews und Berichte dazu. Ich vermute, dass ich so interessant bin, weil und wie ich meinen Job mache. Ich zeige, dass das Lokale absolut spannend, vielfältig und berichtenswert ist. Ich habe noch nie soviel Spaß an meinem Job gehabt, wie in den vergangenen Monaten.
Und ich bringe einen neuen Sound in die Lokalberichterstattung: Die Kommentare äußern knallhart ihre Meinung und nehmen kein Blatt vor den Mund. Es gibt einige, die finden das „skandalös“, also „unerhört, unglaublich“. Ich finde, es ist absolut skandalös, wenn Zeitungen in unserer Zeit immer noch einen Journalismus machen, der nicht über die Qualität von Gammelfleisch hinauskommt.
Menschen interessieren sich gerne für Kuriositäten. Dass ein unbedeutender Journalist – im Vergleich zu den Großen der Branche – immer wieder die überregionale Debatte um die Qualität des Journalimus mitbestimmt, ist kurios und hält das Interesse hoch.
Beim Klappern für das heddesheimblog hast du auch deine Person in den Mittelpunkt gestellt (z. B. ziert den Twitter-Account @heddesheimblog dein Foto). Ist Selbstvermarktung ein wichtiges Thema für dich?
Ich vermarkte nicht mich, sondern meine Blogs. Dafür „halte ich meine Fresse hin“.
Meine „Selbstvermarktung“ ist ein demokratischer Appell an die Menschen: Journalismus basiert auf der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit für alle Bürger.
Ich bekenne mich ganz offen zu einem subjektiven Journalismus. Denn es geht dabei im Journalismus um Subjekte, um Menschen. Meine Berichte entstehen zwar „objektiv“ nach professionellen Standards, also viele Quellen, Gegenseite hören, Fakten prüfen und so weiter. Die Inhalte sind aber oft subjektiv dargestellt. Daraus entsteht Betroffenheit und Nähe. Es menschelt.
Ich mache diese Subjektivität aber transparent. Das heißt, ich verweise auf Quellen (außer jene, die ich schütze), ich verlinke zu weiteren Informationen, anderen Quellen für die andere verantwortlich sind. Ich mache die Berichterstattung überprüfbar. Auch das ist ein absoluter Vorteil des Internets gegenüber der Zeitung.
Und genau davor haben viele Journalisten Angst: In der Zeitung ist immer noch anscheinend alles wahr – weil es keine Möglichkeit der direkten Überprüfung gibt. Das Internet an sich trägt zu einer besseren Qualität des Journalismus bei, denn der muss sich plötzlich an all den anderen Informationsangeboten und Überprüfungsmöglichkeiten messen lassen.
Wie bringst du die Notwendigkeit für Selbstvermarktung im Internet und das Auf-dem-Teppich bleiben unter einen Hut?
Ich friere mir vier Stunden lang bei einer Polizeikontrolle für einen Bericht die Nase ab, verbringe viel Zeit auf Vereinsfesten und „schlage“ mich mit der Kommunalpolitik rum. Ganz ehrlich: „Berühmt sein“ habe ich mir glamouröser vorgestellt. Von der Bekanntheit kann ich mir nichts kaufen. Bekanntheit bedient höchstens meine Eitelkeit – wenn man die zu groß werden lässt, steht sie einem im Weg.
Klar nutze ich sie für die Blogs, um deren Bekanntheit voranzubringen. Meine lokalen Kritiker werfen mir Egoismus vor und dass ich meine eigenen „Ziele“ verfolge. So nach dem Motto: „Huhu, der Prothmann will die Macht übernehmen oder hat sonst was Schlimmes vor.“ Das finde ich zum Wiehern. Die lokale High-Society denkt wirklich, ich wollte mit ihrer „Bedeutung“ konkurrieren.
Natürlich habe ich ein Image und pflege es auch. Draußen in der großen, weiten Welt bin ich vielleicht ein Phänomen: Hier vor Ort kann mich jeder anfassen und ansprechen. Und die Leute wissen mittlerweile, dass ich nicht nur irgendetwas schwätze, sondern dass ich „echt“ bin.
Wie trennst du in eben dieser öffentlichen Diskussion und Vermarktung dein privates und dein öffentliches Selbst. Ergeben sich Konflikte?
Als Journalist wahre ich die notwendige Distanz, auch wenn ich oft ganz nah rangehe. Daneben habe ich Privatleben und das geht niemanden etwas an.
Mit der Diskussion um den Wikipedia-Eintrag “Bratwurstjournalismus”, den du geprägt hast, hast du die Dynamik der Netzgemeinde direkt erleben können. Was war dein Eindruck?
Das war eine Riesen-Show. Gerade die Löschdebatte auf Wikipedia. Ich habe viel gelacht und immer wieder gedacht: Das gibts doch gar nicht. Haben die Leute nichts Besseres zu tun, als sich über ein harmloses Wort so zu echauffieren? Großes Kino!
Andererseits hat der Bratwurstjournalismus eine Debatte ausgelöst, die schon lange fällig war: Die Qualität des Zeitungslokaljournalismus ist überwiegend unter aller Sau – von wenigen Ausnahmen abgesehen. Darüber wird geredet und nachgedacht. Und das ist gut so.
Was sind deine Pläne für das nächste Jahr?
Zwei Mal zwei Wochen Urlaub auf meiner Yacht im Hafen von Nizza zu machen. Bis dahin muss ich aber noch ein paar Artikel schreiben und Werbung verkaufen, um mir den Urlaub und die Yacht leisten zu können.
Selbstkritik: Beim Vorbereiten des Interviews zur Publikation ist mir aufgefallen, dass es (z. B. durch Nachfragen) ein bisschen kritischer hätte sein können. Unglücklicherweise kann ich zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht mehr nachbessern. Ich nehme mir hiermit vor, diesen Aspekt bei zukünftigen Interviews im Hinterkopf zu behalten.
Sie spricht mit Menschen, in deren Leben sich durch das Internet etwas verändert hat, über das Internet.