Wie Magic: The Gathering den Transmedia-Code knackte

Diesen Talk durfte ich auf der re:publica 2019 halten, die das Motto “tl; dr” hatte. Dies sind meine Vortragsnotizen. Das gesprochene Wort im Video weicht leicht davon ab. Meine Präsentation ist ebenfalls online. Auf der Seite der re:publica kann man den Programmtext lesen.

Ich möchte mit einer Frage beginnen. Kennt jemand diesen freundlichen jungen Mann? Das ist der Italiener Andrea Mengucci.

Andrea spielt professionell das Kartenspiel “Magic: The Gathering”, hat im März das erste große “Mythic Invitational”-Turnier gewonnen und ein Preisgeld von 250,000 Dollar eingesackt – zusätzlich zu den 75,000 Dollar Jahresgehalt, die er als Spieler der “Magic Pro League” erhält.

Und wie sieht’s mit dieser sympathischen Figur aus?

Das bin ich, im Jahr 1997. Und damals war ich wahrscheinlich ähnlich besessen von Magic wie Andrea heute.

Dieses Spiel – Magic: The Gathering – ist wirklich schon so alt, dass es Andrea und mich verbindet.

Es wurde 1993 von dem Mathematiker Richard Garfield erfunden, der diese Idee hatte, dass ein Spiel “bigger than the box” sein könnte. Magic ist eben nicht nur ein Kartenspiel, es ist ein Sammelkartenspiel.

Man kauft die Karten in zufällig sortierten Packungen und konstruiert sich aus den Karten, die man erhält, sein eigenes Kartenspiel, mit dem man gegen andere antritt, die das gleiche getan haben.

Ein Vorteil dieses Systems ist, dass man das Spiel stetig erweitern kann. In den jetzt 26 Jahren, die es besteht, sind für Magic 81 reguläre Erweiterungen erschienen, plus dutzende weitere Sets und Editionen, im Moment erscheinen rund vier reguläre neue Erweiterungen pro Jahr, die jüngste, “War of the Spark”, an diesem Wochenende.

Es gibt über 20.000 unterschiedliche Karten inzwischen

Inzwischen ist Magic auch ein recht beliebter E-Sport. Andrea Mengucci und seine Kollegen spielen einen großen Teil seiner Spiele auf der Plattform “Magic Arena”. Das Spiel hat viele Fans weltweit, 2015 waren es wohl etwa 20 Millionen, aber ein Mainstream-Phänomen ist es trotzdem nicht – es bleibt ein nischiges Nerdhobby.

Ich habe Magic nach dem Abi 2001 für lange Zeit ziemlich aus den Augen verloren, aber vor zwei Jahren habe ich ein neues Hobby gesucht – und obwohl ich erst zaghaft wieder angefangen habe, hat das Spiel sehr schnell einen Sog entwickelt und jetzt ist es schon wieder kein Hobby mehr, denn ich stehe ja hier und halte einen Vortrag darüber.

Was mich nämlich als Medienwissenschaftler und Kommunikationsmensch überrascht hat, als ich wieder angefangen habe, und mich eingelesen hatte ist, wie gut Magic in Transmedia Storytelling geworden ist.

Der Begriff ist relativ selbsterklärend, aber hier noch mal die Definition von seinem größten Propheten Henry Jenkins:

“Transmedia storytelling bezeichnet einen Prozess, in dem integrale Elemente einer Fiktion systematisch über mehrere Ausspielkanäle verteilt werden, mit dem Ziel, ein einheitliches und abgestimmtes Unterhaltungserlebnis zu erschaffen. Idealerweise trägt dabei jedes Medium etwas Einzigartiges zur Entfaltung der Geschichte bei.”

Henry Jenkins

Das ist sozusagen eine Idealdefinition, relativ eng gefasst. Jenkins hat sie selbst mehrfach aufgebrochen und sieht sie keinesfalls als dogmatisch.

Prominenteste Beispiele für Transmedia Storytelling finden sich heute vermutlich in den großen Fantastik-Franchises wie dem Marvel Cinematic Universe, das über Kinofilme, Fernsehserien und Comics hinweg erzählt wird oder Star Wars – dort gibt es Kinofilme, Comics, Romane und Videospiele.

Transmedia Storytelling galt mal eine Weile so als der Heilige Gral modernen Geschichtenerzählens, weil es wirklich cool ist, wenn es funktioniert, aber in seiner puren Form auch wirklich schwierig gut zu machen ist.

Ich will also, dass über mehrere Medien hinweg eine Geschichte erzählt wird. Das heißt auch: Ich will diejenigen belohnen, die sich die Mühe machen, alle Teile dieser Geschichte über die verschiedenen Medien hinweg zu verfolgen. Die sollen einen Mehrwert davon haben, ein umfassenderes Bild, vielleicht einen Blick auf die Dinge, der anderen fehlt.

Aber ich will auch diejenigen mitnehmen, die sagen TL; DR – ich habe keine Lust, eine Geschichte über mehrere verschiedene Formate hinweg zu verfolgen und zum Beispiel das Ende nur zu erfahren, wenn ich nach meinem Kinobesuch noch ein Buch lese. Die sind nämlich das Gros, und die bringen im Zweifelsfall auch das Geld.

Am besten sollte es auch noch egal sein, wo ich anfange. Also es sollte keine festgelegte Reihenfolge geben, in der ich die Medien konsumieren MUSS und wenn ich als weniger investierter Konsument anfange, sollte ich die Möglichkeit haben später nachzurüsten sozusagen. Jenkins spricht von “rabbit holes”, von Kaninchenlöchern, die überall verteilt sind und wo man halt gucken kann, wie tief man hineinkriecht.

Und trotz all dieser Einschränkungen, sollte eben trotzdem ein einheitliches Bild entstehen, keine Widersprüche usw. – nicht zu viel Wildwuchs.

Wie schwierig das ist, kann ich mal kurz an den beiden Beispielen zeigen, die ich eben genannt habe. Im Marvel Cinematic Universe war die Serie Agents of S.H.I.E.L.D. anfangs relativ eng an die Kontinuität der Kinofilme angedockt.

Als in Captain America: Winter Soldier plötzlich enthüllt wird (SPOILER), das SHIELD von der bösen Organisation HYDRA unterwandert worden ist, war es tatsächlich so, dass zur gleichen Zeit als der Film ins Kino kam, die gleiche Plotwendung auch in der Serie ausgefochten wurde.

Das war aber sozusagen plotlogistisch gleichzeitig so komplex und anscheinend im Payoff trotzdem irgendwie nicht krass genug, dass es das letzte Mal war, dass die beiden Medien so eng zusammenarbeiten. Inzwischen existieren die Marvel-Kinofilme und die Marvel-Serien zwar immer noch nominell im gleichen Universum, was man vor allem daran sieht, dass gelegentlich Charaktere aus dem einen im anderen auftauchen, aber davon abgesehen erzählen sie eigentlich separate Geschichten.

Bei Star Wars ist es noch krasser. Hier wurde über drei Jahrzehnte ein sogenanntes “Expanded Universe” aus hunderten Büchern und Comics aufgebaut, in denen sich diverse Autoren über sehr lange fiktive Zeiträume auch austobten, aber als die neuen Kinofilme vor ein paar Jahren in den Startlöchern standen, entschied man sich bei der Produktionsfirma Lucasfilm, alles bisher Erschienene mit Ausnahme der Filme aus dem Kanon zu streichen und zu “Legenden” zu machen. Es wäre einfach zu komplex gewesen, und hätte den neuen Filmen keinen Raum mehr zum Atmen gelassen.

Dafür ist Star Wars jetzt aber ebenfalls ein ziemlicher Transmedia-König – die verschiedenen TV-Serien, Comics, Romane und natürlich die Filme sind eng aneinander angebunden und bieten eigentlich genau das, was Jenkins definiert.

Star Wars brauchte dafür aber diese Tabula Rasa, als 2015 die neuen Filme kamen. Magic hingegen, beziehungsweise das Unternehmen Wizards of the Coast, das das Spiel herstellt, hat über 25 Jahre immer wieder aufs Neue probiert, sein Transmedia Storytelling auf die Reihe zu kriegen.

Mark Rosewater, der seit vielen Jahren der Head Designer von Magic ist, betont immer wieder, wie wichtig Iteration für den Designprozess ist. Und das finde ich das Faszinierende daran. Wir können uns heute im Rückblick diesen iterativen Prozess anschauen und nachvollziehen, was sie versucht haben, wo sie gescheitert sind und was sie gelernt haben – bis sie heute, wie ich finde, an einem Punkt angekommen sind, wo es wirklich gut funktioniert.

Fangen wir mal damit an, wie man bei einem Kartenspiel überhaupt dazu kommt, eine Geschichte zu erzählen.

Als Magic entstand, hatte es eigentlich gar keine Geschichte, es hatte nur diese Spielidee von sich duellierenden Magiern, was aber ja eigentlich auch nur ein stimmungsvoller Anstrich für ein Regelkonzept ist. Aber es war auch nicht total generisch.

Also wenn wir uns eine typische Karte aus der Zeit anschauen – die hätte ja auch einfach nur “Elves” heißen können, aber es sind eben Llanowar Elves, offenbar eine sehr kriegerische Elfenart, das zeigt auch das Bild und dieser sogenannte “Flavor Text” in kursiv, der keine Regelbedeutung hat.

Solche Andeutungen von einer größeren Welt hinter den Karten gab es auf vielen Karten und irgendwann hat sich dann auch mal jemand hingesetzt und diese Andeutungen zu einer Welt und auch einer groben Geschichte zusammengesetzt.

Also es gab die Karten “Ankh of Mishra” und “Glasses of Urza”.

Und als die Erweiterung “Antiquities” designt wurde, entschieden die Designer das Urza und Mishra Brüder waren, die gegeneinander Krieg führten – und deuteten das dann wiederum im Flavor Text an.

Gleichzeitig hatte Magic, dieses neue Spielprinzip, aber auch kurzzeitig so etwas wie Mainstream-Erfolg und Wizards lizensierte die Magic-Marke an Verlage, die Bücher und Comics herausgaben. Die Autoren dachten sich aber wiederum eigene Geschichten aus, die höchstens mal einzelne Karten referenzierten. Ein Buch über den Krieg zwischen Urza und Mishra gab es zum Beispiel nicht.

Also: Transmedia Storytelling, Fehlanzeige

Die zweite Iteration beginnt Ende der 90er. Hier wurde parallel zum Set “Visions” eine Reihe von Charakteren eingeführt, die Besatzung eines fliegenden Schiffs namens “Weatherlight”, das fortan Abenteuer in Magics Multiversum erleben sollte.

Gleichzeitig wurde die Buchproduktion von Wizards of the Coast ins Haus zurückgeholt, und ab 1999 erschienen die Romane – geschrieben von freien Autoren – begleitend zu den Sets. Zum Teil sogar nachträglich – und es gab endlich einen Roman zum “Brother’s War”.

Allerdings waren die Produktionszyklen von Romanen und Karten so unterschiedlich und weiterhin so wenig aufeinander abgestimmt, dass sich irgendwie kein einheitliches Gefühl einstellen wollte.

Der damalige Kreativchef Brady Dommermuth fasste das mal so zusammen:

“Allgemein liefern die Karten die Welt, in der die Romane spielen, und die Romane liefern manchmal Charaktere, die auf Karten zu sehen sind. Aber Karten führen auch eigene Charaktere ein, die nicht in den Romanen auftauchen. Kurz gesagt arbeiten das Magic Kreativteam und die Romanautor*innen größtenteils parallel und informieren einander so viel wie möglich.”

“Wir informieren uns so gut es geht.” Klingt von einem Transmedia-Standpunkt eher nach “Er hat sich stets bemüht.” Und so sind wohl auch die meisten Romane aus dieser Zeit. Für Fans, die sich wirklich für die Geschichte interessieren, ist die Tatsache, dass das irgendwie nicht zusammen passt, ein endloser Grund für Frust.

Für die anderen ist es aber auch nicht besser: Die Charaktere tauchten ständig auf den Karten, in Bildern und Flavor Text auf, aber da man ja diese Karten zufällig bekommt und nicht in irgendeiner Art chronologisch spielt, muss man schon sehr stark auf die Suche gehen, um irgendwie einen Eindruck davon zu bekommen, was die Geschichte sein soll, die hier erzählt wird.

Dieses Parallelsystem war trotzdem ziemlich lange der Status Quo. Irgendwann aber hatte der eben schon erwähnte Brady Dommermuth die Idee, die im Endeffekt zur dritten Iteration führte: Was wir brauchen sind Figuren, die ein bisschen außerhalb des Spiels stehen, mit denen sich die Spieler identifizieren können.

Deswegen gab es 2007 erstmals sogenannte Planeswalker, ein völlig neuer Kartentyp mit Charakteren, die die Macht haben, zwischen den verschiedenen Welten, auf denen Magic spielt, hin und her zu wandern. Im Endeffekt wie die Spieler.

Doch obwohl es plötzlich diese durchaus auch populären Charaktere gab, gelang es Wizards einfach nicht, die Spieler für die parallel produzierten “Planeswalker Novels” zu begeistern, auch nicht für die Ebooks, die man dann stattdessen versuchte zu produzieren.

Deswegen versuchte man es schließlich 2015 noch einmal mit so einer Art Neustart und einer neuen Distributionsstrategie.

Man kombinierte ein Team aus beliebten jungen Planeswalkern, die bereits in den bisherigen Sets aufgetaucht waren, mit Kurzgeschichten, keinen ganzen Romanen, die In-House von Mitgliedern des Creative Teams geschrieben wurden.

Und diese Geschichten wurden kostenlos auf der Magic Website veröffentlicht. Und plötzlich wurden sie besser gelesen als je zuvor.

Auf den Karten wurden wiederum wurden nur noch wenige Schlüsselmomente aus den Geschichten abgebildet, die als “Story Spotlights” mit einem Symbol markiert sind. Unten rechts in der Ecke steht die URL mtgstory.com – auf dieser Website finden sich dann die Kurzgeschichten. Die restlichen Karten im Set schmücken wie bisher die Welt aus.

Diese Mischung schien endlich zu funktionieren.

  • Die Spieler kennen ihre Charaktere, weil sie mit ihnen spielten.
  • Wichtige Momente finden sich auf den Karten wieder und nicht so stark in die Story investierte Spieler bekommen dennoch einen groben Eindruck
  • Wer mehr erfahren will, kann niedrigschwellig und kostenlos im Internet genau erfahren, wie die Geschichte weitergeht
  • Weil der Geschichtsprozess Teil des Kartendesignprozesses ist, gehen die beiden Welten endlich Hand in Hand. Inzwischen funktioniert es sogar wieder mit externen Autoren ganz gut

Aber das beste ist – das hätte ich mir nicht mal träumen lassen können, als ich diesen Talk eingereicht habe – dass sich diese Iteration dieses Jahr so richtig auszahlt. Das aktuelle Set nämlich, das gerade erst dieses Wochenende erschienen ist, erzählt fast ausschließlich Geschichte – was nur mit dem momentanen Modell möglich ist.

“War of the Spark” ist jetzt dieses Wochenende erschienen und bildet den Abschluss eines zweijährigen Plotbogens. Eine Art Avengers: Infinity War” von Magic. Alle Planeswalker treffen sich auf einer Welt und kämpfen gegeneinander und gegen einen Oberbösewicht, den fiesen Drachenplaneswalker Nicol Bolas.

Anders als in anderen Sets steht hier nicht irgendeine spannende Welt im Hintergrund, die bestimmte EIgenschaften hat, sondern wirklich die Geschichte und die Figuren, die über Jahre etabliert wurden. Die Designer selbst nennen es ein “Event Set”.

Die Karten wurden in Story-Reihenfolge enthüllt. Die Story-Spotlights haben Akte. Und plötzlich solche Kommentare:

Zusätzlich zu den kostenlosen Geschichten gibt es auch wieder einen Roman, der kräftig beworben wird. Sie versuchen es also noch einmal, aber diesmal könnte es funktionieren, weil sich die Spieler tatsächlich für die Geschichte interessieren!

Das zeigt sich unter anderem daran, dass sogar einige professionelle Spieler – leider nicht Andrea Mengucci, das wäre ein zu schöner geschlossener Kreis gewesen, aber immerhin zum Beispiel Jon Finkel, einer der dekoriertesten Spieler aller Zeiten, die sich für’s gewinnen sonst natürlich nie für die Story interessieren, haben gesagt: Jetzt möchten sie doch mehr wissen.

Natürlich sind nicht alle zufrieden. Es gibt auch immer noch genug zu kritisieren. Das Buch zum Beispiel hat viel Plot und wenig Tiefe. Aber insgesamt kann das Ganze schon als Erfolg gewertet werden. Mit den Karten zu spielen fühlt sich wirklich an, als würde man Geschichte erleben.

Hätte man an diesem Punkt auch sofort mit Konzeption des Spiels angelangen können? Wahrscheinlich nicht, einfach weil die Medienlandschaft 1993, und selbst 2005 noch so anders aussah als heute.

Mal ganz abgesehen davon, dass es noch kein Internet gab. Auch genau diese Herangehensweise an Lizensierung aus den frühesten Iterationen war typisch für diese Zeit. Erst in den letzten Jahren ist es üblich geworden, so enge kreative Kontrolle auszuüben, weil man gemerkt hat, dass man so seinen Kunden ein einheitlicheres Erlebnis bieten kann – was sich nicht nur kreativ, sondern auch in Sachen Markenbindung und damit in ausgegebenem Geld auszahlt.

Das coole ist eben, dass man bei Magic diese Entwicklung so schön beobachten kann. Man beginnt mit Karten, die Hinweise auf eine größere Geschichte geben und damit ein Potenzial für Transmedia Storytelling sichtbar machen.

Dann probiert das Spiel in einer ersten Iteration ein Lizensierungsmodell, stellt aber fest, dass das nicht gut funktioniert.

Also holt man die Buchproduktion, jetzt mal repräsentativ für die tiefere Geschichte, ins Haus.

Dann wendet man sich wieder den Karten zu, und versucht, zusätzlich mehr Geschichte auf den Karten zu erzählen (tl;dr). Aber das funktioniert auch nicht. Was man braucht sind ANDERE Karten, die CHARAKTERE verkörpern.

Das funktioniert sehr gut bei den Karten, aber nun werden die Probleme des Romanformats noch deutlicher.

Deswegen löst kostenlose Webfiction sie ab.

Und weil da so gut funktioniert, kann man sich wieder dem Potenzial von “Geschichte auf den Karten” zuwenden und entwickelt die “Story Spotlights”.

Jetzt endlich ist alles verbunden. Charaktere, Geschichten und Karten passen zusammen

Und geben sogar die Sicherheit, in einem “Event Set” wieder zusätzlich einem Roman eine Chance zu geben.

Aber damit das möglich war, und sich das volle Potenzial entfalten konnte, das sich am Anfang nur erahnen ließ, brauchte es eben jede Menge Zwischenschritte, es brauchte regelmäßiges Scheitern, und den Willen, immer wieder neue Varianten zu versuchen.

Mit die wichtigste Ressource für die Entstehung dieses Talks waren die Artikel (1, 2, 3) “A Brief History of Magic Publishing” von Sam Keeper und eine Folge des “Vorthos Cast”.

LEXPOD

Ich habe keine Zeit mehr zum Bloggen, keine Zeit mehr für einen aufwändigen Podcast mit mehreren Personen, aber trotzdem das Bedürfnis, mich regelmäßig über Dinge mitzuteilen, die mich interessieren. Also habe ich mich von Menschen wie Mark Rosewater inspirieren lassen und nehme ab sofort einen Solo-Podcast, man könnte es auch ein Audioblog nennen, auf dem Weg von der Haustür zur S-Bahn auf – den LEXPOD. Es geht um die üblichen Themen, die Leser*innen von Real Virtuality kennen, aber auch um Persönlicheres und alles, was mir sonst so auffällt.

Technisch möglich macht das Ganze die App Anchor (gerade erst für viel Geld von Spotify gekauft), in der man mit wenigen Tippern und Wischern Podcasts aufnehmen, mixen und verteilen kann. So kann ich meine Gedanken direkt nach Ende der Aufnahme in der S-Bahn in die Welt pusten, und ihr könnt sie hören. Zweimal die Woche, zehn bis 15 Minuten, das passt doch mit Sicherheit noch in euren Podhörplan.

Ich freue mich über Feedback und Themenideen. (Kann man mit Anchor übrigens auch per Sprachnachricht machen.)

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Warum die Online-Kommunikation von Wizards of the Coast so gut ist

Als ich zwölf war, steckte ich knietief in Elfen, Drachen und Zauberern fest. Ich hatte vor etwa etwa zwei Jahren erstmals den Herrn der Ringe verschlungen, und von dort führte mich der Weg geradezu in die ganze Welt der Fantasy und ihrer angeschlossenen Genres. Nichts jedoch nahm mich innerhalb von kürzester Zeit so gefangen wie das Sammelkartenspiel Magic: The Gathering, das es auch erst seit zwei Jahren gab, und dem ich bald darauf sehr große Teile meiner Freizeit widmete.

Natürlich passte die Hintergrundgeschichte des Spiels gut zu meinen Interessen – es geht um mächtige Magier, die sich gegenseitig mit Kreaturen und Sprüchen bekämpfen, die durch die Karten repräsentiert werden – aber dieses erste “Collectible Card Game” seiner Art hatte auch ein cleveres System entdeckt, wie es seine Spieler bei Laune hielt. Alle paar Monate erschienen Erweiterungen, die mit dem gesamten restlichen Spiel kompatibel waren, es komplexer aber auch immer wieder frisch werden ließen. Der Podcast Planet Money hat mal sehr gut erklärt, warum dieses Prinzip so klug ist.

Im Jahresrückblick habe ich bereits erwähnt, dass ich letztes Jahr, nach rund 17 Jahren Pause, wieder angefangen habe, Magic zu spielen – nicht mit solcher Intensität wie in den 90ern, aber erstmals wieder für mehr als ein paar Stunden Nostalgie einmal im Jahr. Schuld daran ist die Firma Wizards of the Coast aus Seattle, die Magic produziert. Wizards ist es im vergangen Sommer gelungen, mich nachhaltig wieder für das Spiel zu begeistern, weil sie in ihrer Online-Kommunikation einfach verdammt viel richtig machen. “Was denn?”, höre ich dich fragen. Gut, dass du fragst.

1. Transmediales Storytelling

Magic hatte von Anfang an eine erzählerische Komponente, die allerdings wie in vielen Spielen eher als eine Art mystisches Hintergrundrauschen diente. Auf den Karten tauchten Namen von Ländern, Stämmen und Personen auf, die sich aber nur schwer zu einer wirklichen Geschichte verdichteten. Bald entstanden Tie-in-Romane, die aber ebenfalls nur vage auf die Karten Bezug nahmen. Das änderte sich Ende der 90er und es hat sich heute vollständig gedreht. Nun ist Magic, wenn man im richtigen Winkel schaut, eine Fortsetzungsgeschichte mit angeschlossenem Spiel. Im Magic Story Bereich auf der Wizards-Website kann ich die Geschichten lesen, während die Erweiterungen erscheinen – und anschließend entdecke ich auf den Karten Momente und Figuren aus den Geschichten, sowohl in den Bildern als auch in den Mechaniken.

Wizards produziert inzwischen sogar Produkte, die auf dieses Erlebnis abzielen. Im aktuellen Erweiterungsblock “Ixalan” zum Beispiel, suchen vier Fraktionen in einer mittelamerikanisch angehauchten Welt nach einem legendären Artefakt. Das Spiel “Explorers of Ixalan” lässt einen diese Suche nachspielen, mit vier Kartendecks, die die vier Fraktionen repräsentieren. Dino-Reiter gegen Vampire gegen Piraten gegen Meermenschen.

Mich erfüllt dieses Erlebnis tatsächlich jedes Mal wieder mit Freude. Erzählung und Spiel sind bei Magic genau richtig aueinander abgestimmt. Die Karten dienen nicht nur der Geschichte, das würde die Spielmechaniken zu sehr einschränken. Die Geschichte wurde auch nicht um die Karten herumgestrickt, was dramaturgisch zum Äquivalent eines schlechten Jukebox-Musicals führen würde. Sondern beide Medien existieren in Einklang und reflektieren einander. Und anders als früher muss ich für das transmediale Erlebnis nicht einmal mehr Romane kaufen – ich lese einfach kostenlos im Netz.

2. Starke Markenbotschafter

Den Begriff der Markenbotschafter habe ich von Kerstin Hoffmann. Sie beschreibt, wie wichtig es ist, dass Menschen aus Unternehmen im Netz sichtbar nach außen auftreten, um anderen die Identifikation zu vereinfachen. Ich glaube: Wizards of the Coast und Magic wären heute nicht wo sie sind ohne Mark Rosewater. Der Head Designer von Magic, der seit 20 Jahren im Unternehmen ist, personifiziert es wie kaum jemand anderes. Er schreibt auf der Magic Website wöchentliche Artikel, er hat einen eigenen Podcast, den er auf der Fahrt zur Arbeit aufnimmt, und er interagiert mit seinen Kunden auf Twitter und Tumblr als wäre das sein einziger Job.

Auch wenn Rosewater nicht die angenehmste Sprechstimme hat (das muss ich leider sagen), ist er enorm gut darin, die Prozesse innerhalb von Wizards transparent und glaubwürdig zu beschreiben und zu erklären ohne zu viele Interna zu verraten. Für diese Transparenz musste Rosewater, wie er sagt, kämpfen, aber für mich macht sie einen großen Teil der Faszination aus. Zu erfahren, welche Prozesse das Unternehmen durchläuft um zu den Produkten zu kommen, die letztendlich beim Kunden landen, lässt mich nicht nur von einem ähnlichen Job träumen, es hilft mir auch, dem Produkt zu vertrauen.

Längst hat sich Rosewater mit einem Team anderer Autoren umgeben, die ebenfalls fast alle nicht nur Pressefuzzis sind, die für die Website möglichst glattpoliert aufschreiben, wie großartig ihr Unternehmen und ihr Produkt ist, sondern zu großen Teilen selbst an der Herstellung von Magic beteiligt sind. Sie berichten von ihrer Arbeit und sind häufig zusätzlich in sozialen Medien ansprechbar. Für das interne Monitoring kennzeichnen sie übrigens alle Tweets, in denen sie für ihr Unternehmen sprechen mit dem Hashtag #WotCStaff. Finde ich eine gute Idee.

3. Die Community regiert

Magic wäre logischerweise nichts ohne seine Spieler, weshalb Wizards sich wie oben beschrieben als sehr ansprechbar und offen präsentiert. (Seitennotiz: Ich denke, dass das Unternehmen aus einem ähnlichen Grund keinen eigenen Onlineshop unterhält. Es will den Läden vor Ort, die für sie eine wichtige Infrastruktur zum Abhalten von Turnieren und für die Kundenbindung darstellen, keine Konkurrenz machen.) Doch was mir dazu sofort auffiel, als ich letztes Jahr anfing, die Website zu endecken: Die verlinken ja ständig auf fremnde Seiten.

In der Tat. Was anderswo undenkbar scheint, gehört bei Wizards zur Kommunikationsstrategie. Das Unternehmen agiert nicht als eingemauerter Compound sondern bezieht Blogs, Podcasts, YouTube-Kanäle etc. aus der Community in ihre eigene Firmenkommunikation mit ein. Zur jüngsten Umgestaltung der “DailyMTG”-Homepage fasste Redakteur Blake Rasmussen die Strategie zusammen:

“We started to recognize that the community’s best content creators are its fans. When DailyMTG was first created, we were, more or less, the only show in town. Most Magic sites were mainly forums (…). These days, there are dozens of high-quality sites, podcasts, and YouTube channels that can teach you about the game, help you explore it, show you how to get better, highlight cool tidbits, and gush about the art. StarCityGames.com, ChannelFireball, and TCGplayer have the literal best players in the world producing strategy content for them on a daily basis. Gathering Magic, The Command Zone, Magic the Amateuring, and MTGGoldfish consistently produce fun, relevant content. Hipsters of the Coast, Magic Mics, and Mana Deprived bring you all the news that’s fit to print, talk about, or record. (…) So our goal, and the philosophy around with the new DailyMTG is built, is that we can show you around the wide, amazing world of Magic content and let those fine folks take it from there.

Eventuell ist dies in der Gaming-Welt normal, aber ich habe es so noch nirgendwo erlebt. Was für ein Ansporn, wenn man sich selbst als Fan-Creator sieht. Ich bekomme nicht nur ab und zu mal ein Tätscheln vom Unternehmen, sondern ich werde als Partner im Informationsdschungel angesehen. Sicher kann man auch eine zynische Sicht einnehmen, dass sich hier ein Unternehmen im typischen Sharing-Econonomy-Stil den Content von Fans umsonst produzieren lässt, aber ich glaube das trifft nicht zu. Die Blogs und Videos würden ohnehin existieren. Sie in die Kommunikationsstrategie einzubinden ist einfach ein sehr gutes Community Management und Kundenbindungs-Werkzeug.

Fazit

Ich beobachte die Kommunikationsarbeit von Wizards of the Coast jetzt seit etwa einem halben Jahr. Sicher ist dort nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Sicher gab es immer wieder auch Strategien, die den Fans sauer aufstoßen, oder Produkte und Regelungen, die als Geldmacherei aufgenommen werden. Im letzten halben Jahr allerdings ist mein Eindruck positiv. Magic ist heute, im Gegensatz zu meiner Anfangszeit vor 20 Jahren, ein erstaunlich holistisches Produkt, in dem Fantasy-Flair, Spielspaß und sportliche Turnierszene (einige Menschen verdienen ihr Geld damit, das Spiel zu spielen) perfekt ineinander greifen. Die Kommunikationsarbeit leistet dazu einen bemerkenswerten Anteil.